Bis
auf Karl Trunk mit neu einstudierten Pferdedressuren sowie die Clowns
Gensi und Anatoli Akerman erleben wir komplett neue Nummern. Drei davon
wurden beim Pariser Cirque de Demain preisgekrönt. Die Inszenierung der
Show unterscheidet sich hingegen wenig von denen der Vorjahre. Und das
ist einerseits gut so, denn sonst wäre es einfach nicht Roncalli.
Andererseits hätte man unter Bezugnahme auf das Jubiläum ganz besondere Akzente setzen können.
Circus Roncalli auf dem Kölner Neumarkt
Schon
der Anblick dieses nostalgischen und mit 40 Jahren doch noch recht
jungen Vorzeigeunternehmens ist ein Erlebnis. Auf dem Kölner Neumarkt
ist das Ambiente eine wahre Freude, vor dem Wiener Rathaus wird die
Optik dann perfekt sein. In der Domstadt am Rhein drängen sich die
Besucher in langen Schlangen vor dem Haupteingang. Andere stärken sich
im Café des Artistes für die kommenden drei Stunden. Der Wurstwagen mit
dem markanten Schornstein lockt mit leckeren Düften. Am prunkvollen
Kassenwagen werden die letzten Tickets vergeben, bis die Vorstellung
ausverkauft ist. Es herrscht eine erwartungsvolle Stimmung, bis endlich
ein Pfiff ertönt und der einzigartige Roncalli-Einlass beginnt.
Mobile mit Motiven aus 40 Jahren Circus Roncalli
Im
Zeltpalast dreht sich ein riesiges, historisch gestaltetes Mobile.
Daran hängen
drei Screens, auf denen im ständigen Wechsel Fotos aus 40 Jahren Circus
Roncalli zu sehen sind. Nach der ersten Einlage der Clowns und den
Sicherheitshinweisen von Sprechstallmeister Patrick Philadelphia spielt
das Roncalli Royal Orchestra seine fulminante Ouvertüre. Prominent auf
der Orchesterbühne des prächtigen Artisteneingangs sitzend, musizieren
die Mannen um Georg Pommer, dass es eine wahre Freude ist. Als sich die
rote Gardine wieder öffnet, erscheint Weißclown Gensi, um das
hochverehrte Publikum zu begrüßen. Eine volle Manege bringt das
Opening mit jenem Bingo-Ensemble, welches wir im vergangenen Jahr beim
Schweizer National-Circus Knie erleben konnten. Die Ukrainer kreieren
ein großes, mitreißendes Eröffnungsbild. Zu sehen sind neben Tanz
verschiedenste Disziplinen der Akrobatik. Hinzu kommen Lili Paul und
Jemile Martinez mit Artistik auf Rollschuhen. Der gesamte Auftritt ist
wahnsinnig schwungvoll, das Publikum geht von Anfang an begeistert mit.
Bingo rockt Köln! Die Wirkung wird durch das ungeheuer starke
Lichtdesign noch gesteigert. Ein erster
Vorgeschmack auf die traumhafte Lichtregie, die sich durch die gesamte
Show zieht.
Vivi Paul, Paolo Carillon, Trio Csaszar
Als
kecken Harlekin erleben wir Vivi Paul am Luftring. Die
Direktions-Tochter hat sich eine liebenswürdige Darbietung erarbeitet,
die sie selbstbewusst und sehr charmant präsentiert. Einen skurrilen,
offensichtlich von einem echten Bastler gebauten Hund bringt Gensi in
die Manege. Leider scheint das Tier leblos. Dieses Problem löst das
„Herrchen“ Paolo Carillon. Mittels Herztransplantation haucht er dem
Vierbeiner neues Leben ein. Der italienische Clown in viktorianischem
Kostüm ist wirklich ein Tüftler. Das sieht man schon seinem Äußeren an.
An seinem Zylinder finden sich unter anderem ein großes Ziffernblatt
und ein kleiner Schalltrichter. Er lässt es Papierschnipsel regnen oder
er lässt Seifenblasen aufsteigen. Von der roten zur blauen
Roncalli-Einheit gewechselt ist das Trio Csaszar. Sie starten mit
Handvoltigen, um sich dann mit Hilfe eines Schleuderbretts in die Luft
zu katapultieren. Cornelia Abran ist dabei die charmante Fliegerin. Die
Brüder Gabor und Peter Csaszar sorgen dafür, dass sie fliegt und danach
sicher aufgefangen wird. Aber auch der etwas kräftiger gebaute Peter
beweist erstaunliche Beweglichkeit. Ohnehin würzen die Ungarn
ihre Darbietung mit einem guten Schuss Humor. Verstärkt wird dies durch
die Begleitung von Ramon als komischer Requisiteur.
