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Budapest - Ungarische Circusstars 2013
www.fnc.hu

Budapest, 23. Februar 2013: Der Circus ist Teil der Kultur und sollte als solche anerkannt werden. Was hierzulande viele Circusbetreiber und -freunde zu Recht, bislang aber vergeblich fordern, wurde in diesem Jahr in Ungarn umgesetzt. Der nationale Circus- und Varietéverband Maciva wurde zum Jahr 2013 hin offiziell von politischer Seite zur nationalen Institution aufgewertet und steht nun auf einer Stufe mit Nationaltheater und Staatsoper. Aber das laufende Jahr hat noch andere Veränderungen für die ungarische Circus-Landschaft mitgebracht. Seit November ist nun auch offiziell Joseph Richter der Direktor des Budapester Circusbaus. Der Direktionswechsel ist spür- und vor allem sichtbar.

Nach dem die Kristofs in den letzten Jahren mit viel Aufwand  den eigentlichen Spielraum, u.a. durch neue Sitzplätze und aufwendige Lichtanlagen, modernisiert hatten, erstrahlen nun auch weite Teile des Foyers im neuen Glanz. Wo vorher veraltete Holzpaneele die Besucher erwarteten, finden sich nun edle, in dunklem Rot gehaltene Säulen mit Spiegelelementen. Dieses Farbschema wurde auch für die ebenfalls neu gestaltete Restauration übernommen. Oberhalb der Verkaufstheken befinden sich nun zahlreiche Bildschirme, die mit Informationen und Showimpressionen aufwarten. Im kompletten Bau sind zudem wechselnde Ausstellungen installiert, im Moment mit circensischen Motiven rund um das Thema „Realität und Illusion“. Eine Änderung betrifft dann doch den Innenraum. Der Gummibelag in der Manege ist einer Sägemehl-Sand-Mixtur gewichen.


Florian, Edith und Joseph jr. Richter

Grund dafür sind die zahlreichen Tierdressuren in der aktuellen Produktion „Ungarische Circusstars“, der – im Grunde – ersten eigenen unter der Regie von Joseph Richter. Jener hat für das Programm zugleich seine Familie um sich versammelt. Der jüngere Sohn, Joseph Richter jr., präsentiert vier Kamele und den familieneigenen Elefanten Sandra in einer gemeinsamen Laufarbeit. Dabei überrascht immer wieder die Selbstständigkeit der Dickhäuterdame, so zum Beispiel beim gemeinsamen Fächer oder beim Gegenlauf. Abschließend umrunden zwei schottische Hochlandrinder die auf Podesten stehenden Kamele, und zwei ungarische Steppenrinder überspringen die abliegenden Wüstenschiffe. Dieser Dressurblock ist als orientalische Phantasie aufgebaut, mit prächtigen Decken für die Tiere, Beduinen und Haremsdamen. Jenes Ballett, insgesamt acht Tänzerinnen, unterstützt die verschiedensten Darbietungen und war (zumindest in Teilen) bei der „Horse Evolution Show“ mit von der Partie. Von dort stammen auch die weiteren Dressuren, allesamt mit Florian Richter im Mittelpunkt. Er ist der ältere Sohn Joseph Richters und Ungarns uneingeschränkter „Circusstar“. Zurzeit stellt er seine Abläufe um, so dass er zumeist mit weniger Tieren als gewohnt arbeitet. Insgesamt aber laufen diese wieder wesentlich besser als auf Tournee. Dort hatten offensichtlich die Proben unter den anderen Verpflichtungen eines „Neu-Direktors“ gelitten. Hier nun zeigt sich wieder das gewohnte Bild: Herrliche, ruhige Tiere mit einem strahlenden Vorführer in der Mitte. Hervorragend ist gleich der erste, komplett neu zusammengestellte Auftritt: das achtköpfige Ballett tanzt in folkloristischen Kostümen um einen Brunnen, es gesellen sich vier Husaren und Florians Sohn Kevin Richter (zwölf Jahre) dazu. Florian Richter, seine Frau Edith und Bruder Joseph jr. reiten auf Friesen hinein und zeigen die Hohe Schule. Danach zeigen die Husaren und Kevin Richter einen Fächer auf fünf berittenen Friesen, ehe wieder Florian und Joseph jr. mit einer Hohen Schule am langen Zügel und Edith Richter im Dogcart, inkl. Steiger, dieses Bild schließen.


Richter-Truppe, Florian Richter

Vor der Pause folgt dann die bekannte Freiheit in Schwarz-Weiß. Sie ist allerdings auf fünf Tiere, drei Araber und zwei Friesen, zusammengeschrumpft. Dennoch werden alle bekannten Elemente gezeigt. Mit dem Flechten dreier Tiere und einzelnen Steigern geht es dann in die Unterbrechung. Anschließend ist erneut Florian Richter an der Reihe, nun mit weiteren Variationen (Tandem, nebenstehend angeleitet, Stehendreiterei) der Hohen Schule. Dieser Block ersetzte in der besuchten Vorstellung, der dritten an diesem Tag, die ungarische Post von Edith Richter. Schlussnummer ist dann die in Monte Carlo mit Gold prämierte Jockeyreiterei der Richter-Truppe. Laut Programmheft, in dem die Texte nun in ungarischer und englischer Sprache abgedruckt sind, ist die Nummer fünf Jahre nach dem Monaco-Gewinn zum ersten Mal im Budapester Circusbau zu sehen. Acht Akteure gehören aktuell zur Besetzung. Zu den Spitzenleistungen gehören nach wie vor der Salto vom ersten zum dritten Pferd, Handvoltigen und Sprünge über mehrere Pferde und das gemeinsame Reiten zum Abschluss. Auch Kevin Richter ist bereits in die Nummer eingebaut, dreht in den Händen seines Vaters bereits Saltos auf dem Pferderücken und lässt sich (longengesichert) via Handvoltigen von Pferd zu Pferd katapultieren.


Golden Power, "The Arc", Costin Pity

Trotz dieser herausragenden Leistungen, das Highlight des Programms ist ein artistisches Ausrufezeichen - durch den Aufbau bereits am Beginn des Programms platziert bzw. deplatziert. „The Arc“ (deutsch: Bogen) nennt sich der zuletzt Anfang der 1990er Jahre gezeigte und nun wieder von Lázló Simet, seiner Frau Olga und der gemeinsamen Partnerin Diana Bakk ausgegrabene Auftritt auf einem Eisengestell, das am ehesten mit einem Todesrad zu vergleichen ist. Angetrieben wird das Rad allerdings nicht von Muskelkraft, sondern durch einen Motor; anstatt Laufrädern gibt hier auf der einen Seite nur ein Gegengewicht, auf der anderen Seite windet sich ein großer Metallbogen. Das Ganze erinnert an ein Ausrufezeichen. Dieser Bogen ist nicht sonderlich breit, und daher gleichen die Balancen darauf auch eher einem Drahtseilakt. Auch die gezeigten Tricks sind  ähnlich. So gibt es u.a. das Aufstehen auf einen Stuhl, ein Zwei-Personen-Hoch und die Fahrt mit dem Fahrrad zu sehen. Während Lázló Simet das Rad fährt, steht eine Partnerin auf dem Rad, die andere hängt an Schlaufen unterhalb des Rades. Eine sensationelle Nummer, zumal sie perfekt in Szene gesetzt ist. Die Artisten agieren als Astronauten, dazu gibt es sphärische Klänge und abgestimmtes Licht. Auch die anderen Darbietungen können weitestgehend überzeugen. Lorand und Adrienne Eötvös, ansonsten mit dem eigenen Unternehmen unterwegs, jonglieren in klassischer, edler Aufmachung mit Ringen und Keulen. Bis zu sieben Ringe hält Lorand Eötvös in unterschiedlichsten Wurfmustern in der Luft, zusammen mit seiner Frau folgen bis zu neun Keulen im Passing. Das Duo Golden Power, ebenfalls in Monte Carlo ausgezeichnet, zeigt eine erstklassige Adagio-Arbeit mit verschiedenen Waagen, einer Genick-auf-Genick-Balance und dem Spagat auf den Beinen des Untermannes. Vier Bungee-Springer (aus der Richter-Truppe) sorgen im UV-Licht mit ihren Salti und Pirouetten für schöne Bilder, zumal die Lichtanlage hier mehr hergibt als auf Saison - und auch für die eigentlich nicht gerade spektakuläre Messerwurf-Show des Duo Donnert wurde mit Ballett und Feuerspielen eine aufwertendes Zigeuner-Bild geschaffen. Anstatt eines Reprisenclowns gibt es lediglich zwei gute komische Nummern. Im ersten Teil führen Roland Dittmár und Àgnes Németh, die ja allein durch ihre unterschiedlichen Körpergrößen für Lacher sorgen, ihren Ehezwist öffentlich auf. Im zweiten Teil ist dann Costin Pity auf seinem Trampolin für den Spaß zuständig. Dank starker Interaktion mit dem Publikum gelingt ihm das ausgesprochen gut. Noch besser: Das wieder einmal großartige achtköpfige Live-Orchester unter Attila Maka, das beim Trampolin-Akt so richtig los fetzt und bei Pferdefreiheit (eine ungarische „Allegria“-Version) und Finale sogar durch Live-Gesang unterstützt wird.

Großartige Pferdedressuren, eine artistische Sensation und eine durchweg gelungene Show - diese Produktion ist Beweis genug, warum die ungarische Politik die Circus-Kunst aufgewertet hat und sie als Kultur ansieht. Man stelle sich einmal vor: Auch in Deutschland würde man ein Programm mit ausschließlich einheimischen Akteuren zusammenstellen. Genug hervorragende Darbietungen ließen sich sicher finden. Vielleicht käme man dann auch in der deutschen Politik auf den Gedanken, dass Circus ohne Frage auch Kultur ist.

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Text: Benedikt Ricken; Fotos: Circusbau Budapest (
Fővárosi Nagycirkusz)