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Cirque Arlette Gruss - Tour 2015
www.cirque-gruss.com ; 117 Showfotos

Straßburg, 24. Mai 2015: Schöner, emotionaler, mitreißender kann man das Opening einer solchen Jubiläumsshow kaum gestalten. Auf einer halbtransparenten Leinwand rund um die Manege des Cirque Arlette Gruss ziehen Bilder aus der 30-jährigen Geschichte dieses Unternehmens vorbei. Wir sehen Persönlichkeiten, die hier als Mr. Loyal agierten: Sergio, Michel Palmer und die aktuelle Besetzung Kévin Sagau. Wir sehen Ausschnitte aus früheren Programmen. Und die verstorbene Circusgründerin Arlette Gruss erweist dem Publikum per historischem Video ihre Reverenz mit dem schönen Satz „All das ist dank Ihnen möglich!“.

Heute prangt dieses Zitat – „Tous cela est possible grâce à vous“ – über dem Zuschauereingang der „Cathédrale“, der höchst imposanten Zeltanlage des Cirque Arlette Gruss.


Opening, Trio Markins, Antonio Zatta
 

Während der Videoeinspielungen im Opening lässt sich das weitere Geschehen hinter der Leinwand bereits schemenhaft erkennen. Nachdem sie gefallen ist, bevölkert das Gruss-Ensemble die Manege. Figuranten in fantasievollen Kostümen auf Rollen fahren durch die Manege. Kreiert wurden die Outfits erneut von Roberto Rosello. Direktionsgattin Linda Biasini-Gruss und Tochter Laura-Maria reiten herein, zwischen ihnen agiert eine Sängerin. Mehdi Rieben zeigt kurz Handstände, Tamara Khurchudova Ausschnitte ihrer Antipodennummer. Dann gehört die Manege Antonio Zatta und seinen farbenprächtigen Papageien. Die Trickfolge hat er bei Alessio Fochesato abgeschaut, der aktuell im Programm des Circus Krone zu sehen ist. Trotzdem – oder gerade deshalb – ist es eine schöne Darbietung. Das Trio Markins ist mit seinen beiden in Monte Carlo preisgekrönten Darbietungen zu sehen, zunächst mit Rola Rola. Hier kommt jeweils nur eine Rolle zum Einsatz. Dafür balanciert Roman Markin diese beispielsweise auf dem Rücken, während seine Partnerin darauf steht. Oder er trägt Brett und Rolle auf Händen, während sie obenauf steht. Schlusstrick ist das Drei-Personen-Hoch auf der Rola. Später kehrt das Trio mit seiner Perchenummer wieder. Beide Darbietungen profitieren davon, dass – anders als im vergangenen Waiblinger Weihnachtscircus erlebt – auf die Mitwirkung eines jungen Buben verzichtet wird, der damals nicht wirklich Kindgerechtes leisten musste.


Tamara Khurchudova, Laura
-Maria Gruss, Alex Hurtado 

Das Mode-Genre „Laser“ ist auch bei Arlette Gruss angekommen. Hier ist es Alex Hurtado, der zunächst einzelne Strahlen lenkt, ehe dann Gittermuster aus Laserlicht das ganze Zelt ausfüllen. Das Publikum applaudiert kräftig. In großer Höhe zeigt Tamara Khurchudova ihre Schwungtrapez-Darbietung mit gewagten Abfallern und Pirouetten. Die erst 15-jährige Laura-Maria Gruss stellt einen neuen Achterzug Friesenhengste vor, den ihr Onkel Lucien für sie dressiert hat. Die Trickfolge – Walzen, zu viert laufen, Versammlung – ist zwar noch sehr überschaubar, wird aber sicher präsentiert. Bestimmt wird diese Darbietung in den kommenden Jahren noch ausgebaut. Da Capo-Steiger von Pferd und Pony runden die Nummer ab.

 
Alex Michael, Kévin Sagau, Gregory Bellini, Mathieu 

Für die Pausennummer sorgt Alex Michael als moderner „Spiderman“. In ähnlicher Weise wie Super Silva kombiniert er einen Deckenlauf durch mehrere Schlaufen mit einem sehr riskanten Schlusstrick: Michael springt von einem Trapez zum anderen und fängt sich dort nur mit den Füßen. Und dies ohne jede Sicherung. Es ist eine schöne erste Programmhälfte, die besonders von der abwechslungsreichen Musik des elfköpfigen Orchesters unter Sergei Iurco profitiert. Komponiert und arrangiert hat zum 3. Mal in Folge Anthony Saugé. Fröhliche Melodien, krachende Beats, dynamische Klänge, Jazziges und mehr werden geboten. Durch die komplette Show begleitet uns der jugendlich-stilvolle Mr. Loyal Kévin Sagau, der nicht nur gut sprechen, sondern auch Gitarre spielen und singen kann. Gregory Bellini gefällt einmal mehr mit seinen Comedy-Zaubereien, und Clown Mathieu hat für dieses Programm originelle Reprisen mitgebracht. So greift er das Thema der Rola-Nummer auf: Ein Zuschauer muss auf ein Rollbrett steigen, das natürlich sofort zerbricht. Auf Skiern fährt Mathieu tatsächlich die Gradintreppe herunter. Später betätigt er sich als vermeintlicher „Motorradspringer“, der über einen am Manegenboden liegenden Zuschauer „fliegt“. Im Dunkeln zwar, aber der Trick ist natürlich trotzdem gewollt durchschaubar.

 
Truppe Street Workout, Manuel Farina, John Vernuccio 

Nach der Pause steigert sich die Show immer weiter bis zum fulminanten Schlusspunkt. Die Familie Gruss und Choreograph Bruno Agati zeigen einmal mehr, dass sie etwas von Dramaturgie verstehen. Eröffnet wird diese Programmhälfte von Manuel Farina, dessen Raubtiernummer für uns eine Neuentdeckung war. Vier Mähnenlöwen und zwei Tiger gehören zu der Gruppe. Nach Pyramide und Sprüngen von Podest zu Podest springt einer der Tiger über drei Löwen. Dann wird es noch spektakulärer: Farina steckt seinen Kopf in den Rachen eines Tieres. Er wirft sich auf drei am Boden liegende Löwen. In dieser Position krault er sie am Kopf. Und ein Löwe richtet sich auf und legt die Vorderpfoten auf Farinas Schultern. Direktionssohn Kévin Gruss und Ludovic Nardi stehen im Mittelpunkt einer neuen artistischen Eigenkreation des Hauses Gruss: Gemeinsam mit vier weiteren Partnern zelebrieren sie ein Kraft raubendes „Street Workout“ an Chinesischem Mast, Reck und Barren sowie am Boden. Starker Applaus ist der Lohn. Klassischer wird es gleich darauf bei der großen Elefantendressur. Vier Tiere mit Reiterinnen – unter ihnen Laura-Maria Gruss – sind zu erleben und werden von John Vernuccio vorgeführt.

 
Adèle Fame, Globe of Speed, FMX Riders

Ein Glanzpunkt dieses Programms ist die Strapatennummer von Adèle Fame. Das liegt nicht nur an ihren kraftvollen Überschlägen oder dem zweimaligen Aufstehen aus dem Spagat in den Stand. Vielmehr wird diese exzellente Darbietung durch das sensationelle Licht im Hightech-Showpalast der Familie Gruss weiter veredelt. Es sind wieder wahre Lichtgewitter, die Julien Lhomme für dieses Programm kreiert hat. Während Fame an den Strapaten schwebt, wird der große rote Theatervorhang geschlossen. Er ist dem Artisteneingang mit seiner eigenen Gardine vorgelagert. Hinter dem roten Vorhang wird das Orchesterpodium mitsamt der elf Musiker bis hoch unters Zeltdach gefahren. Auf der gegenüber liegenden Seite des Zeltes ist eigens für diese Show das Gradin umgebaut worden: Mitten in die Tribüne wurde ein großer Kasten eingebaut, der nun geöffnet wird. Flugs wird unter dem Gradin eine Schanze eingerichtet. Und dann folgt der spektakuläre Höhepunkt der Show. Eine gewaltige Motorradkugel wird in der Mitte der Manege installiert. Drei, fünf und acht Fahrer ziehen darin ihre Runden, selbstverständlich auch im „Kreuzungsverkehr“. Jeweils nach ihren Touren sind die Motorradspringer dran. Sie rasen durch den Foyerbereich der „Cathédrale“, mitten durch den zentral platzierten Souvenirstand, schießen die Schanze unter der Tribüne hinauf. Inmitten der Tribüne heben sie ab. Erreichen den Luftraum des Chapiteaus, fliegen über Logen und Motorradkugel und landen auf der großen Rampe auf der Seite des Artisteneingangs. Erst vier Fahrer mit gebührendem Abstand, später zweimal zwei quasi im „Doppelpack“. Den Abschluss des dritten Durchgangs bildet der „Backflip“, der Rückwärtssalto auf und mit dem Motorrad. Das ist eine Mega-Attraktion des Circus unserer Zeit. Ursprünglich kreiert von Benno Kastein bei Flic Flac, wurde sie nun von Gilbert Gruss nach Frankreich geholt und bühnentechnisch in genialer Weise umgesetzt. Als Reverenz an Flic Flac klingt auch kurz „Rammstein“-Musik an – in deutscher Sprache!

Genauso emotional wie diese Show begonnen hat, geht sie auch zu Ende. Im wundervoll gestalteten Finale formiert sich ein Teil des Ensembles letztlich zu einem sich drehenden Stern. Auf ihren Rücken tragen die Akteure jeweils einen leuchtenden Buchstaben. So ist auf jeder der beiden Achsen dieses Sterns „Arlette Gruss“ zu lesen. Und über dem Geschehen dreht sich eine große runde Leuchtschrift mit „30 Jahre“-Emblem. Es ist ein ganz starkes Stück Circus, mit dem der Cirque Arlette Gruss hier seine eigene Geschichte schreibt.

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Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Erber