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Zirkus Nemo - Tour 2016
www.zirkus-nemo.dk ; 80 Showfotos

Charlottenlund, 26. August 2016: Wäre Soren Ostergaard Schweizer, hätte er wohl schon (mindestens) eine Saison als Komiker beim Circus Knie absolviert. Aber nun ist Ostergaard nicht Schweizer, sondern Däne. Und so hat der bekannte Schauspieler die Sache selbst in die Hand genommen. Er ist der Direktor – seit vergangenem Jahr sogar mit eigenem Chapiteau – und Star seines Unternehmens, dem Zirkus Nemo. Dass er den klassischen Circus liebt, merkt man an vielen seiner Comedy-Nummern, die wunderbar das Genre aufgreifen und karikieren.

Auch die von ihm engagierten Darbietungen lassen erkennen, dass er sich in der Welt der internationalen Manegen auskennt. Herrlich zudem der neue Kassenwagen. Er ist jener Kasse nachempfunden, die zum blauen Playmobil-Circus gehört, mit dem ich Ende der 1970er Jahre selbst gespielt habe. Die Plastik-Miniatur steht gut sichtbar im großen Wagen.


Außenansicht

Die Circus-Architektur ist der von Roncalli nachempfunden. Natürlich kleiner und nicht so aufwendig. Schwarz ist die vorherrschende Farbe, ergänzt von Rot und Weiß. Seit dieser Saison kümmert sich Holger Malmström als Zeltmeister und Betriebsleiter um die Infrastruktur. Der Platz in Charlottenlund nahe Kopenhagen ist einfach traumhaft. Eine belebte Liegewiese trennt den Circus vom Strand. Das Meer lädt bei Temperaturen nahe 30 Grad auch am Abend noch zum Baden. Trotzdem ist das Chapiteau bestens gefüllt, fast ausverkauft. Das Publikum weiß, was es an Soren Ostergaard und seinem Zirkus Nemo hat. Die fast schon intime Atmosphäre im Zuschauerraum fördert die Stimmung ungemein. Satisfaction guaranteed.


Opening

Eigentlicher Quell der Begeisterung ist natürlich die Show selbst. Eine vierköpfige Band in ganz eigener Besetzung spielt mit vollem Einsatz, dass es eine wahre Freude ist. Das Quartett trägt Kostüme mit Hut in Pink. Skurril, aber hier völlig passend. Das Opening mit den Artisten wird gestört. Die bekannte pöbelnde Figur mit dem wenig gepflegten Äußeren, von Ostergaard gespielt, sabotiert die Vorstellung der Mitwirkenden. Mit einem gezielten Handkantenschlag durchschlägt sie den Tisch des Bäcker-Lobbyisten, eines anderen Ostergaard-Charakters. Das klingt reichlich konfus, macht aber Spaß. Zumal viel Dänisch gesprochen wird. Wenngleich ich kein Wort verstehe, sorgen Gesten, Outfits und Artikulation für größte Heiterkeit. Nach dieser Einlage heißt es Opening, zweiter Versuch. Dabei erleben wir den Direktor in seinem nächsten Aufzug. Als vertrottelter Magier im klassischen Kostüm lässt er Captain Frodo aus Kisten erscheinen. Der Norweger – ein Wunder der Gelenkigkeit und Komiker vor dem Herrn – ist nicht zum ersten Mal bei Nemo engagiert. So präsentiert er seine bereits hier gezeigten Balancen auf einem Turm aus Eimern und Dosen in Kurzform direkt zu Beginn. Er hat mehrere Auftritte über den Abend verteilt. Dies sowohl im Solo als auch gemeinsam mit Ostergaard. Unterstützt werden sie von Laura Kvist Poulsen, die zudem hinter den Kulissen wirkt.


Captain Frodo

Paradestück ist Frodos Auftritt, bei dem er seinen Körper durch gleich zwei Rahmen von Tennisschlägern zwängt. Dabei hängt der Norweger gerne mal Gelenke aus und gibt herrlich komische Kommentare ab. Dies dankenswerterweise in Englisch. Den Mikrofonständer bezieht er gleich mit ein in seine Eskapaden. Wunderbar auch, wie Soren Ostergaard es ihm danach gleichtut und - ebenfalls nur mit Tennisshorts bekleidet – selbst durch ein Racket steigt. Dank Captain Frodo kennen wir jetzt auch den Unterschied in der Präsentation zwischen Circus und Freakshow. Er erklärt ihn uns sehr unterhaltsam am Beispiel des Balancierens von einem Löffel. Gemeinsam spielen Ostergaard und Frodo eine zunächst poetische Szene mit Seifenblasen. Natürlich kommt sogleich die Komik hinzu, die durch die viel größeren Blasen von Frodo ausgelöst wird. Zu dritt entzünden Ostergaard, Frodo und Kvist Poulsen Fackeln sowie Neonröhren mittels Hochspannung. Nicht ungefährlich das Ganze. Natürlich gibt es Opfer zu beklagen.


