Gleich
bei der Kartenkontrolle wird er mit einem Konfettiregen begrüßt. Im
prunkvollen Restaurationszelt gibt es nicht nur ausgesuchte Leckereien,
sondern auch Livemusik, rote Herzen auf die Wangen und Bonbons aus
Sektkübeln. Dazu Kostproben der artistischen Art. Wer den Genuss
perfekt machen will, besucht vorab noch das Cafe des Artistes. Im
nostalgischen Cafewagen und dem zugehörigen Außenbereich lässt sich in
einem ganz besonderen Ambiente speisen. Der Zugang zur Circusstadt ist
eigens mit Holzbrettern ausgelegt. Es ist also an alles gedacht.
Roncalli Royal Orchester
Ist
der Weg ins Chapiteau schon ein Erlebnis, ist es die Show erst recht.
„Good Times“ lautet ihr Titel. Und natürlich hat man bei Roncalli eine
gute Zeit. Doch die Zeiten für den Circus waren schon besser, wie
Bernhard Paul im Programmheft bemerkt. Als sein Unternehmen vor 39
Jahren die erste Saison bestritt, gab es in Deutschland noch viele
Großcircusse, die inzwischen nicht mehr auf Tournee gehen. Das
Fernsehen zeigte Circus in eigenen Showproduktionen, Reportagen und
Spielfilmen. So vollführt Roncalli heute „einen enormen Drahtseilakt,
sich ständig zu erneuern und trotzdem das zu bleiben, was er ist“, so
der Direktor. Das schafft dieser inzwischen schon legendäre Circus auch
2015. Er bietet eine perfekt inszenierte und ohne Längen ablaufende
Show. Das Orchester von „Generalmusikdirektor“ Georg Pommer spielt
hervorragend. Das Lichtdesign ist wirklich verschwenderisch und lässt
keinerlei Wünsche offen. Peter Weber und die anderen Requisiteure
sorgen nicht nur für einen standesgemäßen Empfang, sondern auch für
einen reibungslosen Ablauf der Vorstellung.
Gensi, Jemile Martinez, Anatoli Akermann
Dafür ist nicht zuletzt Abendregisseur und Sprechstallmeister
Patrick Philadelphia verantwortlich. Nachdem
er und die Roncalli Royal Clown Company uns die
Sicherheitsregeln sehr originell näher gebracht haben,
setzt Sergi Buka das Tourmotto um. Ein Laserstrahl ist der Zeiger, der
die Zeit auf einem Ziffernblatt verstreichen lässt. Weitere Spielereien
mit grünem Laserlicht folgen. Nach Gensis Flaschenorgel begrüßt
Patrick Philadelphia im roten Frack formvollendet
das Publikum. Erst jetzt kommt das eigentliche Charivari. Sechs
Mitglieder des Circustheater Bingo erfüllen die Manege und den Raum
darüber. Es entsteht ein lebendiges, mitreißendes Schaubild, welches
viele Disziplinen der Akrobatik vereint. Devlin Bogino, Gensi und Oriol
bringen ein wunderbares Kabinettstückchen um einem lebenden Sessel.
Fußbälle sind die Requisiten von Jemile Martinez. Der gebürtige
Engländer jongliert sie bis weit unter die Kuppel und lässt sie auf
seinen Fingern kreisen. Seine Fähigkeiten als Kopfballkünstler sind
bundesligareif. Nach diesem Wirbel bringt uns Anatoli Akermann zum
Lachen. Er hat sein Megafon dabei, ein Koffer dient ihm als Bühne.
Darauf beweist er mit Zigarrenkistchen, dass auch er jonglieren kann.
Mut erfordert definitiv die Wahl seines Outfits. Hier kennt er kein
Pardon und produziert sich in den unvorteilhaftesten Aufmachungen.
Karl Trunk, Duo Viro, Rokashkovs
Rundherum
elegant präsentiert sich Karl Trunk. Im edlen Frack lässt er zunächst
drei Ponys flechten und zwischen Säulen hindurchlaufen. Eine ganze
Rasselbande folgt ihm wenig später aufs Wort. Seine Ponyfreiheit ist
äußerst trickreich und läuft wie am Schnürchen. Wunderschön anzusehen
ist zudem das von ihm vorgeführte Groß und Klein. Nachdem Vivi(an Paul)
in einem kleinen Intermezzo Schmetterlinge zum Fliegen gebracht hat,
geht es mit dem Duo Viro noch weiter nach oben. Das mehrfach
ausgezeichnete Duo präsentiert seine Kür an den Tüchern. Der Traum vom
Fliegen wird durch die musikalische Begleitung bestens unterstützt.
Währen die Ungarn ihre trickstarke Kür arbeiten, singt Georg Pommer
dazu „You raise me up“. Eine schöne Frau und drei Männer, die sie
begehren – aus diesem Stoff ist die Geschichte, die die Rokashkovs
spielen. Das tun sie am Quadratreck. Ihre in Monte Carlo und Paris
prämierte Nummer ist artistisch vom Feinsten. Hinzu kommt das intensive
Spiel der vier Moskauer. Den Rokashkovs gehört somit der stärkste
Auftritt des Abends. Heiter ist die Ankündigung der Pause
durch junge Damen im flotten Küchenoutfit sowie die Clowns. Es wird
ausgelassen auf gewöhnlichen und ungewöhnlichen Instrumenten musiziert,
dass es eine wahre Freude ist.
Bingo, Geraldine Philadelphia, Les Paul
Mit
Artistik an drei Luftringen beginnt der zweite Teil. Drei Damen aus dem
Bingo-Ensemble mit markanten Frisuren sind die Akteurinnen. Die Reise
nach Jerusalem der Clowns ist für mich der stärkste Auftritt von Sarah,
Gensi, Oriol, Devlin Bogino und Anatoli Akermann. Ihre Jagd nach dem
freien Platz gestaltet sich sehr lebhaft. Die Begleitmusik dazu machen
sie natürlich selbst. Oriol beherrscht zudem die Kunst der
Stuhlbalance. Mehrere der Klappstühle balanciert er auf dem Kinn. Als
der Turm einstürzt, sind seine Partner zur Stelle. Geraldine
Philadelphia lässt ihre Ringe nicht nur sehr gekonnt um verschiedene
Körperteile kreisen, sondern jongliert auch mit ihnen. In einer
zauberhaften Choreographie erobert die sympathische junge Dame die
Herzen des Publikums im Handumdrehen. Großartig ist das Requisit für
die Schattenspiele von Sergi Buka. Dabei handelt es sich um ein Dreirad
aus der Ideenschmiede des Schweizer Künstlers Jean Tinguely. Das
herrlich skurrile Gerät hat vor dem Lenker eine große runde Leinwand
montiert. Auf diese werden die Figuren projiziert, die der Spanier mit
seinen Händen darstellt. Während uns die Clowns mit Musik von Vivaldi
unterhalten, wird in der Manege eine runde Plattform aufgebaut. Darauf
arbeiten Les Paul ihre Rollschuhnummer. Les Paul, das sind Vivian, Lili
und Adrian Paul sowie Jemile Martinez. Damit setzen die Kinder von
Eliana Larible-Paul und Bernhard Paul eine Familientradition fort.
Bereits Tante und Onkel von Eliana Larible-Paul zeigten eine solche
Darbietung. Hierzulande war diese im Circus Krone zu erleben. Mit
bekannten Tricks des Genres sorgen die Junioren noch einmal für rasante
Action in gekonnter Präsentation.
Marula, Golden Gate Trio, Good bye
Die
letzten beiden Darbietungen des Programms sind da deutlich ruhiger.
Anstatt des in der Programmillustrierten angekündigten Andreis Jacobs
Rigolo, balanciert Marula 13 Palmäste, die sie nach und nach sorgfältig
aufeinander legt. Am Ende entsteht ein riesiges fragiles Gebilde. Das
Publikum schaut diesem Schauspiel minutenlang gebannt zu. Erst als
Marula, sie ist eine Tochter von Rigolo, die Feder auf dem kleinsten
der Äste entfernt und das Mobile in sich zusammenfällt, entlädt sich
der begeisterte Applaus. Ebenfalls eine hohen Schauwert hat die
Akrobatik des Golden Gate Trio. Denn die jungen Ungarn treten als
Goldmenschen auf. Sie haben sich an der Artistenschule in Budapest
kennengelernt und arbeiten erst seit einiger Zeit in dieser Besetzung.
Ihr „Adagio aus Hebe- und Schwebefiguren“ (Zitat Programmheft) enthält
aber bereits jetzt sehenswerte Tricks. Noch während das Golden Gate
Trio seinen Schlussapplaus entgegennimmt, kommen alle Mitwirkenden mit
Luftballons in die Manege. Das ausschweifende Finale beginnt. Wiener
Walzer, Zugaben und bunte Papierschnipsel aus der Kuppel – alles ist
dabei. Wunderbar auch der Ausklang mit den Clowns. Gensi und Oriol
musizieren ein letztes Mal. Die anderen drei erscheinen in Nachthemd
und Schlafrock. Mit Teddy, Uhr und Kissen erinnern sie daran, dass es
nun Zeit ist, ins Bett zu gehen. So endet ein traumhafter Abend im
Circus Roncalli.
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