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Der Große Russische Staatscircus - Tour 2009
www.staatscircus.com ; 80 Showfotos

Mainz, 4. April 2009: Eines der stärksten Programme, die derzeit in Deutschland gezeigt werden, bietet „Der Große Russische Staatscircus“, den die holländische Agentur Smitt verantwortet. Ein üppiges artistisches Angebot, zwei sehr gute Tierdarbietungen, die Clown-Legende Oleg Popov. Eine modern gestaltete Show mit sinnvoll eingesetztem Ballett und sehr gutem Licht. Ein tolles Sechs-Mann-Orchester, das jedoch allzu häufig zu Gunsten von Bandmusik pausieren muss. Und nebenbei ein gegenüber früheren Jahren verbessertes Ambiente – insgesamt eine wirklich positive Überraschung.

Einladend aufgebaut steht „Der Große Russische Staatscircus“ auf einer Freifläche im Mainzer Zollhafen, von Wasser umgeben: Der Frontzaun ist mit Flaggen und großformatigen Programmfotos der aktuellen und früherer Shows geschmückt. Zwischen den beiden symmetrisch angeordneten Kassenwagen ein großes Portal, ebenfalls mit Programmfotos. Ein Tunnel führt ins große, gelbe Hauptzelt: Zwischen Gradin und Rundleinwand ist noch genügend Platz für den Restaurationsbereich mit Verkaufsständen und Bistrotischen. Im Zuschauerraum dann gepolsterte Einzelstühle auf den besseren Plätzen und Schalensitze in den übrigen Kategorien. Im „VIP-Bereich“ direkt an der runden Bühne sitzen die Zuschauer an kleinen Tischchen. Im Hintergrund ein großer roter Vorhang, links davon das Orchesterpodium, darüber eine Leuchtschrift: „Der Große Russische Staatscircus“. Anders als in früheren Jahren gefällt mittlerweile schon das Ambiente – und bietet den passenden Rahmen für eine große Show.

 
Anton und Katja Tarbeev, Oleg Popov, Shulga und Kiroushenkov

Das Programm beginnt mit einem ersten Auftritt von Clown Gagik Avetisyan im Charlie-Chaplin-Outfit und Moderator Thierry Dourin, der das Rauchverbot im Zelt zum Thema hat. Das Orchester wird extra vorgestellt, betritt die Bühne durch den Vorhang und begibt sich auf sein Podium – und spielt zur Ouvertüre. In einer Gitterkugel zeigt eine junge Artistin Akrobatik und Kontorsion unter der Circuskuppel, unterstützt von einem ersten Auftritt des sechsköpfigen Balletts und eingebettet in ein Charivari aller Artisten. Dann die Diabolokür von Anton und Katja Tarbeev, an diesem Abend leider mit einigen Patzern – die Jonglage mit drei Diabolos will Anton Tarbeev nicht gelingen. Ein Ausrufezeichen setzen die beiden Handstand-Akrobaten Shulga und Kiroushenkov – unter anderem Kopf-auf-Kopf ohne „Hütchen“ als Hilfsmittel. Als Clownlegende Oleg Popov zum ersten Mal die Bühne betritt, brandet bereits Jubel und Applaus auf, als er erst schemenhaft im Halbdunkel zu erkennen ist – der Mann ist ein Phänomen. Zu „My Way“ fängt der 78-Jährige seine berühmten Sonnenstrahlen. Später lässt er unter anderem eine Ratte Fallschirm fliegen und präsentiert eine lebende Spieluhr, seine Frau Gabriela. Popov, das Werbe-Zugpferd beim "Großen Russen", ist der ruhige Kontrapunkt dieser ansonsten durchweg auf modern getrimmten Show – und wirkt dennoch nicht wie ein Fremdkörper. Für den Humor der derberen Sorte zuständig ist der bereits erwähnte Gagik Avetisyan, unter anderem mit der „Motorradfahrt“ und seiner Version der „Rockband“.


Ekaterina Markevitch, Markevitchs, Rodion und Juliette Girgenov mit Ballett

Geschickt und sinnvoll eingesetzt wird hier das Ballett: Anstatt mit Auftritten zwischen den Nummern die Show in die Länge zu ziehen, tanzt es während der Darbietungen – unterstützt damit deren Wirkung, sorgt für raumfüllende Bilder. Bei der beschriebenen Programm-Eröffnung, bei den Handvoltigen des Trios Kiroushenkov mit weiblicher Fliegerin, die in folkloristischen Kostümen zu klassischer Musik gezeigt werden. Bei der attraktiven, abwechslungsreichen (aber zum Teil durchschaubaren) Großillusionsschau von Rodion und Juliette Girgenov. Und in einem schön gestalteten spanischen Block: Während Antipodistin Ekaterina Markevitch bis zu vier Teppiche auf Händen und Füßen gleichzeitig kreisen lässt, tanzen die Ballettdamen um sie herum den Flamenco – direkt im Anschluss ist die Antipodistin dann die Tänzerin, die den „Teufelsreiter“ Yuri Voldochenkov begleitet. Er dirigiert sein Pferd in weiten Teilen der Nummer „freihändig“, springt die Kapriole gleich zwei Mal – wird aber großen Teilen seiner Wirkung durch die Konserven-Filmmusik aus den „Piraten der Karibik“ beraubt, während er in seiner Zeit bei Roncalli so fantastisch durch das Orchester unterstützt worden war. Schade, dass in dieser Produktion das Orchester so oft pausieren muss, zumal es bei seinem Spiel durchaus zu überzeugen weiß. Anstelle einer Raubtierdressur ist derzeit die trickstarke Highspeed-Hundedressur der Markevitchs, zuletzt im Dresdner Weihnachtscircus engagiert, zweite Tierdarbietung im Programm.

 
Alona Jouravel, Julia und Sergui, Juliette und Rodion Girgenov

Augenfällig auch der Akzent auf sinnlich-erotischen Momenten – und dies sozusagen für jeden Geschmack: Alona Jouravel (ehemals „Flic Flac“) präsentiert zum Auftakt der zweiten Hälfte, von der hervorragenden Lichtanlage bestens unterstützt, Kontorsion und Handstand in und auf einem spektakulären Requisit: zwei Metallwürfeln ineinander, die auf einer Spitze stehen; der innere dreht sich um sich selbst – und im zweiten Teil der Nummer sprühen Regentropfen aus den Metallstreben. Sex pur, ohne jeden Hauch von Billigkeit. Als Pausennummer nehmen die vier Muskeltypen der Truppe Koslov – in Anlehnung an den bekannten Fernsehspot – in Feinripp-Unterhemden erst einmal einen Schluck aus der Cola-light-Dose, ehe sie zu ihren spektakulären Reck-Flügen starten. Anstelle des früheren Quadratrecks sind aktuell drei Reckstangen parallel angeordnet, wobei die mittlere erhöht ist. Das Zusammenspiel von Mann und Frau verkörpern Rodion und Juliette Girgenov in einer Melange von Tanz, Kontorsion und Sinnlichkeit. Sie findet ihren Höhepunkt darin, dass Rodion sich in eine enge Glaskiste zwängt. Schön auch die Strapatenarbeit von Julia und Sergui zu Klaviermusik gegen Ende des Programms, wobei hier viele Tricks abwechselnd anstatt gemeinsam gearbeitet werden. Unter dem Motto Großer Russischer Staatscircus „and friends“ haben die Smits in ihren Produktionen vielfach Artisten aus aller Herren Länder präsentiert – aktuell aber sind die Künstler aus dem früheren Sowjetreich fast unter sich. Einzige Ausnahmen: Der omnipräsente deutsch-französische Ringmaster Thierry Dourin und die Daniel-Diorio-Truppe, die hier in der Motorradkugel seit vielen Jahren den Schlusspunkt setzt. Besonders wirkungsvoll ist es natürlich, wenn die Kugel sich teilt und drei Fahrer in der oberen Hälfte fahren und einer in der unteren. Nachdem dann vier Fahrer kreuz und quer durch die enge Kugel gerast sind, applaudieren die ersten Zuschauer bereits für diese Nummer im Stehen.

Als sich im Finale dann fast 35 Mitwirkende versammeln, das Orchester nicht mitgezählt, erhebt sich das begeisterte Publikum applaudierend von den Sitzen. Eine wirklich große Show - ob man ihre Gesamtwirkung aufgrund des übermäßigen Einsatzes von Bandmusik „ziemlich cool“ oder aber „eher unterkühlt“ findet, liegt im Auge des Betrachters.

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Text: Markus Moll; Fotos: Sven Rindfleisch