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Cirkus Arnardo 2015
www.arnardo.no ; 100 Showfotos

Drammen, 28. Juni 2015: Ein Besuch im Circus ist ja zumeist eine Reise in die Vergangenheit. Eine Reise in eine Zeit, in der eine Panne nicht weggepixelt oder ein Absturz nicht mit einem Reboot behoben wurde. Circus ist stets echt, live und eben nahezu immer ein Stück nostalgisch. Beim Cirkus Arnardo scheint die Zeit tatsächlich stehen geblieben zu sein. Der in diesem Jahr einzige reisende Großcircus in Norwegen setzt ganz auf Tradition. Das Chapiteau wird durch Sturmstangen stabilisiert. Wenn es nach Seniorchef Arild Arnardo geht, soll auch die Neubeschaffung mit dieser zusätzlichen Sicherheit ausgestattet sein.

Der Wagenpark ist umfangreich. Dazu gehört unter anderem ein schmucker Einlasswagen, der die Kasse beinhaltet. Dieser verkündet, dass sich der Circus aktuell auf seiner 67. Tournee befindet. Und mit dem bisherigen Verlauf ist Juniorchef Are Arnardo durchaus zufrieden. In exzellentem Deutsch berichtet er, dass das Wetter in diesem Jahr gut mitgespielt hat. Auf dem Tourneeplan stehen viele Eintäger mit zumeist einer Vorstellung. Rund eine Stunde dauert es, bis das Material abgebaut ist und in die nächste Stadt transportiert werden kann. Auch in Norwegen zieht es die jungen Menschen verstärkt in die Großstädte. Mit der Folge, dass die kleineren Städte an Einwohnern verlieren und für längere Gastspiele an Attraktivität verlieren. Bei unserem Besuch in Drammen, rund ein halbe Stunde von der Hauptstadt Oslo entfernt, ist die Vorstellung richtig gut besucht. Viele Familien nehmen in den Logen mit hölzernen Umrandungen und auf dem Gradin Platz. Letzteres besteht im mittleren Teil aus Einzelstühlen, an den Seiten bieten die ersten Reihen Schalensitze. Weiter oben sitzen die Zuschauer auf Bänken ohne Rückenlehnen. Der Artisteneingang ist prächtig in rotem Stoff mit goldenen Verzierungen gehalten. Über dem Arnardo-Schriftzug sitzt das achtköpfige Orchester unter der Leitung von Edward Tyburski. Es spielt wunderbare Musik, kommt allerdings nicht durchgehend zum Einsatz. Die Lichtregie setzt die 13-Meter-Manege sowie einzelne Artisten gut in Szene, ohne aber allzu viele Schnörkel zu bieten.


Laura Urunova, Desy Rich, Jimmy Folco

Das Programm läuft ohne Füller, Schlag auf Schlag und hält einige echte Highlights parat. Dabei sind viele großartige Nummern, die schon in anderen renommierten Manegen Erfolge feierten. Präsentiert werden sie von Helen Arnardo, die in glitzernder Robe die Moderation übernimmt. Clown Jimmy Folco sorgt in seiner unvergleichlichen Art für das warm up. Und die Norweger gehen überraschend gut mit, gelten sie doch eher als zurückhaltend. Hier klatschen sie, was das Zeug hält. Der Auftakt gehört Laura Urunova. Beim diesjährigen Festival „New Generation“ in Monte Carlo gewann sie einen „Junior de Bronze“. Zunächst erleben wir sie mit einer lebhaften Hundegruppe. Pudel verschiedener Größen springen auf ihr Kommando durch die Manege, machen Männchen und bilden eine Polonaise. Desy Rich lässt Hula Hoop-Reifen um ihren Körper kreisen. Dies natürlich in vielerlei Varianten. So auch im Spagat. Durch einen verstärkten Kontakt zum Publikum würde ihr Auftritt weiter an Wirkung gewinnen. Mit seinen Zuschauern hat Jimmy Folco natürlich keinerlei Berührungsängste. Als Kraftmensch bezieht er einzelne Logengäste ein. Diese dürfen allerdings auf ihren Plätzen sitzen bleiben und von dort die Echtheit der Requisiten prüfen. So verbiegt der mit einer Medaille geschmückte „starke Mann“ einen Kleiderbügel und jongliert mit drei Eisenkugeln.


Are Arnardo, Kenny Quinn, Ruslan Urunov

Jimmys Schwester Paolina gehört zur Direktion des Unternehmens. Gemeinsam mit Ehemann Are Arnardo zeigt sie Großillusionen. Wobei Are der eigentliche „Zauberer“ ist und Paolina in verschiedenen Kisten verschwindet und daraus wieder auftaucht. Das, nachdem die Requisiten mit Schwertern oder brennenden Stäben durchbohrt wurden. Damit erhalten sie die Tradition, die Circusgründer Arne Arnardo als Magier begann. Tritt Are Arnardo im schwarzen Frack auf, bestreitet Kenny Quinn seine Nummer in einem weißen. Der Meister-Taschendieb beherrscht das Norwegische genauso perfekt wie alle anderen Sprachen, in denen er schon gearbeitet hat. Hier wurde ihm das sprachliche Talent aber in die Wiege gelegt, stammt doch sein Vater aus Norwegen. Äußerst charmant erleichtert der Däne zwei Zuschauer um ihre Habseligkeiten. Geschickt lenkt er diese ab, um an ihre Uhren, das Bargeld und den Schlüsselbund zu kommen. Immer wieder sehr effektvoll ist das Klauen der Brille. Gekonnt wird er dabei von seiner Gattin Joan unterstützt. Nachdem Jimmy Folco das Spiel mit einem Luftballon verboten wurde, gehört die Manege dem Duo Urunov. Ruslan Urunov reitet die Hohe Schule im Sattel, seine Gattin Elena lenkt ihr Pferd vom Dogcart aus. Elegante Kostüme – wiederum ein weißer Frack sowie ein wunderschönes Kleid – geben dieser stilvollen Kür einen besonderen Glanz. Im Mittelpunkt steht aber eine herrliche Hohe Schule. Diese zeigen sie sowohl einzeln nacheinander als auch in gemeinsamer Choreographie. Ein Windhund komplettiert die letzte Nummer des ersten Programmteils.


Alessandro Gillert, Laura Urunova, Familia Popey

Nach der recht kurz gehaltenen Pause ist bereits das Drahtseil aufgebaut. Aber zunächst sehen wir zwei Mitglieder der Familie Popey. Mit komischen Zaubereien geben sie einen Vorgeschmack auf ihr großes Entree. Auf dem gespannten Draht tanzt zunächst Cristina Moia. Nachdem sie darauf ihre Schritte gezeigt hat, wird daraus ein Schlappseil. Jedoch ein vergleichsweise straff gespanntes. Darauf bewegt sich Alessandro Gillert mit traumwandlerischer Sicherheit. Er arbeitet so ungewöhnliche Tricks wie Rola Rola-Balancen auf einer Kugel, die Fahrt auf dem Einrad und den Zwei-Personen-Hoch mit Cristina Moia. Noch einmal erleben wir Laura Urunova. Diesmal als Jongleuse zu Pferd. Bälle, Keulen und große Reifen sind dabei ihre Requisiten. Wenngleich an diesen Nachmittag nicht alle Tricks auf Anhieb klappen, erkennt man die Klasse dieser Nummer. Im Quartett dann die Familia Popey. Die Spanier verkörpern die immer seltener werdende Sparte der Entreeclowns. Natürlich verstehen sie sich auf das Musizieren mit verschiedenen Instrumenten. Darüber hinaus bringen sie rund um ihre Musikstücke viele Gags. Diese gehen über in das „Herr und Frau Nachtigall“. Hier allerdings in der Version zweier Insekten. Zum Abschluss gibt es noch einmal Musik.


Cesar Pindo, Duo Kovatchevi, Kenya Boys

Für großes Staunen steht der von den Weihnachtscircussen in Offenburg und Heilbronn bekannte Cesar Pindo. Was er alles mit seinem Körper anstellt, ist schon phänomenal. Als Schlangenmensch verknotet er seine Gliedmaßen, wie man es selten sieht. Entsprechend hörbar ist die Begeisterung, wenn der sympathische Ecuadorianer sich am Ende in eine gläserne Kiste zwängt. Für Auflockerung sorgt sodann Jimmy Folco, der vier Kinder aus dem Publikum auf eine lebhafte Reise nach Jerusalem schickt. Emi Velkova und David Kovatchev bilden das Duo Kovatchevi. Ihre wunderbare Kür am Washington-Trapez ist – in anderer Besetzung – noch von Universal Renz und Busch-Roland bekannt. Wenn man beim zweiten Musikstück die Augen schließt, denkt man unweigerlich an Olesandr Krasyun mit seiner Oboe auf der Piste von Busch-Roland. Ein wunderbares Bild. Das bietet natürlich auch heute noch die starke und gleichzeitig harmonische Choreographie des jungen Paares. Zunächst am ruhenden, dann am schwingenden Trapez zeigen sie ihre Tricks. David ist dabei der Träger. Dies sogar im Kopfstand. Waka Waka heißt es zur Einstimmung der Finalnummer. Drei geschmeidige Keny Boys beherrschen ein breites Spektrum der Artistik und sorgen noch einmal für ordentlich Stimmung. Menschenpyramiden, Seilspringen und Limbo Dance sind die Disziplinen, in denen die Sunnyboys zu Hause sind. Aktuell verletzungsbedingt nicht zu sehen ist Max Weldy mit seiner Comedy-Akrobatik am Trampolin. Zum Finale erscheinen die Mitwirkenden mit großen Flaggen ihres Heimatlandes. Die Direktion steht in prächtigen Gewändern in der Manegenmitte und nimmt gemeinsam mit den Artisten den Applaus des Publikums entgegen. Die Abschiedsworte spricht Are Arnardo.

Und damit endet die eingangs erwähnte Zeitreise. Vergangen sind mehr als zwei Stunden (zuzüglich Pause), die man so schnell nicht vergessen wird. Starke Artistik, liebevoll präsentiert. Ohne viel Schnick Schnack, dafür aber mit seinem ganz eigenen Charme. Die Familie Arnardo macht echten, ursprünglichen Circus und hat damit offensichtlich Erfolg. Wünschen wir ihr, dass der Cirkus Arnardo noch lange in der Erfolgsspur bleibt. Ein solch ursprünglicher Circus muss einfach erhalten bleiben. Nicht im Museum, sondern draußen im „wahren Leben“.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch