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Cirque Arlette Gruss - Tour 2017
www.cirque-gruss.com ; 117 Showfotos

Strasbourg, 4. Juni 2017: Und wir haben den Circus neu erfunden! Mit nichts geringerem als diesem Anspruch überschreibt der Cirque Arlette Gruss sein Programm 2017 („Et l’on réinventa le Cirque“). Fakt ist, dass das französische Vorzeige-Unternehmen tatsächlich seinen ganz speziellen, innovativen Stil gefunden hat. Hier fehlt es an nichts, was einen großen, traditionellen, internationalen Circus ausmacht. Und doch werden die typischen Ingredienzien auf spezielle Weise präsentiert. Mit spektakulärem Licht, schwungvoller Musik und aufwendig gestalteten, phantasievollen Schaubildern.

Direktor Gilbert Gruss und seine Familie haben das Ziel, jedes Jahr eine komplett neue, hochwertige Show mit kulturellem Anspruch zu kreieren. Und dies im wundervollen Ambiente eines wahren Traum-Circus mit technischem Material der Spitzenklasse. Wir denken an top-moderne Wagen bzw. Container wie Kasse, Toiletten, Betriebskantine und Büro. An die umfangreiche Menagerie. Und natürlich an die Cathédrale, die geniale Zeltkonstruktion, die Foyer, Manege und Zuschauerraum sowie Backstage-Bereich mit Garderoben unter einem Dach vereint.


Opening mit Loic Bettini, Roby Berousek, Viviana Rossi

Umfangreich und aufwendig ist das Opening der Show gestaltet. Gleich zwei vollwertige artistische Darbietungen wurden in dieses erste große Bild integriert. Zunächst bitten Clown Mathieu und der inzwischen schon langjährige Mr. Loyal Kévin Sagau drei Zuschauer vorzulesen, was unter dem Chapiteau alles nicht erlaubt ist. Loic Bettini lässt im poetischen Spiel eine Marionette mit aufwendigem Kleid von einem Luftring einschweben. Dann ein erster Aufzug des Ensembles in fantastischen Kostümen von Roberto Rosello ganz in schwarz-weiß. Die Damen tanzen, die Herren zeigen Handstände. Sofort wird zur mitreißenden Musik geklatscht. Viviana Rossi zeigt an den Strapaten elegante Posen, weite Flüge, kraftvolle Überschläge. Und auch den Genickhangwirbel hat sie im Repertoire. Wieder einmal ist Roby Berousek bei Arlette Gruss zu Gast. Gewohnt gekonnt jongliert er temporeich mit bis zu fünf Tennisschlägern. Dazu tanzen Figurantinnen im Hintergrund, werden wieder Melodien voller Schwung gespielt. Überhaupt begleitet uns wundervolle Musik von Antony Saugé durchs ganze Programm. Sie wird vom großen Orchester unter Sergiu Iurco gespielt. Als Überraschungseffekt rast Ramon Kathriner auf seinem Motorrad ein Schrägseil hinauf; unterhalb des Motorrad befinden sich Kevin Gruss und Sergiy Baryshnikov auf einem Metallgestell. Das Schrägseil ist in spektakulärer Weise über den Köpfen der Besucher im frontalen Tribünenblock gespannt. Damit ist der Eröffnungsblock vollendet. In einer ersten, kreativ gestalteten Reprise greift Mathieu das Tennis-Thema auf. Eine Zuschauerin soll ihm den Ball zuwerfen und trifft natürlich den Clown selbst anstatt den Schläger. 


Elefanten, Pierre Ginet, Kevin Gruss und Andrii Prymak

Sehr ungewöhnlich gestaltet wurde für diese Saison die Präsentation der Elefanten. Die vier asiatischen Kühe werden diesmal nicht von bezaubernden Ballettdamen beritten, sondern von muskulösen Herren. Deren Kostüme erinnern zum einen an Ritterrüstungen, zeigen zum anderen aber auch viel nackte Haut. Die Trickfolge selbst, bis hin zum Big Mount, ist seit vielen Jahren immer wieder ähnlich und wird routiniert von John Vernuccio-Togni vorgestellt. Sehr originell ist die nachfolgende Reprise, in der Mathieu gegen die Tücke des Objekts kämpft. Und diese besteht hier tatsächlich aus einem ferngesteuerten, sich scheinbar selbsttätig bewegenden Haufen Elefantenmist. Erstmals seit wir Arlette Gruss alljährlich besuchen, wurde ein Taschendieb verpflichtet. Pierre Ginets Auftritt mit einem „Opfer“ aus dem Publikum lebt vor allem davon, dass er dem Herrn die selben Gegenstände jeweils mehrmals entwendet. Für die schadenfreudigen Zuschauer ist dies natürlich ein großer Spaß. Direktionssohn Kevin Gruss kreiert jedes Jahr eine neue akrobatische Darbietung. Diesmal hat er gemeinsam mit Sergiy Baryshnikov und Andrii Prymak eine kraftvolle Nummer am Mast einstudiert. Eingeleitet wird der Auftritt der drei Athleten durch einen Aufmarsch martialisch dreinblickender Polizisten. Spektakuläre, wechselnde Bilder aus Laserstrahlen veredeln ihre Arbeit auf fantastische Weise. Ohnehin werden das Lichtdesign und die zugehörige Technik bei Arlette Gruss Jahr für Jahr neuesten Trends und Entwicklungen angepasst. Nunmehr sind wundervolle Laser-Effekte, auch an anderen Stellen der Vorstellung, zu einem bestimmenden Element geworden.

 
Pferde, George Der Gummi Guru, Truppe Yefoimov

Bleiben wir bei einer hauseigenen Darbietung mit besonderen Lichteffekten: Gleich im Anschluss dirigiert Direktionstochter Laura-Maria Gruss einen Sechserzug Friesen mit ansprechenden Lauffiguren. Hier sorgen leuchtende Geschirre für einen zusätzlichen Hingucker. Mehrere Pferde- und Pony-Steiger als die Da Capi beschließen diese Darbietung. In anderen Vorstellungen übernimmt Mutter Linda Biasini-Gruss die Präsentation der Pferde oder zeigen beiden einzelne Passagen. Auch die beiden folgenden Nummern sind als aufwendige Schaubilder gestaltet. Ob sie letztlich eine besondere Botschaft transportieren, ob diese aneinander gereihten Szenen über die ganze Show hinweg einer durchgehenden Handlung folgen – all dies kann wohl nur ein Beobachter erklären, der über fortgeschrittene Französisch-Kenntnisse verfügt und den Moderationen von Kévin Sagau voll inhaltlich folgen kann. Vielleicht gelingt dies aber auch nur Gilbert Gruss selbst. Seine Show-Kreationen folgen zunehmend komplexeren Motti. Auch im Programmheft fehlen Erklärungen. Und so können wir nur über die schönen Bilder staunen, wenn "Dinosaurier“ ein großes Ei in die Manege schaffen. Diesem entspringt George Der Gummi Guru, ein Kontorsionist aus Ghana. Völlig unbekümmert und strahlend übers ganze Gesicht verrenkt er seinen Körper in die unmöglichsten Positionen. Nach der Geschichte mit Dinos und Ei bleibt das Programm inhaltlich bei den Wundern der Natur. Schnell wird rings um die Manege eine Leinwand emporgezogen. Darauf sehen wir per Videoeinspielung Fotos von Quellen, grünen Pflanzen und eben Raupen. Als sich die Leinwand wieder senkt, erblicken wir Figuranten in Schmetterlings- und Raupen-Kostümen. Und schmetterlingsbunt sind auch die dazu passenden Outfits der Truppe Yefimov. Auf dem Airtrack zeigen die sechs Artisten Sprünge und Salti am laufenden Band.


Ramon Kathriner, Bruno Raffo, Claudio De Negri

Effektvoll geht es in die Pause, wenn Ramon Kathriner nochmals das Schrägseil hinauf rast. In großer Höhe drückt er einen Handstand auf dem Gefährt, an einem Gestell unter dem Bike zeigen Sergiy Baryshnikov und Kevin Gruss akrobatische Übungen. Den zweiten Programmteil eröffnet Bruno Raffo mit sechs Löwen von Martin Lacey jun. Seit er die Gruppe vor zwei Jahren übernahm, hat er viel Routine hinzu gewonnen. Flüssig und sicher wird das bestens bekannte Repertoire der „Lacey-Lions“ abgerufen. Eine echte Überraschung und Novität für den Circus ist dagegen, nach einer weiteren Reprise von Mathieu, Hypnotiseur Claudio De Negri. In seinem geheimnisvollen Auftritt fordert er alle Zuschauer auf, sich zu erheben und die Hände ineinander zu falten. Die Besucher sollen sich nur auf seine Stimme und ihre eigenen Hände konzentrieren. Tatsächlich schafft es der Hypnotiseur nun, dass viele ihre Hände nicht mehr voneinander lösen können. Die Personen, die am längsten zur Selbstbestimmung unfähig sind und weiter mit gefalteten Händen stehen, werden vom Ballett in die Manege geleitet. Claudio De Negri versetzt die Männer und Frauen nun innerhalb von Sekunden in tiefen Schlaf, sie liegen wie bewusstlos in der Manege. Einer Person in der Loge gibt er nun beispielsweise einen Taschenrechner und lässt sie zwei hohe Zahlen mit Kommastellen multiplizieren. Das korrekte Ergebnis legt er einer von ihm hypnotisierten Protagonistin scheinbar per auf den Kopf gelegter Hand in den Mund. Das Publikum staunt Bauklötze.

 
Jonathan Rossi, Mathieu, Globe of Speed

Mit zwei Nummern auf Bikes steuert die Show ihrem Höhepunkt entgegen. Ensemblemitglieder in viktorianischen Kostümen und Kevin Sagau auf einem nostalgischen Hochrad lassen zunächst an eine Reise in die Vergangenheit denken. Doch dann setzt Jonathan Rossi auf seinem Trial-Fahrrad moderne Akzente. Auf verschiedenste Weise überspringt er einen auf dem Boden liegenden Zuschauer mit dem Rad. Spektakulär sind seine Sprünge auf dem Hinterrad von einem Podest über die Oberkanten schmaler Metall-Hürden. Treffsicher nutzt er diese als Zwischenstationen und hüpft weiter. Mit einem letzten Zwischenspiel erfreut uns Mathieu. Nun repariert er einen Scheinwerfer am Mast. Mit seinen originellen Szenen jenseits ausgetretener Pfade macht er in dieser Show eine hervorragende Figur. Den Schlusspunkt setzen wieder einmal die Hasardeure von José Antonio Pinillo Ramos. Obwohl nun schon in mehreren Saisons hier gezeigt, bleiben die Reaktionen des Publikums unbeschreiblich. Wiederum applaudieren viele Zuschauer direkt nach der Nummer im Stehen. Auch wenn aufgrund eines Unfalls mit zwei leicht Verletzten am Abend zuvor nur acht statt zehn Fahrer durch die Kugel rasen. Oder gerade deshalb, da die Gefahr durch den Crash einmal mehr deutlich geworden ist. Heuer ist unter den Fahrern im Übrigen auch eine Frau.

Dieses Programm ist eine der gelungensten Arlette-Gruss-Produktionen der vergangenen Jahre. Eine Show mit tollen Überraschungen, fantasievollen und abwechslungsreichen Bildern, viel Schwung gerade bei der musikalischen Begleitung und Ablaufregie sowie spektakulärem Licht. Und dies alles auf der Basis einer überzeugenden Programmfolge mit Pferden, Elefanten und Raubtieren, gleich zwei Truppen und charismatischen Einzelkünstlern. Arlette Gruss hat den traditionellen Circus mit Wldtieren in ein neues, ästhetisch bestechendes, modernes und zeitgemäßes Gewand verpackt - und in diesem Sinne tatsächlich den Circus neu erfunden.

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Text: Markus Moll; Fotos: Stefan Gierisch