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Straßburg, 15.
Mai 2010: „La Légende“ ist wohl das schönste, begeisterndste
Programm des Cirque Arlette Gruss der vergangenen fünf Jahre. Großen
Anteil an diesem Eindruck hat die wundervolle Musik, besonders im
ersten Programmteil. Während in den letzten Saisons übermäßig viele
ruhige Töne die Programme prägten, werten nun die schwungvollen,
mitreißenden Kompositionen ein starkes Programm zusätzlich auf. Ein
in seiner Zusammenstellung und Abfolge durch und durch klassisches
Circusprogramm wird durch Kostüme und Ausstattung, fantastisches
Licht und eben die Musik zu einem modernen Spektakel in
zeitgenössischer Ästhetik veredelt. |
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Er habe die
traditionellen Nummern und starken Punkte des klassischen Circus
in einem Programm zusammenfassen wollen, schildert Direktor
Gilbert Gruss im Gespräch mit Chapiteau.de seine Konzeption des
Jubiläumsprogramms „La Légende“ zum 25-jährigen Bestehen des
Unternehmens. Tiere bilden für ihn demnach einen unverzichtbaren
Bestandteil, Gilbert Gruss würde nach eigenen Worten eher
aufhören, als einen Circus ohne Tiere zu präsentieren. Und so
umfasst die aktuelle Show tatsächlich alles, was ein nach
unseren Kriterien „klassisches“ Circusprogramm ausmacht,
darunter Pferde, Elefanten, Raubtiere und Exoten, Flugtrapez,
Jonglage und Kraftakrobatik, große Truppennummern, ein
Clownentree und heitere Reprisen, ein Orchester – eingebettet in
eine höchst attraktive Verpackung, unter anderem mit abermals
erweiterter Lichtanlage, die wahre Bühnenbilder aus
Scheinwerferkegeln schafft.
Truppe aus Wuqiao,
Samira, Ensemble
Die ersten
Minuten der Show bieten noch Anlass zur Skepsis – volle zehn
Minuten lang gehört die Manege Reprisenclown Mathieu und einem
der beiden Gotys, die mit einem Klatschspiel einsteigen und
später die Regeln fürs Fotografieren, Rauchen und den
Handygebrauch im Circus erklären. Für unseren Geschmack hätte
man diesen verhaltenen Showbeginn auch ersatzlos streichen
können, aber er hat – zugegeben – auch die Folge, dass auf den
gut gefüllten Rängen Ruhe, Konzentration und Aufmerksamkeit für
das Geschehen eintreten. Kévin Sagau, seit 2009 der neue
Sprechstallmeister des Unternehmens, erscheint oberhalb des
Regiepodiums, für Teile des Publikums nicht sichtbar. Von diesem
Platz aus, später auch auf den Aufgängen der Tribüne, erzählt
der Mann mit weiß geschminkten Gesicht und goldener Jacke die
Geschichte der „Legende“, des Cirque Arlette Gruss. Dies ist der
rote Faden im Programm. Dann geht es richtig los mit einer
traumhaft schönen ersten Halbzeit: Aus der Ouvertüre des
elfköpfigen Orchesters entspinnt sich ein buntes Charivari des
Ensembles in rot-weißen Kostümen, das sich um eine kurze Arbeit
der sechs männlichen Artisten aus Wuqiao am Schleuderbrett
(Vier-Mann-Hoch mit Longensicherung) gruppiert. Nahtlos schließt
sich die Hutjonglage der acht weiblichen Truppenmitglieder aus
China an, später ergänzt von drei Herren. Die erste Tiernummer
des Programms wird von Sandro Montez vorgeführt: Nach einer
Einleitung durch eine geheimnisvolle orientalische Tänzerin
gruppieren sich vier Kamele und vier Pferde aus dem Hause Flavio
Togni zu den klassischen Figuren einer Freiheitsdressur, laufen
zu zweit, zu viert, zu acht, im Gegenlauf. |
Kévin Gruss und Julia
Friedrich |
Direktionssohn
Kévin Gruss und seine Lebensgefährtin Julia Friedrich haben sich
wiederum eine neue Luftnummer erarbeitet, diesmal am still hängenden
Trapez mit Netz darunter anstelle der Arbeit mit Longe. Die Begleitung
durch Livegesang (Kévin Sagau und die geheimnisvolle zweite
Protagonistin Samira), einem Liebeslied in englischer Sprache, wertet
den Auftritt zu einem der schönsten Momente des Programms auf. Auf
Reprisenclown Mathieus Spiel mit Seifenblasen folgt die glanzvoll
präsentierte Elefantennummer, eingeleitet von den acht Chinesinnen als
Tänzerinnen in thailändisch inspirierten Kostümen. Die Herren aus
