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Cirque Helvetia - Tour 2015
www.cirque-helvetia.ch ; 58 Showfotos

Mies, 28. März 2015: Der Cirque Helvetia ist der kleinste Circus der Schweiz. Und trotzdem sehenswert. Die Anfahrt ist freilich weit: Die Familie Maillard reist mit ihrem Unternehmen ausschließlich in der französischsprachigen Westschweiz. Viele kleine Ortschaften werden besucht, häufig nur für einen Spieltag, zum Teil nur für eine einzige Vorstellung. Zwischen den Stationen wird lediglich ein Reisetag benötigt. In Mies, einer 1700-Einwohner-Gemeinde wenige Kilometer von Genf entfernt, ist der schmucke Circus im Hof des Rathauses aufgebaut. Die Vorstellung am Samstagmittag ist bestens besucht.

Zwischen hohen Bäumen, dem 103 Jahre alten Gemeindehaus mit seinem Uhrentürmchen und der Mauer um den Hof gibt der Circus ein romantisches Bild ab und wirkt wie maßgeschneidert für diesen Ort. Blau und rot sind die Farben des Zweimast-Chapiteaus, das vor wenigen Jahren neu gekauft wurde. Ein kleines Vorzelt mit dem kombinierten Kassen- und Restaurationswagen, große Transparente mit dem aktuellen Programm-Motto „Poésie“ und ein blauer Ford-Traktor ergänzen das Bild. Im Zelt selbst überrascht der Cirque Helvetia mit einem neu angeschafften, ungewöhnlich steil ansteigenden Gradin, das überall beste Sicht garantiert. Es ist ausschließlich mit nummerierten und gepolsterten Klappsitzen bestückt. Die Manege ist als leicht erhöhte Rundbühne gestaltet, und dahinter schließt die rote Gardine die Szenerie ab.

 
Romantisches Bild im Rathaushof
 

1975 von Daniel Maillard gegründet, feiert der Cirque Helvetia in dieser Saison sein 40-jähriges Bestehen. Inzwischen hat der ältere der beiden erwachsenen Maillard-Söhne, Julien, mit seiner Ehefrau Anaϊs die Direktion übernommen. Der jüngere Sohn David hat dagegen den Circus verlassen. Seine Lebensgefährtin Helene und er sind in dieser Saison mit Partnerakrobatik und einer Strapatennummer beim dänischen Cirkus Krone engagiert. 2009 haben wir den Cirque Helvetia bereits einmal besucht. In den vergangenen sechs Jahren hat sich der Circus stets weiterentwickelt und beeindruckt diesmal besonders mit seinem Material. Zudem gibt es eine professionelle Website, ein hochwertiges Programmheft, und es wird jede Saison ein neues Programm mit einem bestimmen Motto kreiert. Das ist gewiss nicht selbstverständlich für ein solch kleines Unternehmen. Dagegen ist es sehr bedauerlich, dass die artistischen Darbietungen von Julien und David Maillard im Programm fehlen. 2009 hatten die beiden hervorragenden Artisten noch an den Strapaten, am Chinesischen Mast und mit zwei verschiedenen Jonglagenummern, solo und im Duo, überzeugt.

 
Julius und Adrien, Daniel Maillard

Stattdessen hat Julien Maillard nun eine neue Rolle als Komiker gefunden. Im Opening verwandelt er sich vom Zuschauer in Clown Julius, wird vom übrigen Ensemble mit seinem Kostüm ausgestattet und schminkt sich an einem kleinen Tischchen. An seiner Seite agiert der stilvolle Weißclown Adrien. Gemeinsam gestalten die beiden einen großen Teil des Programms. Da gibt es beispielsweise komische Zauberei mit einem Tuch und später auch noch mit einem Ei. Es wird eine Bogenschützen-Szene gezeigt oder auf gekonnte Weise das klassische Spiegel-Entree gespielt. Adrien musiziert zudem auf einer originellen Kombination aus Violine und Trompete, wobei Julius ihn an den Glocken begleitet. Ebenfalls ins heitere Fach gehören die Illusionen von Seniorchef Daniel Maillard, der zum Beispiel Tücher in Bonbons verwandeln kann. Insgesamt sind in dieser Saison Komik und Clownerie für unseren Geschmack jedoch überrepräsentiert. Trotz der liebevollen Gestaltung der Vorstellung, die das Motto „Poésie“ treffend umsetzt, wird so das Tempo arg herausgenommen.


Brigitte Maillard, Duo Flamme & Co, Henri Wagneur

Auch die erste artistische Nummer hat eine humorvolle Note zu bieten. Der sympathische Artist Jean Secher le Bellec vom Duo Flamme & Co. stürzt bei seiner Rola Rola-Darbietung mehrfach zum Schein. Auch eine Leiter, die seine Partnerin Morgane Maillard reicht, hilft da beim Erklimmen des hohen Piedestals nicht recht weiter. Natürlich gelingen ihm letztendlich doch noch beeindruckende Tricks. Für ruhige Momente sorgt wenig später wieder Michele Pagnotta. Bei seiner Kontaktjonglage lässt er eine Glaskugel über Hände und Arme rollen. Am Ende trägt er die Kugel im Nacken, während er einen Einarmer drückt. Henri Wagneur, den man vor einigen Jahren als Tierlehrer bei Arlette Gruss sehen konnte, reist nun schon einige Saisons mit Helvetia. Heuer präsentiert er hier ein Solo-Pony, zu dem sich bald ein zweites zu einer Doppelfreiheit gesellt. Verzichtbar wäre die Plastikpuppe gewesen, die auf einem der Ponys „reitet“. Mehr als beeindruckend ist die artistische Arbeit der Seniorchefin und „Mittfünfzigerin“ (!) Brigitte Maillard. Die äußerst vielseitige Artistin zeigt heuer eine wirkungsvolle Kontorsionsnummer in einer beleuchteten Plexiglaskugel. Hoch unter der Circuskuppel demonstriert sie ihre erstaunliche Beweglichkeit. Kniehang, Spagat zwischen den Kugelhälften und Genickhangwirbel gehören ebenso zum Repertoire der Darbietung.

 
Duo Flamme & Co. , Michele Pagnotte, Brigitte Maillard

Die zweite Hälfte des Programms eröffnet Michele Pagnotta am Chinesischen Mast. Daran zeigt er zum Beispiel eine „Flagge“ und saust kopfüber das Requisit hinunter. Brigitte Maillard demonstriert in der zweiten Tiernummer des Programms das vertraute Zusammenspiel mit einem kleinen Hund. Ihre Schwiegertochter Anaϊs weiß mit einer klassischen Tüchernummer zu ruhiger und sphärischer Musik zu gefallen. Glücklicherweise bringt die Schlussnummer noch einmal Tempo ins Programm. Beim Duo „Flamme und Co.“ ist der Name Programm, denn der männliche Partner Jean Secher le Bellec jongliert gleich zu Beginn mit brennenden Diabolos. Originell sind auch die Passagen, in denen er Artist seine Partnerin Morgane Maillard in seinen Armen hält und die Diabolos um sie herum sausen lässt.

Auch wenn wir uns im Jubiläumsprogramm mehr Tempo und mehr Artistik gewünscht hätten, so wie wir es 2009 erlebt haben: Mit seinem erlesenen Material, der guten Organisation und der liebevollen Programmgestaltung wird der Cirque Helvetia seinem Motto „Le Bijou des Cirques Suisses“ („Der Schatz der Schweizer Circusse“) auch in diesem Jahr vollauf gerecht. Insbesondere, wenn man das Gebotene im Verhältnis zur Größe dieses vorbildlichen Familiencircus betrachtet.

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Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Erber