Der
Humor nicht immer politisch korrekt. Aber immer wird hohe bis höchste
Qualität geboten. Hinzu kommt, dass "Höchststrafe" von einer perfekten
Regie profitiert. Der Ablauf ist dicht und kennt keinen Leerlauf. Die
Zusammenstellung der einzelnen Darbietungen ist
ungemein stimmig, das Grundmotiv überzeugend umgesetzt. Es gibt Szenen
mit dem gesamten Ensemble. Etwa wenn die Artisten
zu Beginn an Ketten über das Gradin die erhöhte Rundbühne betreten und
sich beim Hofgang austoben. Oder beim Finale auf sich drehendem
Untergrund ihre wiedergewonnene
Freiheit genießen. Das Gesamterlebnis wird durch steil ansteigende
Ränge, eine hoch professionelle Tonanlage und ein starkes Lichtdesign
komplettiert. Für mich ist "Höchststrafe" die bislang stimmigste, ja
beste, wenngleich auch nicht spektakulärste, Flic Flac-Produktion. Ich
plädiere mithin ausdrücklich auf Haftverlängerung. Schade also, dass
das Ende bereits in Sicht ist. Noch ist es aber nicht soweit. Im
kommenden halben Jahr werden noch viele Zuschauer die Möglichkeit haben,
einen großartigen Abend im Knast zu verbringen.
Dima & Dima, Air Track, Nicolai Kuntz
Wenngleich
das Grundkonzept unverändert geblieben ist, wurden und werden immer
wieder einzelne Nummern ausgetauscht. Hier geht es um die Besetzung,
die beim Gastspiel Ende Mai in Mainz zu sehen ist. Direkt aus der
Hofgang-Szene geht es in die Hand-auf-Hand-Akrobatik von Dima &
Dima. Das Duo war schon des öfteren bei Flic Flac zu sehen. Immer
wieder begeistern sie mit Handständen auf den Händen sowie dem Kopf des
Partners. Kommt die musikalische Begleitung hier noch (vermeintlich)
aus einem auf der Bühne stehenden Verstärker, fällt danach der riesige
schwarze Vorhang und gibt den Blick frei auf den gigantischen
Artisteneingang. Dieser besteht aus vielen vergitterten
Gefängniszellen. In den oberen Etagen hat sich die Band um Samuel Beck
eingerichtet. Sängerin Caro Kunde und die Musiker sorgen für einen
beeindruckenden Livesound. Sprünge auf dem Air Track, einem dicken,
länglichen Luftkissen, zeigt das Team um Pawel Apostol Horbacz. In hohem Tempo wirbeln
die
Artisten über die Bahn und springen im Solo sowie in perfekt abgestimmten
Formationen. Am Ende gesellt sich Nicolai Kuntz zu ihnen. Somit geht es
nahtlos mit seiner Akrobatik am Schwungtrapez weiter. Diese als
atemberaubend zu beschreiben, ist nicht übertrieben. Immer wieder lässt
er die Stange los, um gewagte Salti und Schrauben zu springen, während
das Trapez weit schwingt. Dabei fängt er sich auch mit den Füßen wieder
auf. Gut, dass Kuntz dabei longiert ist. Alles andere wäre nicht zu
verantworten.
Hubertus Wawra, Ira Rizaeva, Steve Eleky
Darauf
folgt der erste Auftritt aus der Sparte Comedy. Damit, so könnte man
meinen, wäre für Entspannung gesorgt. Nicht aber, wenn sich der
Komiker als "Master of Hellfire" präsentiert. Hubertus Wawra kommt aus
dem Publikum gehumpelt, denn die Dicke der Sohlen seiner Schuhe
variiert dramatisch. Schlecht zum Laufen, gut für ein Gitarrensolo. Ein
solches bringt er zu Gehör, wobei zum Schluss die Jacke brennt. Das ist
aber mehr oder weniger nur das Beiwerk für seine Gags, die er
unaufhörlich abfeuert. Dabei kennt er keine Gnade. Nahezu jeder bekommt
eine Breitseite ab. Er überschreitet Grenzen, die schon mal für
einen Aufschrei in der Presse gut sind. Sein Publikum aber liebt ihn.
Das ist in Mainz ebenso. Wawras Thüringer Dialekt macht die Sache noch
komischer. Ira Rizaeva ist ein Phänomen. Nicht nur hat sie viele
Nachwuchsartisten bei Flic Flac ausgebildet. Zudem konnten wir sie in
verschiedenen Produktionen im Scheinwerferlicht erleben. Zumeist hat
sie dabei jongliert. Aber das immer wieder neu. Wir erinnern uns an
Feuerjonglagen im Wasserbecken oder das Spiel mit kleinen roten Bällen
auf einem Billardtisch. Jetzt jagt sie ihre fluoreszierenden Bälle
durch eine vergitterte Einzelzelle. Da diese rundum mit Plexiglas
ausgestattet ist, kann sie die Wände bei ihren Jonglagen einbeziehen.
Es entstehen neuartige Bilder, die Rizaevas großem Können eine
zusätzliche Dimension geben. Ein neuer Häftling wird angekündigt. Er
läuft noch in zivil herum, wobei das im Fall von Steve Eleky
Schottenrock und Frack bedeutet. Darin zeigt er seine komischen
Jonglagen mit Ringen, Bällen Zigarrenkisten - und Hai. Auch wenn man
seinen Auftritt schon zig Mal gesehen hat, bringt Eleky einen immer
wieder zum Brüllen. Auf seine Gags und sein meisterhaftes Timing ist
einfach Verlass.
Julia Galenchyk, Hubertus Wawra, Dandino und Luciana
An
den Netzstrapaten versucht Julia Galenchyk ihrem Knast zu entkommen.
Der Auftritt beginnt im Bett, wo sie Fotos betrachtet, um sich kurz
darauf in die Luft zu begeben. Ihre Kür enthält riskanten Tricks, die
aufgrund des fließenden Ablaufs die Gefahr fast vergessen lassen. Zu
schön ist die Choreographie der hübschen Artistin, als dass man ständig
in Angst um sie wäre. Eine andere Variante, die Gefängnismauern hinter
sich zu lassen, bietet die Russische Schaukel. Die Akrobaten um Pawel
Apostol Horbacz türmen allerdings nicht, sondern landen ihre gewaltigen
Sprünge auf der Bühne. Dies sowohl auf einer dicken Matte als auch in
einem von der Decke gespannten Netz. Vor der Pause bringt noch einmal
der "Master of Hellfire" das Publikum in allerbeste Stimmung. Aus der
angedrohten Kunstschützennummer mit einem riesigen Flammenwerfer wird
zum Glück nichts. Sehr zur Freude der Assistentin aus dem Publikum, die
die Zielscheibe halten darf. Neben einer Feuersalve unter die Kuppel
zünden wiederum Hubertus Wawras respektlose Witze. Eine Ensembleszene
begleitet die Rollschuhnummer zu Beginn des zweiten Teils. Metallfässer
brennen, Artisten trommeln darauf, andere schauen einfach nur der
Hauptattraktion zu. Diese gehört Dandino und Luciana. Rasant bewegen
sie sich auf Rollschuhen über eine runde Plattform. Ihr Repertoire ist
breit gefächert. Während Dandino um die eigenen Achse rotiert, zeigt
Luciana an seinen Armen die verschiedensten Tricks. Dabei ist ebenfalls
der Nackenwirbel. Sie sind immer in Höchstgeschwindigkeit unterwegs,
die auf Luciana wirkenden Fliehkräfte müssen immens sein.
Laura Miller, Nicolai Kuntz, Larissa Kastein
Fast
schon entspannend wirkt dagegen die Kür am Luftring von Laura Miller.
Doch auch sie arbeitet nicht ohne Risiko. Es geht hoch hinaus, wenn sie
sehr extrovertiert und wild durch den Raum unter dem Flic
Flac-Chapiteau fliegt. Besonderen Reiz erhält ihre Nummer durch ein
großes gläsernes Bassin, in das sie immer wieder eintaucht. Sie
schwimmt darin und lässt sich dann wieder in die Luft ziehen. Wenn sie sich
auf dem Weg nach oben dreht, entstehen durch das Spritzen der
Wassertropfen wunderschöne Bilder. Als sie das letzte Mal ins Bassin
springt, tanzen an der Oberfläche Flammen. Anschließend lässt Nicolai
Kuntz seine Diabolos tanzen. Im Muscleshirt und mit Wollmütze ist der
Sonnyboy ein virtuoser Jongleur, der seine Diabolos bestens im Griff
hat. Bis zu drei davon beherrscht er in seiner lebhaften Performance
spielend. Mit "Je suis malade" gibt die Musik "der nächsten Darbietung" eine intime, erotische
Grundstimmung vor. Larissa Kastein hat offensichtlich Liebeskummer,
denn ihr Partner lebt aktuell in einer der Gefängnisellen, die den
Artisteneingang bilden. Ihr Kummer entlädt sich in einem
ausdrucksstarken Tanz am Masten. Natürlich zeigt sie nicht nur Pole
Dance, sondern reichert diesen um viele artistische Tricks an. Tricks
der Zauberkunst zeigt uns sodann hochmotiviert Steve
Eleky, der inzwischen seine Anstaltsuniform bekommen hat. Seine
komischen Illusionen sind immer wieder ein Hochgenuss. Allergrößte
Heiterkeit ist garantiert.
Duo Turkeiev, Globe of Speed, Mad Flying Bikers
Danach
gibt es ein Wiedersehen mit Julia Galenchyk. Diesmal sehen wir sie mit
Dmytro Turkeiev an den Strapaten. Die beiden legen gleich richtig los.
Während Galenchyk den Körper ihres Partners umklammert, zeigt Turkeiev
gemeinsam mit ihr mehrere Umschwünge. Zu "Another love" von Tom Odell
erleben wir sie in einer innigen Liebesgeschichte voller wunderschöner
Bilder. Höchste artistische Schwierigkeitsgrade machen den Genuss
dieser bis ins Letzte durchdachten Nummer perfekt. Und dann nimmt der
von Flic Flac bekannte Wahnsinn seinen Lauf. Nicht weniger als acht
Motorradfahrer jagen durch den Globe of Speed. Das Team um José Antonio
Pinillo hat seine Motocross-Maschinen bestens im Griff. Obwohl in der
Kugel Hochbetrieb herrscht, ist offenbar noch genug Platz, um ein paar
riskante Extra-Loopings zu drehen. Auf diesen Thriller folgt gleich der
nächste. Die Mad Flying Bikers jagen mit ihren Motocross-Maschinen über
die Kugel hinweg. Sie schießen vom mittleren Zuschauereingang aus steil
in die Luft, um auf einer Plattform vor dem Artisteneingang zu
landen. Adrenalin pur - ganz bestimmt für die erfahrenen
Artisten, vielmehr aber noch für das sichtlich überraschte Publikum.
Verschiedene Flugmanöver lassen den Atem stocken. Dies insbesondere
dann, wenn ein Biker sein Motorrad für den Bruchteil einer Sekunde
loslässt. Das folgende Finale bringt endlich die hochverdiente
Entspannung.
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