Statt die Auftretenden zu feiern oder ihnen wenigstens
Aufmerksamkeit zu schenken, sind die meisten Zuschauer dauerhaft
mit ihren Kindern beschäftigt. Kaufen ihnen lärmende Leuchtschwerter,
fotografieren den Nachwuchs oder spielen mit ihm „Nachlauf“. Zusätzlich
verstärkt wird diese Unruhe durch die in Italien offenbar
obligatorischen circuseigenen Fotografen, die auch während der Show
in den Gradinreihen auf Kundenjagd gehen.
Kinereth Casartelli, Ensemble
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Nun aber zum eigentlichen Programm, das gleich mit einem
Paukenschlag beginnt. Direktionssohn Braian Casartelli
präsentiert einen 12er-Zug schneeweißer Araber als
Zigeuner-Schaubild. Doch halt, Schaubild wird dieser
Dressurleistung nicht gerecht. Denn obwohl während der
Darbietung auch unzählige Figuranten in farbenprächtigen
Kostümen die Manege bevölkern, ist auch und gerade die
Trickstärke der Nummer bemerkenswert. Insbesondere
bei den Dacapi trumpft Casartelli groß auf und zeigt unter
anderem sieben gleichzeitig vorwärtssteigende Pferde. Allein
nach dem Betrachten dieser Darbietung versteht man und ist
einverstanden, dass die Jury des Circusfestivals von Monte-Carlo
der Familie Casartelli 2007 den goldenen Clown verliehen hat.
Auch der zweite Programmpunkt stammt mit Stephanie Hones aus dem
Hause Casartelli. Am Schwungtrapez zeigt die Schönheit gewagte
Abfaller, auch in den Fersenhang. Ebenfalls hauseigen sind eine
Tüchernummer mit vier parallel arbeitenden Artistinnen, das zu
Klaviermusik von Braian und Ingrid Casartelli in Abendgaderobe
gearbeitete Pas de deux und natürlich der große, als
Schlussnummer platzierte Exotenzug – präsentiert von Braian und
Kinereth Casartelli. Letzterer, in den auch die Vorführung der
drei Elefanten integriert ist, wirkt freilich vor allem
aufgrund seiner pompösen Aufmachung mit Ballettgirls in
Haremsgewändern und prunkvollen Tierdecken. |
Aber es gibt auch einige Tricks, die in Erinnerung bleiben, zum
Beispiel, wenn ein Känguru über die abliegenden, von Braian
Casartelli zu Pferd vorgeführte Dromedare springt. Ein
beeindruckendes Bild ist auch der kurze Auftritt von gleich zwei
Giraffen.
Ebenfalls beeindruckend ist das extra für das Mailand-Gastspiel
hinzu engagierte Aufgebot von Weltklasse-Artisten und
Tierlehrern. Der tierische Bereich zum Beispiel wird derzeit
durch die furiose Hunde- und Ponydressur von Mister Dalmatin
sowie die gemischte Raubtiergruppe (sechs Tiger, fünf männliche
Löwen) von Redi Montico verstärkt. Monticos flott ablaufende
Darbietung lebt in erster Linie vom imposanten Anblick, den die
fünf mächtigen Mähnenlöwen abgeben, hat aber auch interessante
Tricks zu bieten: etwa neunfaches Hochsitzen, den Sprung eines
Tigers über die Löwenbar und drei vorwärtssteigende
beziehungsweise springende Tiger. Zu Beginn des Gastspiels waren
außerdem Petra und Roland Duss mit ihrer fulminanten
Seelöwendressur im Programm.
Flying Michaels, Crazy Riders, Otto und Vladi
Weniger umfangreich, dafür aber ebenso hochwertig ist das
artistische Lineup, das von den Flying Michaels (Flugtrapez)
sowie der Catana-Truppe (Schleuderbrett) angeführt und durch
eine fünfköpfige Motorradkugel-Darbietung ergänzt wird. Nicht
ganz das Niveau der artistischen und tierischen Darbietungen
erreichen die clownesken Acts. Insbesondere die Clowns Otto und
Vladi haben es schwer einen Kontakt zum Publikum aufzubauen,
verzichten aber glücklicherweise darauf, mit „Freiwilligen“ zu
arbeiten. Auf solche ist freilich Bauchredner Kevin Huesca, dem
es immerhin teilweise gelingt die Zuschauer mitzureißen,
angewiesen.
Das Finale ist dann wieder grandioser Pomp und Glamour, wie man
ihn in einem italienischen Circus erwartet. Der
Sprechstallmeister stellt die Artisten singend vor, das Ballett
tanzt Can Can, die Artisten verabschieden sich mit einer
Pyramide. Und endlich wacht auch das Publikum auf und spendet
herzhaften Applaus für eine im Grunde perfekte Circusshow. Eine
Show, die, wenn sie vor einem aufmerksamen Publikum gezeigt
würde, wie wir es zum Beispiel von Knie in der Schweiz kennen,
ein noch eindrucksvolleres Erlebnis sein könnte. Ein wahr
gewordener Circustraum eben.
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