CHPITEAU.DE

Circus Roncalli - Tour 2008
www.roncalli.de

Karlsruhe, 13. Juli 2008: Es war Großes, was Bernhard Paul für die Saison 2008 seines Circus Roncalli angekündigt hatte: Ein neues Circuszelt sollte es geben, im Flower-Power-Stil dekoriert, und das Vorzelt sollte einen neuen Eingangspavillon mit schmiedeeisernen Ornamenten erhalten. Auch die Programmgestaltung sollte Flower-Power-Motive aufnehmen, unter anderem mit einem „indischen Bild als Hommage an den Ex-Beatle George Har-rison“ und einem Finale, in dem die Zauber- requisiten des früheren Illusionisten Dinardi ein- gesetzt werden, riesige Blumensträuße aus kleinen Kisten wachsen. Was ist daraus geworden?


Orchester in Sgt. Pepper-Uniformen, Finale, Opernball-Szene

Chapiteau.de hat Roncalli-Direktor Bernhard Paul exklusiv befragt. Demnach sollte das neue Material, Zelt und Pavillon-Vorbau, ursprünglich das erste Mal beim „Heimspiel“ in Köln eingesetzt werden. Dann aber musste Roncalli bekanntlich Fußgängerwege quer über den Neumarkt freihalten und hatte folglich zu wenig Platz zur Verfügung. „Der neue Vorbau für das Vorzelt steht im Winterquartier in Köln, man kann ihn dort auch fotografieren“, sagt Bernhard Paul. Nur benötige der Pavillon zehn bis zwölf Meter zusätzlichen Platz, und der stehe auf den meisten Plätzen in dieser Saison – in Köln wegen der kurzfristigen „Platzverkleinerung“, außerdem auch in Lübeck und Kiel – schlicht nicht zur Verfügung. Und extra für Karlsruhe wollte man den Pavillon nicht durch halb Deutschland transportieren. „Es ist ja nicht so, dass unser Circus nicht auch so schon optisch beeindruckend wäre. Der Pavillon ist ein zusätzlicher Luxus, den wir einsetzen, wenn es geht.“ Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, das gilt nach Pauls Worten auch für das neue Roncalli-Zelt. Dies werde keine Sturmstangen mehr haben, sagt Bernhard Paul, und daher würden die Abseglungen mehr Platz benötigen – der auf dem Kölner Neumarkt aus genannten Gründen nicht mehr zur Verfügung stand. „Ich wollte das neue Zelt für Köln haben, aber nachdem das nicht ging, habe ich der Zeltbaufirma gesagt, dass sie sich noch Zeit lassen können.“ Nächstes Jahr soll es dann auf jeden Fall so weit sein: Das neue Zelt, in anderer, aber noch geheimer Farbgebung, soll laut Bernhard Paul mit auf Tournee gehen und bessere Sicht bieten: Paul will das Gradin so drehen, dass die vier Masten in den Aufgängen stehen. Weder Masten, noch Sturmstangen werden damit den Blick von der Tribüne aus einschränken. Außerdem wird möglicherweise der Artisteneingang mit dem hydraulisch absenkbaren Orchesterpodium wieder eingesetzt werden. Bernhard Paul möchte diesen allerdings umdekorieren lassen: vom spanisch angehauchten Aussehen hin zum barocken Stil. Auch zur Frage, was aus der angekündigten „Flower-Power“-Programmgestaltung geworden ist, hat Bernhard Paul geantwortet. „Wir sind ja kein Theatercircus, und deshalb kann trotz des Mottos nicht jeder Artist Blumen im Haar tragen. Wir haben beim Programm ‚All you need is laugh’ ein Thema, die Beatles-Musik, das sich immer wieder in Erinnerung ruft: Wir fangen mit Beatles-Musik an und hören damit auf, und zwischendurch klingt sie immer wieder an. Es wäre aber an den Haaren herbeigezogen, jeder Nummer Beatles-Musik aufzuzwängen.“


David Larible, Bellisimo, Maryna und Svetlana

Wie aber ist es nun, das Roncalli-Programm 2008? Zum einen gar nicht wesentlich anders als 2007. Nach wie vor gibt Starclown David Larible in der kleinen Rahmenhandlung den Requisiteur, der zufällig in die Rolle des Clowns stolpert – und seinen Job so gut macht, dass er es bleiben darf, der „Orchester“- und der „Opern“-Szene sei Dank. Nur das Kölner Publikum, das Laribles Auftritte ja schon kannte, bekam statt der Orchester-Szene eine Teller-Komödie serviert. Auch Weißclown Gensi ist weiterhin im Programm und zeigt unter anderem seine Persiflage auf eine Pferdefreiheit mit zwei menschlichen Akteuren im Ross-Kostüm. Einige artistische Darbietungen wurden aus dem Vorjahr übernommen. Die Antipodistinnen Maryna und Svetlana lassen weiterhin mit wilder Entschlossenheit ihre Teppiche fliegen, bis zu acht Stück gleichzeitig auf allen Händen und Füßen, die Kostüm-Illusionisten vom Duo Minasov wechseln wohl konkurrenzlos schnell ihre Kleider, und Victor Minsaov unterhält nach wie vor prächtig bei seinem Zweitauftritt im Ballon. Bewährt sind auch die Kraftakrobatinnen und Kontorsionistinnen des Trio Bellisimo, nun allerdings auf einem neuen, verschiedenfarbig leuchtenden Tisch, und die komische Rhönrad-Abspecknummer von Konstantin Mouraiev. In Karlsruhe waren noch die Azzario-Sisters mit ihrer beeindruckenden Kopf-auf-Kopf-Darbietung im Programm, bei der eines der Mädchen eine Leiter übersteigt, während ihre Schwester dabei auf ihrem Kopf steht, im einarmigen Handstand. Mittlerweile wurde die Nummer wie angekündigt durch Handstand-Wunder Encho Keryazov ersetzt, dessen Künste wir auch unbesehen sensationell nennen dürfen.


