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Cirque Starlight - Tour 2017
www.cirquestarlight.ch ; 102 Showfotos

Delémont, 25. März 2017: 30 Jahre Cirque Starlight – diesen besonderen Anlass feiert die Familie von Heinrich und Jocelyne Gasser in dieser Saison. So lange währt ihre Reise mit dem eigenen Unternehmen. Sie hat eine spannende Geschichte mit überraschenden Wendungen hervorgebracht. Denn nach seiner Gründung präsentierte der Circus jahrelang klassische Programme auf Sägemehl und natürlich auch mit Tieren. Angesichts der großen Konkurrenz in der kleinen Schweiz bot man ab dem Jahr 2000 thematisierte Programme, zunächst „Die Schöne und das Biest“, dann „Aladin“. Doch dies war nur ein Zwischenschritt.

Für die eigentliche Revolution sorgte der älteste Sohn Johnny. Von seiner Artistenausbildung in Montréal hatte er neuartige Ideen mitgebracht. Und so zeigte der Cirque Starlight in der Saison 2002 erstmals eine Produktion im Stile des Cirque Nouveau kanadischer Prägung. Mit jungen Artisten auf einer Bühne statt in der Manege, mit speziell entworfenen Bühnenbildern und Kostümen, mit individuellem Musik- und Lichtkonzept sowie mit einem Thema, einer Handlung. Dabei ist es bis heute geblieben, bei Jahr für Jahr völlig neu kreierten Programmen. Auch als Jonny Gasser den elterlichen Circus verließ und als Artist mit der Stangenwurf-Nummer „The White Crow“ Weltkarriere machte. „Johnny ist gegangen, seine Ideen hat er uns dagelassen“, fasste es seine Mutter Jocelyne gegenüber Chapiteau.de einmal charmant zusammen. Inzwischen entfällt bereits mehr als die Hälfte der Unternehmensgeschichte auf die Phase „Cirque Nouveau“.

 
Martin Orchessi und Christopher Gasser
 

Zum Jahrtausendwechsel hat sich die Familie Gasser auf ihren neuen Weg gemacht, und von Menschen unterwegs erzählt auch die neue Produktion „D‘ici là“ ("Bis dahin"). Das Bühnenbild besteht aus einem Wohnwagen, dem ein buntes Völkchen entspringt. Es sind Träumende und Reisende zugleich, die gemeinsam einen verrückten Tag erleben und dabei auf der Suche nach der eigenen Bestimmung sind. Da sind etwa die intellektuelle Tänzerin, der Liebhaber klassischer Musik oder aber die royale Dame. An der Grenze zur Fantasie erleben sie viele Situationen, die dem Zuschauer aus seinem eigenen Leben bekannt vorkommen und oft zum Schmunzeln anregen mögen. Eine durchgehende Geschichte erzählt Regisseur Emiliano Sanchez Alessi in seiner vierten Arbeit für den Cirque Starlight allerdings bewusst nicht. Zu den prägenden Gesichtern gehören der jüngere Gasser-Sohn Christopher und sein aktueller Bühnenpartner Martin Orchessi als Clownfiguren. Die beiden kennen sich bereits aus früheren Starlight-Saisons und haben im vergangenen Jahr in Argentinien damit begonnen, die clownesken Szenen der diesjährigen Show einzustudieren. Dabei verfügen die beiden auch über pantomimische Fähigkeiten. Dies dürfte nicht zuletzt daran liegen, dass Christopher Gasser im vergangenen Jahr die bekannte Clownschule Jacques Lecoq in Paris  abgeschlossen hat. Martin Orchessi wiederum weiß mit einer ausgeprägten Mimik zu gefallen.


Sofia Speratti, Taiyo Kishi, Janine Eggenberger
 

Die Artisten wirken in unterschiedlichen Rollen mit und zeigen darin eingebunden ihre eigentlichen Darbietungen. So wie Sofia Speratti. Bei ihren Handständen deponiert sie bis zu vier Bälle an unterschiedlichen Stellen ihres Körpers – im Nacken, auf den Füßen oder in den Kniekehlen zum Beispiel. Taiyo Kishi lässt in seinem ersten Auftritt einen langen Speer über seinen Körper tanzen, ähnlich wie bei der Jonglage mit einem Twirlingstab. Dabei erinnert er mit seinen Bewegungen an einen fernöstlichen Krieger. Aus der Schweiz kommt dagegen Janine Eggenberger. Die junge Künstlerin betreibt eine Schule für Luftartistik in Dübendorf bei Zürich und hat nun die Gelegenheit, sich einem großen Publikum in ihrem Heimatland zu präsentieren. Wenn sie sich in ihr Tanztrapez geradezu verstrickt, zahllose Rückwärtsumschwünge schlägt und ekstatisch in der Luft kreiselt, ist ihr starker Applaus gewiss.

 
Cirque La Compagnie, Lain Velasco, Taiyo Kishi 

Eine originelle und attraktive Pausennummer wurde mit der Truppe „Cirque La Compagnie“ gefunden. Die vier Herren aus Frankreich und der Schweiz kombinieren ein Schleuderbrett mit einem Chinesischen Masten. So katapultieren sie sich mithilfe des Schleuderbretts an den Masten oder springen nach Posen an der Vertikalstange zurück auf die Wippe, um wiederum einen Partner in die Luft zu befördern. Aus der überraschenden Verbindung zweier bekannter und völlig verschiedener Genres entsteht hier etwas ganz Neues, das beim Pariser "Cirque de Demain" mit der Goldmedaille ausgezeichnet wurde. Längst nicht mehr innovativ, sondern inzwischen fast schon ein Standard-Genre des Neuen Circus ist das Cyrrad. Hier kreist Lain Velasco in ihrem roten Kleid über die Bühne. Taiyo Kishi jongliert bei seinem zweiten Auftritt sieben Bälle nicht nur hoch in die Luft, sondern lässt sie als Kontaktjonglage auch über seinen Körper rollen oder nur knapp darüber fliegen. Er wirft seine Bälle auch hinter dem Rücken, katapultiert einen mit dem Fuß unter sich durch und fängt ihn wieder, dreht Pirouetten während seiner Wurfmuster. Begeistert wird er gefeiert.


Janine Eggenberger, Emma Stones, Duo Vladimir

So etwas wie das Lieblingsgenre der Direktorin Jocelyne Gasser dürfte das Schwungtrapez sein. Schließlich sah man ihre Tochter Jessica während einiger Saison an diesem Requisit. Es darf in fast keiner Starlight-Saison fehlen. Nunmehr ist es Emma Stones, die daran Pirouettesprünge und Abfaller präsentiert. Die dritte Luftnummer im Programm und der zweite Auftritt von Janine Eggenberger lenken die Blicke an ihre Tuch-Schlaufe. Sie zelebriert einen starken Auftritt mit Genickhang, Überschlägen, Abfallern und rasantem Kreiseln. Während mehrerer Wochen hat Regisseur Emiliano Sanchez Alessi aus den verschiedenen Künstlern ein Ensemble und aus ihren Nummern eine Show geformt. Die Ausnahme bildet das Duo Vladimir. Die beiden ukrainischen Artisten kamen quasi direkt von ihrem Engagement im GOP München zur Premiere des Cirque Starlight angereist. Man kann fast schon sagen, dass ihr Auftritt an eine geschlossene, fertige Ensemble-Produktion hinten angehängt wurde. Und so arbeiten sie als einzige zu ihrer gewohnten, reichlich dramatischen Musik ihre Darbietung. Doch diese hat es in sich. Nach einer geradezu klassischen, sehr starken Hand-auf-Hand-Kür folgt ein Schlusstrick, den wir so oder auch so ähnlich noch nicht gesehen haben. Der Untermann hält mit den Zähnen ein Schwert. Darin steckt, Spitze auf Spitze, ein weiteres Schwert, an dem sich der Obermann ebenfalls nur mit den Zähnen hält. Und das ist schlicht sensationell. Nach all den starken artistischen Leistungen und hervorragender Stimmung im fast ausverkauften Chapiteau liegen Standing Ovations an diesem Abend in Delémont fast in der Luft. Verhindert werden sie wohl nur durch ein allzu kurzes Finale, das dazu keine Gelegenheit bietet. Schnell ziehen die Artisten von der Bühne ins Vorzelt und bilden dort ein Spalier, während im Chapiteau noch heftig geklatscht wird. Schade, dass sie nicht noch einmal auf die Bühne zurückkehren, um sich feiern zu lassen.

Cirque Nouveau in der Schweiz – mit diesem Konzept ist die Familie Gasser vor allem im französischsprachigen Teil unseres Nachbarlandes erfolgreich. Die Tournee wurde 2017 noch einmal ein wenig gestrafft und führt nun innerhalb von drei Monaten an 21 Orte. Die einzige Station in der Deutschschweiz ist heuer Dübendorf, wo das Unternehmen vom 19. bis 21. Mai zum ersten Mal gastiert. Sicher auch für Interessenten aus Deutschland eine gute Gelegenheit zum Erstbesuch, zumal der Circus Knie zeitgleich nur wenige Kilometer entfernt in Zürich zu erleben ist.

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Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Erber