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Cirque Arlette Gruss - Tour 2013
www.cirque-gruss.com ; 100 Showfotos

Strasbourg, 1. Juni 2013: Noch vor ein paar Jahren war es relativ einfach, die Produktionen des Cirque Arlette Gruss zu verstehen. Bei „Carnaval“ wurde ein venezianischer Karneval gefeiert, in „FantAsie“ gab es ein wunderschön gestaltetes asiatisches Grundmotiv. Das ist nun anders. Die klare Linie ist – zumindest ohne sich tiefer mit dem Werk zu befassen – nicht so leicht zu finden. Bei „Symphonik“ darf man das einmal mehr erleben. Es gibt einen tanzenden „Monsieur Loyal“, ein Pierrot ist ein weiterer Begleiter, der Master of Hellfire sorgt für „Hardcore“. Es gibt alle Elemente des klassischen Circus.

Aber eine Aufmachung, die alles andere als traditionell ist. Man kann schwer erahnen, was im Kopf von Gilbert Gruss vorgegangen ist, als er das Programm 2013 erdachte. Muss man aber auch nicht. Vielmehr sollte man sich darauf einlassen und spüren, welche Emotionen von „Symphonik“ ausgehen. Dann spürt man, dass hier ein großer Liebhaber des Circus am Werk ist. Genau darum geht es. Nicht denken, sondern sich darauf einlassen, erleben, genießen. Dann entfaltet diese Show ihre ganze Wirkung, welche einfach nur überwältigend ist. Hier wird der klassische Circus mit all seinen Emotionen gefeiert. Ganz so, wie ich es in dieser Saison bislang nur beim Schweizer Nationalcircus Knie erlebt habe.


Orchester unter der Leitung von Sergei Iorcu

Ein wichtiger Faktor ist dabei natürlich die Gesamtinszenierung. Das von Julien Lhomme orchestrierte Licht ist fantastisch. Ganz so, wie wir es seit vielen Jahren von diesem Circus kennen. Dazu die Musik, die diesem Programm den Namen gegeben hat. Sie wird in perfekter Lautstärke eingespielt und ist nahezu immer äußerst eingängig. Erst zum Schluss hin wird es richtig rockig. Die akustische Untermalung trägt einen quasi durch den Abend. Schade nur, dass sie nur zu einem gewissen Anteil vom große Orchester (Leitung: Sergei Iorcu) auf dem prächtigen Artisteneingang kommt. Sehr oft wird durch die Konserve ergänzt bzw. ganz auf sie zurückgegriffen. Dank einer äußerst professionellen Abstimmung hört man es kaum. Dennoch ist es ein Wermutstropfen, wenngleich es zum Glück der einzige bleibt.


Pepe, Hubertus Wawra, Hadrien Trigance

Denn auch die gezeigten Nummern machen durchweg Spaß. Hauptverantwortliche in Sache Spaß sind im Circus per Definition die Clowns. Aus dem Vorjahr wurden Tom und Pepe prolongiert. Und sie gefallen mir nochmals besser als 2012. Dabei sind ihre beiden Hauptauftritte sehr gegensätzlich. Im ersten kommen sie als singende Altstars dank einer Dame aus dem Publikum zu einem Baby, mit dem sie – durchaus unfreiwillig – größere Probleme haben. Die herrlich gespielte Szene mündet in einem kräftigen Urinstrahl des Jüngsten. Viel feiner ist ihr Auftritt im zweiten Teil. Da richten sie sich als Tippelbrüder auf einer Parkbank ein. Diese Szene ist äußerst kreativ, gefühlvoll und wird hervorragend gespielt. Somit beherrschen der Amerikaner und der Spanier die lauten ebenso wie die leisen Töne. Schön anzusehen ist ebenfalls ihr warm up, bei dem sie Sonnenblumen auf die Piste stellen und dann mittels Bewässerung pflegen. Die Verbots-, genauso wie kurz danach die Begrüßungsansage übernimmt Mehdi Rieben. Bei ersterer wird der 30-jährige Schweizer gleich von einem renitenten Raucher gestört. Es ist Hubertus Wawra. Der von Flic Flac bekannte „Master of Hellfire“ wird als weiterer Begleiter durch den Abend so gleich eingeführt. Er hat im weiteren Verlauf drei Auftritte. Zunächst als Feuerspucker mit abgefahrenen Ideen und Requisiten wie einem Flammenwerfer oder dem Entzünden von Wäscheklammern, die auf seinen Brustwarzen sitzen. Zwischen den einzelnen Tricks zieht er sich gerne mal etwas von dem weißen Pulver durch die Nase, das in einem großen Glas reichlich zu Verfügung steht. Später fährt er mit seinem „Bunny-Checker“, einem rosafarbenen Bagger mit Hasenohren, durch die Manege. Richtig „Hardcore“ wird es dann bei seiner wilden Feuershow, in der er mittels Requisiten aus dem Baumarkt einen eindrucksvollen Funkenflug inszeniert. Bei seinen Nummern parliert er französisch, englisch und deutsch. Hadrien Trigance schließlich begleitet uns als Pierrot durch die Show. Und er erfüllt seine Rolle wirklich ganz klassisch, sorgt somit für ruhige, feine Szenen.


