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Circus Herman Renz - Tour 2012
www.renz.nl ; 90 Showfotos

Arnhem, 26. Mai 2012: Eigentlich ist alles wie immer. Der Circus Herman Renz steht wunderbar aufgebaut, fast wie aus dem Spielzeugladen, in der glänzenden Mittagssonne. Im Programm gibt es die gewohnte Mischung aus Tierdressuren, Artistik und Clownerie, wie sie einfach zum klassischen Circus gehört. Alle Programmpunkte sind bestens besetzt. Das siebenköpfige Orchester unter der bewährten Leitung von Robert Rzeznik sorgt für einen tollen Sound und die Lichtanlage ist gar komplett erneuert und somit noch aufwendiger als bisher, wenngleich die LEDs an wenigen Stellen ein für meinen Geschmack etwas zu künstliches Licht erzeugen.

Und doch, einer fehlt: Robert Ronday. Nicht nur, dass er einfach nicht da ist. Zumindest ich habe ihn tatsächlich vermisst. Er war in den Renz-Produktionen immer der „Herr Direktor“, der – wenn das Programmotto es zuließ – den Circusdirektor in Frack sowie Zylinder gab und somit diesen Circus präsentierte, ja verkörperte.


Milko und Frenky

Natürlich wissen wir, dass Robert Ronday nicht der alleinige Direktor war. Vielmehr hat nach dem Tod von Diana und Herman Renz vor nunmehr 16 Jahren ein mehrköpfiges Team diesen Nederlands Nationaalcircus übernommen. Ein Mitglied aus diesem Kreis steht weiterhin in der Manege. Es handelt sich um Milko, der wie gewohnt mit Frenky für die komischen Momente sorgt. Ferner sprechen sie die Ansagen aus dem Off. Gemeinsam erscheinen sie zu Beginn im Publikum, mehr oder weniger beladen mit Koffern. Milkos Exemplar enthält die „Sensationen“, die den Titel des diesjährigen Programms bilden. Als dieser gen Kuppel entschwindet, öffnen sie den Koffer von Frenky, bei welchem es sich offensichtlich um Artistengepäck handelt. Die  Mitwirkenden kommen in Straßenkleidung vom Zuschauerraum in die Manege und verwandeln sich in Circuskünstler. So ergibt sich ein buntes Charivari, welches wunderbar auf die folgenden rund 2,5 Stunden (inklusive Pause) einstimmt. Es ist eine jener Geschichten, mit denen der Circus Herman Renz seine Programme einen Rahmen gibt, ohne sich aber dabei allzu sehr von einem hochwertig aufgemachten Nummernprogramm zu entfernen.


Duo Axt, Michel Jarz

Zu einem solchen passt perfekt die erste Nummer, die dem Duo Axt gehört. Dabei dreht Daniel auf einer Plattform seine artistischen Runden auf verschiedenen Variationen des Einrads. Seine Frau assistiert nicht nur, sondern begibt sich ebenfalls, quasi als Beifahrerin, mit auf Tour. Im zweiten Teil erleben wir dann Elisabeth Axt und ihre traumhafte Equilibristikkür mit integrierten Antipodenspielen, welche sie im Handstand ausführt. Beide Auftritte dieses  sympathischen Ehepaares sind wunderbar anzusehen. Nachdem sich Frenky mit der Elektrik rumgeschlagen hat, übernimmt er die Peitschenführung für das vierköpfige Ballett, welches in Pferdekostümen adrett in die Manege „reitet“. Als nach dem erneuten Öffnen des roten Vorhangs echte Pferde in die Manege kommen, nimmt Frenky Reißaus. Spezialist hierfür ist Michel Jarz, der fünf weiße Araber aus dem Bestand von Gino Edwards (Pferdepalast) elegant dirigiert. Steiger von großen und kleinen Pferden runden diese Vorführung ab. Als Reprise dieser Darbietung Milko im Anschluss zwei kleine Wildschweine vor. Dabei trägt er gar das gleiche Kostüm, mit welchem Jarz kurz zuvor die Pferde vorgeführt hat.


Susan Jasters, Costin Pity, Duo Lumei

Lustig geht es weiter mit Kapriolen auf einem Trampolin inklusive Sprungturm. Costin Pity gibt den Requisiteur, der sich zunächst beim Aufbau seines Arbeitsgeräts tollpatschig anstellt und dann turbulente Eskapaden darauf vollführt. Seine Salti dreht er nicht nur auf dem Trampolin, sondern ebenfalls auf dem Sprungbrett. Nach einer kurzen Einleitung durch das Ballett entschwebt Susan Jasters an Tüchern gen Circuskuppel. Die ganze Szene ist in rot gehalten und somit ein wenig „erotisch angehaucht“. Die Tochter des gleichnamigen Kunstschützenduos macht eine prima Figur und zieht insbesondere mit den verschiedenen Abfallern die Blicke des Publikums auf sich. Nachdem gleich fünf Frenkys fröhlich durch die Manege paradiert sind, geht es Schlag auf Schlag weiter. Das Duo Lumei wechselt seine Kostüme in ungewöhnlich hoher Frequenz. Dies gilt für Danut genauso wie für Siona. So viele Umziehaktionen in nur kurzen Augenblicken bieten wenige Quick Change-Nummern. Hektisch wird es deswegen aber nicht. Die beiden Illusionisten verstehen es perfekt, ihre Outfitwechsel tänzerisch-elegant im spanischen Stil zu verkaufen.


Ballett, Trio Camadi, Milko und Frenky

Für den Nervenkitzel vor der Pause und vor dem Finale sorgt das Carlos Camadi Trio. Im ersten Teil erleben wir sie auf dem Hochseil. Den Auf- und Abgang nimmt zumindest ein Teil des Teams über das Schrägseil. Auf dem horizontal gespannten Draht ist eine 3-Personen-Pyramide der Höhepunkt, bei dem Carlos Camadi in der oberen Etage zunächst auf einem Stuhl sitzt, kurz darauf dann steht. Hohe Umdrehungszahlen erreichen die drei Hasardeure am Todesrad. Dort laufen sie mit verbundenen Augen über das Außenrad, springen Seil und wagen hohe Sprünge. Somit bereiten sie perfekt die Stimmung für das Finale. Nach der Hochseilnummer ist aber erstmal Pause. Diese wird originell von einem Quick Change-Ballett angekündigt. Als wahre Meister der Verwandlung erweisen sich aber Milko und Frenky, die das Pausenschild dabei haben.


Tom Dieck junior

Danach ist der Raubtierkäfig aufgebaut, welcher die zumindest für Insider interessanteste Darbietung des Programms ankündigt. Nachdem gute Raubtierdarbietungen in Europa rar geworden sind, sorgte die Ankündigung einer neuen gemischten Gruppe für Furore. Tom Dieck junior hat seine Löwengruppe an Tierparks abgegeben und ist nun mit einer neuen großen Gruppe auf Tournee. Dressiert wurde sie von James Clubb. Sie besteht aus fünf Tigern, welche zuvor mit John Illig bei Kinoshita in Japan waren und je zwei weißen Löwen sowie Ligern. Die Tiere sehen prächtig aus und beherrschen ein äußerst umfangreiches Repertoire. Zu Beginn bilden sie alle neun Raubkatzen eine Pyramide. Später zeigen drei Tiger Roll Overs, zwei Tiere bewegen sich auf bzw. in einem großen „Hamsterrad“ fort. Zudem beherrschen alle Tiere einen Hochsitzer oder das Aufrichten am Gitter. Zwei der Tiger beweisen zudem, dass sie sich auch auf den Hinterbeinen fortbewegen können. Die Vorführung durch Tom Dieck junior ist schon jetzt souverän und jugendlich-elegant. Diese Raubtiernummer hat definitiv Zukunft. Dafür spricht zusätzlich die großzügige Unterbringung hinter dem Chapiteau, in der sich die Tiere sichtlich wohl fühlen.


Skating Jasters, Andrej Fjodrovs, Finale

Neben den bereits genannten Nummern sehen wir im zweiten Teil noch Andrej Fjodrovs mit seinen Tauben verschiedener Rassen. Diese gehorchen scheinbar wirklich den Kommandos ihres Tierlehrers aufs Wort. Eine außergewöhnliche Dressurnummer, die zudem optisch eine ganz besondere Wirkung entfaltet. Beim Auftritt der Skating Jasters wirbelt nicht nur Jimmy seine Partnerin Susan auf Rollschuhen in verschiedenen Variationen durch die Luft. Beide spendieren zudem einem Zuschauer eine „Freifahrt“, die dessen Orientierungssinn ordentlich durcheinander bringt. Für Komik sorgt zunächst Milko beim originellen Fangen einer Kartoffel mit Hilfe einer Gabel. Gut durchdacht ist ebenfalls das Tellerdrehen von Milko und Frenky. Das Publikum unterstützt, indem es lautstark mitteilt, welcher Teller gerade dabei ist, abzustürzen.

Die vier Ballett-Tänzerinnen  leiten das bunte Finale ein, bei dem die Lichtanlage nochmals wahrhaftig brilliert und das Orchester wunderbar unterstützt. Selbstverständlich sind alle Mitwirkenden dabei. Dank des in die Manege zurückgekehrten Koffers von Milko gibt es sogar ein Feuerwerk aus bunten Papierschnipseln. Die Verabschiedung war bislang Sache von Robert Ronday. Jetzt wird sie von Frenky übernommen, der das natürlich ebenfalls prima hinbekommt. Aber es ist eben anderes als sonst. Das fällt auf, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass „Sensations“ eine großartige Show ist, die vortreffliche in die Herman Renz-Tradition der hochwertigen Circusunterhatung passt.       

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Text und Fotos: Stefan Gierisch