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Circus Monti - Tour 2014
www.circus-monti.ch ; 40 Showfotos

Mellingen, 21. April 2014: Temporeich und rasant besonders im ersten Programmteil, vor Ideen übersprudelnd, hinreißend komisch, mitreißend musikalisch und artistisch überzeugend – all dies ist das neue Monti-Programm, eine weitere Perle im nunmehr 30-jährigen Schaffen der Familie Muntwyler. Die neue Produktion „Bonjour la vie“ liefert einen Blick auf das Leben der heutigen Bohème und begleitet diese auf nächtliche Boulevards, in enge Mansarden und belebte Cafés. Am Ostermontag war das gelb-rote Monti-Zelt einmal mehr restlos ausverkauft – und das Publikum offenkundig genauso restlos begeistert.

In seiner 30. Saison gibt der Circus Monti das Bild eines kerngesunden, prosperierenden Unternehmens ab. Am Stammsitz in Wohlen steht die Erweiterung des Winterquartiers kurz vor der Fertigstellung. Herzstück des 65 Meter langen und zwölf Meter hohen neuen Gebäudes ist ein Trainingsraum, der 1:1 den Gegebenheiten im Chapiteau entspricht – so entstehen noch bessere Voraussetzungen, um vollständig durchkomponierte Themenshows einstudieren zu können. Auch der Circus selbst mit seinem schmucken Wagenpark und den gelb-roten Zeltanlagen wirkt wie aus dem Ei gepellt. Ein Direktor in den besten Jahren und zwei heranwachsende Söhne, die engagiert im Unternehmen mitarbeiten, runden den Eindruck eines modernen Muster-Circus ab, der künstlerisch und wirtschaftlich gleichermaßen erfolgreich ist.


Zeltanlagen

Die totale Hingabe an die Kunst, selbst wenn diese nicht zum Broterwerb reicht, und das Aufbegehren gegen konventionelle Lebensstile kennzeichnen dagegen die Bohème, um welche sich die Monti-Produktion 2014 dreht. Bohemiens, das sind im ursprünglichen Sinne Künstler – Maler, Schriftsteller, Musiker –, welche nicht ein einheitlicher künstlerischer Stil, sondern der Kampf gegen bürgerliche Normen und das Streben nach künstlerischer Freiheit eint. Als Vorlage und Inspiration des Monti-Stückes dient der Roman „Les scenes de la vie de bohème“ von Henri Murger aus dem Jahr 1851. Jedoch lösen Andreas Muntwyler (Regie), Ulla Tikka (Regie/Choreographie) und Lukas Stäger (Musik) das Leben der Bohemiens von Raum und Zeit, die Szenen könnten gestern oder heute in jeder Großstadt spielen. Hier sitzt man miteinander im Café und trifft sich nachts auf den Boulevards, ob die Motive dafür nun die intellektuelle Auseinandersetzung, der Lebensgenuss, die tristen Wohnverhältnisse oder die Suche nach dem großen Ruhm sind. So könnten auch junge Artisten, für die Selbstverwirklichung mehr als Sicherheit zählt, einer modernen Bohème zugerechnet werden. Jedenfalls wurden für die Show Artisten gesucht, die den Beruf als Berufung sehen und sich mit Leidenschaft in den Entstehungsprozess der Produktion einbringen wollten.


Johannes, Tobias und Mario Muntwyler, Jacob Sharpe

Die Direktionssöhne Tobias und Mario Muntwyler haben sich für ihre Darbietungen wieder einmal einen Partner gesucht, diesmal einen gemeinsamen. Zunächst ist es Tobias Muntwyler, der mit dem US-Amerikaner Jacob Sharpe die Diabolos fliegen lässt. Auf interessante Weise, zum Beispiel Rücken an Rücken im Kreis, werden die Diabolos weitergegeben. Bis zu vier Diabolos halten die beiden gemeinsam bzw. Sharpe sogar alleine in der Luft. Das Publikum ist bereits bei dieser ersten Nummer nach der Eröffnungsszene voll dabei und geht begeistert mit. Der jüngere Bruder Mario Muntwyler jongliert dagegen gemeinsam mit Sharpe Keulen. Da werden zum Beispiel fünf Keulen über den Rücken an den Partner weitergegeben oder werden gemeinsam zehn Keulen ausdauernd in der Luft gehalten. Auch Prinzipal Johannes Muntwyler und seine Lebensgefährtin Armelle Fouqueray stehen wieder einmal gemeinsam in der Manege und haben sich eine Quick-Change-Nummer mit komischen Zaubereien erarbeitet. So tauchen immer wieder verschiedenfarbige Tücher auf, welche die Farbe des als nächstes folgendes Kleides oder Anzuges vorwegnehmen. Nicht fehlen darf hier natürlich der effektvolle Kostümwechsel im Flitterregen. In einem weiteren kurzen Auftritt ist Johannes Muntwyler mit einer anspruchsvollen Kombination von Ringjonglagen und Ball-Balancen, u.a. auf einem Mundstab, zu sehen.


Duo Kapelle Sorelle, Francois Bouvier (Kanada) und Katharina Dröscher

Neben den vorwiegend jüngeren Artisten nehmen die beiden reiferen Damen des Duos „Kapelle Sorelle“, Ursina Gregori und Charlotte Wittwer, breiten Raum ein. Mit ihrem heiter-melancholischen Gesang und verschiedenen Akkordeons spinnen sie den roten Faden der Show. Eines der spezialangefertigten Instrumente hat einen Balg von sieben Metern Länge, was besonders kreative Einsatzmöglichkeiten bietet. Ohnehin spielt die Musik eine besonders wichtige Rolle im diesjährigen Programm – und dies nicht nur, weil die Kompositionen von Lukas Stäger besonders vielseitig und mitreißend sind. Die besondere Musikalität der Show kommt schon dadurch zum Ausdruck, dass die sechs Musiker ins Zentrum des eher abstrakt gehaltenen, von Stefan Hegi gestalteten Bühnenbildes mit verschiedenen Drehtüren platziert wurden, anstatt wie gewohnt links an der Seite zu sitzen. Mehrmals agieren einzelne oder mehrere Musiker auch direkt in der Manege. Ein besonderer Effekt ist auch die Begleitung der Drahtseilnummer von Francois Bouvier (Kanada) und Katharina Dröscher (Schweiz) durch den Sprechgesang von Robert James Webber. „Das Drahtseil hat kein Mitleid für die, die auf ihm tanzen”, heißt es da auf Englisch. Bouvier zeigt hier den Rückwärtssalto oder zieht die rücklings liegende Partnerin über das Drahtseil. Am Ende lassen sich beide, Rücken an Rücken, ins Sitzen gleiten.


Jacob Sharpe, Sarav Roun mit Ensemble, Anaëlle Molinario

Das außergewöhnliche Talent von Anaëlle Molinario (Frankreich) als Kontorsionistin ist uns bereits während ihres Engagements im Cirque Starlight 2013 aufgefallen. Hier glänzt sie nun mit einer komischen Nummer im Stile von „Mensch oder Puppe“. Sie spielt eine Frau, der scheinbar unkontrolliert alle mögliche Körperteile „wegklappen“, so dass sie sich ungewollt in den absurdesten Positionen und Verrenkungen wiederfindet. Ein herrlicher Spaß! In ihrem zweiten Auftritt liefern ihre Bewegungen den ironischen Kommentar zur Unterhaltung des Duos „Kapelle Sorelle“ („Alles renkt sich wieder ein“). Eher für die ruhigeren Töne ist dagegen Robert James Webber (USA) zuständig. Er jongliert mit einem einfach Besen, den er unablässig rotieren und über seinen Körper kreisen lässt. Er kickt den Besen mit den Füßen ihn die Luft, lässt ihn fliegen und fängt ihn ebenfalls wieder mit den Füßen – Bravo-Rufe aus dem Publikum. Im Caféhaus finden wir uns auch nach der Pause wieder, wo das Ensemble um einen runden Tisch sitzt. Auf der Tischplatte läuft Sarav Roun (Kambodscha) über lose aufgestellte Flaschen und jongliert Jacob Sharpe versiert mit einer großen Zahl Bällen. Die Hand-auf-Hand-Akrobatik von Sopheak Houn und Sarav Roun musste bei unserem Besuch verletzungsbedingt pausieren, ist inzwischen aber wieder im Programm; Roun zeigte jedoch im Eröffnungsbild solistisch Springakrobatik.


Sanni Lehtinen und Nella Niva, Aimé Morales

Darüber hinaus sind alle Artisten natürlich ständig in verschiedenste Bilder der Show eingebunden, auch wenn richtige Ensemblenummern heuer weniger vertreten sind. Zu nennen wäre beispielsweise ein Tanz von sechs männlichen Artisten mit Stühlen und akrobatischen Einlagen. Unter ihrem barocken ausladenden Kleid versteckt Nella Niva noch einige weitere Damen, die an verschiedenen Stellen zwischen den Stoffbahnen auftauchen und sich mit der Kleidträgerin um rosa Zuckerwatte balgen – Ausdruck inniger Lebenslust. Zu den äußerst kraftvollen Drehungen und Wendungen des Venezuelaners Aimé Morales im Cyrrad muss man wohl nicht viel sagen, außer dass sie mit zwei Spezialpreisen, Jury-Gold und dem Publikumspreis beim aktuellen Cirque de Demain in Paris geehrt wurde. Dies spricht für sich. Für den Abschluss des Programms sind jedoch die Finninnen Sanni Lehtinen und Nella Niva am Trapez zuständig, die sich zwischendurch nur mit jeweils einem Unterschenkel aneinander halten! Gewagte Voltigen und Salti, nur durch Matten abgesichert, setzen der Darbietung die Krone auf.

Nach der Schlussnummer ist das Mellinger Publikum derart aus dem Häuschen, dass es für die leise Schlussszene kaum noch zu beruhigen ist. Riesen-Beifall und Jubel! Abermals hat diese Monti-Show mit einem sperrigen „Cirque Nouveau“-Programm kanadischen Strickmusters kaum etwas zu tun. Nein, der Monti-Stil ist, trotz eines Hangs zum „pädagogisch Wertvollen“, weitaus gefälliger, leichter, unterhaltender und damit für eine viel größere Zielgruppe gemacht.

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Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Erber