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Winterthur, 8.
April 2007: „Fantastico“ – hier ist der Name
tatsächlich Programm. Die wundervollen Dressurnummern der
Familie Knie. Erstklassige Komiker, deren Humor ins Schwarze
trifft. Eine Auswahl der bekanntesten Artisten. Und ganz
besonders eine Inszenierung mit fabelhafter Musik und
fabelhaftem Licht, die mitreißt und nur ein Fazit zulässt:
Glanzvoller, schöner und bewegender kann klassischer Circus,
nein: kann Circus nicht sein. Die Familie Knie präsentiert
gleich vier Tiernummern. Mary-José Knie leitet mit einem
einzelnen Palomino die erste Dressurdarbietung ein. |
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Geraldine Knie & Marlon,
Linna Knie
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Das goldfarbene
Tier springt und geht durch große Reifen, die vom Ballett
gehalten werden. Der Auftakt für eine Schulstunde in der
Manege: Fredy Knie jun. dirigiert sechs junge Araber, die erst
im vergangenen Jahr zu Knie kamen. In der Art einer
kommentierten Tierprobe erläutert Knie dem Publikum, wie er
Pferde dressiert, auf welche Signale die Tiere reagieren –
Stimme, Körperhaltung, Position und Knallen der Peitsche, die
Bewegungen des Handstocks. Eine lehrreiche wie schöne Darbietung
und die richtige Antwort auf Kritik an Tierhaltung und -dressur
im Circus. Dass Hohe Schule nicht betulich sein muss, sondern
auch als temporeiche Shownummer präsentiert werden kann,
beweisen Géraldine Katharina Knie, Rebecca Fratellini und das
Knie-Ballett, die „Compagnie“: Musik mit Temperament und „Baila
Baila“, Tanz, südamerikanisches Feuer zu Pferd; der
brasilianische Trapezartist Marlon tanzt Samba synchron zu
Schulschritten– ganz groß! Einfach wunderbar später auch die
Dressurkombination mit fünf Zebras, drei weißen Arabern und drei
schwarzen Friesen, vorgeführt von Géraldine Katharina Knie: Die
Steppenzebras, scheue Wildtiere eigentlich, zeigen sich ebenso
gelehrig, werden ebenso mit leichter Hand präsentiert wie die
Pferde; alle elf Tiere laufen gemeinsam und synchron durchs
Knie-Rund. Die Zebras springen zum Abschluss ihres Auftritts
über Hürden und stoppen direkt danach auf Kommando. Eine große
Pyramide aus Elefanten auf Postamenten, obenauf thronend Linna
Knie-Sun, wird im Dunkeln errichtet und bildet schließlich den
Auftakt zu einer spektakulären Dressurschau à la Knie mit sechs
Dickhäutern, präsentiert von Franco Knie und Sohn Franco junior
nebst Gattin. |
Duo Mak, The Randols, The White
Crow
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Für den artistischen Auftakt im
Knie-Programm sorgt das Duo Randols mit Rollschuhakrobatik in
Barockkostümen. Erst vor drei Jahren war Denise Randols mit
ihrer Hula Hoop-Show bei Knie zu sehen. Bereits nach zwei Jahren
wieder zu Gast ist das Duo Mak, das seine Luftakrobatik am
Fangstuhl ein bisschen umgestaltet hat und 2007 zu Tangoklängen
auftritt. Tatiana Mak schwebt nun zusätzlich an roten Tüchern –
das erlaubt neueTricks, ist aber auch eine zusätzliche
Sicherheit, nimmt der Darbietung also auch ihren hohen
Nervenkitzel-Faktor. Weltklasse dann vor der Pause: Erst im
Januar in Monte Carlo mit dem Silbernen Clown ausgezeichnet,
präsentiert das Trio „The White Crow“ nun seine Flugkünste am
Russischen Barren bei Knie – unter anderem mit Johhny Gasser vom
Schweizer Circus Starlight als Untermann. Spektakulär: Artistin
Carole Demers‘ gehockte, gestrecke und gekniete Salti, darunter
unterschiedliche „Dreifache“. Wohltuend: Mal ein Russischer
Barren ohne viel Theatralik, sondern – in der zweiten Hälfte der
Nummer – zu fetzigem Rock’n’Roll.
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Dustin Nicolodi, The Flying Michaels
Zwei
Ausrufezeichen dann noch im zweiten Programmteil: Dustin
Nicolodi zeigt sehr sicher Handstände; Alan Sulc, das groß
gewordene Wunderkind, hält bei seiner Bodenjonglage neun Bälle
in Bewegung, in manchen Vorstellungen wohl sogar bis zu elf.
Bravo für die Entscheidung von Fredy Knie junior, die geplante
große Luftnummer aus China wieder auszuladen, weil die Akteure
sich in Monte Carlo als Kinder herausgestellt hatten –
hoffentlich eine Botschaft, die verstanden wird. So präsentiert
Knie eine Schlussnummer, die mittlerweile fast Seltenheitswert
hat: ein ganz klassisches Flugtrapez, ohne pseudo-intellektuelle
Inszenierung, dafür mit brasilianischer Lebensfreude und von
Erwachsenen mit Ausstrahlung ausgeführt. Der Höhepunkt bei den
„Flying Michaels“: der „Dreifache“ mit verbundenen Augen.
The Rossyanns, Duo
Lapsus
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„Fantastico“ ist vor allem aber
ein Programm, dessen Stärke – außer bei den Tierdressuren – in
herrlicher Komik liegt. Bauchredner Willer Nicolodi glänzt
einmal mehr mit seiner bekannten und gern kopierten Nummer, in
der er seinen Hund und drei Gästen aus dem Publikum seine Stimme
leiht. Klassische Musicalclowns wie aus dem Bilderbuch sind die
Rossyanns. Die aufmerksame Regie bringt deren Stärken, deren
Witz in mehreren, nicht zu langen Auftritten erst richtig zum
Vorschein – Bravo! Richtig, richtig witzig ist das Schweizer
Komikerduo Lapsus, das den überforderten Unternehmensberater
Theo Hitzig und dessen eher wenig arbeitswütigen Mitarbeiter
Bruno Geschwind mimt. Eine Sternstunde des Humors gegen Ende der
Show: Nach der Elefantendressur erläutert Theo Hitzig dem
Publikum, dass aus Sicherheitsgründen Alternativen her müssten
zu den Dickhäutern aus Indien – die dann in einem „motorisierten
Elefanten“ gefunden wird, einem kleinen Bagger, getauft auf den
Namen „Umba“. Die Fülle abstruser Details und lustiger Einfälle
in dieser Elefantenkomödie ist fast unglaublich.
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Knie
beweist auch 2007, welchen Stellenwert, welche Bedeutung Licht,
Musik und Regie haben, wenn es darum geht, ein Publikum zu
begeistern. Und so gibt es tatsächlich nichts Schöneres als
großen, klassischen Circus, der voll auf der Höhe der Zeit
liegt. |
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Text: Markus Moll; Fotos: Sven Rindfleisch
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