CHPITEAU.DE

Cirque Arlette Gruss - Tour 2016
www.cirque-gruss.com ; 120 Showfotos

Straßburg, 21. Mai 2016: "Le cirque", "Der Circus" - so schlicht, scheinbar deskriptiv betitelt der Cirque Arlette Gruss seine aktuelle Produktion. Klassischen Circus hat dieses französische Unternehmen schon immer gespielt. Aber eben in seiner ganz eigenen Interpretation. Das ist 2016 nicht anders. Der grundsätzliche Stil ist seit Jahren ähnlich. Das Thema der Shows wird in der Regel über Opening, Zwischenspiele und Finale transportiert. Ferner durch Moderationen, die dazu dienen, die Geschichte zu spinnen. In der letzen Zeit sind die Variationen zwischen den Produktionen subtiler geworden.

Sie ähneln sich stärker. Das war beispielsweise bei Carnaval (2002) oder FantAsie (2004) noch anders. In "Le Cirque" begegnen wir im Opening liebevoll überzeichneten, aber durchaus vertrauten Clownsfiguren. Es ist ein wunderbar abwechslungsreiches Eröffnungsbild, in dem die Mitwirkenden "Kostproben ihres Könnens" zeigen. Im Finale tragen dann alle Artisten Paradeuniformen.


Sicherheitshinweise mit (Gregory) Bellini und André (Broger)

Genial wird das Leitmotiv "Circus" auch vor der eigentlichen Show transportiert. Die Manege ist rundherum mit einer weißen Leinwand umspannt. Dort erklären uns die Clowns in einem originellen historischen Film, was es während der Vorstellung zu beachten gibt. Dann aber erleben wir jene Szenen, die unbedingt zum Circus gehören, in der Show aber nie zu erleben sind: den Aufbau der Zeltstadt und die Vorbereitungen des neuen "Spectacles". Und natürlich wird das Thema "Le Cirque" durch die Zusammenstellung des Programms realisiert. Gilbert Gruss beweist einmal mehr, dass moderner Circus vortrefflich unter Einbeziehung von Tierdarbietungen möglich ist. Und wir sprechen hier nicht von der wildtierfreien Variante. Der Cirque Arlette Gruss verwöhnt uns mit Raubtieren, Elefanten, Seelöwen, Exoten, Pferden und sogar Ratten. Hinzu kommen ausgewählte Artisten und wunderbare Clowns.


Opening mit Kostümen von Roberto Rossello

Das alles eben Arlette Gruss-like verpackt. Es gibt höchst kreative, sehr stylishe Kostüme von Roberto Rossello. Die kreierten Figuren sind oftmals abstrakte Fantasiewesen. Das große Orchester unter der Leitung von Sergiu Iurco deckt viele Stile ab. Am besten gefallen mir die Sounds der Instrumentalisten aber, wenn druckvolle circustypische Musik gespielt wird. Etwa bei der Seelöwennummer. Um den Ablauf zu optimieren, gibt es einen zweiten Artisteneingang im Miniaturformat. Gegenüber der Gardine kann die erhöhte Manege über eine kleine Treppe betreten sowie verlassen werden. Zudem wird dieser Ort für viele Moderationen verwendet. Die Clowns spielen einige ihrer Reprisen auf dem Gradin. Eine besondere Herausforderung hat Lichtdesigner Julien Lhomme zu meistern. Der eindrucksvolle Zeltbau wird nicht ohne Grund als „Cathédrale“ bezeichnet. In diesem weiten Raum eine kompakte Atmosphäre sowie unterschiedliche Stimmungen zu schaffen, ist alles andere als einfach. Lhomme macht mit seinen innovativen Kreationen das beste daraus.


Ingo Stiebner, John Vernuccio-Togni, Helena Polach

Kommen wir nun endlich zur eigentlichen Vorstellung, besuchen wir „Le Cirque“. Die erste Nummer gehört Ingo Stiebner und seinen beiden Seelöwen. Am liebsten zeigen die Tiere ihre Tricks dann, wenn der Trainer nicht hinschaut. Sie haben ein beachtliches Repertoire und wissen dieses mit jeder Menge Humor zu servieren. Stiebners Stil ist unnachahmlich. Die Robben scheinen dabei genauso viel Spaß zu haben wie das Publikum. Nach einem Auftritt der Clowns geht es mit den Exoten des Hauses weiter, welche vom Ballett begleitet werden. John Vernuccio-Togni präsentiert eine kurze Freiheit mit Kamelen und Dromedaren. Rinder und Zebras drehen eine Runde. Ein kleines Känguru hüpft auf der Piste, bevor Lamas über Hürden springen. Die Fußball-EM kommt in diesem Sommer nach Frankreich. Dass es keiner elf Profis bedarf, um mit dem runden Leder Begeisterungsstürme auszulösen, beweist Helena Polach. Die blonde Tschechin jongliert virtuos mit ihren Fußbällen nach UEFA-Norm.


Gunter Sacckman, Kevin Gruss und Julia Friedrich, Laura-Maria Gruss

Eine Premiere stellt für mich der Auftritt von Gunter Sacckman dar. Es ist das erste Mal, dass ich eine Rattennummer erlebe. Während er seine Nagetiere vorführt, redet Sacckman unentwegt im Stil eines Circusdirektors, der seine einzigartige Darbietung präsentiert. Er stellt seine Tiere stets namentlich vor. Natürlich heißt auch eine der Ratten Ratatouille. Die Tiere laufen über einen Balken, um dann am anderen Ende mittels Rutschbahn in eine Kiste zu gelangen. Danach springen sie von einem überdimensionalen Podest zum nächsten. Deutlich größer sind die Nutrias, die zwischen Stäben hindurch laufen, um dann ebenfalls eine Rutschpartie zu genießen. Originell zudem der Schlusstrick. Dabei entern zwei Ratten mithilfe eines dicken Seils ein Flugzeug. Kevin Gruss und seine Partnerin Julia Friedrich überraschen immer wieder mit neuen Auftritten. In diesem Jahr ist es ein „akrobatischer Tanz“, so die Beschreibung im Programmheft. In verruchter Atmosphäre zeigen sie Figuren der Partnerakrobatik, die sie in intime Tanzszenen einbetten. Die artistische Leistung ist dabei ebenso bemerkenswert wie die Choreographie. Die Pferdedressuren sind beim Cirque Arlette Gruss auch in diesem Jahr Frauensache. Zunächst dirigiert Linda Biasini-Gruss weiße  Portugieser. Elegant präsentiert sie diesen Viererzug wunderschöner Pferde. Immer wieder wird dabei das enge Vertrauensverhältnis zwischen Mensch und Tier herausgestellt. Acht Friesen leitet sodann ihre Tochter Laura-Maria Gruss. Die Pferde laufen recht langsam, dafür umso sicherer. Schön zu sehen, wie die junge Dame es nicht bei ihrem offensichtlich ererbten Talent belässt, sondern immer weiter mit ihren Tieren arbeitet. Die Steiger als da capo präsentiert ebenfalls Laura-Maria, die letzten dirigieren sie gemeinsam. Beide tragen bei dieser Darbietung knallrote Kleider. Am Ende herzen sie sich in der Manege. Ein stimmiges Bild.


Kevin Gruss und Alexis Hurtado, Trio Stoian, Ramon Kathriner

Dann ist schon wieder Kevin Gruss gefragt. Gemeinsam mit Alexis Hurtado liefert er sich einen futuristischen Kampf. Als Waffen haben die beiden Kontrahenten Laserschwerter gewählt. Ihr Fight wird von Feuersäulen, vor allen Dingen aber riesigen Lasergebilden begleitet. Hier zahlen sich die Dimensionen der „Cathédrale“ aus, denn die Bilder sind wirklich gigantisch. Ohne großes Drumherum begeistert das Trio Stoian. Cosmin und Bruder Alexandru sind die Porteure. Mittels eines Russischen Barrens katapultieren sie Fliegerin Corina in die Luft, um sie sicher wieder auf dem dünnen Balken landen zu lassen. Dazwischen dreht ihre Partnerin Schrauben und Salti – präzise und elegant. Keine Helfer neben der Stange, die im Notfall eingreifen können. Die drei sind ganz auf sich gestellt. Gerade dadurch wirkt die Nummer so hervorragend. Höhepunkt ist der Dreifache. Nach der Pause geht es spektakulär weiter. Über dem Gitternetzkäfig hat Ramon Kathriner sein Hochseil gespannt. Über das Schrägseil erreicht er eine der beiden Plattformen. Nachdem er einige Tricks wie den Sprung von einem Stuhl auf das Seil gezeigt hat, nehmen unter ihm die Raubtiere von Manuel Farina Platz. Kathriner hat offensichtlich Spaß daran, mit den Nerven des Publikums zu spielen. Denn als nächstes folgt ein Scheinsturz, bei dem er mit Riemen an den Schuhen am Seil gehalten wird. Auch beim Stelzenlauf bedarf es eines (gewollten) zweiten Versuchs. Drei prächtige Mähnenlöwen, darunter ein weißer, sowie zwei Tiger gehören zur gemischten Raubtiergruppe, die den Kommandos von Manuel Farina folgt. Diese Dressur umfasst unzählige Tricks, die begeistern und das vertraute Miteinander aller Akteure demonstrieren. Immer wieder ein Erlebnis.


Duo Olivares, Elefanten, FMX Riders

Vom Film „Burlesque“ inspiriert ist die Luftakrobatik des Duo Olivares. Helena Polach und Michael Olivares umwerben sich intensiv. Olivares singt dazu Songs aus dem Kinoerfolg. An Tüchern geht es unter die Kuppel, wobei der tragende Part zwischen den beiden Artisten wechselt. Die Elefanten kommen wie schon seit vielen Jahren von Flavio Togni. John Vernuccio-Togni zeigt eine schöne Kür, die viele effektvolle Tricks enthält. Die Kopfputze der vier indischen Elefantendamen sind dabei auf die Kostüme der Reiterinnen sowie des Vorführers abgestimmt. Dann übernimmt Alexis Fly Chaix das Kommando. In einer showtauglichen Pilotenuniform steuert der 18-Jährige souverän ein Modellflugzeug. Alexis Briot, so sein bürgerlicher Name, agiert noch etwas zurückhaltend, hat aber dafür sein Fluggerät bestens im Griff. So erleben wir virtuose Flugmanöver. Weniger grazil, dafür umso spektakulärer sind die Luftsprünge der vier FMX Riders. Auf ihren Motorrädern springen sie von einer Schanze gegenüber des Artisteneingangs über die Manege, um sicher auf einer Plattform zu landen. Wenngleich ihre Jumps in diesem Jahr nicht mehr über eine Stahlgitterkugel gehen, sind sie nicht weniger riskant als noch 2015. Der Atem stockt, wenn sie für Bruchteile einer Sekunde die Hände von ihren Maschinen loslassen. Der Aufbau der Requisiten wird äußerst kreativ überbrückt. Auf der bereits vor Beginn der Vorstellung eingesetzten Leinwand dürfen wir in einem Film sehen, wie sich die Biker auf ihren Auftritt vorbereiten.


Adrien, André (Broger), (Gregory) Bellini

Kreative, witzige Manegenkomik zu bieten ist so schwierig und gleichzeitig wieder so einfach. Schwierig deswegen, weil gerade in diesem Genre viel abgekupfert wird. Und einfach, weil gute Reprisen zumeist dann begeistern, wenn eine ganz unkomplizierte kleine Geschichte erzählen. André (Broger) ist offenbar einer dieser kreativen Köpfe, denen immer wieder etwas Neues einfällt. Von ihm stammen etwa der Kampf mit dem Hai in der Badewanne oder das Duett mit dem als Haarteil genutzten Wischmob. Für „Le Cirque“ hat er gemeinsam mit Clownspartner (Gregory) Bellini neue Geschichten in die Manege gebracht. Beim Bowlingspiel mit imaginären Kugeln und Pins beziehen sie einen Zuschauer ein, der die beiden natürlich locker in die Tasche steckt. In blauen Latzhosen bringen sie ein Klavier herein. Herausfordernd gestaltet sich das Finden einer Stromquelle für die darauf stehende Lampe. André macht sich mit dem Stecker in der Hand und das Kabel hinter sich herziehend auf die Suche. Er verschwindet durch den Artisteneingang und kommt über das Gradin zurück. Der Stecker kommt dann einfach in die Kabeltrommel, aus der auch das Kabel stammt. Der Kurzschluss bleibt aus, dafür fällt sogleich das Klavier auseinander. Um die Pause einzuleiten, spielt Bellini auf einem Leierkasten. André geht das alles zu langsam. Also übernimmt er die Kurbel, und weiter geht es im Hochgeschwindigkeitstempo. Das Instrument hält das nicht durch und gibt unter Rauchentwicklung seinen Geist auf. Kein Problem: Das Instrument wird einfach aufgeklappt und zu einem Esstisch umfunktioniert. Die Speisen sind schon da, und Adrien spendiert den Schampus dazu. Adrien spielt den Weißclown. Zumeist erleben wir ihn als leisen Counterpart zum großen „Spectacle“. Etwa als Solist mit Violine oder Querflöte. Die Gitarre ist das bevorzugte Instrument von Kevin Sagau. Mit dieser begleitet er seinen Gesang. Er spielt wiederum den Monsieur Loyal, der uns souverän und charmant durch die Show begleitet.

"Tout cela est possible grace à vous" - Dieser Leitsatz der Circusgründerin Madame Arlette Gruss macht deutlich, was für jeden Circus gilt, aber nicht immer so direkt formuliert wird: All das ist nur dank Ihnen, dem Publikum, möglich. Ihr Sohn Gilbert stellt den Bezug zum diesjährigen Programmtitel her. Auf der Rüclseite des Programmhefts schreibt er: "Je suis 'LE' cirque, 'LE' votre." Der Circus für sein Publikums also. Dem ist nichts hinzuzufügen. Die Zuschauer danken dem Cirque Arlette Gruss diese Zuneigung nicht nur mit bestens besuchten Vorstellungen, sondern auch mit wahren Ovationen.


________________________________________________________________________
Text und Fotos: Stefan Gierisch