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Cirque d'Hiver Bouglione on Tour 2015
www.cirquedhiver.com ; 100 Showfotos

Straßburg, 21. Dezember 2015: Als Circusenthusiast kann man nicht anders, als sofort in allergrößte, ja kindliche Begeisterung zu verfallen. Da steht ein fast fabrikneuer Großcircus. Alles ist vom Feinsten. Das weiße Chapiteau strahlt in der Wintersonne, die großen Lettern über dem imposanten Kassenwagen leuchten in Gold, und in der Fassade gibt es einen Wagen mit LED-Wand, auf welcher Ausschnitte aus der Show gezeigt werden. Der Fuhrpark ist in Rot gehalten und besteht aus  unzähligen Fahrzeugen. Nahezu alle neu. Der Fotoapparat steht nicht still, es finden sich ständig weitere Motive. Hier ist nicht irgendwer auf Tournee.

Vielmehr sind es die „Rois du Cirque“, die Könige des Circus. Seit Oktober 2015 ist die Familie Bouglione nach 35 Jahren Pause wieder mit einem reisenden Geschäft in Frankreich unterwegs. „Cirque d'Hiver Bouglione“ lautet sein Name. Mit der Produktion „Bravo“ will diese große Dynastie den Glanz ihres Pariser Circusgebäudes auch in  andere Städte Frankreichs bringen. Das Material bietet dazu schon mal beste Voraussetzungen. Im Vorzelt steigt die Stimmung weiter. Neben Verkaufsständen gibt es ein liebevoll restauriertes „Café du Cirque“. Der Einlass ist im Stil von Roncalli gestaltet. Die Artisten begrüßen uns mit Bonbons und lassen es Konfetti regnen. Das Orchester spielt – unterstützt von Clown Don Christian - herrlich mitreißend bekannte Stücke, dass es eine wahre Freude ist.


Orchester

Im Inneren des Chapiteaus geht der Prunk weiter. Der Artisteneingang ist dem im Pariser Cirque D'Hiver nachempfunden. Hinter und neben dem Orchester gibt es LED-Wände. An den Masten hängen die verschwenderischen Leuchter, die wir von den Weihnachtsproduktionen in Paris-Nanterre kennen. Die Lichtanlage ist aufwendigst besetzt, und das Orchester spielt in noch größerer Besetzung als im Vorzelt. Selbstverständlich sitzen fast alle Zuschauer im Gradin auf Schalensitzen, in den Logen gibt es bequeme Stühle. Beste Voraussetzungen also für einen circensischen Hochgenuss, zumal sich auch die Programmfolge wunderbar liest. Pferde, Elefant, Raubtiere, Clown, eine Truppe, Flugtrapez – alles ist dabei.


Don Christian, Alla Klyshta, Lars Hölscher

Wie wir es aus Paris gewohnt sind, ist zu Beginn bereits der Zentralkäfig aufgebaut. Darin begrüßen uns die ausgesucht hübschen Salto Dancers mit ihrer ersten Choreographie sowie die wirklich charmante Madame Loyal Arta Danetto. Ruhig und souverän präsentiert Alfredo Beautour eine Gruppe prächtiger Tiger aus dem Hause Togni. Die abwechslungsreiche Trickfolge dirigiert er im schwarzen Frack, was sein elegantes Auftreten unterstützt. Nachdem Don Christian mit seinem Klatschkonzert das Publikum „aufgewärmt“ hat, erleben wir schon wieder die Salto Dancers. Jetzt kündigen sie Alla Klyshta und ihre Hula Hoop-Artistik an. Geschmeidig lässt die Ukrainerin Ringe um ihren Körper kreisen. Und dann gehört das Sägemehl schon wieder den Vierbeinern. Darauf führt Lars Hölscher seine indische Elefantendame vor. Es ist ein harmonisches Zusammenspiel zwischen Trainer und Tier. Wunderbar aufgewertet wird die Vorführung durch die Einbeziehung von Hölschers Partnerin, die zumeist auf dem Elefantenrücken agiert.


Natalia Egorova Bouglione, Gianni D'Ambrosio, Truppe Alexander

In Tracht lässt Don Christian kleine Glocken erklingen. Nur für die über dem Gesäß befestigte Pfanne holt er sich Unterstützung. Die darf ein Junge aus dem Publikum mit Hilfe einer großen Suppenkelle zum Klingen bringen. Natalia Egorova Bouglione vertritt die Direktionsfamilie in der Manege. Letzten Winter konnten wir sie auf der anderen Rheinseite beim Offenburger Weihnachtscircus erleben. Nun zeigt sie ihre Kür an den Strapaten in Frankreich. Eine flott laufende Freiheitsdressur mit jeweils drei Friesen und weißen Arabern hört auf die Kommandos von Gianni D'Ambrosio. Die Pferde tragen Federschmuck. D'Ambrosio lässt sie ein anspruchsvolles Programm laufen. Gruppen- und Rundsteiger inklusive. Ein Groß und Klein schließt sich direkt an. Da sich die an dieser Stelle vorgesehene Robin Valencia mit ihrem Kanonenschuss während unseres Besuchs anderweitig im Engagement befindet, erleben wir als Pausennummer die Truppe Alexander. Das rumänische Septett zeigt am Schleuderbrett Sprünge bis zum Fünf-Personen-Hoch, welcher mittels Perchestange unterstützt wird. Mit dem groß aufgemachten Verknoten von vier Herren aus dem Publikum endet der erste Teil. Don Christian lässt das „Wunder“ geschehen. Die Salto Dancers sorgen nicht nur für die hübsche Umrahmung, sondern auch dafür, dass die Freiwilligen im Nu zur Verfügung stehen.


Sampion Bouglione Jr., Alla und Reydi, Pierre Marchand

Das Flugtrapez ist, wie aus Paris bekannt, direkt im Anschluss an die Pause platziert. Nach der Einleitung durch die Salto Dancers gehen die Blicke nach oben, wo die Flying Mendonca bereits Aufstellung genommen haben. Flott arbeiten sie ihre Sprünge, darunter natürlich der Dreifache und die Passage. Mit dem Boxentree hat Don Christian seinen Hauptauftritt. Vier Zuschauer bilden die Ringpfosten, mit dem fünften liefert er sich einen amüsante Kampf. Rhythmus im Blut hat Sampion Bouglione Jr., kombiniert er doch seine Bouncing-Jonglagen mit Stepptanz. Eine sehr starke und wunderbar choreographierte Kür am chinesischen Masten zeigen Alla und Reydi. Beim Schlusstrick steht Alla auf dem im rechten Winkel vom Masten weggedrückten Körper ihres Partners. Schon davor haben die beiden äußerst sehenswerte Figuren gearbeitet. Ein charmanter Showman durch und durch ist Pierre Marchand. Zu seiner bekannten Musik (vom Band) fegt der Publikumsliebling durch die Manege und lässt seine Diabolos rasant tanzen. Zum großen Finale erleben wir noch einmal die Salto Dancers, das Licht hat einen letzten furiosen Einsatz, die Artisten erscheinen mit Luftballons, und Arta Danetto verabschiedet uns souverän. Da es auf Weihnachten zugeht, wurde das Schlussbild jahreszeitlich angepasst. Eine Weihnachtsfrau über dem Artisteneingang singt „Petit Papa Noel“, während die Mitwirkenden in der Manege stehen.


Finale

Und wir springen begeistert auf und spendieren Standing Ovations? Dem ist leider nicht so. Die anfängliche Euphorie wird durch die Vorstellung leider nicht weiter beflügelt. Trotz einer tollen Besetzung, trotz Salto Dancers, trotz eindrucksvoller Lichtanlage, trotz tollem Orchester. Die Show kann uns nicht wirklich mitreißen. Das hat mehrere Gründe. So gut wie alle Auftritte sind auf die gleiche Länge gebracht worden. Einigen tut das durchaus gut, bei anderen wird die Wirkung reduziert. Die Musik bewegt sich in einer bestimmten Bandbreite. Das Licht wird viel zu oft mit voller Kraft eingesetzt. So fehlt es an Stimmungswechseln, an besonderen Akzentuierungen. Die Erzeugung verschiedener Emotionen könnte viel stärker unterstützt werden. Die Voraussetzungen sind geschaffen, und mit Jospeh Bouglione steht ein erfahrener Regisseur zur Verfügung.

Wie fällt also das Fazit aus? Ein Besuch lohnt sich allein schon wegen des mehr als sehenswerten Materials. Das Programm enthält viele sehr gute Darbietungen. Zudem stimmt die Mischung aus Artistik, Clownerie und Tierdressuren. Was die sonstigen Zutaten für ein glanzvolles Circusprogramm angeht, ist ebenfalls alles reichlich vorhanden. Jetzt geht es darum, eine noch mitreißendere, begeisterndere Show zu kreieren. Dann wäre unser Traum vom Cirque d'Hiver Bouglione on Tour perfekt.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch