Man wird hoffen dürfen, dass die neue Show
im Laufe der Zeit noch auf kreative Weise weiter entwickelt und
wieder unter ein kreatives und konsequent umgesetztes Leitmotiv
gestellt wird. Auf dem Karlsruher Messplatz präsentiert
der Circus seine imposanten neuen Zeltanlagen. Das Chapiteau ist
in zwei gewaltige Stahlrohrbögen eingehängt und im Inneren
völlig frei von Masten. Dies soll beste Sicht von allen Plätzen
der steil ansteigenden Tribüne gewährleisten. Faktisch stören
dann doch viele Kabel, Abseglungen und die Hochseilmasten den
Blick. Zum Hauptzelt kommt ein dreimastiges Vorzelt. Der Raum davor wird vom Bar- und vom
Kassenwagen eingerahmt, so dass sich eine Art Hof vor dem Circus
ergibt. Mit Getränkebars im Freien. So entsteht ein
kommunikativer Treffpunkt vor der Show. Diese ist an diesem
Samstagabend nahezu ausverkauft.
Neues Chapiteau
Im Opening steigen Feuersäulen rings um
die Bühne auf. Unter einem großen Tuch auf dem Boden erscheinen
einige knapp bekleidete Girls, und Artist Viktar Shainoha
schwingt sich an Strapaten in die Luft. Eine Stimme aus dem Off
nimmt kurz Bezug auf die vergangene Show "Höchststrafe": Die Zeit
der Gefangenschaft ist vorbei, alle gehen eigene Wege. In einem
chaotischen System ohne eigene Ordnung wissen sie nicht, was als
nächstes geschieht. Doch sie haben die beste Zeit ihres Lebens.
Das war es aber nun wirklich mit der Handlung dieser Show. Von
nun an gibt es Artistik und Comedy pur.
Viktar Shainoah, Motorradkugel,
Ferry und Sophie
Schnell ist die Motorradkugel
hereingerollt, auf der Viktar Shainoah landet. Erst drei, dann
fünf, dann sieben Fahrer der Formation "Helldrivers" rasen
hindurch, auf sich kreuzenden Bahnen. Überall anders wäre dies
Pausen- oder Schlussnummer. Hier ist es der Start in ein extrem
starkes Tour-Programm. Oben auf der Kugel beginnt Viktar
Shainoah seine eigentliche Strapaten-Nummer. Zwischen
kraftvollen Posen und kreisenden Flugpassagen lässt er sich
mehrfach aus großer Höhe auf eine dicke Matte fallen. Weiter
geht es am Boden. In zwei Rhönrädern rollen Ferry und Sophie über
die Bühne. Der Sprung von einem Rad zum anderen, ein Kopfstand
auf dem Requisit und ein Zwei-Mann-Hoch darauf sind Eckpunkte
des Repertoires.
Alain
Alegria, Wild!, Justin Case
Schnell herrscht beste Stimmung.
Hervorragende artistische Leistungen werden vom aufmerksamen
Publikum erkannt und begeistert beklatscht. So wie bei der
Truppe „Wild!“, die Partnerakrobatik und Handvoltigen
kombiniert. Nur eben Flic Flac-typisch ganz in Schwarz. Für
Entspannung zwischen den hochkarätigen artistischen Nummern
sorgt Comedy-Artist Justin Case. Er verbindet Witz mit
akrobatischem Können, beispielsweise beim Kopfstand auf dem
Sattel eines Fahrrads. Oder wenn er auf einem Minirad durch
einen Feuerreifen fährt. Hier wird viel und herzlich gelacht.
Auf Entspannung folgen wieder Anspannung und Nervenkitzel. Auch
wenn man Alain Alegrias Arbeit auf dem Washington-Trapez schon
häufig gesehen hat, bleibt sie immer wieder atemberaubend. Zumal
er hier in enormer Höhe arbeitet. Wenn er auf der schwingenden
Trapezstange kniet und dabei ein Tuch mit dem Mund von der
Stange aufnimmt, dann mag man kaum hinsehen. So aufregend ist
das.
Nicolai Kuntz, Cristina Garcia,
Mad Flying Bikes
Ungewohnt züchtig bekleidet erleben wir
Cristina Garcia. Auf dem Dach eines Autos, inmitten eines
Flammenkranzes, zelebriert sie ihre bekannte Kontorsionsarbeit.
Höhepunkt ist nach wie vor der Bogenschuss auf einen Luftballon.
Natürlich mit den Füßen ausgeführt, während sie auf Händen
steht. Inzwischen zehn Jahre ist es her, seit Benno Flic Flac
fliegende Motorräder als neues Sensationsgenre für den Circus
entdeckt hat. Ein Genre, das damit einen Siegeszug durch
zahlreiche weitere Manegen antrat. Bei Flic Flac gab es freilich
immer die spektakulärsten Flugmanöver zu sehen. Nun sind sie,
mit drei Fahrern, erstmals als Pausen- anstatt als Schlussnummer
platziert. Hoch hinaus geht es auch am Schwungtrapez, mit dem
Nicolai Kuntz den zweiten Programmteil eröffnet. Seine Abfaller
und Pirouette-Sprünge sind spektakulär wie eh und je. Neu für
uns war in der veränderten Trickfolge u.a. der abschließende Sprung vom Trapez an ein Vertikalseil,
wie der gesamte Auftritt natürlich longengesichert. Leider
leidet die Wirkung ein wenig unter der merkwürdig sphärischen
anstatt temporeichen Musik.
Adrenalin Crew
Eine Konstante bei Flic Flac ist Ira
Rizaeva, die abermals eine neue Variante ihrer Jonglagen kreiert
hat. Nunmehr lässt sie ihre Bälle gegen Boden und Wände eines
gläsernen Würfels prallen und fängt sie sicher wieder auf. Als
eine Art Zeremonienmeister, der ihr die Bälle einwirft, agiert
Viktar Shainoah oben auf dem Würfel. Noch viel weiter oben
arbeitet eine Formation der Truppe Gerling auf dem Hochseil. Die
Siebener-Pyramide ohne Netz und Longe ist der große Höhepunkt
der Darbietung. Aber auch die anderen Tricks haben es in sich.
Beispielsweise wenn zunächst eine Dreierpyramide gebildet wird,
auf die noch ein vierter Artist hinaufsteigt. Nervenkitzel pur.
Und so wird zur Entspannung auch im zweiten Programmteil
nochmals der Komik ausführlich Raum gegeben. Wie Justin Case
kombiniert Patrick Lemoine wortreiche Comedy mit artistischem
Können, hier nun mit Jonglagen anstelle auf Fahrrädern. Im
zweiten Teil seiner Nummer erleben wir ihn, gemeinsam mit einem
Zuschauer, in der grotesken Figur eines Inders. Insgesamt ein
langer Auftritt, der aber dennoch glänzend ankommt.
Duo Turkeeiv,
Adrenalin Crew, Jenny und Danil
Ganz große Gefühle werden beim Auftritt
von Julia Galenchyk und ihrem Partner Dmytro Turkeiev an den
Strapaten zelebriert. „Another Love“ bildet die Begleitmusik zu
waghalsigen Manövern, bei denen beide Partner abwechselnd die
tragende Rolle übernehmen oder Julia solo agiert. Wenn beide am
Ende in einem Kuss versinken, ist der Jubel riesig. Schade, dass
nun das Licht verlöscht und gleich die nächste Nummer folgt –
gerne hätte man ihnen noch die Gelegenheit gegeben, im
Schlussapplaus zu baden. Doch der Verzicht auf das klassische
Kompliment, das den klassischen Circus so prägt und ihm seine
Festlichkeit verleiht, ist eine der Eigenheiten des Flic
Flac-Konzepts. Flugs geht es weiter auf dem Todesrad; nochmal
sind hier vier Artisten der Truppe Gerling zu erleben. Zeitweise
agieren alle gleichzeitig in den beiden Kesseln und auf den
Außenseiten. Neben dem üblichen Repertoire einer
Todesrad-Nummer sehen wir hier ein Zwei-Mann-Hoch außen
auf dem sich drehenden Rad. Nach all den Sensationen
ist die Schlussnummer gegen den Strich gebürstet. Sie setzt auf
schöne Bilder, aufwendige Bühnentechnik und viel Erotik. Jenny Kastein, Tochter des Flic Flac-Mitbegründers Lothar Kastein, und
ihr Partner Danil zeigen eine aufregende Liebesgeschichte mit
den Mitteln der Equilibristik. Und das, während Regen auf ihre
Körper fällt. Obwohl beide innerhalb kürzester Zeit klitschnass
sind, werden die Figuren sicher zelebriert – doch nicht nur das,
sondern auch funkensprühend sinnlich und sexy. |