CHPITEAU.DE

Cirque Arlette Gruss - Tour 2010
www.cirque-gruss.com ; 67 Showfotos

Straßburg, 15. Mai 2010: „La Légende“ ist wohl das schönste, begeisterndste Programm des Cirque Arlette Gruss der vergangenen fünf Jahre. Großen Anteil an diesem Eindruck hat die wundervolle Musik, besonders im ersten Programmteil. Während in den letzten Saisons übermäßig viele ruhige Töne die Programme prägten, werten nun die schwungvollen, mitreißenden Kompositionen ein starkes Programm zusätzlich auf. Ein in seiner Zusammenstellung und Abfolge durch und durch klassisches Circusprogramm wird durch Kostüme und Ausstattung, fantastisches Licht und eben die Musik zu einem modernen Spektakel in zeitgenössischer Ästhetik veredelt.

Er habe die traditionellen Nummern und starken Punkte des klassischen Circus in einem Programm zusammenfassen wollen, schildert Direktor Gilbert Gruss im Gespräch mit Chapiteau.de seine Konzeption des Jubiläumsprogramms „La Légende“ zum 25-jährigen Bestehen des Unternehmens. Tiere bilden für ihn demnach einen unverzichtbaren Bestandteil, Gilbert Gruss würde nach eigenen Worten eher aufhören, als einen Circus ohne Tiere zu präsentieren. Und so umfasst die aktuelle Show tatsächlich alles, was ein nach unseren Kriterien „klassisches“ Circusprogramm ausmacht, darunter Pferde, Elefanten, Raubtiere und Exoten, Flugtrapez, Jonglage und Kraftakrobatik, große Truppennummern, ein Clownentree und heitere Reprisen, ein Orchester – eingebettet in eine höchst attraktive Verpackung, unter anderem mit abermals erweiterter Lichtanlage, die wahre Bühnenbilder aus Scheinwerferkegeln schafft.


Truppe aus Wuqiao, Samira, Ensemble

Die ersten Minuten der Show bieten noch Anlass zur Skepsis – volle zehn Minuten lang gehört die Manege Reprisenclown Mathieu und einem der beiden Gotys, die mit einem Klatschspiel einsteigen und später die Regeln fürs Fotografieren, Rauchen und den Handygebrauch im Circus erklären. Für unseren Geschmack hätte man diesen verhaltenen Showbeginn auch ersatzlos streichen können, aber er hat – zugegeben – auch die Folge, dass auf den gut gefüllten Rängen Ruhe, Konzentration und Aufmerksamkeit für das Geschehen eintreten. Kévin Sagau, seit 2009 der neue Sprechstallmeister des Unternehmens, erscheint oberhalb des Regiepodiums, für Teile des Publikums nicht sichtbar. Von diesem Platz aus, später auch auf den Aufgängen der Tribüne, erzählt der Mann mit weiß geschminkten Gesicht und goldener Jacke die Geschichte der „Legende“, des Cirque Arlette Gruss. Dies ist der rote Faden im Programm. Dann geht es richtig los mit einer traumhaft schönen ersten Halbzeit: Aus der Ouvertüre des elfköpfigen Orchesters entspinnt sich ein buntes Charivari des Ensembles in rot-weißen Kostümen, das sich um eine kurze Arbeit der sechs männlichen Artisten aus Wuqiao am Schleuderbrett (Vier-Mann-Hoch mit Longensicherung) gruppiert. Nahtlos schließt sich die Hutjonglage der acht weiblichen Truppenmitglieder aus China an, später ergänzt von drei Herren. Die erste Tiernummer des Programms wird von Sandro Montez vorgeführt: Nach einer Einleitung durch eine geheimnisvolle orientalische Tänzerin gruppieren sich vier Kamele und vier Pferde aus dem Hause Flavio Togni zu den klassischen Figuren einer Freiheitsdressur, laufen zu zweit, zu viert, zu acht, im Gegenlauf.


Kévin Gruss und Julia Friedrich

Direktionssohn Kévin Gruss und seine Lebensgefährtin Julia Friedrich haben sich wiederum eine neue Luftnummer erarbeitet, diesmal am still hängenden Trapez mit Netz darunter anstelle der Arbeit mit Longe. Die Begleitung durch Livegesang (Kévin Sagau und die geheimnisvolle zweite Protagonistin Samira), einem Liebeslied in englischer Sprache, wertet den Auftritt zu einem der schönsten Momente des Programms auf. Auf Reprisenclown Mathieus Spiel mit Seifenblasen folgt die glanzvoll präsentierte Elefantennummer, eingeleitet von den acht Chinesinnen als Tänzerinnen in thailändisch inspirierten Kostümen. Die Herren aus Wuqiao dagegen sehen wir als Reiter auf den vier indischen Elefanten, die ebenfalls von Flavio Togni kommen und hier von Sandro Montez präsentiert werden. Bigmount und verschiedene Einzeltricks wie Hochsitzen und Vorderhandstand gehören zum Repertoire. Jongleur Zdenek Supka wurde aus dem Vorjahr prolongiert, nun allerdings mit einer völlig anderen Darbietung. Anstelle als klassischer Bodenjongleur aufzutreten, lässt er nun im Dunkeln vier fluoreszierende Bälle durch ein Dreiecksgestell fliegen, ähnlich wie Ira Rizaeva vor einigen Jahren bei Flic Flac, und steht inmitten eines durchsichtigen Kunststoffkegels, durch den er viele Bälle kreisen lässt. Eine Artistin am Luftring überbrückt den Netzaufbau für die „Flying Zuniga“ mit einer beeindruckenden Vorstellung am Flugtrapez. Die beiden Damen des Quintetts sind hier nicht nur hübsche Dekoration, sondern zeigen gemeinsam die Passage, eine der beiden springt den Doppelsalto.

Der zweifache Salto gestreckt, zwei Variationen des Salto mit Schraube und natürlich der Dreifache, allesamt fehlerfrei ausgeführt, gehören ebenso zum Repertoire der Truppe. Die beschwingte, mitreißende, von der Violine dominierte Musik macht aus dieser Nummer vollends einen würdigen Höhepunkt vor der Pause.


Linda Gruss, Alfredo Beautour, Truppe aus Wuqiao

Mit einem ebensolchen geht es dann im zweiten Programmteil auch gleich weiter: Mit außerordentlicher Ruhe und Leichtigkeit dirigiert Alfredo Beautour fünf verschiedenfarbige Tiger, wieder von Togni, durch eine variantenreiche Kür mit Spitzentricks wie dem Sprung über drei Tiger oder dem Sprung eines auf den Hinterbeinen aufgerichteten Tigers über ein abliegendes Exemplar. Vier bis fünf Tiere sitzen gemeinsam hoch, liegen ab und zeigen auch den Fächer. Die Artistinnen aus China, attraktiv in rot und mit langen, offen getragenen Haaren, haben nach einer weiteren Reprise von Mathieu ihren stärksten Auftritt bei einer Antipodennummer, in der sie verschieden geformte Trommeln mit den Füßen jonglieren und einander zuwerfen, bis hin zu einem „Turmbau“ aus Frauen und Trommeln, vier Etagen hoch. Fackelträger und eine Flötistin leiten über zu den Pferden. Zunächst beeindruckt die erst zehnjährige Laura-Maria Gruss, die drei braune Pferde durch anspruchsvolle Figuren wie das Flechten führt und die Tiere gemeinsam steigen lässt. Konzentriert, mutig-energisch, mit eleganter Peitschenführung und bereits großem Können tritt das Mädchen den ausgewachsenen Tieren gegenüber. Bravo! Ihre Mutter Linda dirigiert anschließend einen weißen Sechserzug, wie die Tochter zu irischer Musik, ehe sich die beiden bei den Da Capi abwechseln. Dem klassischen Spiegelentree der Goty-Clowns folgt das von Flic Flac bekannte „Bodytrapez“, bei dem die Körper der beiden Artistinnen quasi auch die Requisiten sind. Kostüme und Musik wurden unverändert von dem Unternehmern übernommen, den Gilbert Gruss als seinen Favoriten unter den deutschen Circussen nennt. Damit aber passt die Darbietung nicht recht in die doch ganz anders geartete Färbung des Gruss-Programms. Wie gemacht für Gruss dagegen sind dagegen die Goldmenschen des Trio Laruss, deren äußerst kraftvolle Akrobatikkür vom Publikum frenetisch beklatscht, mit dem stärksten Applaus des Abends bedacht wird. Die Gummireifen-Sprünge der Chinesen, ganz in der Art der Bikers, leiten dann direkt über in das schwungvolle, farbenprächtige Finale mit dem gesamten Ensemble. Ein romantischer Epilog mit einem singenden Kévin Sagau an der Gitarre beendet diesen wundervollen Circusabend.

„Arlette Gruss“ macht den klassischen Circus zu einem Spektakel des 21. Jahrhunderts – so lautet, frei übersetzt, einer der Slogans des französischen Vorzeigecircus. Treffender kann man es kaum formulieren. „La Légende“ zeigt: Die Legende lebt!

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Text: Markus Molll; Fotos: Tobias Erber