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Zirkus Charles Knie - Tour 2016
www.zirkus-charles-knie.de ; 170 Showfotos

Northeim, 12. März 2016: Die ansprechende Verpackung des Programms war Sascha Melnjak von Anfang an wichtig, als er 2007 den Zirkus Charles Knie übernahm. Schon im ersten Jahr, als noch in vergleichsweise kleiner Aufmachung gereist wurde, war dies deutlich zu spüren. Man erinnert sich etwa an die „Hello Dolly“-Szene vor der Schwungseilnummer von Elaine Courtney. 2008 gab es dann schon ein Orchester und ein Ballett. Der junge Direktor hat diesen Stil konsequent weiterentwickelt, dabei aber immer den klassischen Circus gepflegt. Im zehnten Jahr gehen Melnjak und sein Team einen entscheidenden Schritt weiter in diese Richtung.

Die neue Produktion steht erstmals unter einem offensiv in den Vordergrund gestellten Titel. „Euphorie“ lautet dieser. Die Showblöcke wurden ausgebaut. Das große, hervorragend spielende Orchester unter der Leitung von Volodymyr Kozachuk ist geblieben. Ebenfalls das auf einer Position neu besetzte vierköpfige Ballett. Die ohnehin schon starke Lichtanlage wurde erweitert. Unter anderem um zwölf P4-Spots mit einem extrem zentrierten Lichtstrahl, die von Enrico Zoppe gewohnt virtuos eingesetzt werden. Showtreppen rechts und links des breiten Artisteneingangs sollen noch hinzukommen. Hierfür muss das Gradin angepasst werden, rund 80 Sitzplätze werden dafür „geopfert“. Als besonderen Clou gibt es eine hinreißende Sängerin. Die Auftritte von Pretty Shangase sind wohldosiert. Zudem ist die Südafrikanerin ungeheuer wandelbar. Sowohl stimmlich als auch hinsichtlich ihres Gesamtauftritts. Ein echter Gewinn. Nicht zuletzt sind viele neue, prächtige Kostüme zu sehen. Das Element „Show“ hat somit eine weitere deutliche Aufwertung erfahren. Die Bilder sind aufwendiger, prächtiger geworden.


Einleitung Exotentableau

Das Programm selbst ist nahezu komplett neu zusammengestellt. Lediglich Clown Cesar Dias und das Duo Medini sind geblieben. Marek Jama hat bei der Präsentation der hauseigenen Exoten und Pferde Veränderungen vorgenommen. Ansonsten gibt es viele Genres, die hierzulande lange nicht mehr im Tourneeprogramm eines Großcircus zu sehen waren. Eine Truppe am Trampolin etwa, einen Schlangenmenschen oder eine Kunstschützennummer. Alle Darbietungen werden von echten Profis gezeigt, die zudem sehr publikumswirksam arbeiten. Elefanten und Raubtiere sind nicht mehr dabei. Sascha Melnjak kann sich durchaus vorstellen, zukünftig wieder Löwen, Tiger und Dickhäuter mit auf Tournee zu nehmen. 2016 will er aber ein neuartiges Showkonzept ausprobieren, in dem es diese Tierarten eben nicht gibt. Dafür aber viele andere Elemente einer großen Circusshow. Tauchen wir also ein in „Euphorie“.


Pretty Shangase, Cesar Pindo, Messoudis

Nach der druckvollen Ouvertüre wird es mystisch. Die Manege ist in Nebel gehüllt. Artistinnen erscheinen in den bekannten afrikanischen Kostümen. Im Hintergrund stehen zwei imposante lebende Statuen mit Antilopenköpfen. Die Messoudis kommen mit Stäben herein, an deren oberen Enden sich ebenfalls Tierköpfe befinden. Dabei tragen sie Gewänder mit Leopardenfell-Muster. Begleitet werden sie von den Damen des Balletts. Ebenfalls in gefleckten Kleidern leiten sie mit ihrem ersten Tanz über zu Marek Jama und seiner Exotendressur. Zunächst dirigiert er eine Freiheit aus fünf Kamelen, vier braunen Arabern und vier Ponys. Vier weiße Araber sollen in Kürze hinzukommen. Die Pferde werden im weiteren Ablauf von den Rindern abgelöst. Es folgt zunächst das Känguru als Hürdenspringer, dann zwei Zebras. Den Abschluss bilden die Lamas. Einen Teil dieser Nummer hat Pretty Shangase in einem afrikanischen Kostüm gesanglich begleitet. Nun steht sie in der Manege, um ein Tuch mit Zebramuster von einem Tisch zu entfernen. Darunter wartet Cesar Pindo auf seinen Auftritt. Der Klischnigger aus Ecuador begeistert mit seinen unglaublichen Körperverrenkungen. Dabei macht er stets ein freundliches Gesicht. Frenetischer Beifall brandet auf, wenn er seinen Körper in einen kleinen Glaswürfel zwängt. Für ordentlich Tempo sorgen die Messoudis im Trio bei ihren lebhaften Jonglagen. Ausgelassen werfen sie sich gegenseitig Bälle und Keulen zu. Es ist eine wahre Freude, ihnen bei ihrem ausgelassenen „Spiel“ zuzusehen. Echte Showmen eben.


Marco Moressa, Marek Jama, Flying Wulber

Volle Konzentration dann beim nächsten Auftritt. Priscilla Errani und Marco Moressa haben sich eine neue Darbietung aufgebaut. Darin agieren beide als Kunstschützen mit der Armbrust sowie Moressa als Messerwerfer. Effektvoll gleich der erste Trick: Das Licht geht aus und Moressa jagt einen Pfeil mit LED-Lämpchen an der Spitze durch einen von seiner Partnerin gehaltenen beleuchteten Ballon. In flotter Folge und gewohnt charmanter Präsentation wechseln die jungen Eltern zwischen Armbrust und Messerbrett. Nahezu alle gängigen Kunststücke sind zu sehen. Alles wirkt, trotz Premiere und Elternzeit, bereits gut eingespielt. Einzig beim Messerwerfen fällt die recht kurze Distanz zum Brett auf. Die Kostüme des Balletts zur Einleitung der Pferdedressuren haben Flügel bekommen. Ebenso der Palomino, der zu Beginn Schulschritte zeigt. In diesem Block erleben wir ein weiteres Mal Pretty Shangase. Ganz den Tieren und Marek Jama gehört das Sägemehl, wenn der Sechserzug Friesen seine Laufarbeit absolviert. Es folgen Steiger der Araber und von einem weißen Pony. Lange Zeit beim Circo Moira Orfei in Italien im Engagement, erleben wir die Flying Wulber nun beim Zirkus Charles Knie. Die jeweils zwei Fliegerinnen und Flieger haben variantenreiche Sprünge im Repertoire. Höhepunkt ist der Dreifache, welcher sicher gelingt. Auf dem Rückweg gibt es als Zugabe eine doppelte Pirouette. Die Passage soll den Ablauf noch komplettieren. Ebenfalls Sequenzen im UV-Licht. Schon jetzt dreht sich eine sechste Artistin in einem leuchtenden Kostüm mit Flügeln in vertikaler Richtung herauf und herunter. Ein besonderer Nervenkitzel ist der Sprung aus der Kuppel, bei dem der Akteur einer Deutschlandfahne hinterher fliegt. Pretty Shangase – nun im eleganten roten Kleid – sorgt mit ihrem Gesang auch hier für musikalische Unterstützung. Vor der Pause dann French-Can Can mit dem aufgedrehten Ballet in den bekannten blau-weiß-roten Kostümen. Ein ausgelassener Spaß, der von einer überlebensgroßen Popcornschachtel ergänzt wird.


Marek Jama, Duo Medini, Laura Pedersen

Ist die lebende Snackbox vielleicht etwas zu übertrieben für diesen Rahmen, geht es nach der Pause dafür um so stilvoller weiter. Drei der Damen des Balletts präsentieren sich in arabischen Gewändern und mit Kronleuchtern auf dem Kopf. Die vierte tanzt in einem beleuchteten Kleid. Marek Jama erscheint zu Pferd, um seine Hohe Schule zu zeigen. Diese gerät zu einem sinnlichen Tanz von Mensch und Tier. In orientalisch-arabischer Aufmachung wagen Reiter und Pferd sowie Tänzerin eine traumhafte Choreographie - wunderbar. Rasant wie immer präsentieren sich die Geschwister Medini. Auf Rollschuhen jagen sie über eine runde Plattform. Als zusätzlichen Nervenkitzel arbeitet Emanuel die Fahrt mit Vanessa im Nackenwirbel mit verbundenen Augen. Auch ein Zuschauer kommt in den Genuss ein paar flotter Runden. Neu dabei sind Pedersens Seelöwen. Jugendlich-charmant führen Laura Pedersen und ihr Partner William Tournoud die beiden Meeressäuger vor. Flavio und Flappi beherrschen nicht nur viele Kunststücke, sondern sind zudem wahre Komiker. Insbesondere der eindrucksvolle Bulle hat besondere Talente auf diesem Gebiet. Mal verweigert er einen Futterfisch, dann wieder trägt er Laura auf seiner Schnauze.


Cesar Dias, Wulbers, Messoudis

Danach hat Cesar Dias den größten seiner insgesamt nur noch vier Auftritte. Die hinreißende My Way-Performance sorgt auch beim wiederholten Zusehen für grenzenlose Heiterkeit. Sein Kampf mit Orchester, Mikrofon und Barhocker ist immer wieder sehenswert. Des Weiteren erleben wir den portugiesischen Spaßmacher im Duell mit einem Zuschauer, als Schützen mit der Steinschleuder und als Musiker mit Mundharmonika sowie singender Säge. Spritzig-witzig ist zudem der zweite Auftritt der Wulbers. Die Herren als Blues Brothers, die Damen in Pettycoats geht es in lebhaften Eskapaden durch die Manege, vor allen Dingen aber über ein großes Trampolin. Bis hin zum dreifachen Salto. Comedy und Artistik halten sich die Waage. Twist und die Musik der Blues Brothers geben den Rhythmus vor. Das letze Bild vor dem Finale ist mein persönlicher Favorit. Die Damen des Balletts bieten in edlen Kostümen eine Haute Couture-Modenschau. Den weiblichen Schönheiten folgt ein Quartett von blendend aussehenden Männern in weißen Outfits. Die Messoudis haben nicht nur beneidenswerte Körper, sie wissen diese auch perfekt in Szene zu setzen, flirten mit dem Publikum. Dabei wirken sie alles andere als arrogant. Im Gegenteil. Die Herzen der Zuschauerinnen jedenfalls fliegen den Dreamboys im Nu zu. Aber Vater Said und seine Söhne haben ihre Körper nicht (nur) der Optik wegen trainiert, sondern um damit Partner-Equilibristik der Sonderklasse zu zeigen. Starke Tricks machen die Begeisterung perfekt. Folgerichtig gehört ihnen die Schlussnummer, aber nicht das Ende der Vorstellung. Das Finale wird gewohnt aufwendig zelebriert. Viele neue Kostüme, ein starkes Lichtdesign, mitreißend gespielte Musik, Gesang - neben Pretty Shangase ist auch kurz Cesar Dias zu hören - und alle Mitwirkenden gehören dazu. Die Abschiedsworte spricht Chefrequisiteur Ionut Calin. Das Schlussbild wird von Glitterregen garniert.

Mit „Euphorie“ macht der Zirkus Charles Knie einen gewaltigen Schritt voran. Meiner Meinung nach geht dieser Schritt in genau die richtige Richtung. Das Unternehmen pflegt weiterhin den klassischen Circus, präsentiert ihn aber in hochwertiger Aufmachung, reichert ihn um Showelemente an. Damit wird der Circus konkurrenzfähiger zu anderen Angeboten der Unterhaltungsbranche. Ohne die ihn charakterisierenden Besonderheiten aufzugeben. Auch Elefanten und Raubtiere lassen sich in dieses Konzept integrieren. Wir werden sehen. „Euphorie“ wird sich in den kommenden Wochen sicher noch in Einzelheiten weiterentwickeln. Die Besucher in Northeim jedenfalls reagierten tatsächlich euphorisch. Es würde mich wundern, wenn es anderswo nicht so wäre. 2016 reist der Zirkus Charles Knie im Norden der Republik. Drei Städte in den so genannten "Neuen Bundesländern" kommen hinzu.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch