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Circus Roncalli - Tour 2016
www.roncalli.de ; 160 Showfotos

Köln, 24. April 2016: Die Ankündigungen im Vorfeld zur Jubiläumstournee waren vollmundig. Ein „großes, sehr aufwendiges Geburtstags-Opening“ wurde versprochen, alte Publikumslieblinge wie Pic oder Peter Shub sollten in Köln wöchentlich in die Roncalli-Manege zurückkehren. „Wir wollen die Roncalli-Geschichte erzählen“, kündigte Bernhard Paul an. Ebenso sprach er von einer „wahren Kostümorgie“. Das Programm zum 40. Geburtstag dieses traumhaften Circus ist dann aber deutlich weniger rückwärtsgerichtet geraten. Die Erinnerung an die Vergangenheit findet vor der Vorstellung statt.

Bis auf Karl Trunk mit neu einstudierten Pferdedressuren sowie die Clowns Gensi und Anatoli Akerman erleben wir komplett neue Nummern. Drei davon wurden beim Pariser Cirque de Demain preisgekrönt. Die Inszenierung der Show unterscheidet sich hingegen wenig von denen der Vorjahre. Und das ist einerseits gut so, denn sonst wäre es einfach nicht Roncalli. Andererseits hätte man unter Bezugnahme auf das Jubiläum ganz besondere Akzente setzen können.


Circus Roncalli auf dem Kölner Neumarkt

Schon der Anblick dieses nostalgischen und mit 40 Jahren doch noch recht jungen Vorzeigeunternehmens ist ein Erlebnis. Auf dem Kölner Neumarkt ist das Ambiente eine wahre Freude, vor dem Wiener Rathaus wird die Optik dann perfekt sein. In der Domstadt am Rhein drängen sich die Besucher in langen Schlangen vor dem Haupteingang. Andere stärken sich im Café des Artistes für die kommenden drei Stunden. Der Wurstwagen mit dem markanten Schornstein lockt mit leckeren Düften. Am prunkvollen Kassenwagen werden die letzten Tickets vergeben, bis die Vorstellung ausverkauft ist. Es herrscht eine erwartungsvolle Stimmung, bis endlich ein Pfiff ertönt und der einzigartige Roncalli-Einlass beginnt.


Mobile mit Motiven aus 40 Jahren Circus Roncalli

Im Zeltpalast dreht sich ein riesiges, historisch gestaltetes Mobile. Daran hängen drei Screens, auf denen im ständigen Wechsel Fotos aus 40 Jahren Circus Roncalli zu sehen sind. Nach der ersten Einlage der Clowns und den Sicherheitshinweisen von Sprechstallmeister Patrick Philadelphia spielt das Roncalli Royal Orchestra seine fulminante Ouvertüre. Prominent auf der Orchesterbühne des prächtigen Artisteneingangs sitzend, musizieren die Mannen um Georg Pommer, dass es eine wahre Freude ist. Als sich die rote Gardine wieder öffnet, erscheint Weißclown Gensi, um das hochverehrte Publikum zu begrüßen. Eine volle Manege bringt das Opening mit jenem Bingo-Ensemble, welches wir im vergangenen Jahr beim Schweizer National-Circus Knie erleben konnten. Die Ukrainer kreieren ein großes, mitreißendes Eröffnungsbild. Zu sehen sind neben Tanz verschiedenste Disziplinen der Akrobatik. Hinzu kommen Lili Paul und Jemile Martinez mit Artistik auf Rollschuhen. Der gesamte Auftritt ist wahnsinnig schwungvoll, das Publikum geht von Anfang an begeistert mit. Bingo rockt Köln! Die Wirkung wird durch das ungeheuer starke Lichtdesign noch gesteigert. Ein erster Vorgeschmack auf die traumhafte Lichtregie, die sich durch die gesamte Show zieht.


Vivi Paul, Paolo Carillon, Trio Csaszar

Als kecken Harlekin erleben wir Vivi Paul am Luftring. Die Direktions-Tochter hat sich eine liebenswürdige Darbietung erarbeitet, die sie selbstbewusst und sehr charmant präsentiert. Einen skurrilen, offensichtlich von einem echten Bastler gebauten Hund bringt Gensi in die Manege. Leider scheint das Tier leblos. Dieses Problem löst das „Herrchen“ Paolo Carillon. Mittels Herztransplantation haucht er dem Vierbeiner neues Leben ein. Der italienische Clown in viktorianischem Kostüm ist wirklich ein Tüftler. Das sieht man schon seinem Äußeren an. An seinem Zylinder finden sich unter anderem ein großes Ziffernblatt und ein kleiner Schalltrichter. Er lässt es Papierschnipsel regnen oder er lässt Seifenblasen aufsteigen. Von der roten zur blauen Roncalli-Einheit gewechselt ist das Trio Csaszar. Sie starten mit Handvoltigen, um sich dann mit Hilfe eines Schleuderbretts in die Luft zu katapultieren. Cornelia Abran ist dabei die charmante Fliegerin. Die Brüder Gabor und Peter Csaszar sorgen dafür, dass sie fliegt und danach sicher aufgefangen wird. Aber auch der etwas kräftiger gebaute Peter beweist erstaunliche Beweglichkeit. Ohnehin würzen die Ungarn ihre Darbietung mit einem guten Schuss Humor. Verstärkt wird dies durch die Begleitung von Ramon als komischer Requisiteur.


