Die Außenansicht wird vom blau-rot-gestreiften Chapiteau dominiert, welches im
vergangenen Jahr in Betrieb genommen wurde. Seit Jahren bekannt ist die
Front, welche von roten Containern mit großen gelben Schriftzügen
darauf gebildet wird. Im Vorzelt gibt es neben einer
umfangreichen Gastronomie ein Kinderkarussell. Die Begrüßung im
Chapiteau übernimmt an diesem Nachmittag Einlasschef Jack Apon. Der
Circusfan - frisch im Ruhestand - nutzt seine neu gewonnene freie Zeit,
um so oft wie
möglich bei Herman Renz zu sein. In schwarzem Anzug, rotem Hemd und
schwarzer Fliege heißt er das Publikum Willkommen. Die Requisiteure
begleiten den Gast an seinen Platz. Sei es in die Logen oder auf das
Gradin, welches aus sieben Reihen mit Schalensitzen besteht. Quasi das
Bühnenbild bildet der Artisteneingang mit dem beleuchteten "Herman
Renz"-Schriftzug über der roten Gardine sowie dem
Orchesterpodium.
Opening
Dort
sitzt das siebenköpfige Orchester unter der Leitung des bewährten
"Maestros" Robert Rzeznik. Es begleitet das Geschehen in der Manege
auf hervorragende Weise. Gleiches gilt für das wirklich wunderbare
Lichtdesign, welches Gilbert Weiser entwickelt hat. Ganz besonders
kommt diese Unterstützung der eigentlichen Show zu Beginn und am Ende
zur Geltung. Opening und Finale sind wieder zum Niederknien. Musik und
Licht spielen sich in einen wahren Rausch. Die Artisten tragen eigens
dafür gestaltete, neue Kostüme. Zum Beginn gibt es kleine artistische
Szenen, zum Ende eine ausgefeilte Abschiedschoreographie. Joanes spielt
auf der Concertina, Vincent Vignaud lässt es schneien, bevor alle
Mitwirkenden ein letztes Mal erscheinen. Der
Intensität kann sich niemand im Publikum entziehen, sie nimmt einen
vollends gefangen. Diese Bilder sind es, die die ganz besondere Wirkung
von "World of Wonders" ausmachen. Sie sorgen dafür, dass der Besuch zu
einem bleibenden Erlebnis wird. Daphne Zwijsen zeichnet für die
Choreographie verantwortlich, Marc Boon für die gesamte Regie. Die
Verbindung zwischen Publikum und Akteuren im Scheinwerferlicht stellt
wiederum Mathijs te Kiefte her. Im mit Glitzersteinen besetzten Frack
gibt der hochgewachsene Pressesprecher des Unternehmens den Monsieur
Loyal. Dies tut er angenehm zurückhaltend, ohne sich selbst zu sehr in
den Vordergrund zu drängen.
Duo Gravity, Sven Jahn-Munoz, Geoffrey Berhault
Im
artistischen Bereich setzen die Macher wieder auf junge, sympathische
Akteure. Ganz besonders gilt dies für Sven Jahn-Munoz und Niko Huesca.
Sie arbeiten im zweiten Jahren als "Duo Gravity" an den Strapaten
zusammen. Der Sohn von Celestino Munoz sowie Tanja Jahn-Munoz (beide
Circus Krone) und der Nachwuchs von Starclown Fumagalli kennen sich
seit Kindertagen. Aus lockerem Ausprobieren wurde bald ein ernsthaftes
Training. Die beiden merkten schnell, dass es zwischen ihnen "passt",
wie Sven Jahn-Munoz erzählt. Eine große Motivation beim Aufbau der
Nummer war Nikos leider viel zu früh verstorbener Bruder Nino. Als
Erinnerung an ihn tragen sie auf ihren Westen und Hosen ein Emblem, das
auch sein
Vornamens-Initial enthält. Die Oberteile ihrer Kostüme legen sie aber bald ab, um
an den Bändern kraftvolle Akrobatik zu zeigen. Es werden alle bekannten
Tricks geboten. Höhepunkt sind die Umschwünge von Sven bis fast unter
die Kuppel, während die Strapaten von Nino gehalten werden. Damit
bilden sie die Schlussnummer des Programms. Allerdings folgt vor dem
Finale noch eine farbenfrohe, ideenreiche Lasershow. Den Act vor der
Pause
bestreitet Sven Jahn-Munoz im Solo. Mit freiem Oberkörper arbeitet er
eine variantenreiche Equilibristik-Kür. Zwei- und einarmige Handstände
sind genauso zu sehen wie eine Klötzchenarbeit. Zudem zeigt er einen
Kopfstand auf kleiner Plattform. Ebenfalls "oben ohne" dürfen wir
Geoffrey Berhault erleben. Der junge Franzose vertritt den "Circus
2.0", wie es das fantastisch aufgemachte Programmheft beschreibt. In
der Tat ist sein Stil etwas introvertierter als der des Duo Gravity.
Sein Auftritt ist wirklich faszinierend. Er tanzt auf zwei über Kreuz
angeordneten Seilen. Diese sind nicht ganz so straff gespannt wie man
es von seinen Kollegen zumeist kennt. Deswegen läuft Berhault
immer
federnd über die Seile. Das gibt der Nummer eine besondere
Leichtigkeit. Den speziellen Aufbau seiner Requisiten nutzt er
geschickt für Sprünge von einem Draht zum anderen oder über einen
hinweg. Darüber hinaus beherrscht der Franzose den Spitzentrick
dieses Genres, den Salto vorwärts.
Alla und Yevhenia, Vanessa Labat, Joanes
Vom
Circustheater Bingo kommen Alla und Yevhenia. Mit viel Sexappeal lenken
sie die Blicke des Publikums unter die Circuskuppel. Wahre Hingucker
sind last not least ihre markanten blonden Irokesenfrisuren. Am meisten
aber überzeugen sie mit ihren Künsten an zwei nebeneinander hängenden
Trapezen. Schöne Bilder wechseln sich hier mit teilweise sehr riskanten
Tricks ab. In einen Umhang mit großen blauen Federn gehüllt kommt
Vanessa Labat in die Manege. Nachdem sie diesen abgelegt hat, lässt sie
im orientalischen Outfit elegant goldene Reifen rotieren. Zunächst sind
es einzelne Ringe, die scheinbar magisch an ihren Händen tanzen. Danach
lässt die junge Französin elegant mehrere Hula
Hoop-Reifen um ihren biegsamen Körper kreisen. Somit bildet sie die
sinnliche Auftaktnummer des Programms. Ihr Ehemann Joanes ist ebenfalls
ein wunderbarer Artist. Dies beweist er auf der freistehenden Leiter
und mit Jonglagen. Seine Balancen auf der Leiter sind variantenreich
und durchaus gewagt. Auf dem Boden jongliert er mit Bällen, auf der
Leiter mit Ringen und Keulen. Letztere hält er sogar in der Luft,
während er auf dem oberen Ende der Leiter steht.
Joanes, Milko und
Mathijs te Kiefte, Vincent Vignaud
Joanes
sehen wir noch öfter im Verlauf des Nachmittags. Denn im "Hauptberuf"
ist er Clown. So ist er gemeinsam mit Direktionsmitglied Milko
(Steyvers) für den Humor verantwortlich. Beide spielen zwei Nummern im
Solo. Dabei wird deutlich, dass sie unterschiedliche Clownstypen
verkörpern. Joanes agiert etwas feiner. Milko ist eher ein Vertreter
der direkten Komik, der auch an einem Tapezier-Entree großen Spaß hat.
Und so erleben wir Milko mit einer Packung Popcorn im Zusammenspiel mit
dem Publikum sowie in einer herrlich komischen Einlage, bei der er
gemeinsam mit Sprechstallmeister Mathijs te Kiefte "Hütchenspiele" mit
drei Blumentöpfen wagt. Die beiden legen eine ansteckende Spielfreude
an den Tag, die für das große Lachen sorgt. Joanes hingegen jagt eine
Ente durch das Chapiteau und zerlegt sein weißes Fahrrad, um es dann
mit viel Kreativität wieder zusammensetzen. Im gemeinsamen Spiel
greifen sie das Programm-Motto auf. Sprich, sie zaubern. Das tun sie
mit Tüchern und mittels Hypnose. Damit bringt Milko sogar Joanes zum
Schweben. Während
sich dieses Mysterium schnell als Bluff entpuppt, beweist sich Vincent
Vignaud als wahrer Meister der Illusionen. Der Franzose startet gleich
mit einem Knalleffekt: Eine seiner Partnerinnen legt sich ins Bett,
deckt sich zu, und als sich die Decke wieder hebt, kommt Vignaud zum
Vorschein. In zwei großen Auftritten bieten Vignaud und seine vier
Girls perfekt aufgemachte Großillusionen. Dank des blendend aussehenden
weiblichen Quartetts hat die gesamte Show auch gleich ein wunderbares
Ballett. In prächtigen Kostümen erleben wir sie des Öfteren zwischen
einzelnen Nummern, die dadurch sehr charmant und tänzerisch
professionell verbunden werden.
Michael Jarz
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