Die neue Produktion steht erstmals unter
einem offensiv in den Vordergrund gestellten Titel. „Euphorie“ lautet
dieser. Die Showblöcke wurden ausgebaut. Das große, hervorragend
spielende Orchester unter der Leitung von Volodymyr Kozachuk ist
geblieben. Ebenfalls das auf einer Position neu besetzte vierköpfige
Ballett. Die ohnehin schon starke Lichtanlage wurde erweitert. Unter
anderem um zwölf P4-Spots mit einem extrem zentrierten Lichtstrahl, die
von Enrico Zoppe gewohnt virtuos eingesetzt werden. Showtreppen rechts
und links des breiten Artisteneingangs sollen noch hinzukommen. Hierfür
muss das Gradin angepasst werden, rund 80 Sitzplätze werden dafür
„geopfert“. Als besonderen Clou gibt es eine hinreißende Sängerin. Die
Auftritte von Pretty Shangase sind wohldosiert. Zudem ist die
Südafrikanerin ungeheuer wandelbar. Sowohl stimmlich als auch
hinsichtlich ihres Gesamtauftritts. Ein echter Gewinn. Nicht zuletzt
sind viele neue, prächtige Kostüme zu sehen. Das Element „Show“ hat
somit eine weitere deutliche Aufwertung erfahren. Die Bilder sind
aufwendiger, prächtiger geworden.
Einleitung Exotentableau
Das
Programm selbst ist nahezu komplett neu zusammengestellt. Lediglich
Clown Cesar Dias und das Duo Medini sind geblieben. Marek Jama hat bei
der Präsentation der hauseigenen Exoten und Pferde Veränderungen
vorgenommen. Ansonsten gibt es viele Genres, die hierzulande lange
nicht mehr im Tourneeprogramm eines Großcircus zu sehen waren. Eine Truppe am Trampolin etwa, einen Schlangenmenschen oder eine
Kunstschützennummer. Alle Darbietungen werden von echten Profis
gezeigt, die zudem sehr publikumswirksam arbeiten. Elefanten und
Raubtiere sind nicht mehr dabei. Sascha Melnjak kann sich durchaus
vorstellen, zukünftig wieder Löwen, Tiger und Dickhäuter mit auf
Tournee zu nehmen. 2016 will er aber ein neuartiges Showkonzept
ausprobieren, in dem es diese Tierarten eben nicht gibt. Dafür aber
viele andere Elemente einer großen Circusshow. Tauchen wir also ein in
„Euphorie“.
Pretty Shangase, Cesar Pindo, Messoudis
Nach
der druckvollen Ouvertüre wird es mystisch. Die Manege ist in Nebel
gehüllt. Artistinnen erscheinen in den bekannten afrikanischen
Kostümen. Im Hintergrund stehen zwei imposante lebende Statuen mit
Antilopenköpfen. Die Messoudis kommen mit Stäben herein, an deren
oberen Enden sich ebenfalls Tierköpfe befinden. Dabei tragen sie
Gewänder mit Leopardenfell-Muster. Begleitet werden sie von den Damen
des Balletts. Ebenfalls in gefleckten Kleidern leiten sie mit ihrem
ersten Tanz über zu Marek Jama und seiner Exotendressur. Zunächst
dirigiert er eine Freiheit aus fünf Kamelen, vier braunen Arabern und
vier Ponys. Vier weiße Araber sollen in Kürze hinzukommen. Die Pferde
werden im weiteren Ablauf von den Rindern abgelöst. Es folgt zunächst
das Känguru als Hürdenspringer, dann zwei Zebras. Den Abschluss bilden
die Lamas. Einen Teil dieser Nummer hat Pretty Shangase in einem
afrikanischen Kostüm gesanglich begleitet. Nun steht sie in der Manege,
um ein Tuch mit Zebramuster von einem Tisch zu entfernen. Darunter
wartet Cesar Pindo auf seinen Auftritt. Der Klischnigger aus Ecuador
begeistert mit seinen unglaublichen Körperverrenkungen. Dabei macht er
stets ein freundliches Gesicht. Frenetischer Beifall brandet auf, wenn
er seinen Körper in einen kleinen Glaswürfel zwängt. Für ordentlich
Tempo sorgen die Messoudis im Trio bei ihren lebhaften Jonglagen.
Ausgelassen werfen sie sich gegenseitig Bälle und Keulen zu. Es
ist eine wahre Freude, ihnen bei ihrem ausgelassenen „Spiel“ zuzusehen.
Echte Showmen eben.
Marco Moressa, Marek Jama, Flying Wulber
Volle
Konzentration dann beim nächsten Auftritt. Priscilla Errani und Marco
Moressa haben sich eine neue Darbietung aufgebaut. Darin agieren beide
als Kunstschützen mit der Armbrust sowie Moressa als Messerwerfer.
Effektvoll gleich der erste Trick: Das Licht geht aus und Moressa jagt
einen Pfeil mit LED-Lämpchen an der Spitze durch einen von seiner
Partnerin gehaltenen beleuchteten Ballon. In flotter Folge und
gewohnt charmanter Präsentation wechseln die jungen Eltern zwischen
Armbrust und Messerbrett. Nahezu alle gängigen Kunststücke sind zu
sehen. Alles wirkt, trotz Premiere und Elternzeit, bereits gut
eingespielt. Einzig beim Messerwerfen fällt die recht kurze Distanz zum
Brett auf. Die Kostüme des Balletts zur Einleitung der Pferdedressuren
haben Flügel bekommen. Ebenso der Palomino, der zu Beginn Schulschritte
zeigt. In diesem Block erleben wir ein weiteres Mal Pretty Shangase.
Ganz den Tieren und Marek Jama gehört das Sägemehl, wenn der Sechserzug
Friesen seine Laufarbeit absolviert. Es folgen Steiger der Araber und
von einem weißen Pony. Lange Zeit beim Circo Moira Orfei in Italien im
Engagement, erleben wir die Flying Wulber nun beim Zirkus Charles Knie.
Die jeweils zwei Fliegerinnen und Flieger haben variantenreiche Sprünge
im Repertoire. Höhepunkt ist der Dreifache, welcher sicher gelingt. Auf
dem Rückweg gibt es als Zugabe eine doppelte Pirouette. Die Passage
soll den Ablauf noch komplettieren. Ebenfalls Sequenzen im UV-Licht.
Schon jetzt dreht sich eine sechste Artistin in einem leuchtenden
Kostüm mit Flügeln in vertikaler Richtung herauf und herunter. Ein
besonderer Nervenkitzel ist der Sprung aus der Kuppel, bei dem der
Akteur einer Deutschlandfahne hinterher fliegt. Pretty Shangase – nun
im eleganten roten Kleid – sorgt mit ihrem Gesang auch hier für
musikalische Unterstützung. Vor der Pause dann French-Can Can mit dem
aufgedrehten Ballet in den bekannten blau-weiß-roten Kostümen. Ein
ausgelassener Spaß, der von einer überlebensgroßen Popcornschachtel ergänzt wird.
Marek Jama, Duo Medini, Laura Pedersen
Ist
die lebende Snackbox vielleicht etwas zu übertrieben für diesen Rahmen,
geht es nach der Pause dafür um so stilvoller weiter. Drei der Damen
des Balletts präsentieren sich in arabischen Gewändern und mit
Kronleuchtern auf dem Kopf. Die vierte tanzt in einem beleuchteten
Kleid. Marek Jama erscheint zu Pferd, um seine Hohe Schule zu zeigen.
Diese gerät zu einem sinnlichen Tanz von Mensch und Tier. In
orientalisch-arabischer Aufmachung wagen Reiter und Pferd sowie
Tänzerin eine traumhafte Choreographie - wunderbar. Rasant wie immer
präsentieren sich die Geschwister Medini. Auf Rollschuhen jagen sie über
eine runde Plattform. Als zusätzlichen Nervenkitzel arbeitet Emanuel
die Fahrt mit Vanessa im Nackenwirbel mit verbundenen Augen. Auch ein
Zuschauer kommt in den Genuss ein paar flotter Runden. Neu dabei sind Pedersens Seelöwen. Jugendlich-charmant führen Laura Pedersen und ihr
Partner William Tournoud die beiden Meeressäuger vor. Flavio und Flappi
beherrschen nicht nur viele Kunststücke, sondern sind zudem wahre
Komiker. Insbesondere der eindrucksvolle Bulle hat besondere Talente
auf diesem Gebiet. Mal verweigert er einen Futterfisch, dann wieder
trägt er Laura auf seiner Schnauze.
Cesar Dias, Wulbers, Messoudis
Danach
hat Cesar Dias den größten seiner insgesamt nur noch vier Auftritte.
Die hinreißende My Way-Performance sorgt auch beim wiederholten Zusehen
für grenzenlose Heiterkeit. Sein Kampf mit Orchester, Mikrofon und
Barhocker ist immer wieder sehenswert. Des Weiteren erleben wir den
portugiesischen Spaßmacher im Duell mit einem Zuschauer, als Schützen
mit der Steinschleuder und als Musiker mit Mundharmonika sowie
singender Säge. Spritzig-witzig ist zudem der zweite Auftritt der
Wulbers. Die Herren als Blues Brothers, die Damen in Pettycoats geht es
in lebhaften Eskapaden durch die Manege, vor allen Dingen aber über ein
großes Trampolin. Bis hin zum dreifachen Salto. Comedy und Artistik
halten sich die Waage. Twist und die Musik der Blues Brothers geben den
Rhythmus vor. Das letze Bild vor dem Finale ist mein persönlicher
Favorit. Die Damen des Balletts bieten in edlen Kostümen eine Haute
Couture-Modenschau. Den weiblichen Schönheiten folgt ein Quartett von
blendend aussehenden Männern in weißen Outfits. Die Messoudis haben
nicht nur beneidenswerte Körper, sie wissen diese auch perfekt in Szene
zu setzen, flirten mit dem Publikum. Dabei wirken sie alles andere als
arrogant. Im Gegenteil. Die Herzen der Zuschauerinnen jedenfalls
fliegen den Dreamboys im Nu zu. Aber Vater Said und seine Söhne haben
ihre Körper nicht (nur) der Optik wegen trainiert, sondern um damit
Partner-Equilibristik der Sonderklasse zu zeigen. Starke Tricks machen
die Begeisterung perfekt. Folgerichtig gehört ihnen die Schlussnummer,
aber nicht das Ende der Vorstellung. Das Finale wird gewohnt aufwendig
zelebriert. Viele neue Kostüme, ein starkes Lichtdesign, mitreißend
gespielte Musik, Gesang - neben Pretty Shangase ist auch kurz Cesar
Dias zu hören - und alle Mitwirkenden gehören dazu. Die
Abschiedsworte spricht Chefrequisiteur Ionut Calin. Das Schlussbild
wird von Glitterregen garniert.
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