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Cirque Starlight - Tour 2012
www.circus-starlight.ch ; 40 Showfotos

Neuchatel, 6. April 2012: Die Geschichte des wohl „kuriosesten Appartements der Schweiz“ erzählt der Cirque Starlight in seinem neuen Programm „Apparté“. Damit ist der große Unterschied zwischen dem Theatercircus kanadischer Prägung – wie er bei Starlight geboten wird – und dem klassischen Circus schon genannt. Der klassische Circus präsentiert Tiere, Clowns und Akrobaten in einer unterhaltsamen und glanzvollen Mixtur, aber eine inhaltliche Aussage hat er nicht. Er bietet Spannung, Schönheit und Sensationen um ihrer selbst willen. Der Theatercircus will dagegen mit den Mitteln des Theaters erzählen, zum Nachdenken anregen, Botschaften vermitteln.

So ist es auch bei Starlight. „Apparté“ bietet keine dichte Abfolge artistischer Nummern wie im klassischen Circus. Die Artistik ist eher ein Mittel, um das Motto des Programms zu illustrieren, um zu erzählen, gleichberechtigt mit Spielszenen, Humor und Tanz. Diese Elemente halten sich die Waage, auf Tierdressuren wird verzichtet. Unsachliche Attacken gegen den Tiercircus liegen Starlight-Direktor Heinrich Gasser jedoch fern. „Wenn die Leute an der Kasse nach Tieren fragen, dann empfehle ich ihnen immer einen Besuch im Circus Knie, da sind die Haltung und die Dressuren auf höchstem Niveau. Und ich sage den Leuten, dass wir eben etwas anderes machen und sie es sich doch einmal anschauen sollen.“ Bis 2001 haben die Gassers ohnehin ganz traditionellen Circus gemacht, dann brachte der älteste Sohn Johnny die Idee des „neuen Circus“ von seiner artistischen Ausbildung in Kanada mit nach Hause. Nun blickt man auf „10 Jahre Erneuerung“ zurück. Inzwischen ist Johnny Gasser bei Soleil und hat gerade mit seinem Stangenwurf-Trio „White Crow“ eine Vertragsverlängerung für „Zarkana“ erhalten (demnächst stationär in Las Vegas), sein jüngerer Bruder Christopher ist im Stück „Quel Cinéma“ in Le Mans (Frankreich) zu sehen und feilt mit den Frères Taquins an seiner Arbeit als Komiker, Schwester Jessica studiert inzwischen Psychologie, arbeitet aber auch im Winterquartier in Porrentruy an ihrer Schwungtrapez-Darbietung. „Nun ist aktuell keines unserer Kinder am Unternehmen, aber der moderne Circus ist geblieben“, fasst Direktorin Jocelyne Gasser augenzwinkernd zusammen – und zeigt sich tief überzeugt, das Richtige zu tun, habe der Circus Starlight doch sein ganz eigenes, sein Theaterpublikum, gefunden. Da sei es auch unerheblich, dass sich Nock und Starlight in Neuchatel förmlich die Klinke in die Hand gaben. Ein wichtiges Standbein für Starlight sind jedoch auch Besuche von Schulklassen, die in der Westschweiz zentral organisiert werden.


Ensemble 

Zurück zur aktuellen Show: Das wundersame „Appartement“, das mit einigen Möbelstücken als Kulisse angedeutet wird, wird von einer ganzen Reihe eigentümlicher Gäste auf- und heimgesucht, über die sein Bewohner mit der Turmfrisur (Lukas Besuch, Deutschland) oft nur staunen kann. Die zwei gelungensten, witzigsten, mitreißendsten Szenen sind das „Lotteriespiel“ und die „Greatest Show on Earth“. Beide Male entsteigen hier Eindringlinge dem Kühlschrank der Appartement-Bewohner. Beim absurden Lotteriespiel darf ein Zuschauer Zahlen aus der Lostrommel ziehen – je nachdem, welche Nummer er zieht, zeigt einer der in Reih und Glied aufgestellten, neckisch mit weißer Unterwäsche und Puschel-Schuhen bekleideten Artisten des Ensembles sein Können. Ähnlich Schräges spuckt der Kühlschrank dann nach der Pause aus, wenn ein „klassisches“ Circus-Ensemble mit Kraftmensch, Jongleur, Rekommandeur usw. in einem Charivari zur „Greatest Show on Earth“ lädt. Ansonsten dominieren ruhige, melancholische Szenen, zum Beispiel, wenn Lukas Besuch und Merlin Pohse (ebenfalls Deutschland) mit jeweils einer ihrer Hände bzw. Füße einer Puppe Leben verleihen bzw. Pohse später seine Knie und Unterschenkel zu Puppenfiguren macht, geschminkt und mit Kostümen versehen, die eine Liebesgeschichte erzählen.


Patrick Coté, Maxime Yelle, ndrej Batbold und Ganbayar Munkhbat mit Ensemble

Im artistischen Bereich bleiben besonders zwei Nummern in Erinnerung – das kraftvolle Schwungtrapez des Kanadiers Eric McGill (u.a. diverse Abfaller und Pirouetten) im ersten Programmteil, das in dem relativ kleinen Chapiteau umso spektakulärer wirkt, und die ikarischen Spiele als Schlussnummer. Geradezu klassisch ist die Ikariernummer der Mongolen Andrej Batbold und Ganbayar Munkhbat, unter anderem mit Doppelsalto, Pirouetten und einer Kaskade von 30 Flic Flacs, alles überaus sicher und elegant ausgeführt. Eine Nummer, die auch jedem klassischen Programm gut zu Gesicht stehen würde. Zu Beginn des Programms zeigten die Mongolen auch eine Handstand-Arbeit. Eine interessante Luftnummer in einer Kombination aus zwei unterschiedlich langen Seilschlaufen (u.a. Genickhang, Spagat) präsentiert der Kanadier Maxime Yelle, noch einmal in die Luft geht es mit Emilie Desvergne am Vertikalseil. Im Cyr-Rad, diesem Moderequisit des zeitgenössischen Circus, dreht sich hier Patrick Coté. Wie im Vorjahr gehört auch die Mongolin Naranzul Ganbaatar als Tänzerin und Figurantin zum – heuer männerlastigen – Ensemble. Professionell in Szene gesetzt wurde das Programm in einer mehrwöchigen Probenphase von dem Kreativteam Stefan Hort (Regie), Edgar Zendejas (Choreographie), Robert Naescher (Lichtdesign), Perrine Biette (Bühnenbild), Fanny Gautreau (Kostüme) und Aurélie Schwartz (Assistentin Kostüme). Es ist ein beeindruckend großer Aufwand, der für die nur gut viermonatige Tournee betrieben wird.

Der Cirque Starlight hat sich mit „Apparté“ noch stärker zum Theater bekannt und noch weiter vom klassischen Circus entfernt als in den Jahren zuvor. Wir würden uns mehr Artistik und weniger ruhige Momente wünschen, doch das ist wohl auch die Sicht der Traditionalisten. Starlight bietet freilich Qualität, aber auf andere Weise als der klassische Circus, für ein anderes Publikum, und leistet damit seinen eigenen Beitrag zur unendlichen Vielfalt zirzensich geprägter Kunst.

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Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Erber