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Arlette Gruss - "La cité du Cirque" 2009
www.cirque-gruss.com ; 15 Außenaufnahmen

Straßburg, 16. Mai 2009: Die große Sensation beim Cirque Arlette Gruss findet in diesem Jahr nicht unter der Kuppel des Chapiteau statt. Vielmehr ist es das Chapiteau selbst, welches für den größten Gesprächsstoff sorgt. Wobei Chapiteau fast schon etwas untertrieben ist. Deswegen spricht man seitens des Circus lieber gleich selbstbewusst von einer „Cathedrale“. Während der Blick auf die Front noch den Schluss auf ein gewöhnliches, wenngleich sehr geschmackvolles, Chapiteau mit Vorzelt zulässt, werden in der Seitenansicht die wirklichen Dimensionen der neuen Zeltkonstruktion von Gilbert Gruss klar.

2.225 qm Grundfläche, 22 Meter maximale Höhe und 460 eingesetzte Karabiner – so einige der Rahmendaten. Letztendlich wird hier eine einzige große Zeltkonstruktion eingesetzt, wofür andere Unternehmen drei Zelte aufbauen: Restauration, Spielzelt und Backstagebereich. Auch im Inneren zeigt sich die Größe. Der Restaurationsbereich wirkt noch etwas ungemütlich, da die Verkaufsstände in dem hohen Raum auf die Seiten verteilt sind. In der Mitte sieht es deswegen reichlich leer aus. Im Mittelteil hingegen die gewohnt intime Atmosphäre. Trotz der vergleichsweise hohen Rundleinwand wirkt der Raum sehr kompakt. Schwarz ist die vorherrschende Farbe. Über dem Orchesterpodium hängt ein angestrahlter Vorhang, womit der Raum tatsächlich ein wenig wie der Altarraum eines großen Gotteshauses wirkt. Beim Backstagebereich zeigt sich noch einmal die große Kreativität von Gilbert Gruss. Es gibt einen großen Einlass für die Tiere, zwei Türen für die Artisten und ein extra Fenster auf Bodenhöhe für den Laufgang der Raubtiere. Durch mehrere Vorhänge kann der hintere Bereich jederzeit so gestaltet werden, dass kein Tageslicht die Show stört. Die Garderoben der Mitwirkenden werden durch Vorhänge, die an rechteckigen Gestellen aufgehängt sind, gebildet.

Trotz so viel Staunenswertem beim Material wird die Show nicht zur Nebensache. „La cité du cirque“ ist, wie bei Arlette Gruss seit einigen Jahren üblich, ein durchgestylter Hochglanz-Circus. Mit einem Licht, dass in erster Linie nicht dazu da ist, die Akteure zu beleuchten, sondern als eigenständiges „Bühnenbild“ dient. Im Orchester sind so viele Streicher zu finden, wie in wenigen anderen Circusbands. Dankenswerterweise gibt es in diesem Jahr wieder vermehrt mitreißende Melodien, teilweise sogar bekannte Stücke. Etwa wenn Linda und Laura-Maria Gruss Pferde und Ponies zu Liedern von Sting präsentieren. Die Kostüme sind wiederum phantasievoll und aufwendig wie gewohnt. Natürlich hat auch „La citè du cirque“ eine Handlung. Diese wird von einer Sängerin über verschiedene Lieder und Moderationen transportiert. Wer des Französischen nicht über den Grundwortschatz hinaus mächtig ist, kann die Handlung auch problemlos ausblenden und ganz einfach ein üppig ausgestaltetes Circusprogramm genießen Die vergleichsweise dezente Umsetzung des Programmthemas ist sicher auch der Tatsache geschuldet, dass die beiden Komiker mitsamt Heißluftballon, die das Plakatmotiv zieren, inzwischen bereits nicht mehr dabei sind.


Sandro Montez

Es ist Gilbert Gruss hoch anzurechnen, dass Tiere, insbesondere exotische, bei allem Styling der Show wiederum eine wichtige Rolle spielen. Der rollende Zoo ist großzügig aufgebaut und beheimatet viele verschiedene Tierarten. Mit Sandor Montez ist ein erstklassiger Tierlehrer im Unternehmen, der nun im zweiten Jahr für die Vierbeiner verantwortlich ist. Sowohl mit den hauseigenen Exoten als auch mit den vier Elefantendamen von Flavio Togni zeigt er in diesem Jahr neue Dressuren. Zu Beginn der Vorstellung gibt es einen Umzug mit einzelnen Tieren aus dem Exotentableau, die an der Longe durch die erhöhte, mit Teppich ausgelegte Manege geführt werden. Den Mittelpunkt der eigentlichen Exotendressur bildet eine Gruppe aus zwei Kamelen, zwei Zebras und vier Alpakas. Unter der Anleitung Montez zeigen die Tiere eine anspruchsvolle Laufarbeit bis hin zu einer Variante des Karussells, bei dem die Alpakas zwischen den paarweise hintereinander laufenden Kamelen und Zebras hindurch schlupfen. Zur Überraschung des Publikums schreitet anschließend ein Strauß unter dem Bauch der Kamele hindurch und ein Alpaka springt über drei Esel. Neue Tricks hat Sandro Montez mit den vier indischen Elefanten einstudiert. Die Nummer gewinnt durch die Einbeziehung von vier Figurantinnen, die wie auch Montez, in auf den Kopfputz der Tiere abgestimmten Fantasiekostümen agieren. Zusammen zeigen sie eine schöne, trickreiche Arbeit.


Andrejs Fjodorovs, Linda Gruss, Peter Balder

Die Vorführung der Pferde liegt wiederum in den Händen der Direktionsfamilie. Laura-Marie Gruss lässt ein Pony durch und über vier große Reifen springen, die von Damen in Zylindern gehalten werden. Anzumerken ist hierbei, dass die junge Dame nicht einfach nur in der Manege steht und das Pony um sich herum laufen lässt, sondern dieses wirklich dirigiert. Die nächste Tierlehrergeneration Gruss ist somit bereits gut unterwegs. Ihre Mutter Linda präsentiert in dieser Saison einen Zwölfer-Zug Schimmel aus dem Hause Togni. Wenngleich an diesem Abend nur elf Tiere in der Manege zu sehen sind, ergeben sich wunderschöne Bilder. Die gepflegten Pferde beherrschen ein umfangreiches Repertoire, welches sie unter der Leitung ihrer Vorführerin routiniert zeigen. Mutter und Tochter Gruss gemeinsam lassen verschiedene Pferde steigen und runden so die Pferdeshow stilvoll ab. Eine ungewöhnliche Taubenrevue hat der junge Russe Andrejs Fjodorovs zusammengestellt. Einige der Tricks kennt man aus einer herkömmlichen Vorführung dieser Art. Vieles geht aber über den Standard hinaus. Etwa wenn die Tauben einige der Tricks sogar auf Zuruf ausführen, einer der Vögel über Hürden am Boden springt oder ein anderer auf einem „gesattelten“ Hund reitet. Interessant anzusehen ist ebenfalls die „Jonglage“ von drei Tauben. Den Schaueffekt zum Schluss setzt ein ganzer Schwarm von Tauben in unterschiedlichen Farben, der aus dem Zuschauerraum zu einem von Fjodorovs gehaltenen Korb fliegt. Mit seiner selbst aufgebauten Hundedressur debütiert Peter Balder in der Rolle eines Postboten. Wenngleich einige der Tricks in dieser liebevollen Nummer von ähnlichen Darbietungen bekannt sind, ist hier eine eigenständige, sympathische Hundekomödie entstanden. Auch hier also hoffnungsvoller Tierlehrernachwuchs, zumal Balder ebenfalls bei der Vorführung von Exoten und Elefanten eingebunden ist. Last not least bringt Redi Christiani sieben Tiger in den Gitternetzkäfig. Die gute Darbietung wird durch die Gruss-typische Veredelung deutlich aufgewertet.


Truppe Wuqiao, Ensemble

Eckpfeiler des artistischen Parts ist die Truppe Wuqiao. Zunächst sehen wir sie in einem manegenfüllenden Bild unterschiedlichster chinesischer Disziplinen der Akrobatik. Während in der Mitte zwei junge Damen auf Trinkas zunächst mit Vasen und später mit Tischen Antipodenspiele zeigen, jonglieren außen die teilweise ebenfalls noch sehr jungen Herren mit Vasen und Meteoren. Direkt vor der Pause haben die Chinesen ihren stärksten Auftritt, wenn sie auf Einrädern, die wirklich nur aus einem Rad mit Pedalen bestehen, phänomenale Sprünge zeigen. Zu sehen sind Sprünge von Rad zu Rad, über mehrere Truppenmitglieder hinweg und Seilsprünge auf dem Rad. Schöne Szenen der gesamten Gruppe gibt es quasi als Zugabe obendrauf. Da asiatische Lassonummern derzeit offensichtlich „en vogue“ sind, dürfen sie auch bei Arlette Gruss nicht fehlen. Im Vergleich zu jener Darbietung, die im vergangenen Jahr bei Knie und im Januar in Monte Carlo war, fällt die Präsentation hier deutlich sympathischer aus. Große Produktionsnummern mit einer Haustruppe gehörten in der Vergangenheit des öfteren zu den Shows unter dem Gruss-Chapiteau. In diesem Jahr gibt es eine schöne Luftnummer. Rein artistisch fällt sie zwar eher klein aus, die Gesamtwirkung ist aber eine wunderschöne. Insgesamt hängen drei illuminierte Glocken unter der Kuppel. In der mittleren sitzen ein Herr aus dem Ballett und die Sängerin, die ein Chanson zum Besten gibt. An den äußeren beiden zeigen Linda Biasini-Gruss und Marissa Biasini Figuren der Luftakrobatik, während die Glocken hin und her schwingen. Dazu ganz in weiß gekleidete Figuranten am Boden. Einfach ein herrliches Bild, das in erster Linie wegen der Gesamtwirkung zum Träumen einlädt.


Anton Monastyrsky, Zdenek Supka, Kevin Gruss und Julia Friedrich

Zwei Solisten und zwei Duos vervollständigen die Sparte Artistik bei „La cité du cirque“. Von Pinder zu Gruss gewechselt ist Zdenek Supka, der mit seinen Bällen eine rasante Bodenjonglage zeigt. Einer der wenigen männlichen Vertreter des Genre Hula Hoop ist Anton Monastyrsky, der seinen Kolleginnen in Punkto Körperbeherrschung in nichts nachsteht. Die Wirkung seiner Nummer wird durch die geschickte Nutzung der ausfahrbaren Rundbühne in der Manegenmitte unterstützt. Die Strapatendarbietung von Kevin Gruss und seiner Partnerin Julia Friedrich lebt vor allen Dingen von der raumgreifenden Inszenierung und hätte durchaus etwas kürzer ausfallen dürfen. Auf zwei übereinander angeordneten Schlappseilen arbeitet das Duo „The Crossroad“. Ob die beiden Brüder aus der Ukraine tatsächlich im Dunkeln arbeiten, wie ihre Augenbinden vermuten lassen, sei dahingestellt. Ihre Tricks sind absolut sehenswert, dass Zusammenspiel über die beiden Ebenen ist es ebenfalls. Nach dem bereits erwähnten Ausfall der ursprünglich vorgesehenen Komiker mit Ballon liegt es nun ausschließlich an Mathieu, das Publikum zum Lachen zu bringen. Er bedient sich dafür Klassiker wie dem Verknoten von vier Herren aus dem Publikum, dem Spiel mit Tüte und imaginärem Golfball und Papiertüte sowie dem Fangen eines brummenden Insektes. Da er diese Standards auch noch ohne eigene Ideen spielt, haben mich sein Auftritt in diesem Jahr wenig begeistert. Von diesem sympathischen Clown bin ich anderes gewohnt: Witz, Esprit, Kreativität. Einzig bei der Filmszene im Westernstil, welche u.a. von seinem Gastspiel bei Fliegenpilz bekannt ist, ist seine zweifellos vorhandene Klasse zu spüren. Zu erwähnen sei hier noch, dass Mathieu hinsichtlich seines Outfits aus dem Rahmen der Show fällt. Statt üppigen Spezialanfertigungen trägt er Jeans und T-Shirt.

Als neuer Monsieur Loyal fungiert Kevin Sagau, der im vergangenen Jahr beim Cirque Medrano für die Pressebetreuung verantwortlich war. Er organisiert den Einlass und übernimmt die Verabschiedung des Publikums. Ansonsten endet die Show wie die des letzten Jahres. Mit jenem fetzigen Tanz des gesamten Ensembles, der ein wenig an einen Clubtanz erinnert. Somit geht auch diese Show schwungvoll zu Ende. Im Vergleich zu ihrer Vorgängerin ist dieser Schwung, diese mitreißende Atmosphäre aber bereits in vielen Sequenzen der Show selbst zu erleben. Ein deutlicher Pluspunkt. Wir dürfen gespannt sein, wie es 2010 weiter geht. Denn dann feiert der Cirque Arlette Gruss seinen 25. Geburtstag.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch