Start der
Tournee ist ein lange vorbereitetes Gastspiel in Essen. Dort wurden in
einem Industriegebiet die großen Zeltanlagen des Karlsruher
Weihnachtscircus errichtet. Draußen sind bereits erste Gräber
angehäuft, die den Eindruck eines Friedhofs erwecken sollen. Betritt
man das Vorzelt, so erreicht man zunächst eine Art Labyrinth. Dort
warten bereits die ersten Walking Acts auf die Besucher. Erst dahinter
befindet sich der eigentliche Gastronomie-Bereich mit mehreren Theken
und Verkaufsbuden, in düsteres Licht getaucht und mit allerlei
gruseligen Details dekoriert. Ein Lüster erhellt das Zelt. Durch den
mit Spinnenweben durchzogenen Tunnel geht es dann ins Hauptzelt mit dem
bekannten Schalensitzgradin und den zu “Gruften“ umgewandelten Logen.
Der im letzten
Winter beim Trierer Weihnachtscircus erstmals eingesetzte rot-goldene
Artisteneingang grenzt das Bild nach hinten ab. Anstatt einer Manege
wurde eine erhöhte Rundbühne errichtet, die allen Zuschauern eine
optimale Sicht auf das Geschehen liefert. Die Bühne wurde in den
vergangenen Monaten im Eigenbau angefertigt. Unter der
Längskuppel hängen zwei große Traversen, ausgestattet mit der
Musikanlage, aus welcher der zuweilen hämmernde, aber stets passende Sound
schallt, und zwölf großen Moving Heads. Hinzu kommen weitere
Scheinwerfer an den Masten und auf der Bühne, Verfolger sowie Laser auf
dem Artisteneingang. Sie sorgen durchgängig für eine grandiose
Lichtshow, dass es ein wahrer Genuss ist. Sieben Feuer- und
Nebelmaschienen im Bühnenboden, zwei weitere am hinteren Bühnenrand
sowie eine gewaltige Nebelmaschiene unter der Zeltkuppel bieten weitere
Effekte, die das Programm bestens illustrieren.
Nosferatu (Oliver Häberle) und Partnerin Camilla (Monika
Sperlich), Rene Sperlich,
Maik und Siegfried Sperlich
Los
geht es im Opening mit zwei Dämonen, die eine alte Kutsche auf die
Bühne ziehen. Der Friedhofsgärtner, der das Gestell lenkt, hat einen
Sarg geladen, dem der düstere Zeremonienmeister „Nosferatu“ (Oliver
Häberle) entsteigt. Er ist auf der Suche nach „seinem nächsten Opfer“
und findet es in der noch lebenden „Camilla“ (Monika Sperlich), die sich gleich
darauf – angetrieben von einem ekstatisch tanzenden
dreiköpfigen Ballett
– in einem Bett vor Albträumen windet. So richtig
wird dieser Handlungsstrang dann allerdings erst wieder im Finale
aufgenommen. Dort wird die schlafende „Camilla“ von Mönchen auf die
Bühne getragen und von „Nosferatu“ auf einem Säbel aufgespießt. Hier
dient ein Illusionsrequisit zur Umsetzung. Neben dieser Figuren-Rolle
ist Monika Sperlich auch mit zwei Darbietungen im Programm zu sehen. Zu
Klängen aus „Phantom der Oper“ balanciert gekonnt sie über das
Drahtseil. Auch hier wird sie vom Ballett unterstützt, das in
Rokoko-Kostümen und mit Maske während der ganzen Nummer um das Seil
herum tanzt. Neu gestaltet wurde auch Monikas Hula Hoop-Auftritt, bei
dem sie die Ringe nun im sexy Lack-Outfit kreisen lässt. Die
Darbietungen von Rene Sperlich sind im Grunde ebenfalls bekannt. Seine
starke Handstandarbeit, u.a. mit Klötzchenabfaller, wurde unverändert
mit Pyramidenrequisit, Statuen und Ballett im ägyptischen Look vom letzten
Karlsruher Weihnachtscircus übernommen. Die Stuhlbalance hingegen zeigt
er hier lässig in Jeans und zerrissenem Shirt. Neu im Repertoire der
Familie ist die Todesrad-Darbietung, die Maik Sperlich zusammen mit
seinem Cousin Siegfried erarbeitet hat. Beide präsentieren eine
leistungsstarke und schnelle Nummer, die das Publikum vor der Pause
begeistert aufnimmt. Seilspringen, Sprünge, Aufschwünge mit der Hand außen
am Rad und ein doppelter Blindlauf gehören zum Ablauf.
