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Cirque Arlette Gruss - Tour 2012
www.cirque-gruss.com ; 55 Showfotos

Strasbourg, 15. Mai 2012: Im Jahr 2012 werde er seinen persönlichen Traumcircus präsentieren, hatte Direktor Gilbert Gruss vor zwei Jahren im Interview mit der CircusZeitung angekündigt – und dabei werde es eine große Überraschung für die deutschen Circusfreunde geben. Diese Überraschung ist gelungen, denn der bekennende Flic-Flac-Fan Gilbert Gruss hat gleich sechs Nummern aus dem letzten Reiseprogramm dieses Unternehmens engagiert. Und auch der selbst formulierte Anspruch, einen Traum-Circus zu schaffen, wurde eingelöst. Mit Ovationen im Stehen endete die besuchte Vorstellung in Strasbourg.

In Sachen Licht setzt Gilbert Gruss mit Lichtdesigner Julien Lhomme in dieser Saison neue Maßstäbe. Über der Manege schwebt eine sechsarmige Spinne, die sich heben und senken kann und mit zahlreichen Scheinwerfern bestückt ist. Eine überwältigende Fülle von zumeist beweglichen Scheinwerfern an den Masten, am Artisteneingang und rundherum um das Gradin, hier zwischendurch mit einem Stroboskop-Gewitter, ermöglicht fantastische Bilder aus Licht. Neues Prunkstück ist ein raumhoher LED-Vorhang, der zeitweise vor den Artisteneingang gezogen wird und jede Art von Farbenspielen und Bildern präsentieren kann. Auch musikalisch kann diese Produktion mit den wundervollen, schwungvollen Kompositionen und Arrangements von Antony Sauge voll überzeugen, wobei auch hier mit einer Mischung aus den Einspielungen von CD, dem Spiel des zehnköpfigen Orchesters unter Serghei Lurco und Live-Gesang alle Register gezogen werden. Prägend für den Stil des Hauses Gruss und oft eine wahre Augenweide sind zudem die in jedem Jahr neu entworfenen, farbenfrohen Kostüme von Roberto Rosello. Diese kommen gerade in den Auftritten der Haustruppe zum Einsatz, mit denen viele Nummern eingeleitet und alle Umbaupausen perfekt überbrückt werden (Choreographie: Bruno Agati, assistiert von Linda Gruss und ihrer Schwester Marisa Biasini). Abgerundet werden die exzellenten Rahmenbedingungen bei Licht, Musik, Kostümen und Choreographie vom wunderbaren Ambiente der Zelt-Kathedrale, das einem Theater gleichkommt. Vor dem großen Orchesterpodium, das sich heben und senken kann, ist ein raumhoher, samtroter Theatervorhang platziert, der sich nach links und rechts öffnet. Das Erlebnis Arlette Gruss beginnt spätestens, wenn man durch die Holzschwingtüren den edel gestalteten Foyerbereich betritt.

 
"La Cathedrale"

Mehr denn je bietet Arlette Gruss nicht nur eine großartige Verpackung seines Produkts. 2012 wird zudem im artistischen Bereich das stärkste Programm präsentiert, das wir hier in den vergangenen Jahren gesehen haben. Der Anspruch der Erneuerung, der stetigen Weiterentwicklung und Innovation richtet sich dabei – zum Glück! – nur auf die Art der Präsentation. In seiner Zusammenstellung umfasst „L’autre Monde“ absolut klassischen Circus mit fünf Tiernummern, darunter natürlich Pferde, Elefanten und Raubtiere, mit traditionellen Clowns und eben einem besonders starken artistischen Teil.

 
Tatjana Kastein, Rosi Hochegger, Roby Berousek

Nach der Ouvertüre präsentiert zunächst Hans-Ludwig Suppmeier eine der Tigerdressuren von Flavio Togni, deren „Markenzeichen“ ja der weitgehende Verzicht auf Requisiten ist. Vier Podeste für die Tiere mit unterschiedlichen Fellfärbungen und eine Schaukel, auf die sich der Vorführer mit einer Raubkatze wagt, sind bereits die komplette Ausstattung innerhalb des Zentralkäfigs. Ein Fächer mit drei Tieren, der Sprung eines Tigers über drei Artgenossen, Hochsitzer und ein Rückwärtssteiger gehören zu der Trickfolge. „Halb Mensch, halb Tiger“ sind dann die Figuranten in ihrer Kostümierung, die während des Käfigabbaus die Manege bevölkern. Mit einem umfangreichen Wortschwall, die Redelust französischer Sprechstallmeister persiflierend, kündigt Mr. Loyal Kevin Sagau die erste Nummer an, bis er jäh unterbrochen wird – Roby Berousek verliert die Geduld und reißt das Mikrofon für eine knappe Anmoderation an sich, um dann sofort seine gekonnten Balancen auf er freistehenden Leiter zu zeigen. Das nächste Problem ereilt den Mr. Loyal in Form einer Zuschauerin, die unbedingt selbst in der Manege ihr Können zeigen will – sie entpuppt sich als Rosi Hochegger, die dann mit ihren großen und kleinen, quirligen und springenden Hunden für Begeisterung sorgt. Im zweiten Programmteil kehrt sie mit ihrem Bettpferd „Scout“ wieder. Den Auftakt der „Flic Flac-Nummern“ macht Nicolai Kuntz, eingeleitet von vier Tänzerinnen in mystischen Kostümen, mit seiner attraktiven Arbeit am Schwungtrapez. Mit einer Pirouette vom Fershang in den Kniehang am still hängenden Trapez geht es los, ehe in rasanter Abfolge Salti, Pirouetten und Abfaller am weit ausschwingenden Trapez geboten werden. Tatjana Kastein demonstriert bei ihrer Handstand-Equilibristik in bekannter Manier ihr wunderbares Können und ihre Beweglichkeit auf dem schräg gestellten Spiegel. Mit deutlich hellerem Licht und im farbenfrohen Kostüm kommt die Darbietung noch besser zur Geltung. Direktionsgattin Linda Gruss präsentiert einen Achterzug Freiheitspferde in drei Farben, die von ihrem Schwager Lucien Gruss dressiert wurden, um bald ihrer Tochter Laura die Manege zu überlassen – mit Können und großer Ernsthaftigkeit dirigiert die Zwölfjährige dann noch fünf der großen Pferde. Das amerikanisch-spanische Clownsduo Tom und Pepe hat nun seinen ersten Auftritt, bei dem sich ein Logenbesucher beim Hutwerfen beweisen muss. Im zweiten Programmteil kehren die sympathischen und witzigen Spaßmacher als Musiker im Kampf gegen die Tücke des Objekts zurück.


Kevin Gruss, Nathalie und Zdenek Supka, Hans-Ludwig Suppmeier

Direktionssohn Kevin Gruss, bislang in verschiedensten Luftnummern zu sehen, stellt heuer als Pausennummer eine Magic-Show vor. Im großen Stil mit Assistentinnen und Figuranten werden die – zum Teil leider recht durchschaubaren – Großillusionen präsentiert. Auch die Elefantendressur aus dem Hause Togni, gemeinsam vorgeführt von Hans-Ludwig Suppmeier und John Vernuccio, ist zur Eröffnung des zweiten Programmteils eine große Shownummer mit vier berittenen Tieren und Ballett in prächtigen Kostümen. Bigmount, der Spagat zwischen Elefantenköpfen (mit Handschlaufe) und der Vorderhandstand gehören unter anderem zum Repertoire. Jongleur Zdenek Supka ist nun in der vierten Saison mit Arlette Gruss auf Tour und erarbeitet sich Jahr für Jahr neue Variationen seiner Jonglierkünste – heuer wagt er einen koketten Flirt mit seiner Frau Nathalie, die immer wieder Bälle aus seinen vielfältigen Jongliermustern herausgreift und hinzufügt. Bis zu sieben Bälle werden ausdauernd jongliert.


Duo Varnas, Alejandro Vanegas, Larissa Kastein

Die letzten vier Nummern des Programms stammen wiederum von Flic Flac. Den Auftakt macht hier das Duo Varnas, Miroslav Toskov und Nicolay Dobrovolov, mit seiner ungemein kraftvollen Kombination von Hand-auf-Hand-Akrobatik und Strapaten. Ihnen folgen die acht Hasardeure in der Motorradkugel, die nach dem großen Erfolg des Vorjahres prolongiert wurden. Zu dritt und zu fünft, auf einander kreuzenden Bahnen, geht es durch die Kugel, dann schließlich zu acht: sieben Fahrer auf zwei Bahnen, die vom achten Fahrer noch gekreuzt werden, während die Maschinen in fast völliger Dunkelheit rot und blau leuchten. Sensationell. Aus dem Publikumsraum taucht nun Larissa Kastein auf – ein „Supermodel“ in extravaganter Robe, bestürmt von Fans und Fotografen, beschützt von Bodyguards. Eingeleitet von dieser Szene, präsentiert Larissa Kastein ihren bekannten, erotisch-lasziven Pole-Dance. Dieser ist hier noch einmal ein ruhigerer Moment, ehe mit dem Todesrad des Duo Vanegas die zweite Sensation folgt – Seilspringen, Blindlauf, meterhohe Sprünge und schließlich der Salto auf dem Außenrad sind die riskanten Highlights dieser erstklassigen Nummer. Im kurz gehaltenen Finale, das Ensemble erscheint komplett in aufeinander abgestimmten Kostümen in Blautönen, animiert Kevin Sagau das Publikum zu einer Art Fangesang. Es folgen Standing Ovations.

Die Kombination aus einem ganz klassischen, sehr starken Programm und der exzellenten Präsentation macht „L’autre Monde“ nicht nur zum Besten, was wir bei Arlette Gruss in den letzten Jahren gesehen haben, sondern zu einem der zirzensischen Großereignisse in der Saison 2012 überhaupt. Traditioneller Circus direkt am Puls der Zeit – diese Show muss man gesehen haben.

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Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Erber