Die
Familie Knie hat einfach alles richtig gemacht. Gab es oftmals in den
ersten Wochen noch größere Umstellungen, so erscheint dies heuer nicht notwendig. Eben weil alles schon jetzt perfekt
harmoniert.
Blick ins Chapiteau beim Finale
"Wooow!“
lautet der Titel der Show 2017. Der bezieht sich natürlich auf
Housh-ma-Housh, der in kräftigen Farben gezeichnet von den
Plakaten lacht. Aber schon bevor der Clown das erste Mal zu
sehen ist, gibt es Grund zum Staunen. Dafür sorgt der neue
Artisteneingang. Stilistisch lehnt er sich an den alten an.
Allerdings ist er breiter. Als Clou lässt sich ein Seitenteil
hochklappen. Somit können auch große Requisiten herein- und
herausgebracht werden. Auf der Orchesterbühne sitzen die
Musiker um Ruslan Fil. Wie gewohnt, spielen sie Kompositionen
sowie Arrangements von Germain Bourque. Der Sound erinnert
somit zumeist an Soleil. Die neue Tonanlage soll auf allen
Plätzen den gleichen Hörgenuss garantieren. Dass Knie für
diese Saison massiv in die ohnehin schon eindrucksvolle
Lichttechnik investiert hat, ist jederzeit sichtbar. Die Show
erstrahlt noch heller, noch fantasievoller als bisher. Es
entstehen grandiose Bilder, wahre Kunstwerke.
Xinjiang Troupe, Fratelli Errani und Spicy Circus, Jason Brügger
Besonders
deutlich wird das bei den großen Darbietungen mit vielen Artisten.
Gleich 19 davon gehören zum Ensemble der Xinjiang Troupe. In rote und
orangene Töne gehalten ist ihre Lassonummer „To the sun“. Ständig
bilden sie neue Formationen, zeigen Sprünge mit und durch Lassos,
bilden Türme. Eine einmalige Choreographie sorgt für eine perfekte
Optik. Noch deutlicher wird das bei ihrem anderen Auftritt.
Tschaikowskys Schwanensee steht Pate bei ihren schier unglaublichen
Balancen. Die meisten davon im Handstand. Es entstehen
Gesamtkunstwerke, wie sie in dieser Form noch nie zu sehen waren. Die
Leistung überzeugt genauso wie die ausgefeilte Choreographie. Einfach
traumhaft. Mit turbulenten Eskapaden auf zwei Trampolinen sorgen die Fratelli Errani sowie drei männliche Mitglieder von Spicy Circus für
einen schwungvollen Auftakt des zweiten Teils. Die Formation Spicy
Circus zeichnet zudem für die Inszenierung verantwortlich. Und so steht
natürlich ein großes „Haus“ aus Plexiglas zwischen den beiden
Trampolinen. Die Artisten agieren ausdrucks- und leistungsstark. Das
Publikum geht unwahrscheinlich mit. Zum Träumen animiert wiederum der
Auftritt von „Engel“ Jason Brügger. Der Gewinner der letztjährigen
Schweizer “Superstar“-Variante beginnt und beendet seinen ganz in weiß
gehaltenen Auftritt mit weiten Flügeln. Das Fliegen gelingt ihm aber
auch ohne sie. Die Strapaten sind das Requisit, an dem er unter der
Kuppel agiert. Souverän meistert er die bekannten Tricks dieses Genres.
Spannende neue kommen hinzu. Insbesondere seine phänomenale
Körperbeherrschung fasziniert. Abgerundet wird seine Performance durch
die Einbeziehung der Bingo-Akteure, die ihn am Boden tänzerisch
begleiten. Die sieben Mitglieder des ukrainischen Circus-Theaters sind
in diesem Jahr ohnehin eher tänzerisch unterwegs. Beim Opening zeigt
ein Trio Akrobatik im Stil des Trio Bellissimo. Die anderen Akteure
tanzen. Ebenfalls wird das Finale von ihnen mit langen weißen Tüchern
eingeleitet. In einem weiteren Intermezzo erzeugen sie das Knie-Logo
und weitere Bilder mit leuchtenden Stäben.
Michael Ferreri, Duo Skating Flash, Desire of Flight
Das
Engagement bei Knie ist der (vorläufige) Höhepunkt der kometenhaften
Karriere von Michael Ferreri. Maximal neun Bälle hält der 20-Jährige
gleichzeitig in der Luft. Bis er zu diesem Spitzentrick kommt, arbeitet
er voller Energie die unterschiedlichsten Touren. Und das, trotz seines
jugendlichen Alters, mit einer bemerkenswerten Präsenz. Die Publikumsreaktionen
sind enorm. Auf einer ungewöhnlich hohen Plattform zeigt das Duo Skating Flash seine Rollschuh-Artistik. Drei Meter über dem Boden
wirbelt Leandro Zeferino seine Partnerin Ursula Rossi umher. Dabei
erleben wir eine abwechslungsreiche Auswahl von Tricks des Genres.
Durch die große Höhe steigt der Nervenkitzel. Die attraktiven Spanier
wissen mit diesem erhöhten Risiko gekonnt umzugehen. Charmant spielen
sie mit der Spannung im Zuschauerraum. Nochmals deutlich gesteigert
wird diese bei der Schlussnummer. Valeriy Sychev und Malvina Abakarova
packen in ihre Kür an den Strapaten alles, was zu einer Spitzennummer
gehört: höchstes artistisches Können, eine auf den Punkt sitzende
Choreographie und eine fantastische Ausstrahlung. Lara Fabian gibt mit
ihrem zunächst elegischen, dann dramatischen „Malade“ die Stimmung vor.
Desire of Flight machen daraus eine intensive Beziehungsgeschichte. Was
die beiden akrobatisch zeigen, ist großartig und geht an die Grenzen des
Möglichen. Nicht umsonst wurden sie in Monte Carlo mit einem Goldenen
Clown ausgezeichnet.
Chanel Marie Knie, Maycol Errani, Ivan Frédéric Knie
Drei
Generationen der Familie Knie stehen bei der ersten Tierdarbietung in
der Manege. Mary-José, ihre Tochter Géraldine und deren Tochter Chanel
Marie präsentieren in einem abwechslungsreichen Tableau prächtige
Pferde aus dem eigenen Marstall. Die Jüngste stiehlt dabei natürlich
allen die Schau. Selbstbewusst führt Chanel Marie ein weißes Pony vor.
Die Präsentation wird auch dank der Begleitung durch das Bingo-Ensemble zu
einem runden Bild. Insbesondere die Sprünge des Ponys durch und über
große leuchtende Reifen sehen effektvoll aus. Am Schluss dieser Nummer
reitet Chanel auf einem anderen Pony. Auch, wenn dieses auf den
Hinterbeinen läuft. Géraldine Knie orchestriert einen Sechserzug
Falben, zu dem sich ein Pony gesellt. Wir konnten diese ausgefeilte
Dressur bereits beim letzten Weltweihnachtscircus in Stuttgart erleben.
Zudem dirigiert sie verschiedene Steiger. Insbesondere das „Spiel“ mit
einem impulsiven schneeweißen Araber fasziniert. Mary-José Knie zeigt
stilvoll ein Solopferd. Ihren Schwiegersohn Maycol Errani erleben wir
wenig später mit sechs weißen Kamelen. Er führt diese Freiheit vom
Rücken eines Friesen aus vor. Besonders intensiv sind die Sequenzen, in
denen nur ein Kamel in der Manege ist. Dann wird die Interaktion des
Tierlehrers mit seinen Vierbeinern, das gegenseitige Vertrauen besonders
deutlich. Mit der gesamten Gruppe kreiert er eindrucksvolle Abläufe.
Das Abliegen der Tiere „von den Hinterbeinen bis zum Kopf“ ist
ebenfalls zu sehen. Fredy Knie jun. behält den Überblick, wenn sein
Enkel Ivan Frédéric die Ungarische Post reitet. Auf zwei Friesen
stehend springt Ivan zunächst über ein Hindernis und lässt einen dritten
Friesen unter sich hindurch laufen. Das ist nur der Auftakt zur
eigentlichen Post, bei der am Ende neun weiße Araber in hohem Tempo vor
der imaginären Kutsche laufen. Der hochgewachsene Teenager macht dabei
eine glänzende Figur, auch wenn er in den ersten Vorstellungen noch
nicht alle Zügel erwischte. Aber das schmälerte das eindrucksvolle
Gesamterlebnis in keinster Weise.
Chris Rui und Franco Knie jun., Housh-Ma-Housh, Cesar Dias
Wieder
mit einer eigenen Darbietungen im Programm vertreten ist die Familie
von Franco Knie jun. Ein auf eine Leinwand am Artisteneingang
projizierter Elefant lässt Erinnerungen wach werden. Mit Dickhäutern
war dieser Zweig der Knies bis 2015 in den jährlichen Produktionen des
Schweizer National-Circus zu sehen. Diese Zeiten sind leider vorbei.
Stattdessen führen Franco, seine Ehefrau Linna und beider Sohn Chris
Rui jetzt eine große Ziegenherde vor. Es sind ausgewählt schöne Tiere
verschiedener Rassen. Insbesondere Chris Rui hat sichtlich Freude
daran, wieder mit Tieren in der Manege stehen zu können. Das
Trickrepertoire ist sehr umfangreich, die Abfolge geschickt
zusammengestellt. Die Ziegen springen, balancieren und sind auch für
einen Spaß zu haben. Während der großen Pyramide zeigt Linna Knie zudem
Antipodenspiele mit Tüchern. Größere Bedenken hatte ich hinsichtlich
des Engagements von gleich zwei Clowns. In den letzten Jahren gab es
jeweils einen, der den roten Faden bildet. Jetzt also gleich ein
Doppelpack. Doch dieser funktioniert erstaunlich gut. Beide Spaßmacher
kommen sich nicht ins Gehege, bekommen ihren eigenen Raum. Und: jeder
hat seine eigenen Fans. Aus den Publikumsreaktionen während der Show
und den Gesprächen danach wird klar, dass der eine Housh-Ma-Housh, der
andere Cesar Dias favorisiert. Groß herausgestellt wird Housh-Ma-Housh.
Sein Konterfei ist das Plakatmotiv, sein „Wooow!" das Motto der
diesjährigen Tour. Der in Berlin lebende Ukrainer bestreitet den
Einstieg in die Show und verabschiedet uns gemeinsam mit Chanel Marie
nach dem Finale. Ferner gibt er sich als Musiker, der statt auf einer
Gitarre auf Klebeband spielt, als Bändiger eines verdächtig lebendigen
Plüschtiers und als Animateur für zwei Gastmusiker aus dem Publikum.
Insbesondere der letzte Auftritt offenbart das große
Improvisationstalent des Clowns mit der markanten Frisur. Mit dem
Publikum spielt auch der vom Zirkus Charles Knie zum Schweizer Knie
gewechselte Portugiese Cesar Dias. Er liefert sich ein tödlich endendes
Duell und spielt ein kurzes Intermezzo auf dem Gradin. Dabei setzt er
sein Talent, mit dem Mund die verschiedensten Geräusche zu erzeugen,
ein. Sein Paradeauftritt ist aber das mit allerlei Tücken verlaufende
„My way“. Slapstick vom Feinsten, eine hervorragende Gestik und Mimik
sowie eine tolle Stimme machen den Genuss perfekt. Und so gehöre ich
letztendlich zu den Zuschauern, die in beiden Fanlagern zu Hause sind. Housh-Ma-Housh und Cesar Dias, ich habe mich bei beiden herrlich
amüsiert.
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