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Circo Raluy Legacy - Tour 2017
http://circoraluy.com ; 64 Showfotos

Barcelona, 18. Februar 2017: Wenn man gedankenverloren über die Hafenpromenade von Barcelona schlendert, erinnert nichts daran, dass hier – zwischen Schiffen und Palmen – noch 48 Stunden zuvor zahlreiche historische Wagen und ein schmuckes Zelt dicht gedrängt beieinander standen. Welch ein toller Platz für einen Circus, und für diesen ganz besonders: Mit seinem traumhaften Ambiente scheint der Circo Raluy Legacy wie gemacht für diesen prominenten Standort. Einheimische wie Touristen zieht es hier hin zum Wasser. Nicht wenige gehen erst wieder mit einer Eintrittskarte in der Hand.

Ein entspannter Circusbesuch – angeregt durch die liebevolle Aufmachung – rundet den Urlaub perfekt ab; und auch die Katalanen scheinen zu schätzen, was sie an „ihrem“ Circo Raluy haben. So ist das Programm auch am vorletzten Abend des rund zweieinhalbmonatigen Gastspiels in Barcelona gut besucht. Nachdem sich die Wege der Brüder Louis und Carlos Raluy im vergangenen Jahr getrennt haben, reisen beide nun mit einem eigenen Unternehmen. Während Carlos sein Geschäft den Circo Histórico Raluy nennt, firmiert Louis als Raluy Legacy. Innerhalb der Vorstellung wird man nicht müde, diese Unterscheidung denn auch zu betonen.


Ambiente 

Das Erlebnis Raluy fängt freilich nicht erst mit der Vorstellung selbst an. Vielmehr gibt es bereits vorher an jeder Ecke viel zu entdecken. Alle historischen Holzwagen sind mit wunderbaren Circusmotiven versehen. Im Caféwagen erinnern unzählige Fotografien an die glorreiche Vergangenheit der Branche, und zum Einlass spielt eine alte Orgel. Auf dem Weg zum Chapiteau geht es vorbei an jenem Requisit, dass die Familie einst berühmt machte: ein kleines Auto, mit dem man von einer Rampe startend Salti schlagen konnte. Auch das Zeltinnere atmet jene Nostalgie, die man auf dem ganzen Gelände spürt. Im intimen Chapiteau finden die Besucher auf Holzstühlen in je zwei Reihen Logen und dahinter im Parkett oder im höher gelegenen Gradin auf Holzbänken mit Rückenlehne ihren Platz. Dadurch ist für alle eine gute Sicht garantiert. Die Brüstungen und der Artisteneingang sind ebenso detailreich gestaltet und verziert wie eine Malerei unter der Kuppel. In der Manege ist ein fester, dunkelbrauner Boden ausgelegt. Warme, harmonische Töne überwiegen bei der Ausstattung. Die Lichtanlage unterstützt – trotz LEDs und zwei Verfolgern – diese Atmosphäre. Die durchweg gelungene Musikbegleitung kommt zwar weitestgehend vom Band. Ein Live-Perkussionist sorgt allerdings für eine starke Aufwertung, insbesondere wenn er zuweilen selbst in der Manege in Erscheinung tritt.


Sandro Roque & El Bigotis, Louis Raluy, Maximilino Stia 

Mit gleich vier unterschiedlichen Plakaten wirbt der Circo Raluy Legacy für sein Gastspiel in Barcelona. Eines zeigt Direktor Luis Raluy selbst. Dieser lässt sich den Auftritt nicht nehmen. In der Rolle des stolzen Weißclowns gelingt es ihm, ein Huhn – das einzige Tier des Programms – auf magische Weise zur „lebenden Kanonenkugel“ werden zu lassen. Unterstützung erhält er bei seinem Auftritt von Sandro Roque und El Bigotis. Beide bilden ein zweites Plakatmotiv. Sandro Roque ist noch der gleiche Schelm wie zu seinen Zeiten bei Roncalli, und in Jerzy Swider als El Bigotis hat er einen wunderbar blasierten Gegenspieler an seiner Seite. Ihr Zwist gipfelt schließlich in einer herrlichen Version von „Musizieren ist hier verboten“. Wenn die „Si!“ und „No!“ des großartig mitgehenden Publikums nur so durchs Zelt fliegen, hat ein jeder – ganz gleich ob der Sprache mächtig ist oder nicht – einen Riesenspaß an diesem Wettstreit. Und wenn Sandro Roque im zweiten Teil auch noch Zuschauer die Geschichte um Ritter und Prinzessin darstellen lässt, ist der Publikumsliebling längst erkoren. Wobei er sich diese Position in meinen Augen mit Maximiliano Stia mindestens teilen muss. Der präsentiert seine Zaubertricks nämlich gewollt schräg und stets mit einem Augenzwinkern. Einfach grandios. Auch seine Moderationen sind äußerst lebendig und sorgen für eine mitreißende Grundstimmung.


