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Circo Medrano - Tour 2009
www.medrano.it ; 75 Showfotos

Mailand, 21. November 2009: Medrano ist nah dran. Nah dran ein wahr gewordener Circustraum zu sein. Vor dem Zelt eine prächtige Leuchtfassade, im Chapiteau ein opulenter, komplett in roten Samt gefasster Artisteneingang und dann ein Programm voller Glanz und Glamour, das ganz klassisch den circensischen Dreiklang Tiere, Clowns und Akrobaten huldigt, dabei völlig auf Füllnummern verzichtet und ganz selbstverständlich mit druckvoller Livemusik und guter Ausleuchtung garniert. Soweit der Traum, aus dem man leider immer wieder unsanft gerissen wird. Schuld daran ist nicht zuletzt das Publikum, das das Gebotene überhaupt nicht zu würdigen weiß.

Statt die Auftretenden zu feiern oder ihnen wenigstens Aufmerksamkeit zu schenken, sind die meisten Zuschauer dauerhaft mit ihren Kindern beschäftigt. Kaufen ihnen lärmende Leuchtschwerter, fotografieren den Nachwuchs oder spielen mit ihm „Nachlauf“. Zusätzlich verstärkt wird diese Unruhe durch die in Italien offenbar obligatorischen circuseigenen Fotografen, die auch während der Show in den Gradinreihen auf Kundenjagd gehen.


Kinereth Casartelli, Ensemble

Nun aber zum eigentlichen Programm, das gleich mit einem Paukenschlag beginnt. Direktionssohn Braian Casartelli präsentiert einen 12er-Zug schneeweißer Araber als Zigeuner-Schaubild. Doch halt, Schaubild wird dieser Dressurleistung nicht gerecht. Denn obwohl während der Darbietung auch unzählige Figuranten in farbenprächtigen Kostümen die Manege bevölkern, ist auch und gerade die Trickstärke der Nummer bemerkenswert. Insbesondere bei den Dacapi trumpft Casartelli groß auf und zeigt unter anderem sieben gleichzeitig vorwärtssteigende Pferde. Allein nach dem Betrachten dieser Darbietung versteht man und ist einverstanden, dass die Jury des Circusfestivals von Monte-Carlo der Familie Casartelli 2007 den goldenen Clown verliehen hat. Auch der zweite Programmpunkt stammt mit Stephanie Hones aus dem Hause Casartelli. Am Schwungtrapez zeigt die Schönheit gewagte Abfaller, auch in den Fersenhang. Ebenfalls hauseigen sind eine Tüchernummer mit vier parallel arbeitenden Artistinnen, das zu Klaviermusik von Braian und Ingrid Casartelli in Abendgaderobe gearbeitete Pas de deux und natürlich der große, als Schlussnummer platzierte Exotenzug – präsentiert von Braian und Kinereth Casartelli. Letzterer, in den auch die Vorführung der drei Elefanten integriert ist, wirkt freilich vor allem aufgrund seiner pompösen Aufmachung mit Ballettgirls in Haremsgewändern und prunkvollen Tierdecken.

Aber es gibt auch einige Tricks, die in Erinnerung bleiben, zum Beispiel, wenn ein Känguru über die abliegenden, von Braian Casartelli zu Pferd vorgeführte Dromedare springt. Ein beeindruckendes Bild ist auch der kurze Auftritt von gleich zwei Giraffen. Ebenfalls beeindruckend ist das extra für das Mailand-Gastspiel hinzu engagierte Aufgebot von Weltklasse-Artisten und Tierlehrern. Der tierische Bereich zum Beispiel wird derzeit durch die furiose Hunde- und Ponydressur von Mister Dalmatin sowie die gemischte Raubtiergruppe (sechs Tiger, fünf männliche Löwen) von Redi Montico verstärkt. Monticos flott ablaufende Darbietung lebt in erster Linie vom imposanten  Anblick, den die fünf mächtigen Mähnenlöwen abgeben, hat aber auch interessante Tricks zu bieten: etwa neunfaches Hochsitzen, den Sprung eines Tigers über die Löwenbar und drei vorwärtssteigende beziehungsweise springende Tiger. Zu Beginn des Gastspiels waren außerdem Petra und Roland Duss mit ihrer fulminanten Seelöwendressur im Programm.


Flying Michaels, Crazy Riders, Otto und Vladi

Weniger umfangreich, dafür aber ebenso hochwertig ist das artistische Lineup, das von den Flying Michaels (Flugtrapez) sowie der Catana-Truppe (Schleuderbrett) angeführt und durch eine fünfköpfige Motorradkugel-Darbietung  ergänzt wird. Nicht ganz das Niveau der artistischen und tierischen Darbietungen erreichen die clownesken Acts. Insbesondere die Clowns Otto und Vladi haben es schwer einen Kontakt zum Publikum aufzubauen, verzichten aber glücklicherweise darauf, mit „Freiwilligen“ zu arbeiten. Auf solche ist freilich Bauchredner Kevin Huesca, dem es immerhin teilweise gelingt die Zuschauer mitzureißen, angewiesen.

Das Finale ist dann wieder grandioser Pomp und Glamour, wie man ihn in einem italienischen Circus erwartet. Der Sprechstallmeister stellt die Artisten singend vor, das Ballett tanzt Can Can, die Artisten verabschieden sich mit einer Pyramide. Und endlich wacht auch das Publikum auf und spendet herzhaften Applaus für eine im Grunde perfekte Circusshow. Eine Show, die, wenn sie vor einem aufmerksamen Publikum gezeigt würde, wie wir es zum Beispiel von Knie in der Schweiz kennen, ein noch eindrucksvolleres Erlebnis sein könnte. Ein wahr gewordener Circustraum eben.

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Text: Sven Rindfleisch; Fotos: Tobias Erber, Stefan Gierisch