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Sirkus Finlandia - Tour 2013
www.sirkusfinlandia.fi ; 80 Showfotos

Helsinki, 28. September 2013: Dieser Circus - oder hier vielmehr „Sirkus“ - heißt nicht nur Finlandia, er fühlt sich diesem nordeuropäischen Land auch wirklich verbunden. Am deutlichsten wird dies bei den Großillusionen. Die beiden Tricks sind eingebunden in eine Lappland-Szene. Magier Tuomo Körkölle und seine blonde Partnerin zeigen sie in passender Tracht. In einem Käfig erscheint quasi aus dem Nichts ein Hund nordischer Rasse. Damit nicht genug. Auf der Piste läuft zu Beginn mit einer Fackel in der Hand Antero Vuolab und singt ein finnisches Lied, ebenfalls in Tracht.

So werden bekannte Zaubereien in ein stimmungsvolles finnisches Bild verpackt. Für den Besucher aus Mitteleuropa ein ganz besonderer Eindruck. Aber auch die Finnen wissen es offensichtlich zu schätzen, dass die Direktionsfamilie Jernström die Tradition ihres Heimatlandes hochhält. Blickt man zudem auf den im hochwertigen Programmheft abgedruckten Tourneeplan, wird klar, dass sämtliche Teile des Landes besucht werden. Hauptsächlich sind es Eintages-Plätze. Zum Saisonende wird allerdings über einen Monat lang in der Hauptstadt Helsinki gespielt. Der Platz dort liegt ideal nur wenige Schritte vom zentralen Hauptbahnhof entfernt. Von außen laden das schön beleuchtete blaue Chapiteau und der repräsentative Einlasswagen zum Besuch ein. Im Inneren ist in den zwei Reihen der Loge sowie auf den Schalensitzen des Gradins bequemer Sitzkomfort garantiert.


Aleksi Martin, Liina Aunola, Melanie Chy

Ansonsten bietet Finlandia ein starkes, international besetztes Programm. Nichtsdestotrotz gibt es noch zwei weitere von Finnen gezeigte Darbietungen. Gleich zu Beginn präsentiert sich Aleksi Martin als treffsicherer Armbrustschütze. Seine riskanten Tricks sind originell umgesetzt. So zerschießt er etwa den Stil einer von seiner Partnerin gehaltenen Rose. Martin ist übrigens Autodidakt und hat es mit seiner Show schon bis zu Ringling gebracht. Zum Finale schießt er sich mittels im Kreis aufgebauter Mehrfachauslösungen einen Apfel vom Kopf. Seine Partnerin Liina Aunola legt nach dieser Eröffnungsnummer nur kurz ihren Mantel ab und begibt sich im Trikot direkt unter die Circuskuppel. Zunächst arbeitet sie dort am Vertikal- und gleich darauf am Schwungseil. Ihr Auftritt gipfelt im Sprung vom Schwung- zum Vertikalseil. Ein Motorrad als Requisit hat Melanie Chy gewählt. Darauf zeigt sie im verführerischen schwarzen Outfit variantenreiche Handstände. Ob im Einarmer oder auf beiden Händen, die Tochter einer Schweizerin und eines Chinesen macht immer eine mehr als gute Figur.


Totti Alexis, Azzario Sisters, Kenny Quinn

Dass das Musizieren mit der Trompete auch in finnischen Circussen verboten sein kann, muss sodann Totti Alexis erfahren. Erst die Androhung und zeitweise Umsetzung eines Striptease ebnen diesem wunderbaren Spaßmacher den Weg in die Manege. Sein Gegenspieler ist der sympathische Timo Kulmakko. Als Sprechstallmeister begleitet er die Vorstellung mit informativen Moderationen. Eine Umbaupause überbrückt er zudem mit Zaubereien auf dem Gradin. Jugendliche Meisterinnen der Gleichgewichtskunst sind die Azzario Sisters. Katie balanciert ihre Schwester Quincy auf dem Kopf sowie mit den Händen. Die perfekte Präsentation und die ungemein passende Musik steigern die Wirkung dieser mit einem Silbernen Clown prämierten Darbietung noch weiter. Ob auf Deutsch, Finnisch oder in seiner Muttersprache Dänisch – Taschendieb Kenny Quinn geht seinem Publikum in den verschiedensten Sprachen wortreich an die Taschen. Wie vorletzte Saison beim Zirkus Charles Knie zu erleben, ist vor Quinn nichts sicher. Brieftaschen, Handys und sogar Brillen klaut der fingerfertige Entertainer scheinbar mühelos. Unterstützt wird er dabei von seiner „Komplizin“ Joan. Am Dreifachreck wirbeln die vier muskulösen Herren der Truppe Zhuravel. Ihr Auftrittsstil verhehlt nicht, das die Akteure vom Turnen kommen. Mit kraftvollen Umschwüngen, Sprüngen von Stange zu Stange sowie spektakulären Abgängen bildet dieses Quartett passenderweise die Pausennummer.


Calle Jernström junior, Kike, Ramon Kathriner

Nachdem der Holzboden abgebaut ist, startet der zweite Teil gleich mit Jonglagen zu Pferd. Sie sind die Spezialität von Juniorchef Calle Jernström junior. Im eleganten schwarz-weißen Anzug – und damit passend zum weißen Pferd mit schwarzen Flecken – jongliert er zunächst drei Keulen und anschließend fünf silberne Kugeln. Die letzte Runde bestreitet er mit Fackeln. Die Azzario Sisters sind in diesem Jahr einmal mehr mit ihren Eltern auf Tournee. Diese bilden gemeinsam mit Partner Kike die Jose Michel Clowns und spielen auch hier ihren Klassiker: Die Wasserschlacht um „Essen und Trinken gratis“. Der herrliche Spaß wird natürlich wieder ergänzt von der grandiosen Livemusik des Trios. Auf diese Entspannung folgt ein wahrer Nervenkitzel. Roman Kathriner erobert das Hochseil. Er startet aus dem Zuschauerraum, von wo er eine der beiden kleinen Plattformen über das Schrägseil ansteuert. Der wagemutige Artist arbeitet komplett ohne Sicherung und treibt den Thrill auf die Spitze, wenn er mittels Riemen an den Schuhen gesichert auf einen Scheinsturz mehrere Umdrehungen um das Seil folgen lässt. Ignat Ignatov durften wir in Deutschland als Jockeyreiter und später Chefdresseur beim Circus Barum kennenlernen. Bei Finlandia nun führt er vier schöne Kamele vom schwedischen Cirkus Olympia vor. Den besonderen Reiz bekommt diese Darbietung dadurch, dass Ignatov sie vom Pferd aus leitet. Mit dem Steiger eines Ponys findet diese Dressur einen gelungenen Abschluss.

Messoudis

Noch einmal erleben wir Totti. Jetzt animiert er erfolgreich das Publikum mittels Mikrofon und Trompete zum Mitmachen. Damit zeigt er bei Finlandia „nur“ zwei Reprisen aus seinem umfangreichen Repertoire. Die Zugabe gibt es dann im kommenden Jahr, wenn Totti erneut hier zu sehen ist. Dann wird auch seine Frau Charlotte mit in der Manege stehen. Die Schlussnummer gehört den Messoudis. Die drei athletischen Brüder und ihr Vater aus Marokko füllen diese prominente Platzierung perfekt aus. Effektvoll legen sie im Kunstnebel die Oberteile ihrer Kostüme ab, nachdem sie bereits erste Handstände gezeigt haben. Besonders zu erwähnen ist die Arbeit eines Duos aus dieser Gruppe. Nämlich dann, wenn der im Handstand befindliche Artist über einen langen Zeitraum von seinem Partner in den verschiedensten Positionen auf den Füßen balanciert wird. Attraktiv sind natürlich auch die Bilder der ganzen Gruppe, wie etwa der Schlusstrick, bei dem der Vater alle seine Söhne trägt. Schade nur, dass ausgerechnet zu diesem letzten Programmpunkt Musik vom Band erklingt. Bis dahin hatte das große Orchester über der sehr geschmackvollen Gardine nämlich für eine hervorragende musikalische Begleitung gesorgt. Viele Circusse verzichten heute leider auf Livemusik, wenige leisten sich so eine große Besetzung wie Finlandia.

Zum Finale aber spielen die Musiker in den eleganten weißen Anzügen wieder. Selbstverständlich sind nochmals alle Artisten zu sehen. Für uns war der Sirkus Finlandia auf jeden Fall eine spannende Erfahrung. Zu dem bekannten, erwartet starken Programm kam ganz unerwartet eine Reminiszenz an Finnland und seine Tradition. Somit wurde die Wochenendtour nach Helsinki zu einem ganz besonderen circensischen Ereignis.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch