CHPITEAU.DE

Circus Harlekin - Tour 2013
www.circusharlekin.ch ; 75 Showfotos

Spiez, 30. März 2013: Welch ein Segen, dass sie es sich noch einmal anders überlegt haben! Pedro Pichler und Monika Aegerter, Direktoren des Schweizer Circus Harlekin, wollten in der Saison 2013 eigentlich nicht mehr als Clownsduo „Les Nicas“ in der Manege stehen. „Aufgrund eines nicht erwarteten Aufschreis der Öffentlichkeit“, so heißt es im Programmheft, sind sie jedoch glücklicherweise vom Rücktritt zurückgetreten. Und so erleben wir Pedro und Madame Nica vor der Pause in einer herrlich witzigen und mit vielen eigenen Ideen gestalteten Variante des Wasserentrees.

Hier soll der Trichter in die Hose gesteckt und damit eine auf der Stirn platzierte Münze aufgefangen werden. Das ist der Ausgangspunkt für allerlei feucht-fröhlichen Schabernack, bis schlussendlich alle Teilnehmer patschnass sind, Pedro, Madame Nica und Nachwuchsclown Lügg alias Lukas Böss.


Les Nicas und Lügg, Circus Harlekin vor Traumkulisse am Thuner See

Zu Beginn der Vorstellung, noch vor der großen Flaggenparade, muss Lügg von seinem clownesken Ziehvater Pedro scheinbar widerwillig in die Manege gezerrt werde. Die Realität sieht freilich anders aus, denn Lukas Böss wurde bereits vor Jahren bei den Harlekin-Kinderwochen entdeckt und hat es gemeinsam mit Päscu Hirt als Comedyduo „Spinnpong“ zu regionaler Bekanntheit gebracht. Nun reist der gelernte Landwirt (21) mit dem Circus Harlekin und wird auch in die Aufgabe des Platzchefs eingeführt. Damit hat sich die Direktion für eine Art dritten Weg zwischen dem totalen Rückzug aus der Manege und dem „Weiter wie bisher“ entschieden. „Les Nicas“ sind immer noch in verringertem Maß im Programm vertreten und machen gleichzeitig deutlich, dass der Circus Harlekin auf jeden Fall im bisherigen Geist fortgeführt werden soll, auch wenn manche Aufgabe Schritt für Schritt in jüngere Hände gelegt wird.


Duo Slobi 

Der Hauptteil der Clownerie wird in dieser Saison allerdings von Vladimir und Olga Slobodeniuk alias „Duo Slobi“ erledigt. Im intimen Rahmen des Harlekin-Chapiteaus und zur Begleitung durch Livemusik kommen deren fantasievolle Geschichten ohne Worte, aber mit überragendem Mienenspiel, ganz neu zur Geltung. Und so lässt Vladimir seine Braut stehen, weil er sich in eine andere Frau aus dem Publikum verguckt. Mehrfach kämpft er gegen die Tücke des Objekts, ob die nun in seinem Notenbuch, einem Fotostativ (wie bei Peter Shub) oder im eigenen Gürtel steckt, der sich schnell zum Kleid der Partnerin verwandelt. Eine vollwertige Dressurnummer ist der Auftritt mit Katze und Ratte, ein vollwertiger artistischer Beitrag seine Schlappseilarbeit.


Truppe Alexandros, Duo Lazar

Nach dem Opening gehört die Manege zunächst der Truppe „Alexandros“ vom rumänischen Staatscircus Globul. Sie feiert in dieser Formation ihr Debüt. Vier Herren und zwei Damen bilden das sympathische Sextett, das zunächst mit einer Gruppenjonglage, u.a. zum Zwei-Man-Hoch, glänzt. Später erleben wir sie im Rock’n’Roll-Rhythmus auf dem Schleuderbrett, u.a. mit Doppelsalto rückwärts, wo die Fliegerin in „Handvoltigen-Position“ gefangen wird, sowie weiteren Sprüngen und Salti in den Spagat, zum Drei-Mann-Hoch und durch einen Reifen zum Partner auf der Perchestange. Zwei Truppenmitglieder sind schließlich als männlich-weibliches Duo Lazar am Trapez mit interessanten und riskanten Haltetricks sowie einem Wirbel zum Abschluss zu sehen. Diese Darbietung wird als einzige im Programm zu Bandmusik gezeigt.


Susanne Mani, Nicole Pichler

Harmonisch und in ruhigem Tempo läuft die Dressur der vier mächtigen Kamele vom schwedischen Circus Olympia, die Nicole Pichler charmant und mit leichter Hand vorführt. Zeitweise kommen zwei Araberpferde hinzu, die im Anschluss noch einen flotten Duo-Auftritt mit Gegenlauf und Pirouette haben. Die zweite Tiernummer im Programm steuert Susanne Mani bei. In diesem Jahr zeigt sie zur Heidi-Musik ein ungewöhnliches Tier-Trio in schwarz-weiß, bestehend aus zwei Ziegen und einem Lama. Die Tiere wurden vom Westschweizer Cirque Helvetia übernommen.


Denis Navolnejv, Trio Infernal Varanne

Eines der großen artistischen Ausrufezeichen im Programm setzt Denis Navolnjev. Man würde diesem 29-jährigen Mann mit normaler Statur und leicht schütterem Haar wohl nicht ohne weiteres zutrauen, dass es sich hier um einen Klischnigger handelt, der seinen Körper in extremer Weise verbiegen und sich in eine enge Plexiglaskiste zwängen kann. Ehe die Kiste verschlossen wird, werden hier übrigens noch die letzten „Hohlräume“ mit bunten Bällen gefüllt. Immer wieder hört man wohlige Entsetzensschreie auf der Tribüne. Heuer arbeitet Navolnev nicht als Frosch, sondern als Sportler, der sich gar durch einen Tennisschläger zwängt. Navoljnev war die letzten drei Jahre mit dem Zirkus Stey und in der Saison zuvor bereits bei Gasser-Olympia in der Schweiz zu sehen. In seinem zweiten Auftritt lässt er zunächst einen Schirm als Devilstick und dann ein Diabolo fliegen. Zwei Diabolos im Dunkeln und eines, das an einer Schnur unter die Kuppel steigt und dort ein Mini-Feuerwerk sowie vier Fallschirme auslöst, sind publikumswirksame Effekte. Bei der Überleitung zur Schlussnummer beweist das sechsköpfige Harlekin-Orchester, dass es längst nicht nur alpenländische Stimmungsmusik wie in der Ouvertüre spielen kann. Nein, die Herren überraschen euch mit einem einwandfreien „We will rock you“, mit dem die Stimmung im Publikum weiter angeheizt wird. Wenn dann die drei Hasardeure der Truppe Infernal Varanne durch die Motorradkugel jagen, wird dazu „Smoke on the Water“ gerockt. Im ausgiebig zelebrierten Finale mit mehreren Vorhängen tanzt dann das ganze Ensemble den berühmten „Gangnam Style“.

Ein Chapiteau mit knapp 500 Plätze und ein Programm mit ausschließlich engagierten, hervorragenden Artisten aus mehreren Nationen, mit einer sechsköpfigen Truppe und einer renommierten Motorradkugel-Nummer zum Abschluss. Es ist zum einen dieses nahezu einmalige Verhältnis von kleinem Circus und hoher Qualität, das den „Harlekin“ auszeichnet. Vollends zum alljährlichen Pflichttermin machen den Harlekin-Besuch jedoch die Herzlichkeit, die überall zu spüren ist – heute und sicher noch viele weitere Jahre, wenn der Generationswechsel weiter so behutsam vorangetrieben wird.

__________________________________________________________________________
Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Erber