Ein Bilderbuchcircus empfängt die Besucher
im kleinen Örtchen Zell – das blau-rote, kleine Viermastzelt,
die weiß-roten Wagen, die alte Spielorgel. Ein freundlicher
Empfang und heimelige, durchaus ein wenig rustikale Atmosphäre
im Inneren des Circuszelts machen Lust auf mehr. Schon während
des Einlasses machen sich die Artisten in der Manege warm – das
ist ebenso Teil des Openings wie die Begrüßung durch alle
Artisten in deren Landessprache, von italienisch über chinesisch
bis französisch, und der Jazz-Ouvertüre des famosen
Sechs-Mann-Orchesters, das alle Nummern live begleitet.
Juye Qilin Acrobatic Troupe Shandong, Alessandro Gillert
und Cristina Moia, Alan Rossi
Die Mädchen
der siebenköpfigen „Juye Qilin Acrobatic Troupe Shandong“
(inklusive Trainerin) aus der Nähe Hongkongs, laut Programmheft
zwischen 16 und 23 alt, eröffnen die Spielfolge. Fünf Mädchen
lassen jeweils acht Teller auf langen Stäben kreisen. Gezeigt
werden anspruchsvolle Tricks wie der Lauf von Kopf zu Kopf,
inklusive Spagat zwischen zwei Köpfen, und am Ende türmen sich
die Mädchen zu einer Pyramide mit nur einer Unterfrau.
Zweite Darbietung der Chinesinnen ist das „Quick Face Changing“,
ein seltenes Genre, das wir noch nicht live gesehen hatten: Ähnlich wie
bei einer Kostümillusion werden hier hauchdünne,
verschiedenfarbige Masken vor den Gesichtern in Sekundenschnelle
gewechselt – gut, dass die Direktion vorher via Ansage
verdeutlicht, worauf man eigentlich achten muss, sonst würden
viele Zuschauer wohl gar nicht bemerken, was hier vor sich geht.
Musik und Fächerschlagen machen aus der Darbietung ein
mitreißendes, folkloristisches Vergnügen. Im Rock’n’Roll-Rhythmus lassen sich fünf der Chinesinnen dann nach
der Pause die Diabolos zufliegen – und mit einer
leistungsstarken Kontorsionsarbeit vor dem Finale verabschieden
sie sich. Höhepunkt ist der vierfache Mundstand übereinander –
die oberste Artistin muss sich als erste in die anstrengende
Pose begeben und dort im Mundstand sehr lange ausharren, bis die
nachfolgenden Partnerinnen wieder Boden unter den Füßen haben.
Bestens bekannt von Universal Renz und von der Saison 2008 beim
Zirkus Charles Knie sind die Ikarier Fratelli Rossi mit
mitreißendem Italo-Charme. Alan Rossi zeigt als
Zweitnummer noch eine Jonglage mit jeweils drei Keulen, Bällen
und Zigarrenkisten. Alessandro Gillert mit Partnerin Cristina
Moia präsentiert als Pausennummer hervorragende Leistungen auf dem
Schlappseil, darunter ein Zwei-Mann-Hoch und die Balance auf der
freistehenden Leiter. Zweitnummer des Paares ist ein
komisches „Hupkonzert“.
Les Nicas,
Juye Qilin Acrobatic Troupe Shandong,
Susanne Mani
Was den
Circus Harlekin aber in besonderer Weise ausmacht, sind die
jährlich wechselnden Reprisen und Entrees des
Clownsduos „Les Nicas“: Dahinter verbirgt sich die
Circus-Direktion, Monika Aegerter als dominante Weißclownesse
"Madame Nica" und
Peter „Pedro“ Pichler als August. Heuer zeigt man unter anderem
eine verrückte Arztpraxis, in der Monika alle Leiden ihrer
Patientin auf den armen Pedro „überträgt“ – ein herrlich
komisches Spektakel, in dem Pedro seine erzkomödiantischen
Fähigkeiten voll ausspielen kann. „Wenn man über die Gags
nachdenken muss, ist es schon verkehrt“, finden die beiden
später im Gespräch. Auch lustig: Pedro als Braut mit einem viele
Meter langen Schleier im XXXL-Format und Schleppenträger in
einem. Komplettiert wird das Programm von zwei Tierdressuren:
Die Schweizerin Susanne Mani, im zweiten Jahr mit Harlekin
unterwegs, führt zu volkstümlicher Schweizer Musik und in
passender Kostümierung Ziegen und ein Hausschwein vor, leider
noch mit etwas unbeholfenem Verkauf; Pedro Pichlers erwachsene
Tochter Nicole zeigte in der besuchten Vorstellung ersatzweise
ein „Groß und Klein“, da die eigentlich engagierte Vierfreiheit
Haflinger vom ehemaligen Circus Medrano (Urs Strasser) gerade
pausieren musste. |