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Circus Herman Renz - Tour 2010
www.renz.nl

Horst, 3. November 2010: Um es vorweg zu: Auch mit seiner aktuellen Produktion stellt der holländische Circus Herman Renz eindrucksvoll unter Beweis, dass er zu den führenden  Circusunternehmen Europas gehört. Entführte uns das Programm 2009 in die Welt der Zigeuner, geht es in diesem Jahr unter der Überschrift "Jungle Fantasy" in den Urwald. Renz bleibt also auch 2010 seinem Anspruch treu, jedes Jahr aufs Neue eine Show zu zeigen, die zwar auf den traditionellen circensischen Dreiklang Tiere, Clowns und Akrobaten setzt, gleichzeitig aber durchgehend in eine übergeordnete Szenerie eingebettet ist.

Vergleichbares bietet in Europa eigentlich nur der französische Cirque Arlette Gruss. Während die Gruss-Shows allerdings eher dem schöngeistigen Stil des Cirque du Soleil verpflichtet sind, setzt Renz auf bodenständige, leicht verständliche Inszenierungen und bleibt somit der Tradition des Circus als Theater des Volkes treu. "Jungle Fantasy" gelingt heuer nun ganz besonders überzeugend. Insbesondere im ersten Teil wurde das Dschungel-Motto - tatkräftig unterstützt durch eine sensationelle Lichtregie (Gilbert Weiser), ein versiert aufspielendes Orchester und die Akzente setzenden Ansagen von Direktor Robert Ronday - perfekt umgesetzt. Den roten Faden der Show bilden die Clowns Milko und Frenky, die uns in passendem Tropen-Outfit mit auf eine Safari nehmen. So erleben wir die beiden unter anderem mit ihrem verrückt spielenden Urwald-Taxi und auf der Jagd nach einem großen Affen.


Tom Dieck junior, Milko und Frenky

Zu Beginn der Show allerdings zelten die beiden im Zentralkäfig und werden vom Gebrüll von Tom Dieck juniors Löwen vertrieben. Diese beweisen sich unter der eleganten Peitschenführung von Dieck junior insbesondere als sprunggewaltig und sorgen mit Scheinangriffen für eine gehörige Portion Nervenkitzel. Anschließend erleben wir Tamara Weiser, die als geheimnisvolles Dschungelwesen bis zu vier Teppiche mit den Füßen jongliert und sich dabei sogar gen Zeltkuppel ziehen lässt. Geradezu zwingend ist angesichts des Programmmotos natürlich auch das Engagement einer afrikanischen Springertruppe. Diese fünf Jungs kommen aus Ghana und zeigen in ihrem ersten Auftritt in farbenprächtigen Kostümen und mit der gewohnten mitreißenden Lebensfreude die üblichen Menschenpyramiden. Ein Artist der fünfköpfigen Truppe beweist nach Art eines Klischniggers aber auch extreme Beweglichkeit.


Karah Khavak, Simona und Aston

Auf die Afrikaner-Truppe folgt Michel Jarz mit einem kleinen Exotenzug aus dem Hause Fliegenpilz: Drei Zebras, ein Kamel, vier Guanakos und zwei Rinder. Als Tarzan und Jane erleben wir anschließend Simona und Aston, die in ihre Kür an grünen Tuchstrapaten sogar den Genickhangwirbel eingebaut haben. Ebenso kongenial zum Dschungel-Thema passend ist dann freilich auch die Pausennummer: Karah Khavaks aufwendig, im Stil von Indiana Jones inszenierte Reptilienshow mit Schlangen, Krokodilen, Skorpionen, Waranen und Vogelspinnen. Eine Nummer, die eigentlich rein vom Schauwert lebt, aber dennoch ungemein publikumswirksam ist und im Zuschauerraum für helle Aufregung sorgt und somit ganz sicher das erhoffte Pausengespräch ist.
 


Tamara Weiser

Hälfte zwei beginnt mit einem artistischen Ausrufezeichen: Die Flying Neves aus Brasilien, die bereits in der vergangenen Saison bei Herman Renz engagiert waren, zeigen am Flugtrapez die üblichen Tricks des Genres (Dreifacher Salto und Passage) - der Bezug zum Dschungel wird hier allerdings nicht wirklich deutlich. Ganz anders ist das natürlich beim zweiten Auftritt der afrikanischen Artisten aus Ghana, die sich dieses Mal als Feuerspucker und Limbotänzer präsentieren. Und auch der indische Elefant von Adriana Folco passt zum Thema und wird obendrein noch wunderbar schwungvoll und trickreich präsentiert. Folcos Sohn Amedeo übrigens gab im ersten Programmteil sein Manegendebüt mit einer kurzen Ponyfreiheit. Ebenfalls in die Dschungel-Szenerie eingepasst ist der zweite Auftritt von Tamara Weiser. Ihre im Tigerkostüm vorgetragene und stimmungsvoll ausgeleuchtete Arbeit am Schwungseil, die hauptsächlich aus Posen besteht und Abfaller vermissen lässt, gehört allerdings zu den wenigen Schwachpunkten des Programms. Auch und gerade weil sie das Tempo der Show ausbremst. Schlussnummer ist dann völlig zurecht die leistungsstarke Hand-auf-Hand-Darbietung des russisch-bulgarischen Duo Serjo. Zusätzlichen Reiz gewinnt die vom Schweizer Nationalcircus Knie und Flic Flac bekannte Nummer durch eine alle Register ziehende Lichtregie, die die beiden Artisten in phantastisches blaues beziehungsweise rotes Licht taucht.


Duo Serjo, Adriana Folco

Liebe zum Detail beweist das Hermann-Renz-Team auch im Finale. Nicht nur, dass dafür extra eine Wasserorgel aufgebaut wurde, die mit illuminierten Fontänen den Einmarsch aller Artisten begleitet. Nein, um dem Schlussbild auch noch das letzte i-Tüpfelchen aufzusetzen, erscheinen das vierköpfige Hausballett und die Afrikaner-Truppe in farbenprächtigen Inka-Kostümen. Man kann es also nicht anders sagen: Herman Renz zeigt auch 2010 eine Show, die in puncto Inszenierung und Atmosphäre Maßstäbe setzt. Zeitgemäßer und stimmungsvoller kann man klassischen Circus jedenfalls kaum präsentieren.

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Text und Fotos: Sven Rindfleisch