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Flic Flac - Tour 2016
www.flicflac.de ; 150 Showfotos

Mainz, 27. Mai 2016: Manchmal ist auch die "Höchststrafe" einfach viel zu niedrig. Am 5. Oktober 2014 gestartet, soll das aktuelle Tourneeprogramm von Flic Flac Ende 2016 zum letzten Mal gezeigt werden. Gut zwei Jahre also durften wir uns dann an der Show zum 25-jährigen Bestehen des Circus der Familie Kastein erfreuen. Wobei sich immer die Frage stellt, ob "Freude" die richtige Kategorie zur Beurteilung einer Flic Flac-Produktion ist. Denn hier geht es ordentlich zur Sache. Die Artisten treten in Sträflingsklamotten auf. Die Musik ist von der härteren Sorte.

Der Humor nicht immer politisch korrekt. Aber immer wird hohe bis höchste Qualität geboten. Hinzu kommt, dass "Höchststrafe" von einer perfekten Regie profitiert. Der Ablauf ist dicht und kennt keinen Leerlauf. Die Zusammenstellung der einzelnen Darbietungen ist ungemein stimmig, das Grundmotiv überzeugend umgesetzt. Es gibt Szenen mit dem gesamten Ensemble. Etwa wenn die Artisten zu Beginn an Ketten über das Gradin die erhöhte Rundbühne betreten und sich beim Hofgang austoben. Oder beim Finale auf sich drehendem Untergrund ihre wiedergewonnene Freiheit genießen. Das Gesamterlebnis wird durch steil ansteigende Ränge, eine hoch professionelle Tonanlage und ein starkes Lichtdesign komplettiert. Für mich ist "Höchststrafe" die bislang stimmigste, ja beste, wenngleich auch nicht spektakulärste, Flic Flac-Produktion. Ich plädiere mithin ausdrücklich auf Haftverlängerung. Schade also, dass das Ende bereits in Sicht ist. Noch ist es aber nicht soweit. Im kommenden halben Jahr werden noch viele Zuschauer die Möglichkeit haben, einen großartigen Abend im Knast zu verbringen.


Dima & Dima, Air Track, Nicolai Kuntz

Wenngleich das Grundkonzept unverändert geblieben ist, wurden und werden immer wieder einzelne Nummern ausgetauscht. Hier geht es um die Besetzung, die beim Gastspiel Ende Mai in Mainz zu sehen ist. Direkt aus der Hofgang-Szene geht es in die Hand-auf-Hand-Akrobatik von Dima & Dima. Das Duo war schon des öfteren bei Flic Flac zu sehen. Immer wieder begeistern sie mit Handständen auf den Händen sowie dem Kopf des Partners. Kommt die musikalische Begleitung hier noch (vermeintlich) aus einem auf der Bühne stehenden Verstärker, fällt danach der riesige schwarze Vorhang und gibt den Blick frei auf den gigantischen Artisteneingang. Dieser besteht aus vielen vergitterten Gefängniszellen. In den oberen Etagen hat sich die Band um Samuel Beck eingerichtet. Sängerin Caro Kunde und die Musiker sorgen für einen beeindruckenden Livesound. Sprünge auf dem Air Track, einem dicken, länglichen Luftkissen, zeigt das Team um Pawel Apostol Horbacz. In hohem Tempo wirbeln die Artisten über die Bahn und springen im Solo sowie in perfekt abgestimmten Formationen. Am Ende gesellt sich Nicolai Kuntz zu ihnen. Somit geht es nahtlos mit seiner Akrobatik am Schwungtrapez weiter. Diese als atemberaubend zu beschreiben, ist nicht übertrieben. Immer wieder lässt er die Stange los, um gewagte Salti und Schrauben zu springen, während das Trapez weit schwingt. Dabei fängt er sich auch mit den Füßen wieder auf. Gut, dass Kuntz dabei longiert ist. Alles andere wäre nicht zu verantworten.


Hubertus Wawra, Ira Rizaeva, Steve Eleky

Darauf folgt der erste Auftritt aus der Sparte Comedy. Damit, so könnte man meinen, wäre für Entspannung gesorgt. Nicht aber, wenn sich der Komiker als "Master of Hellfire" präsentiert. Hubertus Wawra kommt aus dem Publikum gehumpelt, denn die Dicke der Sohlen seiner Schuhe variiert dramatisch. Schlecht zum Laufen, gut für ein Gitarrensolo. Ein solches bringt er zu Gehör, wobei zum Schluss die Jacke brennt. Das ist aber mehr oder weniger nur das Beiwerk für seine Gags, die er unaufhörlich abfeuert. Dabei kennt er keine Gnade. Nahezu jeder bekommt eine Breitseite ab. Er überschreitet Grenzen, die schon mal für einen Aufschrei in der Presse gut sind. Sein Publikum aber liebt ihn. Das ist in Mainz ebenso. Wawras Thüringer Dialekt macht die Sache noch komischer. Ira Rizaeva ist ein Phänomen. Nicht nur hat sie viele Nachwuchsartisten bei Flic Flac ausgebildet. Zudem konnten wir sie in verschiedenen Produktionen im Scheinwerferlicht erleben. Zumeist hat sie dabei jongliert. Aber das immer wieder neu. Wir erinnern uns an Feuerjonglagen im Wasserbecken oder das Spiel mit kleinen roten Bällen auf einem Billardtisch. Jetzt jagt sie ihre fluoreszierenden Bälle durch eine vergitterte Einzelzelle. Da diese rundum mit Plexiglas ausgestattet ist, kann sie die Wände bei ihren Jonglagen einbeziehen. Es entstehen neuartige Bilder, die Rizaevas großem Können eine zusätzliche Dimension geben. Ein neuer Häftling wird angekündigt. Er läuft noch in zivil herum, wobei das im Fall von Steve Eleky Schottenrock und Frack bedeutet. Darin zeigt er seine komischen Jonglagen mit Ringen, Bällen Zigarrenkisten - und Hai. Auch wenn man seinen Auftritt schon zig Mal gesehen hat, bringt Eleky einen immer wieder zum Brüllen. Auf seine Gags und sein meisterhaftes Timing ist einfach Verlass.


Julia Galenchyk, Hubertus Wawra, Dandino und Luciana

An den Netzstrapaten versucht Julia Galenchyk ihrem Knast zu entkommen. Der Auftritt beginnt im Bett, wo sie Fotos betrachtet, um sich kurz darauf in die Luft zu begeben. Ihre Kür enthält riskanten Tricks, die aufgrund des fließenden Ablaufs die Gefahr fast vergessen lassen. Zu schön ist die Choreographie der hübschen Artistin, als dass man ständig in Angst um sie wäre. Eine andere Variante, die Gefängnismauern hinter sich zu lassen, bietet die Russische Schaukel. Die Akrobaten um Pawel Apostol Horbacz türmen allerdings nicht, sondern landen ihre gewaltigen Sprünge auf der Bühne. Dies sowohl auf einer dicken Matte als auch in einem von der Decke gespannten Netz. Vor der Pause bringt noch einmal der "Master of Hellfire" das Publikum in allerbeste Stimmung. Aus der angedrohten Kunstschützennummer mit einem riesigen Flammenwerfer wird zum Glück nichts. Sehr zur Freude der Assistentin aus dem Publikum, die die Zielscheibe halten darf. Neben einer Feuersalve unter die Kuppel zünden wiederum Hubertus Wawras respektlose Witze. Eine Ensembleszene begleitet die Rollschuhnummer zu Beginn des zweiten Teils. Metallfässer brennen, Artisten trommeln darauf, andere schauen einfach nur der Hauptattraktion zu. Diese gehört Dandino und Luciana. Rasant bewegen sie sich auf Rollschuhen über eine runde Plattform. Ihr Repertoire ist breit gefächert. Während Dandino um die eigenen Achse rotiert, zeigt Luciana an seinen Armen die verschiedensten Tricks. Dabei ist ebenfalls der Nackenwirbel. Sie sind immer in Höchstgeschwindigkeit unterwegs, die auf Luciana wirkenden Fliehkräfte müssen immens sein.


Laura Miller, Nicolai Kuntz, Larissa Kastein

Fast schon entspannend wirkt dagegen die Kür am Luftring von Laura Miller. Doch auch sie arbeitet nicht ohne Risiko. Es geht hoch hinaus, wenn sie sehr extrovertiert und wild durch den Raum unter dem Flic Flac-Chapiteau fliegt. Besonderen Reiz erhält ihre Nummer durch ein großes gläsernes Bassin, in das sie immer wieder eintaucht. Sie schwimmt darin und lässt sich dann wieder in die Luft ziehen. Wenn sie sich auf dem Weg nach oben dreht, entstehen durch das Spritzen der Wassertropfen wunderschöne Bilder. Als sie das letzte Mal ins Bassin springt, tanzen an der Oberfläche Flammen. Anschließend lässt Nicolai Kuntz seine Diabolos tanzen. Im Muscleshirt und mit Wollmütze ist der Sonnyboy ein virtuoser Jongleur, der seine Diabolos bestens im Griff hat. Bis zu drei davon beherrscht er in seiner lebhaften Performance spielend. Mit "Je suis malade" gibt die Musik "der nächsten Darbietung" eine intime, erotische Grundstimmung vor. Larissa Kastein hat offensichtlich Liebeskummer, denn ihr Partner lebt aktuell in einer der Gefängnisellen, die den Artisteneingang bilden. Ihr Kummer entlädt sich in einem ausdrucksstarken Tanz am Masten. Natürlich zeigt sie nicht nur Pole Dance, sondern reichert diesen um viele artistische Tricks an. Tricks der Zauberkunst zeigt uns sodann hochmotiviert Steve Eleky, der inzwischen seine Anstaltsuniform bekommen hat. Seine komischen Illusionen sind immer wieder ein Hochgenuss. Allergrößte Heiterkeit ist garantiert.


Duo Turkeiev, Globe of Speed, Mad Flying Bikers

Danach gibt es ein Wiedersehen mit Julia Galenchyk. Diesmal sehen wir sie mit Dmytro Turkeiev an den Strapaten. Die beiden legen gleich richtig los. Während Galenchyk den Körper ihres Partners umklammert, zeigt Turkeiev gemeinsam mit ihr mehrere Umschwünge. Zu "Another love" von Tom Odell erleben wir sie in einer innigen Liebesgeschichte voller wunderschöner Bilder. Höchste artistische Schwierigkeitsgrade machen den Genuss dieser bis ins Letzte durchdachten Nummer perfekt. Und dann nimmt der von Flic Flac bekannte Wahnsinn seinen Lauf. Nicht weniger als acht Motorradfahrer jagen durch den Globe of Speed. Das Team um José Antonio Pinillo hat seine Motocross-Maschinen bestens im Griff. Obwohl in der Kugel Hochbetrieb herrscht, ist offenbar noch genug Platz, um ein paar riskante Extra-Loopings zu drehen. Auf diesen Thriller folgt gleich der nächste. Die Mad Flying Bikers jagen mit ihren Motocross-Maschinen über die Kugel hinweg. Sie schießen vom mittleren Zuschauereingang aus steil in die Luft, um auf einer Plattform vor dem Artisteneingang zu landen. Adrenalin pur - ganz bestimmt für die erfahrenen Artisten, vielmehr aber noch für das sichtlich überraschte Publikum. Verschiedene Flugmanöver lassen den Atem stocken. Dies insbesondere dann, wenn ein Biker sein Motorrad für den Bruchteil einer Sekunde loslässt. Das folgende Finale bringt endlich die hochverdiente Entspannung.

Mit „Höchststrafe“ hat Flic Flac ein wirkliches Meisterwek abgeliefert. Die Anerkennung gebührt - neben allen Mitwirkenden auf der Bühne und in den unterstützenden Bereichen - den Regisseuren der Show. Namentlich sind das Benno und Tochter Larissa Kastein. Sie haben wahrhaftig Maßstäbe gesetzt. Insofern sollte es einem um die Zukunft von Flic Flac nicht bange sein. Jammern wir also nicht, dass "Höchststrafe" Ende des Jahres Geschichte sein wird, sondern freuen wir uns auf die kommenden Produktionen.


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Text und Fotos: Stefan Gierisch