Anatoli Akerman, Lili Paul, Robert Wicke

Anatoli Akerman genügt ein Koffer als Bühne. Darauf tanzt er und jongliert mit Zigarrenkistchen. Nebenbei schneidet er Grimassen und verschiebt das Füllmaterial in seiner Hose so, dass seine Proportionen höchst unvorteilhaft, aber eben auch herrlich komisch wirken. Höchst vorteilhaft hingegen setzt Lili Paul ihren Körper in Szene. Auf einer beleuchteten Plattform präsentiert sie sich als bewegliche Akrobatin, die während ihrer Performance gekonnt mit dem Publikum flirtet. Ihre Tricks der Kontorsion verbindet sie geschickt mit Handstandakrobatik und der Jonglage von Tüchern auf Händen sowie Füßen. Dann hat Robert Wicke seinen ersten Auftritt. Der Hannoveraner besitzt vielerlei Talente. Hier erleben wir ihn als Beatboxer und Entertainer. Als DJ legt er verschiedene Platten auf. Die Sounds dazu produziert er selbst mit dem Mund. Was die Stilrichtungen angeht, ist der coole junge Mann mit dem blau weiß-gestreiften T-Shirt flexibel. Auf Modernes folgt „Guten Abend, gute Nacht“. Das Publikum bildet den voluminösen Chor dazu. In morgendlicher Atmosphäre beginnen die Pferdedressuren. Nachdem sich die Tiere im Morgennebel auf der - gedanklichen – Weide vergnügt haben, zeigt Karl Trunk eine Freiheit in den Größen Mini, Midi und Maxi. Vivi Paul übernimmt mit einem Groß & Klein, wonach Karl Trunk drei Korbpferde präsentiert. Die Körbe werden hier allerdings durch jeweils zwei Cavalettis gebildet. Steiger runden dieses Pferdebild ab, das die einzige Tiernummer bleibt. Zumindest fast, denn auch Gensi hat es bei seiner folgenden Reprise mit einem Pferd zu tun. Dieses allerdings hat einen hohen Stoff-Anteil.


Ramon Hopman, Ty Tojo, Gensi

Marlitt Pallavicini (Werner) will uns sodann mit magischen Spielereien verblüffen. Allerdings muss sie kurzfristig ihr Auto umparken. Und so springt Ramon Hopman ein. Was folgt ist der für mich witzigste Auftritt des Abends. Der gebürtige Niederländer bekommt die Anweisungen für den Trick mit Flaschen und Röhren über Telefon. Es ist einfach umwerfend komisch, wie die einzelnen Zaubereien mal gelingen und dann wieder herrlich daneben geben. Tapfer greift das ehemalige Mitglied der Frères Taquins dabei zum Glas, um den einen oder anderen Martini zu kippen. Assistiert wird er dabei von Devlin Bogino. Gerne hätte ich einen weiteren derartigen Auftritt von Hopman gesehen. Ein bemerkenswerter Jongleur war Ty Tojo schon immer. Jetzt hat er zudem die passende Aufmachung gefunden. Der Amerikaner mit japanischen Wurzeln zeigt seine aufregenden Touren mit weißen Bällen in einem asiatisch inspirierten Kostüm. Jugendlich-unbekümmert schickt er seine Requisiten auf immer spektakulärere Umlaufbahnen. Das passendes Lichtdesign und die Musik machen den Genuss perfekt. Mit einem auf den Fingern gepfiffenen „Viva Colonia“ hat Gensi das Publikum natürlich auf seiner Seite. Richtig lebhaft wird es bei der Mastenakrobatik von Bingo. An drei Chinese Poles sowie in der Manege zeigen die Ukrainer mitreißende Bilder und glänzen dabei akrobatisch. Mit diesem Schwung geht es in die Pause, welche von Robert Wicke angekündigt wird.