Soren Ostergaard

Star des Comedy-Teils, vielmehr der gesamten Show ist natürlich Soren Ostergaard. Schon vor der Vorstellung läuft der Direktor über den Platz sowie durch das Chapiteau und verkauft höchstpersönlich Programmhefte. Wir sehen ihn wie gewohnt in den unterschiedlichsten Rollen, ganz egal ob männliche oder weibliche. Viele der Charaktere sind bekannt, die Sketche aber natürlich neu. Dabei wird immer wieder das circensische Thema aufgegriffen, gerne mit dem Genre Zauberei. So wechseln etwa riesige Sektflaschen und Kunstblumen ihre Plätze. Alles wirkt improvisiert, dilettantisch und ist doch so perfekt dargeboten. Hinzu kommen immer wieder neue Figuren, die etwa aktuelle Themen aufgreifen. So erleben wir Ostergaard in einer Burka im Zwiegespräch mit einer Puppe. Die Bekleidung hat zwei Vorteile. Die Puppe kann „sprechen“ ohne dass man sieht, wie Soren Ostergaard die Lippen bewegt. Ferner steckt darunter gleich das Kostüm für den nächsten Auftritt, sodass es (fast) ohne Pause weitergehen kann. Ohnehin geht es Schlag auf Schlag, die Gagdichte ist enorm. Respekt, denn der Direktor ist eben nicht nur in der Show, sondern auch hinter den Kulissen die Hauptperson.


Duo Solys, Anastasini Brothers, Menno und Emily van Dyke

Die Comedy ist vom Feinsten, die Artistik zum Glück ebenfalls. Den Auftakt macht das Duo Solys. Das sympathische Paar aus Kuba konnten wir für eine Saison beim Zirkus Charles Knie erleben. Ihre äußerst starke Equilibristik erhält ihre besonderen Reiz dadurch, dass zumeist Tatania die tragende Rolle übernimmt und ihren Partner Hector auf verschiedenen Körperteilen balanciert. Beim Schlusstrick kommt der effektvolle Miniatur-Eiffelturm zum Einsatz. Von Krone kennen wir die Anastasini Brothers. Virtuos jongliert Guiliano seinen jüngeren Bruder Fabio mit den Füßen. Ein Doppelsalto ist genauso dabei wie ein „Fuß-auf-Fuß“-gefangener einfacher Salto. Mit unzähligen Salti hintereinander im Hochgeschwindigkeitstempo bringen die US-amerikanischen Showmen das Publikum zum Toben. Deutlich ruhiger, konzentrierter ist der ganz besondere Trick von Steacy Giribaldi. Dabei balanciert sie auf der freistehenden Leiter über einen am Boden liegenden Parcour aus kleinen Säulen, die sie Zentimeter-genau erwischen muss. Ausgelassener geht es am Beginn ihrer Darbietung zu. Dann präsentiert die hübsche junge Frau voller Power variantenreiche Balancen auf ihrem Requisit. Beim European Youth Circus 2004 machte Menno van Dyk das erste Mal bei uns von sich reden. Die Kunst des Jonglierens hat er im Jugendcircus erlernt und inzwischen mit seiner Frau Emily verfeinert. Gemeinsam mit der ausgebildeten Tänzerin zelebriert er einen sinnlichen Tango. Dabei jongliert er virtuos mit Bällen und Keulen. Emily tanzt gemeinsam mit ihm und hat auch beim Jonglieren ihre Hände im Spiel. Das junge Paar begeistert im Big Apple Circus genauso wie im Tigerpalast oder eben im Zirkus Nemo.

Dieser „Circus für Erwachsene“ fasziniert sein Publikum auch 2016 mit der bewährten Mischung aus großartiger Comedy und sorgsam ausgewählten Artisten. Zugpferd ist natürlich wiederum der Direktor höchstpersönlich. Den Erfolg gönnt man Soren Ostergaard von ganzem Herzen, schließlich arbeitet er unablässig dafür. Ausverkaufte Vorstellungen sind der verdiente Lohn. Wenngleich sein Zirkus Nemo ein bisschen anders als andere ist, verschreibt er sich im Kern doch ganz der Tradition des Circus.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch