Ein Tauschgeschäft: Sarrasani
stellt für das Festival „European Youth Circus“ im Herbst an gleicher
Stelle das Zelt und darf dafür zweimal kostenlos auf dem
Innenstadt-Platz gastieren.
„Das
Winterspektakel“ hieß das Motto beim Wiesbaden-Gastspiel in den
Rhein-Main-Hallen vor einem Jahr, nun brachte André Sarrasani für
die Zeltproduktion „Circussterne“ mit, begleitet von einer
top-professionellen Werbe- und PR-Arbeit im Vorfeld. Was die
Schwächen der Hallenshow waren, sind nun die Stärken des neuen
Programms. Umgekehrt verhält es sich leider genauso: Was in der
Halle gelungen war, ist es im Zelt nicht.
I Baccala, André
Sarrasani
Die
Rhein-Main-Hallen waren ob ihrer schieren Größe für ein kleines
Varieté-Programm schlicht ungeeignet, die Show verlor sich daran. Im
kleinen Chapiteau mit 900 Plätzen kommen nun die Darbietungen wieder
viel besser zur Geltung, stimmt das Ambiente. War das Programm in
der Halle dürftig, hat André Sarrasani nun ein vergleichsweise
üppiges Aufgebot zusammengestellt, mit sieben artistischen
Darbietungen, zwei Dressurnummern und einer „Human Beatbox“. Dazu
ist er – anders als beim „Winterspektakel“ – selbst vor Ort. Der
Circus-Chef zeigt einige seiner wirkungsvollen Großillusionen und
präsentiert sich dabei als charmanter Showman – wenn er scheinbar
eine Glasplatte durchdringt, Assistentinnen mit brennenden Stäben
durchbohrt, mühelos die Gedanken einiger Zuschauer errät oder seinen
Tiger in einen Käfig und Frauen aus diesem herauszaubert. Wie in der
Halle sind auch die fabelhaften Clowns „I Baccala“ dabei. Camilla
Pessi und Simone Fassari starten auch hier mit ihrer Apfel-Jonglage
und steigern sich bis zum hinreißend lustigen Chaos-Aufstieg aufs
Trapez. Kommen wir zu den Schwächen: Während in der Halle die
Sarrasani-Band ausnahmslos alle Darbietungen live begleitet hatte,
kommt nun die Musik vom Band – und dies auch noch ziemlich leise,
weil die Stadt nach Anwohnerprotesten entsprechende Auflagen gemacht
hat. Letzteres kann man natürlich nicht dem Circus anlasten, aber
dennoch stört es. Und schließlich hatte man sich in der Halle alle
Mühe gegeben, das Programm stimmungsvoll in Szene zu setzen; Lloyd Kandin war als singender Weihnachtsengel roter Faden im Programm.
Nun wird einfach Nummer an Nummer gereiht, drei
Zauber-Assistentinnen versuchen sich als Ballett zur Eröffnung – das
war’s.
Hard Nock, Leonid Beljakov, Victor Ponce
André
Sarrasani, der bisweilen das Entertainment neu erfunden haben will,
präsentiert im Programm „Circussterne“ in erster Linie ganz
klassisches Varieté. Den artistischen Auftakt machen die „Hard
Nock“, Fredy Nock und Partner Mika, auf dem Hochseil. Vom Schräglauf
über das Seilspringen und den Bocksprung über den stehenden Partner
bis zum Zwei-Mann-Hoch mit Sprung des Obermannes Fredy auf das Seil
reicht das Repertoire, das ohne jede Sicherung präsentiert wird. Im
zweiten Programmteil kehren die Artisten mit ihrer
Todesrad-Darbietung wieder. Jongleur Victor Ponce jongliert mit drei
Tamburinen, fünf Keulen, lässt zehn Teller auf einem langen Tisch
kreiseln und zeigt abschließend eine Jonglage mit bis zu fünf Hüten,
die blitzschnell vom Kopf in die Hand wechseln. Er reißt das
Publikum mit; die Stimmung war in der besuchten Vorstellung durchweg
hervorragend. Einen besonders guten Griff hat André Sarrasani mit
der lustigen und trickreichen Hundedarbietung von Leonid Beljakov
gemacht, bei der sich der Tiger an der extradicken Leine als
winziger Chihuahua entpuppt.
Igor Purdenko und Olga
Moreva, Duo Flamingo, Yuri Mamchych
Es folgt das
weibliche Kontorsionsduo Flamingo, dessen Kunst für eindrucksvolle
Fotos taugt – live sieht man jedoch, dass viele der Kraft-Tricks
recht wackelig gearbeitet werden. Kraft und Kontorsionen zeigt auch
Yuri Mamchych, und zwar zu klassischen Klängen an den Strapaten –
eine der interessantesten Darbietungen des Abends. Kunstvoll
präsentieren sich in einer weiteren Luftdarbietung auch Igor
Purdenko und Olga Moreva am Hängeperche. Äußerst schwach ist die
praktisch trickfreie Seelöwenvorführung des Duos Clarrison,
ungeheuer unterhaltsam aber die „Human Beatbox“ Robert Wolf alias „Robeat“.
Im Rahmen seiner Jurorenrolle in der RTL-Castingshow “Das
Supertalent“ hat André Sarrasani den 19-Jährigen entdeckt, der nun
im Circuszelt seine Kunst zeigt, mit dem Mund ein ganzes Schlagzeug
oder ein Didgeridoo ersetzt, Michael-Jackson-Sounds vorwärts und
rückwärts draufhat und selbst das Echo eines Schlagzeuges nachahmt.
Silvia Silvia in einer klassischen Kunstschützen-Nummer mit allen
gängigen Tricks – unter anderem schießt sie sich selbst über acht
Banden einen Apfel vom Kopf – komplettiert das Programm.
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