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Zirkus Nemo - Tour 2015
www.zirkusnemo.dk ; 75 Showfotos

Charlottenlund, 28. August 2015: Natürlich ist die Show komplett neu. Sie folgt dem bekannten Erfolgsrezept aus hinreißenden Comedy-Einlagen von Direktor Søren Østergaard und Partnern sowie Auftritten ausgewählter Artisten. Die wichtigste Neuerung 2015 ist aber die Spielstätte. Denn mit Beginn der aktuellen Tournee reist der Zirkus Nemo erstmalig mit einem eigenen Chapiteau. War der Zweimaster in den letzten Jahren gemietet, hat Østergaard nun eigenes Material angeschafft. Die grundsätzliche Optik bleibt unverändert. Schwarz ist weiterhin die beherrschende Farbe, Rot der Kontrast.

Das neue Spielzelt wird aber von vier Masten getragen. Zwischen den vorderen strahlt das Logo des Unternehmens in Leuchtschrift. Das Vorzelt ähnelt in der Form dem des Circus Roncalli. Ebenso erinnert der Holzzaun mit den integrierten Laternen an das Unternehmen von Bernhard Paul. Geblieben ist der winzige Kassenwagen mit dem riesigen Schriftzug auf dem Dach.


Chapiteau

Im Inneren des Chapiteaus wird eine gewohnt intime Atmosphäre geschaffen. Das Gradin bietet dem Publikum einen recht hohen Komfort. 580 Schalensitze sind darauf angeordnet, wie das kleinformatige, aber sehr informative Programmheft verrät. Søren Østergaard selbst verkauft es vor der Vorstellung. Es hält unter anderem spannende Zahlen zur Restauration bereit. 795 Kilogramm Maiskörner werden je Saison zu Popcorn verarbeitet. 680 Liter Kaffee und 1700 Flaschen Wein werden konsumiert. Die Brauerei Tuborg darf sich über den Absatz von 6000 Litern Bier freuen. Für mich sucht das frisch gezapfte Pils bei Nemo seinesgleichen. Aber das nur am Rande. Natürlich ist die Vorstellung an diesem Abend schon seit längerer Zeit restlos ausverkauft. Die Stimmung ist mithin hervorragend. Dazu tragen neben dem Geschehen auf der runden Bühne auch die großartige Vier-Mann-Band in kurzen Hosen und das gewohnte Theaterlicht bei. Einzig der Lichtring über der Manege hängt recht tief. In den oberen Reihen ist die Sicht auf die Luftnummer somit deutlich eingeschränkt.


Irina Bessonova und Cameron McHenry, Duo Lyd, Crazy Flight

Diese wird von Irina Bessonova und Cameron McHenry am Duo-Trapez bestritten. Die beiden hochgewachsenen Damen zeigen charmant ihre flüssige Trickfolge und wagen dabei manch riskante Eskapade. Waren sie für kurze Zeit beim Circus Carl Busch engagiert, kennen wir das Duo Lyd von Nock und Arlette Gruss. Auch bei Nemo arbeiten sie ihre beiden Nummern. Sprich, wir erleben sie am Mast und auf dem Fahrrad. Südamerikanisches Temperament trifft auf großes artistisches Geschick. So können wir ihre Auftritte rundum genießen. Die Crazy Flight kombinieren Partnerequilibristik und Handvoltigen, wie es nach wie vor viele derartige Formationen tun. Dabei folgt das ukrainische Quartett einer strengen Choreographie. Dank der genialen Livemusik der Circusband wird ihre Nummer bei Nemo ein ganz besonderes Erlebnis. Nicht nur Vögel, sondern gleich auch die zugehörigen Käfige zaubert Marko Karvo herbei. Der Finne beweist dabei große Fingerfertigkeit, die Verblüffung ist perfekt. Zudem ziehen die bunten Vögel - neben weißen Tauben vor allem große Papageien - die Blicke des Publikums auf sich. Gleiches tut seine charmante Partnerin.


Sigrid Husjord, Tina Gylling Mortensen, Soren Ostergaard

Star der Show ist natürlich wieder Søren Østergaard selbst. Der Circusdirektor hat sich in diesem Jahr zwei Partnerinnen an die Seite geholt. Die beiden Schauspielerinnen Tina Gylling Mortensen und Sigrid Husjord werden im Programmheft als „Circusprinzessinnen mit Kanten“ angekündigt. Und zimperlich dürfen die beiden sympathischen Damen auf keinen Fall sein. Denn Østergaards Humor ist alles andere als politisch korrekt. Die Gürtellinie ist als Grenze quasi nicht existent. Angst vor Perücken, Schminke und abgefahrenen Outfits dürfen die Akteure ohnehin nicht haben. Der Spaß ist also grenzenlos. Selbst wenn man kein Wort Dänisch spricht, kann man sich diesem Humor nicht entziehen. Er steckt einen einfach an. Wiederum gibt es Nummern, in denen der traditionelle Circus liebevoll parodiert wird. Noch vor dem Einzug der Artisten spielt die Band in bunten Clownskostümen auf der Bühne, Søren Østergaard gibt den prächtigen Weißclown im edlen Kostüm. Als dann noch einer der Clowns fehlt, darf ihn das ganze Publikum rufen. Vor dem Finale präsentieren sich die Damen als „Schleuderbrett-Kosaken aus Ungarn“. Angeklebter Schnauzbart und die passende Musik inklusive. Als die „Truppe  Orlanansky“ ihren Trick ausgeführt hat, stürmt eine ganze Truppe gleich gekleideter Menschen herein. Auf ihren Fahnen steht das Wort „Slut“ (Dänisch für "Ende"). Doch bevor wirklich Schluss ist, reitet Østergaard eine Runde auf seinem Circuspferd aus Vollplüsch über Hindernisse.


Soren Ostergaard

Auch wird wieder viel gezaubert. Tina Gylling Mortensen und Sigrid Husjord zeigen ihre eigene Variante des Hütchenspiels mit großen Blumentöpfen und lebendigem Inhalt. Gylling Mortensen produziert sich als voluminöse Diva am Trapez, die am Ende doch überraschend gelenkig daherkommt. Herrlich auch die Schneewittchen-Szene, bei der die kleinwüchsige Sigrid Husjord die Hauptfigur gibt und ihre beiden Partner die Zwerge. Die Größenverhältnisse sind somit umgedreht. Mit Gänsen steuert Østergaard gar eine Tierdressur bei. Die stärksten Zuschauerreaktionen ruft er aber hervor, wenn er in seine Paraderollen schlüpft. Als Bager Jorgensen parliert er aufgeregt drauf los und zerstört dabei mit den Händen Backwaren. Die Gagdichte ist enorm. Die Lachsalven unter dem Chapiteau wollen kein Ende nehmen. Gleiches gilt für die von Østergaard verkörperte Figur des Erik Bo Nielsen. Diesem recht ungepflegten Zeitgenossen mit meist ausgestreckten Mittelfingern scheinen die Flüche nie auszugehen.

Keine Frage, der Besuch beim Zirkus Nemo ist auch in diesem Jahr wieder ein riesengroßes Vergnügen. Die Kreativität von Søren Østergaard ist wirklich unerschöpflich. Jedes Jahr verblüfft er mit neuen Ideen, die er konsequent umsetzt. Das Timing der Show ist perfekt, das Tempo schier atemberaubend. Die Atmosphäre unter dem Zeltdach nimmt einen immer wieder gefangen. Des weiteren gibt es bei Nemo stets hochklassige Artistik zu sehen. Was will man also mehr. Auch – oder vielleicht gerade – als Liebhaber des klassischen Circus verlasse ich das schwarz-rote Chapiteau hellauf begeistert.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch