Die trägt den
Titel „Eine Reise um den Globus in 150 Minuten“ und ist mit so
gut wie komplett neuen Kostümen, einem aufgestockten Ballett
(sechs Damen, zwei Herren), einer erweiterten Lichtanlage
(leider u.a. mit wenig Atmosphäre-förderlichen LEDs) sowie einem
teilweise neu besetzten Orchester unter der Leitung des
Heilbronn-erfahrenen Volodymyr Kozachuk hinsichtlich der
Ausstattung wohl einzigartig. Auch bei den Nummern selbst sind
Neuerungen zu verzeichnen. Diese wurden dank der geschickten
Regie des erfahrenen Louis Knie sen. so zusammengestellt, dass
ein begeistertes Publikum quasi garantiert ist. In Hannover
erlebte ich zum Finale von den Rängen Ovationen, Getrampel und
Gejohle. Es war in etwa das, was ich in meinem Hinterkopf noch
als „Barum-Seeligkeit“ abgespeichert hatte.
Ensemble, Monika Sperlich
Gleich zu Beginn
gibt es ein großes, mitreißendes Zigeunerschaubild. Quasi alle
Mitwirkenden sind in prächtige Kostüme gewandet, die im letzten
Jahr beim niederländischen Circus Herman Renz zu bewundern
waren. Feurige Musik, stimmige Choreographien und kleine
artistische Einlagen sorgen für einen fulminanten Einstieg
voller Lebensfreude. Die Nistorovs jonglieren mit Fackeln, Andre
Riedesel – gerade noch hat er das Publikum begrüßt – spielt mit
dem Feuer, eine Seiltänzerin (Virgilia Riedesel) sowie Georgia
Riedesel an Tüchern zeigen ihre Künste. Die Geschwister Dany und
Denisa Stipka schließen mit ihrem bekannten Pas de deux auf zwei
stattlichen Friesenhengsten an dieses Bild an. Versace hat in
diesem Jahr weniger Auftritte. Der erste davon ist das Spiel mit
drei vermeintlichen Stoffelefanten. Eigentlich hätten jetzt die
beiden Elefantendamen von Corty Althoff ihren Auftritt haben
sollen. Da deren Verpflichtung aber kurzfristig nicht zustande
gekommen ist, geht es mit einem großen indisch/orientalischen
Schaubild weiter. Die Damen des Balletts tanzen als prächtige
Tempeltänzerinnen in aufwendigen Kostümen (allesamt von einer
Düsseldorfer Schneiderin nach Ideen des Charles Knie-Teams
gefertigt) mit extralangen Fingernägeln – Bollywood lässt
grüßen. Monika Sperlich wird in einer Sänfte hereingetragen. Die
beiden Tänzer helfen ihr beim Ablegen des imposanten Mantels mit
Pfauenmotiv. Als Wüstenschönheit bewegt sie die Hula Hoop-Reifen
um ihren Körper. Wenngleich die Nummer von der Aufmachung her an
jene von Yelena Larkina erinnert, arbeitet Monika Sperlich nach
wie vor einen flotten Stil. Marek Jama präsentiert die bekannten
Exoten des Hauses. Will heißen, nacheinander zeigen vier Zebras,
vier Kamele, ein Känguru, vier Rinder und sechs Lamas unter der
Leitung des polnischen Tierlehrers ihr Können. Entgegen anders
lautender Meldungen, werden in diesem Jahr keine Tiere aus
dieser Gruppe zum Circus Herman Renz gehen.
Marek
Jama, Dany Stipka
Einzige
„Verlierer“, wenn man sie überhaupt so bezeichnen mag, der neuen
Programmlinie sind die Mairen Brothers. Sie müssen auf die
gewohnte Einleitung durch das Ballett verzichten. Das stecken
Maik und Rene Sperlich aber ganz cool weg, wenn sie mit ihrem
Trike in die Manege düsen, um darauf ihre bekannte Equilibristik
zu zeigen. Von den Damen des Balletts als Spanierinnen in
stimmigen rot-schwarzen Kleidern werden die sechs neuen Friesen
zu Ravels Bolero in die Manege geführt. In den vergangenen
Monaten von Elmar Kretz dressiert, zeigen sie nun ihr Debüt in
der Circusmanege. Zunächst umtanzen Frauen und Pferde Marek Jama
im Zentrum der Szenerie, dann beginnt die eigentliche
Dressurvorführung. Teilweise merkt man den Tieren die Nervosität
noch an, etwa wenn einer der Friesen sich partout nicht drehend
aus der Manege verabschieden will. Dennoch laufen die Tricks
insgesamt schon gut ab, das Bild mit den stattliche Vierbeinern
ist ohnehin eine wahre Augenweide. Fortgeführt wird dieses
spanische Bild durch die ebenfalls auf Friesen gerittene Hohe
Schule der Geschwister Stipka. Das Ballett wirkt auch hier mit.
Damit nicht genug des equestrischen Genusses, abschließend ist
der bekannte Sechserzug Araber zu erleben. Imposant hier vor
allen Dingen die Steiger zum Schluss. Damit endet ein ungemein
stimmungsvolles Schaubild. Das Ballett wirkt hier nicht, wie
anderswo, als eher störendes Beiwerk, sondern wertet das
Gesamterlebnis der Darbietungen enorm auf. Dies gilt übrigens
für alle Auftritte des achtköpfigen Ensembles.
Flying Mendoca
Somit ebenfalls
für die Einleitung des Flugtrapezes a la „Karneval in Rio“. Den
Aufbau des Sicherheitsnetzes dafür überbrückt Versace mit
seilspringenden „Freiwilligen“ aus dem Publikum. Die fünf
sympathischen jungen Brasilianer der Flying Mendoca zeigen eine
Nummer, die keine Wünsche offen lässt. Sämtliche Tricks, der
Dreifache inklusive, werden mit traumwandlerischer Sicherheit
dargeboten. Wenngleich noch Totenköpfe ihre Outfits zieren,
arbeiten sie nicht mehr zu Musik aus „Fluch der Karibik“, wie
noch in den vergangenen Jahren bei Pinder und Arena. Nun
erklingt unter anderem Elton Johns „I'm still standing“. Der
zweite Teil beginnt so, wie der erste geendet hat, mit einer
echten Weltklassedarbietung. Alexander Lacey und seine
Raubkatzen sind quasi Gründungsmitglieder des neuen Zirkus
Charles Knie. Vier Tiger, zwei Löwinnen und Mähnenlöwe Massai
zeigen ihr eindrucksvolles Repertoire. Höhepunkt ist nach wie
vor, der in der Zeit bei Charles Knie in die Darbietung
aufgenommene, doppelte Steigerlauf zweier Tiger. Bevor Laceys
Tiere den Zentralkäfig erobern, ist dort ein Afrikaballett in,
ich wiederhole mich gerne, wunderschönen Kostümen zu sehen.
Quasi nach Afrika übergesiedelt sind Dany und Denisa Stipka.
Ihre Arbeit an Tüchern zeigen sie jetzt im Zebra- bzw.
Leoparden-Look und bereichern somit diese Station der
circensischen Weltreise. Von Afrika aus geht es aufs
Traumschiff, wo uns die Matrosen des Balletts in Empfang nehmen
und mit zu Mona Sperlich nehmen. Diese hat die beiden
Knie-Seelöwen Stefanie und Manta im Schlepptau. Alle drei machen
bei der nachfolgenden Vorführung eine gute Figur. Dabei dürfte
es sich aktuell um die einzige derartige Darbietung in einem
deutschen Tourneecircus handeln. Mit Versace und seinen
schaurigen Piraten-look-alikes verabschieden wir uns von der
Seefahrt.
Iurie Basiul, Kenneth Huesca, Versace und
Damian Mavriqi
Es übernimmt der
kurzfristig ins Programm genommene Iurie Basiul. Eine derartig
verpackte Equilibristik-Kür haben die meisten Zuschauer noch
nicht gesehen. Entsprechend stark fällt die Publikumsreaktion
auf die in fließende Bewegungen verpackte Akrobatik des ganz in
weiß gekleideten Moldawiers aus. Die Begeisterung ist hörbar
groß. Somit ist die Bühne für Knie-Rückkehrer Kenneth Huesca
bereitet. Er beherrscht die selten in hiesigen Circussen
gezeigte Kunst eines Bauredners. Zunächst mit drei Puppen, dann
mit drei Zuschauern, die er mit netten Accessoires
„verschönert“. Huesca ist sicherlich nicht der filigranste
Vertreter seiner Zunft, macht aber aus seiner Show ein wahres
Happning. Natürlich fordert er zum Schluss einen „Applaus für
meine Gäääste“. Und den gibt es denn auch reichlich. Da wird es
schwer, die Stimmung hin zum Finale noch zu steigern. Mit den
Nistorovs aber gelingt dies. Das Quartett zeigt rasante Tricks
auf Rollschuhen. Neu ist die Einbeziehung eines Zuschauers. Wenn
dieser nach ein paar Runden mit zwei der Profis wieder mit sehr
wackeligen Beinen auf der Plattform steht, trägt dies nicht nur
zur Erheiterung des Publikums bei, sondern verdeutlicht die
Schwierigkeit dieser Nummer. Mit dem durch Iurie Basiul, Kenneth
Huesca und den Nistorovs aufgebauten Spannungsbogen wird jene
eingangs beschriebene Stimmung beim Finale erzeugt. Bei diesem
werden nochmal alle Register der großen Show gezogen. Mittels
eines Heißluftballons steigen Versace und ein Junge im Livree (Damian
Mavriqi) über der Manege auf. Während sie von oben
Glitter aus ihren Händen rieseln lassen, marschieren unten die
Damen des Balletts in Glitzer und Federschmuck auf. Dies ist die
einzige Ballettszene, die ins Krone-eske abzudriften droht, aber
es letztendlich doch nicht tut. Alle Artisten erscheinen in
edlen Kostümen, weiß ist die vorherrschende Farbe. Es gibt
kleine Zugaben und Andre Riedesel verabschiedet das Publikum.
Vorbei ist die Show aber erst, als Versace samt Juniorpartner
den unter dem inzwischen gelandeten Ballon hängenden Korb
entsteigt und ebenfalls Lebewohl sagt.
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