Ruslan Urunov, Darren Burl, Alan Sulc

Freilich gibt es auch Neues. Ein echter Glücksgriff ist der amerikanische Seifenblasen-Künstler Darren Burl. Er braucht keinen Pustering, sondern erzeugt seine Seifenblasen nur mit der geheimnisvollen Seifen-Mixtur und bloßen Händen, zwischen seinen Fingern hindurch. Als ob das nicht zauberhaft genug wäre, lässt er kleine in großen Seifenblasen schweben, füllt sie mithilfe eines geheimnisvollen Apparates mit Rauch oder lässt einen kleinen Plastikfisch in einer Seifenblase schweben. Grenzenloses Staunen. Einzige Tiernummer im Programm und ebenfalls neu ist die doppelte Hohe Schule des Duos Urunov: Ruslan reitet auf seinem Schulpferd, seine Frau Elena lenkt ihr Pferd von der zweirädrigen Kutsche aus. Mit im Spiel sind auch drei Windhunde, die unter anderem an den Pferden emporspringen – eine historisierend-elegante Darbietung, die wie für Roncalli gemacht ist. Schade nur, dass es in diesem Jahr nicht zusätzlich noch eine Pferdefreiheit zu sehen gibt. Dritter Neuzugang ist Alan Sulc: Die Bodenjonglage des jugendlichen Spitzenkönners mit bis zu neun Bällen ist technisch schon seit Jahren auf allerhöchstem Niveau, nun wurde die Darbietung vom Techno-Sound befreit und für Roncalli in ein neues musikalisches Gewand aus rasanten „Lord of the Dance“-Klängen gehüllt, das die Nummer nochmals aufwertet und Alans Tanzschritten die Zappeligkeit nimmt. Ein echtes Highlight. Neuerung Nummer vier ist das Duo Bobrov: Auf ungeahnte Weise nutzen Oxana und Vitaly ihr Vertikalseil, das sich hier auch heben und senken kann.


Duo Bobrov

Dramatisch-schöne Verstrickungen und Verwicklungen, Luft und Liebe zu Tangoklängen: Der Mann hält das Vertikalseil als Trapez, in dem die Partnerin sich windet bis in den Fershang hoch unter dem Zirkusdach; die beiden Artisten demonstrieren Wagemut Hand in Hand. Ein wundervolles Luftschauspiel. Schließlich gibt es im Programm auch einen neuen Komiker: Sergey Maslenikov, der bereits vor zehn Jahren einmal als Jongleur im Roncalli-Programm aufgetreten ist. Nun ist er zurückgekehrt, tritt in verschiedenen Reprisen auf und jongliert auch dabei wieder – mit Geige, Bogen und Notenblatt, den Notenständer auf dem Kopf balancierend.


Segey Maslenikov


Riesen-Andrang in Karlsruhe

Roncalli heute, darin sehen wir mehr artistische Hochleistung als früher und dafür weniger Beiwerk, haben wir gegenüber Bernhard Paul formuliert. Kann er das bestätigen? Ja, sagt er, das sei auch so gewollt, denn er könne die „Soleil-isierung“ von Circus nicht mehr ertragen. „Soleil-isierung“, das bedeute für ihn, dass die Artisten in „Ganzkörperkondome“ gesteckt und die Gesichter mit Schminke zugedeckt würden, sich Menschen zu tragischer Musik auf dem Boden wälzen und im Hintergrund einer artistischen Darbietung „sieben Figuranten mit gestreiften Trikots einen Sphinx-Tanz aufführen“, worin er eine „Nicht-Achtung der Artisten“ sieht. „Eine Luftnummer wie unser Duo Bobrov, das ist eine Geschichte in sich von artistisch sehr guter Qualität, da braucht es außer Licht und Musik nichts Zusätzliches dabei.“ Gute Circusnummern dürften nicht von „Zuckerzeug“ und „zu Tode gedachtem Zeug“ überdeckt werden. Klare Worte. Was aber sind Bernhard Pauls Pläne für die nächsten Jahre Roncalli? Er möchte, sagt er, vor allem an der optischen und technischen Perfektion seines Unternehmens arbeiten: „Wir wollen nächstes Jahr wieder als Puppenstube rausfahren“, mit verschönertem Fuhrpark, dem neuen Chapiteau und dem neuen Eingangspavillon. Die Tonanlage sei bereits ab Köln aufgerüstet worden, „mit den besten Boxen, die es gibt“, und derzeit werde eine völlig neue Lichtanlage eingerichtet, „die viel weniger Energie verbraucht, aber weitaus mehr kann“. Da nächstes Jahr einige neue Städte auf dem Tourneeplan stünden, solle das Programm übrigens „im Wesentlichen erhalten“ bleiben.

Und in der Gesamtschau? Bietet Roncalli ausnahmslos erlesene, hochqualitative Darbietungen im einzigartig schönen Ambiente, die von wundervoller Live-Musik getragen und stimmungsvoll beleuchtet werden. Fließende Übergänge zwischen den Darbietungen, ohne Umbaupausen, zeugen von der strengen Liebe zum Detail. Einzig eine Truppe fehlt, und für Viel-Gänger wie uns dürfte sich die Programme von Jahr zu Jahr stärker wandeln – wenn man überhaupt etwas kritisieren will.

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Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Erber