Wuqiao dagegen sehen wir als Reiter auf den vier indischen Elefanten,
die ebenfalls von Flavio Togni kommen und hier von Sandro Montez
präsentiert werden. Bigmount und verschiedene Einzeltricks wie
Hochsitzen und Vorderhandstand gehören zum Repertoire. Jongleur Zdenek
Supka wurde aus dem Vorjahr prolongiert, nun allerdings mit einer
völlig anderen Darbietung. Anstelle als klassischer Bodenjongleur
aufzutreten, lässt er nun im Dunkeln vier fluoreszierende Bälle durch
ein Dreiecksgestell fliegen, ähnlich wie Ira Rizaeva vor einigen
Jahren bei Flic Flac, und steht inmitten eines durchsichtigen
Kunststoffkegels, durch den er viele Bälle kreisen lässt. Eine
Artistin am Luftring überbrückt den Netzaufbau für die „Flying Zuniga“
mit einer beeindruckenden Vorstellung am Flugtrapez. Die beiden Damen
des Quintetts sind hier nicht nur hübsche Dekoration, sondern zeigen
gemeinsam die Passage, eine der beiden springt den Doppelsalto. |
Der zweifache
Salto gestreckt, zwei Variationen des Salto mit Schraube und natürlich
der Dreifache, allesamt fehlerfrei ausgeführt, gehören ebenso zum
Repertoire der Truppe. Die beschwingte, mitreißende, von der Violine
dominierte Musik macht aus dieser Nummer vollends einen würdigen
Höhepunkt vor der Pause.
Linda Gruss,
Alfredo Beautour, Truppe aus Wuqiao
Mit einem
ebensolchen geht es dann im zweiten Programmteil auch gleich weiter:
Mit außerordentlicher Ruhe und Leichtigkeit dirigiert Alfredo Beautour
fünf verschiedenfarbige Tiger, wieder von Togni, durch eine
variantenreiche Kür mit Spitzentricks wie dem Sprung über drei Tiger
oder dem Sprung eines auf den Hinterbeinen aufgerichteten Tigers über
ein abliegendes Exemplar. Vier bis fünf Tiere sitzen gemeinsam hoch,
liegen ab und zeigen auch den Fächer. Die Artistinnen aus China,
attraktiv in rot und mit langen, offen getragenen Haaren, haben nach
einer weiteren Reprise von Mathieu ihren stärksten Auftritt bei einer
Antipodennummer, in der sie verschieden geformte Trommeln mit den
Füßen jonglieren und einander zuwerfen, bis hin zu einem „Turmbau“ aus
Frauen und Trommeln, vier Etagen hoch. Fackelträger und eine Flötistin
leiten über zu den Pferden. Zunächst beeindruckt die erst zehnjährige
Laura-Maria Gruss, die drei braune Pferde durch anspruchsvolle Figuren
wie das Flechten führt und die Tiere gemeinsam steigen lässt.
Konzentriert, mutig-energisch, mit eleganter Peitschenführung und
bereits großem Können tritt das Mädchen den ausgewachsenen Tieren
gegenüber. Bravo! Ihre Mutter Linda dirigiert anschließend einen
weißen Sechserzug, wie die Tochter zu irischer Musik, ehe sich die
beiden bei den Da Capi abwechseln. Dem klassischen Spiegelentree der
Goty-Clowns folgt das von Flic Flac bekannte „Bodytrapez“, bei dem die
Körper der beiden Artistinnen quasi auch die Requisiten sind. Kostüme
und Musik wurden unverändert von dem Unternehmern übernommen, den
Gilbert Gruss als seinen Favoriten unter den deutschen Circussen
nennt. Damit aber passt die Darbietung nicht recht in die doch ganz
anders geartete Färbung des Gruss-Programms. Wie gemacht für Gruss
dagegen sind dagegen die Goldmenschen des Trio Laruss, deren äußerst
kraftvolle Akrobatikkür vom Publikum frenetisch beklatscht, mit dem
stärksten Applaus des Abends bedacht wird. Die Gummireifen-Sprünge der
Chinesen, ganz in der Art der Bikers, leiten dann direkt über in das
schwungvolle, farbenprächtige Finale mit dem gesamten Ensemble. Ein
romantischer Epilog mit einem singenden Kévin Sagau an der Gitarre
beendet diesen wundervollen Circusabend. |
„Arlette Gruss“
macht den klassischen Circus zu einem Spektakel des 21. Jahrhunderts
– so lautet, frei übersetzt, einer der Slogans des französischen
Vorzeigecircus. Treffender kann man es kaum formulieren. „La Légende“
zeigt: Die Legende lebt! |
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Text: Markus Molll; Fotos: Tobias Erber
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