Anatoli Akerman, Lili Paul, Robert Wicke
Anatoli
Akerman genügt ein Koffer als Bühne. Darauf tanzt er und jongliert mit
Zigarrenkistchen. Nebenbei schneidet er Grimassen und verschiebt das
Füllmaterial in seiner Hose so, dass seine Proportionen höchst
unvorteilhaft, aber eben auch herrlich komisch wirken. Höchst
vorteilhaft hingegen setzt Lili Paul ihren Körper in Szene. Auf einer
beleuchteten Plattform präsentiert sie sich als bewegliche Akrobatin, die
während ihrer Performance gekonnt mit dem Publikum flirtet. Ihre Tricks
der Kontorsion verbindet sie geschickt mit Handstandakrobatik und der
Jonglage von Tüchern auf Händen sowie Füßen. Dann hat Robert Wicke
seinen ersten Auftritt. Der Hannoveraner besitzt vielerlei Talente.
Hier erleben wir ihn als Beatboxer und Entertainer. Als DJ legt er
verschiedene Platten auf. Die Sounds dazu produziert er selbst mit dem
Mund. Was die Stilrichtungen angeht, ist der coole junge Mann mit dem
blau weiß-gestreiften T-Shirt flexibel. Auf Modernes folgt „Guten
Abend, gute Nacht“. Das Publikum bildet den voluminösen Chor dazu. In
morgendlicher Atmosphäre beginnen die Pferdedressuren. Nachdem sich die
Tiere im Morgennebel auf der - gedanklichen – Weide vergnügt haben,
zeigt Karl Trunk eine Freiheit in den Größen Mini, Midi und Maxi. Vivi
Paul übernimmt mit einem Groß & Klein, wonach Karl Trunk drei
Korbpferde präsentiert. Die Körbe werden hier allerdings durch jeweils
zwei Cavalettis gebildet. Steiger runden dieses Pferdebild ab, das die
einzige Tiernummer bleibt. Zumindest fast, denn auch Gensi hat es bei
seiner folgenden Reprise mit einem Pferd zu tun. Dieses allerdings hat
einen hohen Stoff-Anteil.
Ramon Hopman, Ty Tojo, Gensi
Marlitt
Pallavicini (Werner) will uns sodann mit magischen Spielereien verblüffen.
Allerdings muss sie kurzfristig ihr Auto umparken. Und so springt Ramon
Hopman ein. Was folgt ist der für mich witzigste Auftritt des Abends.
Der gebürtige Niederländer bekommt die Anweisungen für den Trick mit
Flaschen und Röhren über Telefon. Es ist einfach umwerfend komisch, wie
die einzelnen Zaubereien mal gelingen und dann wieder herrlich daneben
geben. Tapfer greift das ehemalige Mitglied der Frères Taquins dabei
zum Glas, um den einen oder anderen Martini zu kippen. Assistiert wird
er dabei von Devlin Bogino. Gerne hätte ich einen weiteren derartigen
Auftritt von Hopman gesehen. Ein bemerkenswerter Jongleur war Ty Tojo
schon immer. Jetzt hat er zudem die passende Aufmachung gefunden. Der
Amerikaner mit japanischen Wurzeln zeigt seine aufregenden Touren mit
weißen Bällen in einem asiatisch inspirierten Kostüm.
Jugendlich-unbekümmert schickt er seine Requisiten auf immer
spektakulärere Umlaufbahnen. Das passendes Lichtdesign und die Musik
machen den Genuss perfekt. Mit einem auf den Fingern gepfiffenen „Viva
Colonia“ hat Gensi das Publikum natürlich auf seiner Seite. Richtig
lebhaft wird es bei der Mastenakrobatik von Bingo. An drei Chinese
Poles sowie in der Manege zeigen die Ukrainer mitreißende Bilder und
glänzen dabei akrobatisch. Mit diesem Schwung geht es in die Pause,
welche von Robert Wicke angekündigt wird.
Lift, Anatoli Akerman, Duo Phykov
Der
Auftakt des zweiten Teil gehört traditionell dem Orchester. Nun werden
die Musiker verstärkt von Marlitt Pallavicini als Sängerin. Gemeinsam begleiten
sie auch die folgende Nummer. Mit „Birds Flying High“ geben sie der
Fliegerin der Formation Lift zusätzlichen Auftrieb. Eigentlich ein
Quartett, erleben wir sie an diesem Abend zu dritt am Fangstuhl. Die
beiden Porteure werben um die Gunst der jungen Dame. Diese zeigt
faszinierende Schrauben und Salti, welche sie auf einer Matte am Boden
landet. Alternativ wird sie von ihren Partnern wieder aufgefangen. In
jeder Hinsicht ist diese Darbietung ein Genuss. 2015 wurde sie beim
Cirque de Demain mit Silber ausgezeichnet. Zum Entspannen kommen wir
gleich darauf dank Anatoli Akerman. Mit Schlafmütze und großem Kissen
ist er auf der Suche nach nächtlicher Ruhe. Durch den heldenhaften
Einsatz eines Zuschauers werden dafür die passenden Lichtverhältnisse
geschaffen. Den auf die Zeltplane projizierten Mond greift das Duo
Phykov auf. Die Enden des Drahtseils, auf dem Yana Phykova tanzt,
werden von einer Mondsichel gehalten. Das sieht nicht nur gut aus, es
ermöglicht zudem neuartige Tricks. Wie etwa den Lauf auf dem
ansteigenden Seil, bei dem Phykovas Mann auf einer Seite des Requisits
sitzt. Dieser begleitet die Kunststücke seiner Frau auf dem Seil – wie
etwa den Spitzenlauf oder den Spagat – als Trommler. Beide tragen dazu
historische Kostüme. Es ist eine wunderbar Darbietung, wie für Roncalli
gemacht. Zum folgenden Ständchen eines Quartetts aus dem Orchester
tanzen Anatoli Akerman und Ramon Hopman.
Ai'Moko, Avital und Jochen, Robert Wicke
„Allein
mithilfe seiner Laute, Bewegungen und eines schmalen Reifens kreiert er
einen surreal anmutenden Raum, fast als befände er sich auf einem
einsamen Stern am anderen Ende der Milchstraße.“ Schöner als es das
Programm-Magazin tut, kann man den Auftritt von Ai'Moko kaum
beschreiben. Der Venezuelaner gibt bei seiner Kür am Wheel Cyr einen
kauzigen, liebenswerten Typen. Zu seinen darstellerischen kommen große
artistische Fähigkeiten. Beides zusammen brachte Aime Morales, so sein richtiger
Name, eine Goldmedaille
beim Cirque de Demain ein. Mit Silber prämiert wurden dort Avital und
Jochen. Dank aufregender Flugpassagen am Schwungtrapez begeistern sie
das Roncalli-Publikum. Nach ihren gewagten Sprüngen fängt Jochen Pöschko seine Partnerin sicher wieder auf. Untermalt werden ihre
Flüge von Livegesang. Auf einem historischen Fahrrad erscheint Paolo
Carillon zu seinem zweiten Einsatz. Diesmal zaubert er Seifenblasen in
den verschiedensten Formen und Größen. Wieder gibt er den skurrilen
Tüftler. Es ist eine traumhaft anzusehende Nummer. Manch einer mag an
Pic denken, der mit seiner Version der Seifenblasen eine der
bekanntesten Roncalli-Figuren ist. Comedy-Zauberei, Jonglage, Beatboxen
und Pantomime – das alles vereint Robert Wicke beim letzten Auftritt
vor dem Finale. Er lässt einen Teddybären „verschwinden“ und jongliert
dank der Hilfe von Zuschauern sehr originell mit Keulen. Eine junge
Dame bittet er zum Tete-a-tete auf seinem Koffer. Das Publikum geht
sehr gut mit. Und dennoch gerät diese Darbietung mit 15 Minuten für
meinen Geschmack etwas zu lang. Zudem hätte ich mir für dieses
Jubiläumsprogramm von Roncalli durchaus eine stärkere Schlussnummer
gewünscht. Immerhin wird das Finale gewohnt großartig zelebriert:
Luftballons, Wiener Walzer, Zugaben und viele Vorhänge lassen es zu
einem echten Erlebnis für die Sinne werden. Wirklich gelungen die
endgültige Verabschiedung. Dabei singt Robert Wicke mit dem Publikum
das zuvor eingeübte „Guten Abend, gute Nacht“. Anatoli Akerman hat noch
einmal seine Schlafmütze aufgesetzt. Mit einem Kissen am Kopf lehnt er
an Wickes Schulter, wenn sich die rote Gardine ein letztes Mal schließt.
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