CHPITEAU.DE

Der Große Russische Staatscircus - Tour 2011
www.staatscircus.com

Bad Neustadt an der Saale, 21. April 2011: Bei der Abendpremiere des Großen Russischen Staatscircus in Bad Neustadt an der Saale war auch der sprichwörtlich letzte Platz besetzt. Kinder unter drei Jahren sollte man auf den Schoß nehmen, mit den mitgebrachten Jacken keinesfalls freie Stühle blockieren – es wurde jeder Sitzplatz gebraucht und mussten noch eilig zusätzliche Stühle herbeigeschleppt werden. Vor der herrlichen Kulisse eines voll besetzten Zeltes konnte die Vorstellung dann beginnen, in bewährter Weise begleitet vom sechsköpfigen Orchester im Wechsel mit Bandmusik und moderiert vom temperamentvollen Franzosen Thierry Dourin.

Die runde Bühne mit dem roten Teppichboden, der Artisteneingang mit rotem Vorhang, die Leuchtschrift mit dem Circusnamen darüber und die Tribüne mit gepolsterten Einzelstühlen sowie neun große Leuchter unter der Kuppel sorgen für ein nicht wirklich circustypisches, aber angenehmes Ambiente.


Oleg Popov, Gagik Avetisyan

„Oleg Popov Jubiläumstour 2011“ ist das Motto des Programms, mit dem der 80. Geburtstag und das 60-jährige Manegenjubiläum des Clowns gefeiert werden. Nach wie vor ist das Marketing des Unternehmens voll auf das Zugpferd Popov ausgerechnet – einer der absoluten Ausnahmeartisten, dessen Name auch der breiten Bevölkerung bekannt ist. Und so wird nun vor Popovs erstem Auftritt ein Video eingespielt, das seinen Lebensweg kurz nachzeichnet. Der Film – in seiner Machart deutlich an Martin Laceys Videoeinspielung angelehnt –, erzählt, wie Popov als Kind von einem Circusclown einen roten Luftballon geschenkt bekommen und von da an selbst von der Clownskarriere geträumt habe. Nun ist es Popov, der die Manege singend mit einigen roten Luftballons betritt und diese an Kinder verteilt. Seine Geschichten (unter anderem „Aufpumpen“ des Partners, fliegende Ratte, komische Zauberei mit Hase) sind liebevoll-heiter, aber nicht brüllend komisch, wollen dies auch gar nicht sein, und zeichnen sich durch Kreativität und Eigenständigkeit aus. Für den Schenkelklopfer-Humor sorgt dagegen Mitmachclown Gagik Avetisyan (Rockband, Motorradfahrt) alias Charlie Chaplin.


Markevitch Acrobatic Troupe, Yuri Voldchenkov, Duo Shulga und Kirousenkov   

Im artistischen Bereich sind im Vergleich zum Vorjahr die Truppen Kiroushenkov (Fasttrack-Trampolin) und Zhuravel (Reck) ausgeschieden, außerdem auch Anton Tarbeev mit seiner Diaboloshow und seine Frau Katerina Markevitch mit Antipoden. Als Ersatz verpflichtet wurden zunächst die Truppe Vladmir Kovalev mit ihrer Schleuderbrettnummer in Kombination mit einer schwingenden Plattform, die Jongleuse Galina Kuzmenko sowie ein komisches Riesenfahrrad als Eigenkreation des Hauses. Nachdem die große Schleuderbretttruppe beim besuchten Gastspiel in Bad Neustadt a.d. Saale nicht mehr dabei war, ergab sich in dieser Version der Eindruck eines deutlich schwächeren Programms als im Vorjahr, zumal auch Heiko Olfs Löwendressur ersatzlos weggefallen ist. In seiner Pressemitteilung verweist der Circus darauf, dass man seit 2011 „auf Empfehlung des Deutschen Tierschutzbundes“ vollständig auf den Einsatz von Wildtieren in der Manege verzichte – eine höchst bedauerliche Entscheidung. Galina Kuzmenkos Jonglage mit bis zu sechs Ringen zeichnet sich weniger durch herausragende artistische Stärke als durch das effektvoll gestaltete Kostüm im „Geisha“-Stil aus, und bei der Nummer mit dem Riesenfahrrad (2,50 Meter hoch, fünf Meter lang) liegt der Akzent stärker auf der Komik als auf purer Leistung. Nach allerlei gespielten Missgeschicken gelingt es hier freilich doch noch, dass alle drei Akteure das Fahrrad erklimmen. Rodion Girgenov und seine Frau Julia Urbanovitch sind nun mehr denn je tragende Säulen des Programms. So stehen sie im Mittelpunkt der Großillusionsschau vor der Pause, die dank des Einsatzes der sechs Ballettdamen besonders effektvoll verkauft wird. Sehr sinnlich ist nach wie vor die schöne Kombination von Tanz, Equilibristik und Kontorsion von Rodion und Julia, bei der sich der Partner am Ende in eine enge Glaskiste zwängt. Rodion ist nun, leider in einer überaus unvorteilhaften Puffhose, auch Julias Partner bei der Kür an den Strapaten, nachdem sie zuvor in der Luft mit einem Artisten der Zhuravel-Truppe gearbeitet hatte. Bekannte Gesichter sind zudem das Duo Shulga und Kiroushenkov mit ihrer famosen Kombination von Hand-auf Hand und Kopf-auf-Kopf-Artistik, umrahmt vom Ballett im Stil des Musicals „Chicago“. Überhaupt gehört das sechsköpfige Ballett mit seiner hohen tänzerischen Qualität und der geschickten Integration in die Show, in der es die Darbietungen sinnvoll unterstützt statt in die Länge zieht, weiterhin zu den Stärken dieser Produktion. Neu sind der traditionelle „russische Tanz“, hier unterstützt von drei Herren aus dem Artistenensemble, oder auch die Begleitung der Reiternummer von Yuri Volodchenkov im Zigeunerstil, nachdem er zuletzt noch zur Musik aus „Piraten der Karibik“ gearbeitet hatte. Nach wie vor begeistert diese temperamentvolle Hohe Schule, bei der „Teufelsreiter“ Yuri freihändig reitet. Zweite Tiernummer im Programm sind weiterhin die elf Hunde von Igor und Marina Markevitch mit einer umfangreichen, starken und rasant präsentierten Trickfolge. Schon traditionell setzen die Motorradfahrer der Daniel-Diorio-Truppe den Schlusspunkt unter dieses Spektakel, nunmehr gar mit fünf statt wie bisher vier Fahrern in der sich öffnenden Kugel.

Durch das Fehlen der Schleuderbretttruppe mangelt es der Show aktuell an einem weiteren artistischen Highlight und liegt der Akzent etwas zu sehr auf dem Humor. Insgesamt bleibt jedoch auch weiterhin der Eindruck einer professionell in Szene gesetzten, großen Show erhalten.

__________________________________________________________________________
Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Erber