Emily & Niedziela Raluy-Swider 

Ein weiteres Plakat zieren Emily und Niedziela Raluy-Swider. Die beiden bildhübschen Enkelinnen des Direktors sind wahrlich Hingucker, die ihr Aussehen geschickt einzusetzen wissen. Die gemeinsame Rollschuh-Darbietung sprüht vor erotischen Momenten. Vergisst dabei aber keineswegs die artistische Leistung: Emily und Niedziela beherrschen alle relevanten Tricks bis zum Genickwirbel. Es gibt wohl nur wenige Duos in diesem Genre, bei dem beide Partner weiblich sind. Dies allein macht die Nummer bereits besonders. Nicht ganz so stark ist ihr Auftritt auf dem Drahtseil, das an ein buntes Charivari mit allen Akteuren zur Musik „The greatest show on earth“ zu Programmbeginn anschließt. Die beiden Schwestern arbeiten dabei synchron auf zwei Drahtseilen. Schlusstrick ist die Überquerung auf dem Einrad. Louisa Raluy, die Mutter von Emily und Niedziela, steuert eine der Luftdarbietungen zum Programm bei. In einem Kreis aus Kerzenlicht zeigt sie Figuren bis zum Wirbel an einem Kronleuchter. Mit Jean Christophe und Kerry Raluy geht es für weitere Familienmitglieder ebenfalls unters Zeltdach: bei ihrem romantischen Pas de Deux an den Tüchern wechseln sie sich in der tragenden Rolle ab, ehe beide wieder in einem „Blütenregen“ in die Manege zurückkehren.


Oneil Reyes, Lea & Lucy, Iya Traore 

Dass in so einem kleinen Zelt ein Fangnetz gespannt wird, ist genauso überraschend wie Darbietung selbst: Lea & Lucy kommen von der französischen Circusschule und haben dort eine extrem leistungsstarke Darbietung am Fangstuhl erarbeitet. Insbesondere wenn Lea von der Plattform in die Arme ihrer Partnerin Lucy springt, wird deutlich, dass das Netz nicht ohne Grund hängt. Der charmante Verkauf der beiden jungen Künstlerinnen sorgt jedoch dafür, dass alles spielend leicht aussieht. Spielend leicht präsentiert auch Iya Traore seine Fähigkeiten mit einem Fußball. Der Freestyler wurde speziell für das Gastspiel in Barcelona engagiert und ist entsprechend das vierte Plakatmotiv. In der Pause kann man eigens hergestellte Fußbälle von ihm signieren lassen. Zu „Singin` in the rain“ lässt Traore zunächst einen Ball auf einem Schirm tanzen; nach einem kurzen Kleidungs- und Stimmungswechsel beweist er seinen einzigartigen Umgang mit dem runden Leder. Dieses beherrscht er sogar, wenn er dabei einen Laternenpfahl emporklettert. Nicht ein einziges Mal verliert er die Kontrolle über das Spielgerät. Gleichfalls eindrucksvoll ist die Equilibristik von Oneil Reyes. Dazu gehören Hand- und Kopfstände. Zum Schluss drückt er diese auf einem immer höher werdenden Requisit. Reyes gehört auch zur vierköpfigen Formation Los Rockers. Mit Akrobatik auf großen Gummireifen beschließen sie das Programm. Dabei wird etwa Seil gesprungen sowie Salti und Pirouetten gedreht. Ergänzt wird die Vorstellung mit einer eher blassen Feuer-Performance von Artur.


Finale 

Im Finale nehmen dann alle Artisten nochmals Abschied. Endlich darf Sandro Roque seine Musik abspielen, und das restliche Ensemble wagt dazu ein Tänzchen. Das melancholische Ende bereiten dann Louis Raluy und seine Enkel Benicio und Charmelle. Sie begleiten ihren „Avi“, ihren Großvater, wenn dieser mit einem Stück auf der Concertina das Publikum in den katalanischen Abend entlässt.

Neben dem romantisch-nostalgischen Ambiente überzeugt der Circo Raluy Legacy auch beim Programm vollends. Leistungsstarke Artistik, viele Momenten zum Lachen und vorwiegend junge Akteure mit Charme und Ausstrahlung sorgen für eine allzeit lebendige und mitreißende Vorstellung.

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Text und Fotos: Benedikt Ricken