Pain Solution, Aurelie, Rudolf Janecek
Daneben
sind in dieser Produktion auch engagierte Artisten zu sehen. Aus
Norwegen stammt die Formationen „Pain Solution“. Das Performance-Trio
steuert namensgebend die mit Sicherheit schmerzhaftesten Auftritte zur
Show bei. Im ersten Teil sticht die weibliche Akteurin, den Auftritt
über Nadeln in der Stirn sitzend, mehrere weitere Nadeln durch ihre
Arme, später auch durch die Mundhöhle. Im zweiten Teil lässt sich ein
weiterer Akteur der Truppe von einem Partner Metallhaken durch die
Rückenhaut stechen und sich
daran
in die Luft ziehen.
Minutenlang pendelt er danach über die Bühne, die weibliche Akteurin
hängt sich dabei noch an seine Beine. Hier fließt denn auch zum
einzigen Mal ein wenig Blut. Das ist zwar nicht unbedingt etwas für
schwache Nerven (wie sich auch bei einigen Besuchern beobachten lässt),
aber insgesamt zeigt sich das Publikum eher fasziniert denn geschockt.
Gleiches gilt auch für Oleksandr Yenivatov. Der Auftritt des Russen als
„Sascha the frog“ harmoniert erstaunlich gut mit dem Grundmotiv und
sein zweites Erscheinen, bei dem Yenivatov seinen Unterkörper mittels
eines Gestell um fast 180 Grad dreht, scheint eh wie gemacht für dieses
Programm. Partnerin Aurelie eröffnet mit ihrer kraftvollen Arbeit am
doppelten Mast die Abfolge. Mit dem irrsinnig schnellen Keulen-Jongleur
Rudolf Janecek ist zudem eine weitere Nummer des letzten Karlsruher
Weihnachtscircus mit von der Partie. Den Schlusspunkt aber setzen zwei
Motorradhasardeure mit ihren Sprüngen durchs Zelt. Sie nehmen im
Vorzelt Anlauf und springen dann mittels einer in der Loge aufgebauten
Rampe auf eine weitere im Bereich des Artisteneingangs. Dabei
vollführen sie in der Luft ihre Manöver. Die Pausen zwischen den
Sprüngen überbrückt Milano Kaiser, der abwechselnd mit einem Quad auf
der Bühne seine Runden dreht und Feuerspiele zeigt. Verletzungsbedingt fielen
die Springer leider bereits nach dem Premierentag aus, die hochklassige
Todesrad-Darbietung rückte vorübergehend an ihre Stelle.
Schnellstmöglich sollen die Springer wieder an Bord sein.
Malefizius (Oliver
Häberle) und Ballett
Neben seiner Rolle als
Zeremonienmeister „Nosferatu“ ist Oliver Häberle auch zwei Mal als
Clown „Malefizius“ zu sehen. Die bekannte Reprise am Messerbrett
hat er um Domina-Spielzeug erweitert. Beim zweiten Mal mimt er einen
Arzt, der bei einem Patienten (= Gast) eine Urinprobe abnehmen und
ihn impfen möchte. Der Auftritt ist zwar wirklich amüsant, für manchen
mag die Geschmacksgrenze hier aber sicherlich übertreten sein.
Unterstützung bekommt Häberle hier von vier kessen Krankenschwestern,
nämlich dem Ballett sowie Monika Sperlich. Diese hatten zuvor ihren
Auftritt zu einer speziell auf den „Circus des Horrors“ umgeschriebenen
Fassung des Welthits „Gangnam Style“. Daneben sorgt eine ganze Horde
von „Erschreckern“, allesamt mürrische Gestalten, die immer wieder
zwischen den Zuschauern in Erscheinung tritt, für Schaudern bei den
Gästen – zumeist zur Freude der anderen, wenn die Aufschreie durchs
Zelt klingen.
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