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Cirque du Soleil - Corteo 2013
www.cirquedusoleil.com

Hamburg, 12. Januar 2013: Eingefleischte Fans des klassischen Circus’ können mit den Shows des Cirque du Soleil oft wenig anfangen. Auch sie loben die hohe Qualität der artistischen Darbietungen, doch die Anonymität der Artisten in ihren Fantasiekostümen, die oft wiederkehrenden musikalischen Motive, die bizarr anmutenden Fantasiewelten, die Melancholie, die in vielen Inszenierungen zum Ausdruck kommt – das alles bildet einen großen Kontrast zu den wechselvollen Nummernprogrammen traditioneller Circusse.

Schwer vorstellbar also, dass sich diese beiden Circus-Welten in einem Soleil-Programm annähern. Doch in der Show Corteo passiert genau das. Corteo ist ein Wort aus dem Italienischen und bezeichnet eine fröhliche Prozession. Im Mittelpunkt der Show steht der alte Clown Mauro, der von seiner eigenen Beerdigung träumt. Sein großes Bett beginnt zu schweben, Engel entführen ihn ins Himmelreich und begleiten ihn bei seinen ersten Flugversuchen. Unbeholfen rudert er mit seinen Armen und Beinen, dann wird er immer sicherer. Er lächelt, staunt über seine eigene Leichtigkeit.


Mauro und die Engel, Circusdirektor

Mauro und die Engel werden an dünnen Stahlseilen gehalten und schweben dank einer aufwendigen Deckenkonstruktion durch das ovale Zelt, durch das sich eine große, längliche Bühne zieht. Zu Beginn ist sie mit einem riesigen Vorhang verdeckt, der auf den ersten Blick wie ein opulentes Deckenfresko aus einer großen Kathedrale aussieht. Doch unter die Engel haben sich Circusartisten gemischt. Das passt zu dieser Show, in der die Zuschauer Mauros Traum miterleben können, der zugleich eine Reise in seine eigene Jugend ist. Corteo – das ist denn auch eine Hommage an den Circus aus der ersten  Hälfte des 20. Jahrhunderts. Mit Männern, die Schiebermütze und Hosenträger tragen, jungen Frauen in rüschigen Kleidern und einem korpulenten Herrn Direktor mit Zylinder und rotem Frack.


 Trampolin-Bett, Leiter-Artist trifft Engel, Heliumballon-Flug

Geschickt verbindet Regisseur Daniele Finzi Pasca Mauros träumerische Circus-Erinnerungen mit buchstäblich himmlischen Eindrücken. Der junge Leiterartist Uzeyer Novruzov reckt sich bei seinem Balancen nach einem Engel empor, junge Artistinnen verrenken ihre gelenkigen Körper an riesigen Kronleuchtern, eine lebende Marionette tanzt an ihren Fäden durch die Luft, Mauros großes Bett wird für einige Akrobaten zum Trampolin, und die kleinwüchsige Artistin Valentyna Paylevanyan fliegt an vier großen, blauen Heliumballons durch das Chapiteau.


Paradise, Cyrrad, Drahtseil

Ohnehin spielt sich in diesem Programm vieles in der Luft ab. Ein Artistenpaar zeigt zu gefühlvoller Musik faszinierende Tricks an den Strapaten, die Russin Anastasya Bykovskaya präsentiert auf dem Drahtseil Spitzentanz und Schrägseillauf – und hinter dem Namen Paradis verbirgt sich eine große Flugnummer mit vier stehenden Fängern auf drei Podesten, zwischen denen mehrere Artistinnen gekonnt umherfliegen. Doch auch auf dem Bühnenboden spielt sich Faszinierendes ab: So rollen zum Beispiel fünf Artisten an so genannten Cyr-Rädern gekonnt über die Bühne, vier Jongleure in Harlekin-Kostümen halten Hula-Hoop-Reifen in der Luft, zwei scheinbar rivalisierende Artistenfamilien messen ihr Können am Schleuderbrett – und der Tanz eines Artisten-Paars mündet in geschmeidig präsentierter Hebeakrobatik.


Hebeakrobatik, Mehrfachreck, Jongleure

In diesem träumerisch anmutenden Programm gibt es aber auch skurrile und bisweilen etwas makabere Momente. Etwa die Szene mit einem lebenden Golfball – gespielt von einer unablässig plaudernden Artistin, die unter der Bühne steht und ihren Kopf durch ein Loch im Boden emporsteckt. Sehr zum Erstaunen des herrischen Golfspielers verschwindet der lebende Ball immer kurz vor dem Abschlag und flieht am Ende geschickt vom Platz. Auch Pferde gibt es bei Corteo, keine echten zwar, aber dafür sehr menschliche. Jeweils zwei Artisten verbergen sich in den gelehrigen Rössern mit den großen Klimperaugen. Recht klamaukig ist dagegen die Romeo-und-Julia-Parodie, die Valentina Paylevanyan und ihr ebenfalls kleinwüchsiger Mann Grigor aufführen. Doch immerhin bleibt Regisseur Finzi Pasca auch hier den nostalgischen Motiven aus der Unterhaltungskunst treu und lässt die Parodie in einer liebenswert gestalteten Schaubude spielen. Spektakulärer Höhepunkt des mit Pause gut zweieinhalbstündigen Programms ist die Schlussnummer am Mehrfachreck, an dem 14 Artisten umherwirbeln, während die Reckkonstruktion selbst auf dem drehbaren Mittelbau der Bühne rotiert. Ein faszinierendes Schlussbild für Mauros poetischen Zirkustraum. Schön wäre es, wenn der Cirque die Zuschauer schon vor der Show auf dieses faszinierende Programm einstimmen würde. In Hamburg gastiert der Circus bereits zum zweiten Mal nicht etwa auf dem bekannten Heiligengeistfeld, sondern am Stadtrand, genauer gesagt in Moorfleet, zwischen Ikea-Markt und Autobahnabfahrt. Wer mit dem Auto kommt, sollte längere Staus vor der Vorstellung schon mal einplanen oder besser von vornherein auf den Shuttlebus ausweichen. Das eng bebaute Gelände ist umgeben von Bauzäunen, das Vorzelt schmucklos, die Gastronomie überteuert. Solche Rahmenbedingungen passen nicht zu einem Unternehmen, das sonst so virtuos auf der Klaviatur des Eventmarketings spielt.

Wer in der besten Kategorie über 100 Euro für eine Eintrittskarte kassiert, der sollte in puncto Erreichbarkeit und Ambiente mit preisgünstigeren Circussen zumindest mithalten können. Noch bis zum 10. Februar gastiert die Show in Hamburg, danach reist das Ensemble weiter nach Sao Paulo.

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Text: Thomas Joppig; Fotos: Cirque du Soleil