Laura-Maria Gruss, Tom Dieck junior, John Vernuccio

Wunderschön ist sein Spiel auf der Concertina, während Laura-Maria Gruss drei Friesen dirigiert. Wenngleich noch nicht alles perfekt läuft, ist der erst 14-jährigen Tochter von Linda und Gilbert Gruss Respekt zu zollen. Mit großem Eifer, viel Ehrgeiz und einer schon jetzt tollen Manegenpräsenz präsentiert sie die am Ende sechs Pferde quasi im Alleingang. Circusnachwuchs also, wie man ihn sich wünscht. Von Laura-Maria Gruss werden wir ganz sicher noch einiges erwarten dürfen. Den Sprung zur kompletten Selbständigkeit hat Tom Dieck junior bereits geschafft. Der Sohn von Gilian und Tom Dieck präsentiert sehr souverän die große gemischte Raubtiergruppe aus der Schule von James Clubb. Es sind prächtige weiße Löwen, Liger und Tiger, die vielfältige Tricks auf Lager haben. Etwas das Balancieren auf einem Rad oder die große Pyramide zu Beginn. John Vernuccio komplettiert die Riege der Tierlehrer. Die Exotendressur mit Lamas, Kamelen, Zebras und Rindern hat in erster Linie Schauwert. Weitaus trickreicher ist die Vorführung von vier indischen Elefanten aus dem Hause Togni, die eine schöne Auswahl aus ihrem großen Repertoire zeigen. Zu erwähnen sind hier zudem die wunderbaren Kostüme der Reiterinnen sowie Figuranten bei der Einleitung.

Duo Serjo, Nicol Nicols, Gruppenjonglage

Dieses Entree zur Elefantennummer ist ein gelungenes Beispiel für die des öfteren im Laufe der Show zu findenden Szenen mit einem Großteil des Ensembles in phantasievollen Kostümen. Einige dieser Outfits kennen wir bereits, andere sind neu. Mit dem Titel „Symphonik“ wird eben nicht nur auf die Musik abgehoben, sondern ebenfalls auf die Ensembleleistung. „Ein harmonisches Miteinander von Dingen, die sich perfekt ergänzen“, lautet die zugehörige Übersetzung im Programmheft. Das Duo Serjo etwa erhält zur Einleitung eine Baustellenszene. In weißen Overalls und Helmen wird gewerkelt, bevor die beiden kräftigen Artisten ihre Partner-Equilibristik arbeiten. Dies teilweise auf einer aus der Mitte des erhöhten Manegenbodens hinauffahrenden Rundbühne. Spanischen Tanz bekommen wir zu sehen, bevor Nicol Nicols als stilisierter Matador über das Drahtseil läuft. Spektakulär sind immer wieder sein Sprung durch einen mit Messern besetzten Feuerreifen sowie Rückwärts- und Vorwärtssalto. Für die Gruppenjonglagen haben sich verschiedene Artisten zusammengefunden, die schon länger mit dem Cirque Arlette Gruss verbunden sind. Zunächst wirft Abendregisseur Zdenek Supka leuchtende Bälle in einem Dreieck aus Plexiglas. Bei den folgenden Jonglagen gibt Roby Berousek den Ton an, dessen Partnerin Linda Biasini eine Schwägerin von Direktor Gilbert Gruss ist. Im Zusammenspiel mit vier Damen in originellen Kostümen fliegen die Keulen sehr variantenreich durch die Luft.


Flying Regio

Gewohnt, gemeinsam zu arbeiten, sind natürlich mehr oder weniger „feste“ Artistengruppen. Die Flying Regio, früher waren sind unter anderem bei Medrano in Frankreich und Nock in der Schweiz, zeigen am Flugtrapez sehr flüssig ein ausgesprochen großes Repertoire. Ihr Apparat besteht zusätzlich aus einem Fangstuhl, der sich auf gleicher Höhe wie die Aufhängung des Trapezes befindet. Der Aufbau des Requisits entspricht somit dem Trapez der vor vielen Jahren bei Barum zu sehenden Flying Rodleighs. Neben dem Dreifachen mit verbundenen Augen sehen wir als Höhepunkt außerdem eine Passage. Aus der Mongolei kommt die Truppe Zola. Die zehn jungen Männer bestreiten Auftakt- und Schlussnummer. Zunächst werfen sie sich bei ihren Handvoltigen gegenseitig zu mehrstöckigen Menschentürmen in die Luft. Vor dem Finale nutzen sie dazu ein Schleuderbrett. Nach eleganten Sprüngen landen sie abwechselnd auf einer Matte, dem Rücken des Partners oder einem auf einer Perchestange befestigten Sessel. Damit hat dieses Programm seine große Truppe, die zudem noch elegant tolle Artistik bietet. Nicht dabei waren zumindest an diesem Abend die Cuba Boys am Russischen Barren. So ist es an Kevin Gruss, den artistischen Part komplett zu machen. In diesem Jahr tut der vielseitige Sohn von Gilbert Gruss dies mit einer im wahrsten Sinne des Wortes „abgefahrenen“ Show am Rhönrad.

Zum Finale herrscht, wie nahezu den gesamten Abend über, eine grandiose Stimmung unter dem Dach der „Cathédrale“, jener genialen Zeltkonstruktion des Cirque Arlette Gruss. Das Publikum feiert dieses Programm, dieses Spektakel begeistert. Auch die Zuschauer scheinen sich nicht an diesen (vermeintlichen?) Widersprüchen zu stören – sie genießen einfach.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch