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Circus Harlekin 2009
www.circusharlekin.ch

Zell, 1. Mai 2009: Der Schweizer Circus Harlekin bietet eine Art von Circus, die in Deutschland so nicht vertreten ist: Obwohl es sich um ein kleineres Unternehmen mit einem 400-Plätze-Zelt handelt, wird dem Publikum alljährlich ein komplett neues, anspruchsvolles Programm mit ausschließlich engagierten Artisten geboten. 2009 wurde eine siebenköpfige weibliche Truppe aus China mit vier Nummern verpflichtet, dazu die bekannten Circuskünstler Alessandro Gillert und Fratelli Rossi. Nicht fehlen dürfen das sechsköpfige Orchester, Tiere und die Direktion als Clownsduo „Les Nicas“.

Ein Bilderbuchcircus empfängt die Besucher im kleinen Örtchen Zell – das blau-rote, kleine Viermastzelt, die weiß-roten Wagen, die alte Spielorgel. Ein freundlicher Empfang und heimelige, durchaus ein wenig rustikale Atmosphäre im Inneren des Circuszelts machen Lust auf mehr. Schon während des Einlasses machen sich die Artisten in der Manege warm – das ist ebenso Teil des Openings wie die Begrüßung durch alle Artisten in deren Landessprache, von italienisch über chinesisch bis französisch, und der Jazz-Ouvertüre des famosen Sechs-Mann-Orchesters, das alle Nummern live begleitet.


Juye Qilin Acrobatic Troupe Shandong, Alessandro Gillert und Cristina Moia, Alan Rossi

Die Mädchen der siebenköpfigen „Juye Qilin Acrobatic Troupe Shandong“ (inklusive Trainerin) aus der Nähe Hongkongs, laut Programmheft zwischen 16 und 23 alt, eröffnen die Spielfolge. Fünf Mädchen lassen jeweils acht Teller auf langen Stäben kreisen. Gezeigt werden anspruchsvolle Tricks wie der Lauf von Kopf zu Kopf, inklusive Spagat zwischen zwei Köpfen, und am Ende türmen sich die Mädchen zu einer Pyramide mit nur einer Unterfrau. Zweite Darbietung der Chinesinnen ist das „Quick Face Changing“, ein seltenes Genre, das wir noch nicht live gesehen hatten: Ähnlich wie bei einer Kostümillusion werden hier hauchdünne, verschiedenfarbige Masken vor den Gesichtern in Sekundenschnelle gewechselt – gut, dass die Direktion vorher via Ansage verdeutlicht, worauf man eigentlich achten muss, sonst würden viele Zuschauer wohl gar nicht bemerken, was hier vor sich geht. Musik und Fächerschlagen machen aus der Darbietung ein mitreißendes, folkloristisches Vergnügen. Im Rock’n’Roll-Rhythmus lassen sich fünf der Chinesinnen dann nach der Pause die Diabolos zufliegen – und mit einer leistungsstarken Kontorsionsarbeit vor dem Finale verabschieden sie sich. Höhepunkt ist der vierfache Mundstand übereinander – die oberste Artistin muss sich als erste in die anstrengende Pose begeben und dort im Mundstand sehr lange ausharren, bis die nachfolgenden Partnerinnen wieder Boden unter den Füßen haben. Bestens bekannt von Universal Renz und von der Saison 2008 beim Zirkus Charles Knie sind die Ikarier Fratelli Rossi mit mitreißendem Italo-Charme. Alan Rossi zeigt als Zweitnummer noch eine Jonglage mit jeweils drei Keulen, Bällen und Zigarrenkisten. Alessandro Gillert mit Partnerin Cristina Moia präsentiert als Pausennummer hervorragende Leistungen auf dem Schlappseil, darunter ein Zwei-Mann-Hoch und die Balance auf der freistehenden Leiter. Zweitnummer des Paares ist ein komisches „Hupkonzert“.


Les Nicas, Juye Qilin Acrobatic Troupe Shandong, Susanne Mani

Was den Circus Harlekin aber in besonderer Weise ausmacht, sind die jährlich wechselnden Reprisen und Entrees des Clownsduos „Les Nicas“: Dahinter verbirgt sich die Circus-Direktion, Monika Aegerter als dominante Weißclownesse "Madame Nica" und Peter „Pedro“ Pichler als August. Heuer zeigt man unter anderem eine verrückte Arztpraxis, in der Monika alle Leiden ihrer Patientin auf den armen Pedro „überträgt“ – ein herrlich komisches Spektakel, in dem Pedro seine erzkomödiantischen Fähigkeiten voll ausspielen kann. „Wenn man über die Gags nachdenken muss, ist es schon verkehrt“, finden die beiden später im Gespräch. Auch lustig: Pedro als Braut mit einem viele Meter langen Schleier im XXXL-Format und Schleppenträger in einem. Komplettiert wird das Programm von zwei Tierdressuren: Die Schweizerin Susanne Mani, im zweiten Jahr mit Harlekin unterwegs, führt zu volkstümlicher Schweizer Musik und in passender Kostümierung Ziegen und ein Hausschwein vor, leider noch mit etwas unbeholfenem Verkauf; Pedro Pichlers erwachsene Tochter Nicole zeigte in der besuchten Vorstellung ersatzweise ein „Groß und Klein“, da die eigentlich engagierte Vierfreiheit Haflinger vom ehemaligen Circus Medrano (Urs Strasser) gerade pausieren musste.

Harlekin – das ist, wie eingangs beschrieben, Qualität im kleinen Rahmen. Ganz traditioneller, bestens unterhaltender Circus mit Herz, der von der Lehrerin Monika Aegerter (bis heute nebenbei im Schuldienst!) und ihrem früheren Handballtrainer Pedro aus Liebe zur Manegenkunst gemacht wird.

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Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Erber, Sven Rindfleisch