Und doch, einer
fehlt: Robert Ronday. Nicht nur, dass er einfach nicht da ist.
Zumindest ich habe ihn tatsächlich vermisst. Er war in den
Renz-Produktionen immer der „Herr Direktor“, der – wenn das
Programmotto es zuließ – den Circusdirektor in Frack sowie
Zylinder gab und somit diesen Circus präsentierte, ja
verkörperte.
Milko und Frenky
Natürlich wissen
wir, dass Robert Ronday nicht der alleinige Direktor war.
Vielmehr hat nach dem Tod von Diana und Herman Renz vor nunmehr
16 Jahren ein mehrköpfiges Team diesen Nederlands
Nationaalcircus übernommen. Ein Mitglied aus diesem Kreis steht
weiterhin in der Manege. Es handelt sich um Milko, der wie
gewohnt mit Frenky für die komischen Momente sorgt. Ferner
sprechen sie die Ansagen aus dem Off. Gemeinsam erscheinen sie
zu Beginn im Publikum, mehr oder weniger beladen mit Koffern.
Milkos Exemplar enthält die „Sensationen“, die den Titel des
diesjährigen Programms bilden. Als dieser gen Kuppel
entschwindet, öffnen sie den Koffer von Frenky, bei welchem es
sich offensichtlich um Artistengepäck handelt. Die Mitwirkenden
kommen in Straßenkleidung vom Zuschauerraum in die Manege und
verwandeln sich in Circuskünstler. So ergibt sich ein buntes
Charivari, welches wunderbar auf die folgenden rund 2,5 Stunden
(inklusive Pause) einstimmt. Es ist eine jener Geschichten, mit
denen der Circus Herman Renz seine Programme einen Rahmen gibt,
ohne sich aber dabei allzu sehr von einem hochwertig
aufgemachten Nummernprogramm zu entfernen.
Duo Axt, Michel
Jarz
Zu einem solchen
passt perfekt die erste Nummer, die dem Duo Axt gehört. Dabei
dreht Daniel auf einer Plattform seine artistischen Runden auf
verschiedenen Variationen des Einrads. Seine Frau assistiert
nicht nur, sondern begibt sich ebenfalls, quasi als Beifahrerin,
mit auf Tour. Im zweiten Teil erleben wir dann Elisabeth Axt und
ihre traumhafte Equilibristikkür mit integrierten
Antipodenspielen, welche sie im Handstand ausführt. Beide
Auftritte dieses sympathischen Ehepaares sind wunderbar
anzusehen. Nachdem sich Frenky mit der Elektrik rumgeschlagen
hat, übernimmt er die Peitschenführung für das vierköpfige
Ballett, welches in Pferdekostümen adrett in die Manege
„reitet“. Als nach dem erneuten Öffnen des roten Vorhangs echte
Pferde in die Manege kommen, nimmt Frenky Reißaus. Spezialist
hierfür ist Michel Jarz, der fünf weiße Araber aus dem Bestand
von Gino Edwards (Pferdepalast) elegant dirigiert. Steiger von
großen und kleinen Pferden runden diese Vorführung ab. Als
Reprise dieser Darbietung Milko im Anschluss zwei kleine
Wildschweine vor. Dabei trägt er gar das gleiche
Kostüm, mit welchem Jarz kurz zuvor die Pferde vorgeführt hat.
Susan Jasters,
Costin Pity, Duo Lumei
Lustig geht es
weiter mit Kapriolen auf einem Trampolin inklusive Sprungturm.
Costin Pity gibt den Requisiteur, der sich zunächst beim Aufbau
seines Arbeitsgeräts tollpatschig anstellt und dann turbulente
Eskapaden darauf vollführt. Seine Salti dreht er nicht nur auf
dem Trampolin, sondern ebenfalls auf dem Sprungbrett. Nach einer
kurzen Einleitung durch das Ballett entschwebt Susan Jasters an
Tüchern gen Circuskuppel. Die ganze Szene ist in rot gehalten
und somit ein wenig „erotisch angehaucht“. Die Tochter des
gleichnamigen Kunstschützenduos macht eine prima Figur und zieht
insbesondere mit den verschiedenen Abfallern die Blicke des
Publikums auf sich. Nachdem gleich fünf Frenkys fröhlich durch
die Manege paradiert sind, geht es Schlag auf Schlag weiter. Das
Duo Lumei wechselt seine Kostüme in ungewöhnlich hoher Frequenz.
Dies gilt für Danut genauso wie für Siona. So viele
Umziehaktionen in nur kurzen Augenblicken bieten wenige Quick
Change-Nummern. Hektisch wird es deswegen aber nicht. Die beiden
Illusionisten verstehen es perfekt, ihre Outfitwechsel
tänzerisch-elegant im spanischen Stil zu verkaufen.
Ballett, Trio
Camadi, Milko und Frenky
Für den
Nervenkitzel vor der Pause und vor dem Finale sorgt das Carlos
Camadi Trio. Im ersten Teil erleben wir sie auf dem Hochseil.
Den Auf- und Abgang nimmt zumindest ein Teil des Teams über das
Schrägseil. Auf dem horizontal gespannten Draht ist eine
3-Personen-Pyramide der Höhepunkt, bei dem Carlos Camadi in der
oberen Etage zunächst auf einem Stuhl sitzt, kurz darauf dann
steht. Hohe Umdrehungszahlen erreichen die drei Hasardeure am
Todesrad. Dort laufen sie mit verbundenen Augen über das
Außenrad, springen Seil und wagen hohe Sprünge. Somit bereiten
sie perfekt die Stimmung für das Finale. Nach der Hochseilnummer
ist aber erstmal Pause. Diese wird originell von einem Quick
Change-Ballett angekündigt. Als wahre Meister der Verwandlung
erweisen sich aber Milko und Frenky, die das Pausenschild dabei
haben.
Tom Dieck junior
Danach ist der
Raubtierkäfig aufgebaut, welcher die zumindest für Insider
interessanteste Darbietung des Programms ankündigt. Nachdem gute
Raubtierdarbietungen in Europa rar geworden sind, sorgte die
Ankündigung einer neuen gemischten Gruppe für Furore. Tom Dieck
junior hat seine Löwengruppe an Tierparks abgegeben und ist nun
mit einer neuen großen Gruppe auf Tournee. Dressiert wurde sie
von James Clubb. Sie besteht aus fünf Tigern, welche zuvor mit
John Illig bei Kinoshita in Japan waren und je zwei weißen Löwen
sowie Ligern. Die Tiere sehen prächtig aus und beherrschen ein
äußerst umfangreiches Repertoire. Zu Beginn bilden sie alle neun
Raubkatzen eine Pyramide. Später zeigen drei Tiger Roll Overs,
zwei Tiere bewegen sich auf bzw. in einem großen „Hamsterrad“
fort. Zudem beherrschen alle Tiere einen Hochsitzer oder das
Aufrichten am Gitter. Zwei der Tiger beweisen zudem, dass sie
sich auch auf den Hinterbeinen fortbewegen können. Die
Vorführung durch Tom Dieck junior ist schon jetzt souverän und
jugendlich-elegant. Diese Raubtiernummer hat definitiv Zukunft.
Dafür spricht zusätzlich die großzügige Unterbringung hinter dem
Chapiteau, in der sich die Tiere sichtlich wohl fühlen.
Skating Jasters,
Andrej Fjodrovs, Finale
Neben den bereits
genannten Nummern sehen wir im zweiten Teil noch Andrej Fjodrovs
mit seinen Tauben verschiedener Rassen. Diese gehorchen
scheinbar wirklich den Kommandos ihres Tierlehrers aufs Wort.
Eine außergewöhnliche Dressurnummer, die zudem optisch eine ganz
besondere Wirkung entfaltet. Beim Auftritt der Skating Jasters
wirbelt nicht nur Jimmy seine Partnerin Susan auf Rollschuhen in
verschiedenen Variationen durch die Luft. Beide spendieren zudem
einem Zuschauer eine „Freifahrt“, die dessen Orientierungssinn
ordentlich durcheinander bringt. Für Komik sorgt zunächst Milko
beim originellen Fangen einer Kartoffel mit Hilfe einer Gabel.
Gut durchdacht ist ebenfalls das Tellerdrehen von Milko und
Frenky. Das Publikum unterstützt, indem es lautstark mitteilt,
welcher Teller gerade dabei ist, abzustürzen. |