So ist es
auch bei Starlight. „Apparté“ bietet keine dichte Abfolge
artistischer Nummern wie im klassischen Circus. Die Artistik ist
eher ein Mittel, um das Motto des Programms zu illustrieren, um
zu erzählen, gleichberechtigt mit Spielszenen, Humor und Tanz.
Diese Elemente halten sich die Waage, auf Tierdressuren wird
verzichtet. Unsachliche Attacken gegen den Tiercircus liegen
Starlight-Direktor Heinrich Gasser jedoch fern. „Wenn die Leute
an der Kasse nach Tieren fragen, dann empfehle ich ihnen immer
einen Besuch im Circus Knie, da sind die Haltung und die
Dressuren auf höchstem Niveau. Und ich sage den Leuten, dass wir
eben etwas anderes machen und sie es sich doch einmal anschauen
sollen.“ Bis 2001 haben die Gassers ohnehin ganz traditionellen
Circus gemacht, dann brachte der älteste Sohn Johnny die Idee
des „neuen Circus“ von seiner artistischen Ausbildung in Kanada
mit nach Hause. Nun blickt man auf „10 Jahre Erneuerung“ zurück.
Inzwischen ist Johnny Gasser bei Soleil und hat gerade mit
seinem Stangenwurf-Trio „White Crow“ eine Vertragsverlängerung
für „Zarkana“ erhalten (demnächst stationär in Las Vegas), sein
jüngerer Bruder Christopher ist im Stück „Quel Cinéma“ in Le
Mans (Frankreich) zu sehen und feilt mit den Frères Taquins an
seiner Arbeit als Komiker, Schwester Jessica studiert inzwischen
Psychologie, arbeitet aber auch im Winterquartier in Porrentruy
an ihrer Schwungtrapez-Darbietung. „Nun ist aktuell keines
unserer Kinder am Unternehmen, aber der moderne Circus ist
geblieben“, fasst Direktorin Jocelyne Gasser augenzwinkernd
zusammen – und zeigt sich tief überzeugt, das Richtige zu tun,
habe der Circus Starlight doch sein ganz eigenes, sein
Theaterpublikum, gefunden. Da sei es auch unerheblich, dass sich
Nock und Starlight in Neuchatel förmlich die Klinke in die Hand
gaben. Ein wichtiges Standbein für Starlight sind jedoch auch
Besuche von Schulklassen, die in der Westschweiz zentral
organisiert werden.
Ensemble
Zurück zur
aktuellen Show: Das wundersame „Appartement“, das mit einigen
Möbelstücken als Kulisse angedeutet wird, wird von einer ganzen
Reihe eigentümlicher Gäste auf- und heimgesucht, über die sein
Bewohner mit der Turmfrisur (Lukas Besuch, Deutschland) oft nur
staunen kann. Die zwei gelungensten, witzigsten, mitreißendsten
Szenen sind das „Lotteriespiel“ und die „Greatest Show on
Earth“. Beide Male entsteigen hier Eindringlinge dem Kühlschrank
der Appartement-Bewohner. Beim absurden Lotteriespiel darf ein
Zuschauer Zahlen aus der Lostrommel ziehen – je nachdem, welche
Nummer er zieht, zeigt einer der in Reih und Glied
aufgestellten, neckisch mit weißer Unterwäsche und
Puschel-Schuhen bekleideten Artisten des Ensembles sein Können.
Ähnlich Schräges spuckt der Kühlschrank dann nach der Pause aus,
wenn ein „klassisches“ Circus-Ensemble mit Kraftmensch,
Jongleur, Rekommandeur usw. in einem Charivari zur „Greatest
Show on Earth“ lädt. Ansonsten dominieren ruhige, melancholische
Szenen, zum Beispiel, wenn Lukas Besuch und Merlin Pohse
(ebenfalls Deutschland) mit jeweils einer ihrer Hände bzw. Füße
einer Puppe Leben verleihen bzw. Pohse später seine Knie und
Unterschenkel zu Puppenfiguren macht, geschminkt und mit
Kostümen versehen, die eine Liebesgeschichte erzählen.
Patrick
Coté, Maxime Yelle, ndrej Batbold und Ganbayar Munkhbat mit
Ensemble
Im
artistischen Bereich bleiben besonders zwei Nummern in
Erinnerung – das kraftvolle Schwungtrapez des Kanadiers Eric
McGill (u.a. diverse Abfaller und Pirouetten) im ersten
Programmteil, das in dem relativ kleinen Chapiteau umso
spektakulärer wirkt, und die ikarischen Spiele als
Schlussnummer. Geradezu klassisch ist die Ikariernummer der
Mongolen Andrej Batbold und Ganbayar Munkhbat, unter anderem mit
Doppelsalto, Pirouetten und einer Kaskade von 30 Flic Flacs,
alles überaus sicher und elegant ausgeführt. Eine Nummer, die
auch jedem klassischen Programm gut zu Gesicht stehen würde. Zu
Beginn des Programms zeigten die Mongolen auch eine
Handstand-Arbeit. Eine interessante Luftnummer in einer
Kombination aus zwei unterschiedlich langen Seilschlaufen (u.a.
Genickhang, Spagat) präsentiert der Kanadier Maxime Yelle, noch
einmal in die Luft geht es mit Emilie Desvergne am Vertikalseil.
Im Cyr-Rad, diesem Moderequisit des zeitgenössischen Circus,
dreht sich hier Patrick Coté. Wie im Vorjahr gehört auch die
Mongolin Naranzul Ganbaatar als Tänzerin und Figurantin zum –
heuer männerlastigen – Ensemble. Professionell in Szene gesetzt
wurde das Programm in einer mehrwöchigen Probenphase von dem
Kreativteam Stefan Hort (Regie), Edgar Zendejas (Choreographie),
Robert Naescher (Lichtdesign), Perrine Biette (Bühnenbild),
Fanny Gautreau (Kostüme) und Aurélie Schwartz (Assistentin
Kostüme). Es ist ein beeindruckend großer Aufwand, der für die
nur gut viermonatige Tournee betrieben wird. |