Aber eine
Aufmachung, die alles andere als traditionell ist. Man
kann schwer erahnen, was im Kopf von Gilbert Gruss vorgegangen ist, als
er das Programm 2013 erdachte. Muss man aber auch nicht. Vielmehr sollte
man sich darauf einlassen und spüren, welche Emotionen von „Symphonik“
ausgehen. Dann spürt man, dass hier ein großer Liebhaber des Circus am
Werk ist. Genau darum geht es. Nicht denken, sondern sich darauf
einlassen, erleben, genießen. Dann entfaltet diese Show ihre ganze
Wirkung, welche einfach nur überwältigend ist. Hier wird der klassische
Circus mit all seinen Emotionen gefeiert. Ganz so, wie ich es in dieser
Saison bislang nur beim Schweizer Nationalcircus Knie erlebt habe.
Orchester unter der
Leitung von Sergei Iorcu
Ein
wichtiger Faktor ist dabei natürlich die Gesamtinszenierung. Das von
Julien Lhomme orchestrierte Licht ist fantastisch. Ganz so, wie wir es
seit vielen Jahren von diesem Circus kennen. Dazu die Musik, die diesem
Programm den Namen gegeben hat. Sie wird in perfekter Lautstärke
eingespielt und ist nahezu immer äußerst eingängig. Erst zum Schluss
hin wird es richtig rockig. Die akustische Untermalung trägt einen
quasi durch den Abend. Schade nur, dass sie nur zu einem gewissen
Anteil vom große Orchester (Leitung: Sergei Iorcu) auf dem prächtigen
Artisteneingang kommt. Sehr oft wird durch die Konserve ergänzt bzw.
ganz auf sie zurückgegriffen. Dank einer äußerst professionellen
Abstimmung hört man es kaum. Dennoch ist es ein Wermutstropfen,
wenngleich es zum Glück der einzige bleibt.
Pepe, Hubertus Wawra, Hadrien Trigance
Denn
auch die gezeigten Nummern machen durchweg Spaß. Hauptverantwortliche
in Sache Spaß sind im Circus per Definition die Clowns. Aus dem Vorjahr
wurden Tom und Pepe prolongiert. Und sie gefallen mir nochmals besser
als 2012. Dabei sind ihre beiden Hauptauftritte sehr gegensätzlich. Im
ersten kommen sie als singende Altstars dank einer Dame aus dem
Publikum zu einem Baby, mit dem sie – durchaus unfreiwillig – größere
Probleme haben. Die herrlich gespielte Szene mündet in einem kräftigen
Urinstrahl des Jüngsten. Viel feiner ist ihr Auftritt im zweiten Teil.
Da richten sie sich als Tippelbrüder auf einer Parkbank ein. Diese
Szene ist äußerst kreativ, gefühlvoll und wird hervorragend gespielt.
Somit beherrschen der Amerikaner und der Spanier die lauten ebenso wie
die leisen Töne. Schön anzusehen ist ebenfalls ihr warm up, bei dem sie
Sonnenblumen auf die Piste stellen und dann mittels Bewässerung
pflegen. Die Verbots-, genauso wie kurz danach die Begrüßungsansage
übernimmt Mehdi Rieben. Bei ersterer wird der 30-jährige Schweizer
gleich von einem renitenten Raucher gestört. Es ist Hubertus Wawra. Der
von Flic Flac bekannte „Master of Hellfire“ wird als weiterer Begleiter
durch den Abend so gleich eingeführt. Er hat im weiteren Verlauf drei
Auftritte. Zunächst als Feuerspucker mit abgefahrenen Ideen und
Requisiten wie einem Flammenwerfer oder dem Entzünden von
Wäscheklammern, die auf seinen Brustwarzen sitzen. Zwischen den
einzelnen Tricks zieht er sich gerne mal etwas von dem weißen Pulver
durch die Nase, das in einem großen Glas reichlich zu Verfügung steht.
Später fährt er mit seinem „Bunny-Checker“, einem rosafarbenen Bagger
mit Hasenohren, durch die Manege. Richtig „Hardcore“ wird es dann bei
seiner wilden Feuershow, in der er mittels Requisiten aus dem Baumarkt
einen eindrucksvollen Funkenflug inszeniert. Bei seinen Nummern
parliert er französisch, englisch und deutsch. Hadrien Trigance
schließlich begleitet uns als Pierrot durch die Show. Und er erfüllt
seine Rolle wirklich ganz klassisch, sorgt somit für ruhige, feine
Szenen.
Laura-Maria Gruss, Tom Dieck junior, John Vernuccio
Wunderschön
ist sein Spiel auf der Concertina, während Laura-Maria Gruss drei
Friesen dirigiert. Wenngleich noch nicht alles perfekt läuft, ist
der erst 14-jährigen Tochter von Linda und Gilbert Gruss Respekt zu
zollen. Mit großem Eifer, viel Ehrgeiz und einer schon jetzt tollen
Manegenpräsenz präsentiert sie die am Ende sechs Pferde quasi im
Alleingang. Circusnachwuchs also, wie man ihn sich wünscht. Von
Laura-Maria Gruss werden wir ganz sicher noch einiges erwarten dürfen.
Den Sprung zur kompletten Selbständigkeit hat Tom Dieck junior bereits
geschafft. Der Sohn von Gilian und Tom Dieck präsentiert sehr souverän
die große gemischte Raubtiergruppe aus der Schule von James Clubb. Es
sind prächtige weiße Löwen, Liger und Tiger, die vielfältige Tricks auf
Lager haben. Etwas das Balancieren auf einem Rad oder die große
Pyramide zu Beginn. John Vernuccio komplettiert die Riege der
Tierlehrer. Die Exotendressur mit Lamas, Kamelen, Zebras und Rindern
hat in erster Linie Schauwert. Weitaus trickreicher ist die Vorführung
von vier indischen Elefanten aus dem Hause Togni, die eine schöne
Auswahl aus ihrem großen Repertoire zeigen. Zu erwähnen sind hier zudem
die wunderbaren Kostüme der Reiterinnen sowie Figuranten bei der
Einleitung.
Duo Serjo, Nicol Nicols,
GruppenjonglageDieses
Entree zur Elefantennummer ist ein gelungenes Beispiel für die des
öfteren im Laufe der Show zu findenden Szenen mit einem Großteil des
Ensembles in phantasievollen Kostümen. Einige dieser Outfits kennen wir
bereits, andere sind neu. Mit dem Titel „Symphonik“ wird eben nicht nur
auf die Musik abgehoben, sondern ebenfalls auf die Ensembleleistung.
„Ein harmonisches Miteinander von Dingen, die sich perfekt ergänzen“,
lautet die zugehörige Übersetzung im Programmheft. Das Duo Serjo etwa
erhält zur Einleitung eine Baustellenszene. In weißen Overalls und
Helmen wird gewerkelt, bevor die beiden kräftigen Artisten ihre
Partner-Equilibristik arbeiten. Dies teilweise auf einer aus der Mitte
des erhöhten Manegenbodens hinauffahrenden Rundbühne. Spanischen Tanz
bekommen wir zu sehen, bevor Nicol Nicols als stilisierter Matador über
das Drahtseil läuft. Spektakulär sind immer wieder sein Sprung durch
einen mit Messern besetzten Feuerreifen sowie Rückwärts- und Vorwärtssalto. Für die Gruppenjonglagen haben
sich verschiedene Artisten zusammengefunden, die schon länger mit dem
Cirque Arlette Gruss verbunden sind. Zunächst wirft Abendregisseur
Zdenek Supka leuchtende Bälle in einem Dreieck aus Plexiglas. Bei den
folgenden Jonglagen gibt Roby Berousek den Ton an, dessen Partnerin
Linda Biasini eine Schwägerin von Direktor Gilbert Gruss ist. Im
Zusammenspiel mit vier Damen in originellen Kostümen fliegen die Keulen
sehr variantenreich durch die Luft.
Flying Regio
Gewohnt,
gemeinsam zu arbeiten, sind natürlich mehr oder weniger „feste“
Artistengruppen. Die Flying Regio, früher waren sind unter anderem bei
Medrano in Frankreich und Nock in der Schweiz, zeigen am Flugtrapez
sehr flüssig ein ausgesprochen großes Repertoire. Ihr Apparat besteht
zusätzlich aus einem Fangstuhl, der sich auf gleicher Höhe wie die
Aufhängung des Trapezes befindet. Der Aufbau des Requisits entspricht
somit dem Trapez der vor vielen Jahren bei Barum zu sehenden Flying Rodleighs.
Neben dem Dreifachen mit verbundenen Augen sehen wir als Höhepunkt
außerdem eine Passage. Aus der Mongolei kommt die Truppe Zola. Die zehn
jungen Männer bestreiten Auftakt- und Schlussnummer. Zunächst werfen
sie sich bei ihren Handvoltigen gegenseitig zu mehrstöckigen
Menschentürmen in die Luft. Vor dem Finale nutzen sie dazu ein
Schleuderbrett. Nach eleganten Sprüngen landen sie abwechselnd auf
einer Matte, dem Rücken des Partners oder einem auf einer Perchestange
befestigten Sessel. Damit hat dieses Programm seine große Truppe, die
zudem noch elegant tolle Artistik bietet. Nicht dabei waren zumindest
an diesem Abend die Cuba Boys am Russischen Barren. So ist es an Kevin
Gruss, den artistischen Part komplett zu machen. In diesem Jahr tut der
vielseitige Sohn von Gilbert Gruss dies mit einer im wahrsten Sinne des
Wortes „abgefahrenen“ Show am
Rhönrad.
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