Lift, Anatoli Akerman, Duo Phykov

Der Auftakt des zweiten Teil gehört traditionell dem Orchester. Nun werden die Musiker verstärkt von Marlitt Pallavicini als Sängerin. Gemeinsam begleiten sie auch die folgende Nummer. Mit „Birds Flying High“ geben sie der Fliegerin der Formation Lift zusätzlichen Auftrieb. Eigentlich ein Quartett, erleben wir sie an diesem Abend zu dritt am Fangstuhl. Die beiden Porteure werben um die Gunst der jungen Dame. Diese zeigt faszinierende Schrauben und Salti, welche sie auf einer Matte am Boden landet. Alternativ wird sie von ihren Partnern wieder aufgefangen. In jeder Hinsicht ist diese Darbietung ein Genuss. 2015 wurde sie beim Cirque de Demain mit Silber ausgezeichnet. Zum Entspannen kommen wir gleich darauf dank Anatoli Akerman. Mit Schlafmütze und großem Kissen ist er auf der Suche nach nächtlicher Ruhe. Durch den heldenhaften Einsatz eines Zuschauers werden dafür die passenden Lichtverhältnisse geschaffen. Den auf die Zeltplane projizierten Mond greift das Duo Phykov auf. Die Enden des Drahtseils, auf dem Yana Phykova tanzt, werden von einer Mondsichel gehalten. Das sieht nicht nur gut aus, es ermöglicht zudem neuartige Tricks. Wie etwa den Lauf auf dem ansteigenden Seil, bei dem Phykovas Mann auf einer Seite des Requisits sitzt. Dieser begleitet die Kunststücke seiner Frau auf dem Seil – wie etwa den Spitzenlauf oder den Spagat – als Trommler. Beide tragen dazu historische Kostüme. Es ist eine wunderbar Darbietung, wie für Roncalli gemacht. Zum folgenden Ständchen eines Quartetts aus dem Orchester tanzen Anatoli Akerman und Ramon Hopman.


Ai'Moko, Avital und Jochen, Robert Wicke

„Allein mithilfe seiner Laute, Bewegungen und eines schmalen Reifens kreiert er einen surreal anmutenden Raum, fast als befände er sich auf einem einsamen Stern am anderen Ende der Milchstraße.“ Schöner als es das Programm-Magazin tut, kann man den Auftritt von Ai'Moko kaum beschreiben. Der Venezuelaner gibt bei seiner Kür am Wheel Cyr einen kauzigen, liebenswerten Typen. Zu seinen darstellerischen kommen große artistische Fähigkeiten. Beides zusammen brachte Aime Morales, so sein richtiger Name, eine Goldmedaille beim Cirque de Demain ein. Mit Silber prämiert wurden dort Avital und Jochen. Dank aufregender Flugpassagen am Schwungtrapez begeistern sie das Roncalli-Publikum. Nach ihren gewagten Sprüngen fängt Jochen Pöschko seine Partnerin sicher wieder auf. Untermalt werden ihre Flüge von Livegesang. Auf einem historischen Fahrrad erscheint Paolo Carillon zu seinem zweiten Einsatz. Diesmal zaubert er Seifenblasen in den verschiedensten Formen und Größen. Wieder gibt er den skurrilen Tüftler. Es ist eine traumhaft anzusehende Nummer. Manch einer mag an Pic denken, der mit seiner Version der Seifenblasen eine der bekanntesten Roncalli-Figuren ist. Comedy-Zauberei, Jonglage, Beatboxen und Pantomime – das alles vereint Robert Wicke beim letzten Auftritt vor dem Finale. Er lässt einen Teddybären „verschwinden“ und jongliert dank der Hilfe von Zuschauern sehr originell mit Keulen. Eine junge Dame bittet er zum Tete-a-tete auf seinem Koffer. Das Publikum geht sehr gut mit. Und dennoch gerät diese Darbietung mit 15 Minuten für meinen Geschmack etwas zu lang. Zudem hätte ich mir für dieses Jubiläumsprogramm von Roncalli durchaus eine stärkere Schlussnummer gewünscht. Immerhin wird das Finale gewohnt großartig zelebriert: Luftballons, Wiener Walzer, Zugaben und viele Vorhänge lassen es zu einem echten Erlebnis für die Sinne werden. Wirklich gelungen die endgültige Verabschiedung. Dabei singt Robert Wicke mit dem Publikum das zuvor eingeübte „Guten Abend, gute Nacht“. Anatoli Akerman hat noch einmal seine Schlafmütze aufgesetzt. Mit einem Kissen am Kopf lehnt er an Wickes Schulter, wenn sich die rote Gardine ein letztes Mal schließt.

„40 Jahre Reise zum Regenbogen“ - In seinem Jubiläumsprogramm schaut Roncalli vor allen Dingen in die Zukunft. Mit vielen jungen, neuen Artisten. Spannende Neuentdeckungen sind dabei. Zumindest für hiesige Manegen. Sicher hätte man das Jubiläum in der Show noch stärker aufgreifen können. Ansatzpunkte dafür gäbe es genug, wie die Vorankündigungen zeigen. Nichtsdestotrotz gelingt die Feier des runden Geburtstags auch so. Der Circus selbst und die Gesamtpräsentation der Show verkörpern das, was Roncalli ausgemacht hat und einen Besuch dort noch immer zu etwas Besonderem werden lässt. Herzlichen Glückwunsch!

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Text und Fotos: Stefan Gierisch