CHPITEAU.DE

Cirque Arlette Gruss - Tour 2018
www.cirque-gruss.com ; 129 Showfotos

Straßburg, 3. Juni 2018. Dieser Besuch im Cirque Arlette Gruss war auch ein Abschied. Denn wir sahen eine der letzten Vorstellungen in der „Cathédrale“. Seit 2009 war diese nahezu einmalige Acht-Masten-Konstruktion im Einsatz. Sie vereinte den Backstage-Bereich, die Manege mit Zuschauerraum und das großzügige Foyer unter einem spektakulär geformten Chapiteau. Nun haben Gilbert Gruss und seine Familie etwas anderes gewagt. Mit dem Ende der Sommerpause wurde die neue Zeltanlage „Le Privilège“ vorgestellt. Damit setzt der französische Vorzeige-Circus auf einen mastenfreien Innenraum.

Dies ist der neue Trend bei führenden Reisebetrieben. Flic Flac, der Schweizer National-Circus Knie und der Circus Monti nutzen außen liegende Bögen, um dem Publikum eine ungestörte Rundum-Sicht auf das Geschehen zu bieten. Arlette Gruss verwendet nun - wie Sarrasani seit vielen Jahren - eine gewaltige Pyramide, in die das Zelt eingehängt wird. Die Metallkonstruktion ist 22 Meter hoch, das neue Zelt hat beachtliche 42 Meter Durchmesser. Das verbindet „La Cathédrale“ und „Le Privilège“: Es ist ein Wagnis, mit einem derart arbeits- und materialintensiven Zeltpalast auf Reisen zu gehen.


Von "La Cathédrale" bleibt die Erinnerung auf der Videowand 

„Osez le Cirque“ – den Circus wagen – ist nicht ohne Bezug auf diese Umstellung das Motto des aktuellen Programms. Und Gilbert Gruss bringt auch weiterhin den Mut auf, mit einer vollständigen Menagerie zu reisen. Raubtiere, Elefanten und Pferde sind feste Bestandteile der Show. Wie gut es den Vierbeinern geht, zeigt ein Video, das in den letzten 15 Minuten vor Vorstellungsbeginn auf eine Leinwand um die Manege projiziert wird. Es enthält bewegte Bilder aus dem Quartier des Unternehmens, dem fahrenden Zoo und der Show. Gegenübergestellt werden Fakten zur Zerstörung der natürlichen Lebensräume und dem damit verbundenen Rückgang der Tierbestände in der so genannten Freiheit. Als die Leinwand sich senkt, ist die Manege gefüllt mit dem Ensemble. In Kostümen von barocker Pracht, leuchtender Farbigkeit und edler Modernität präsentieren sich die Akteurinnen und Akteure. Sie laden dazu ein, sich auf dieses Circus-Wagnis einzulassen. Auf ein Programm, das neben dem Abschied von der „Cathédrale“ auch einige Premieren zu bieten hat.


Alexis und Eros Gruss, Ramon Kathriner, Julia Friedrich und Kevin Gruss 

Eine davon ist das Manegendebüt zweier Gruss-Sprösslinge. Der zwölfjährige Direktionssohn Eros und seine achtjährige Schwester Alexis als Fliegerin haben unter der Anleitung von John Vernuccio-Togni eine wirklich respektable Ikarier-Nummer einstudiert. Sie ist ebenso Teil des ausgedehnten Eröffnungsblocks wie die Arbeit von Ramon Kathriner und Andrii Prymak an den schwankenden Masten. Dabei tauschen sie in luftiger Höhe sogar die Plätze. Kevin Gruss und seine Ehefrau Julia Friedrich steuern eine akrobatische Luftnummer am Kronleuchter zum Opening bei. Sie wird in effektvolles Laserlicht getaucht. Erst dann begrüßt Kevin Sagau das Publikum und nimmt Bezug auf die 250-jährige Geschichte des modernen Circus, die wir 2018 feiern.


John Vernuccio-Togni, Laura-Maria Gruss 

Glamourös verkauft wird der Auftritt der vier asiatischen Elefanten, die wiederum von John Vernuccio-Togni präsentiert werden. Eines der Tiere trägt auf einem Gestell im Maul zwei Figuranten, hinzu gesellen sich vier Tänzerinnen. Die Trickfolge wird Jahr für Jahr leicht variiert und reicht bis zum Big Mount. Längst nicht mit einem Auftritt zufrieden bei ihrem Debüt gibt sich Alexis Gruss. Zusammen mit Hausartist Sergiy Baryshnikov hat sie eine Partnerakrobatik einstudiert. Das ungleiche Duo von Kind und Erwachsenem wird zunächst von vier coolen Tänzern umringt und durch einen beweglichen Scheinwerferkranz über ihren Köpfen ins rechte Licht gerückt. Alexis Gruss ist es auch, die im Dialog mit Kevin Sagau den Auftritt von Mutter und Schwester ankündigt. Zunächst stellt Linda Gruss vier Friesen vor. Bald darauf übernimmt Laura-Maria Gruss und erweitert die Tiergruppe um vier Schimmel zum großen Achterzug. Ruhig, charmant und reif wird dieser von der 21-jährigen Tierlehrerin angeleitet. Auch ein vierfacher Steiger ist Teil der Vorführung. Die kleine Alexis beschließt die Pferdenummer der Gruss-Damen mit einem Pony-Steiger.


Extreme Light, Carlos Ugalde, Sarah Houcke 

Auf die equestrische Tradition folgt Innovation, das nächste Wagnis Circus. Die achtköpfige Truppe „Extreme Light“ zeigt einen Tanz in der Dunkelheit. Dank der LED-Lichter an ihren schwarzen Kostümen können die Männer und Frauen aus der Ukraine nach Belieben aus dem Nichts erscheinen, Bilder aus Licht kreieren und wieder verschwinden. Es handelt sich mitnichten um eine flugs einstudierte Füllnummer einer Haustruppe, sondern um ein ausgeklügeltes, modernes Spektakel, das erstklassige Technik und professionellen Tanz verbindet. Ganz groß verkauft wird natürlich der Flug der menschlichen Kanonenkugel vor der Pause. Er endet für Carlos Ugalde planmäßig in einem Netz über den Köpfen der Logengäste. Die Großkatzen bei Arlette Gruss kommen auch in dieser Saison aus dem Bestand von Martin Lacey junior. Sarah Houcke eröffnet damit den zweiten Programmteil und formt die fünf Tiger zur Pyramide, lässt sie springen oder drei von ihnen abrollen. Die schöne, elegante Frau im Raubtierkäfig – ein faszinierendes Bild.


Kevin Gruss, Alex Hurtado, Mathieu 

Der Käfig bleibt stehen, wenn Clown Mathieu darin zwei weitere „Raubtiere“ bändigt. Und zwar in Form von Drohnen, die er unter anderem durch einen Reifen „springen“ lässt. Wie schon häufiger ist Mathieu für die Komik bei Arlette Gruss verantwortlich. Wieder hat er neue Reprisen und Entrees im Gepäck. Unter anderem versucht er sich mit einem kleinen Zuschauer als Kunstschütze und dreht mit großen einen Film. Drohnen sahen wir bis Saisonbeginn noch gar nicht im Circus. In dieser Saison erleben wir sie gleich bei zwei Unternehmen, und das auf völlig verschiedene Weise: Im Schweizer National-Circus formieren sich 32 Mikro-Drohnen zu Bildern aus Licht. Das ist die elegant und edel in Szene gesetzte Variante. Arlette Gruss legt den Fokus dagegen auf Coolness. Und so gibt Alexandro Hurtado einen modernen Kämpfer im „Matrix“-Look. Den Herrn der Flugkörper, der sie mit Gesten zu Drehungen und Wendungen nach seinem Willen zwingt.


Guilaume, Aurelien Vaillant und Mathieu, Alejandro Vanegas 

Ein ästhetisches Glanzlicht der Produktion ist die neue Luftnummer von Kevin Gruss. An Bungee-Strapaten zeigt er weite Flüge durch den großen Raum des Chapiteaus. Weiß sind die Kostüme des Akrobaten und die der Tänzerinnen, die ihn umringen. Ganz in schwarz gibt Linda Biasini-Gruss die (Playback)-Sängerin, die ihn zu eindringlicher Musik begleitet. Blau sind die Laserstrahlen, die den Hightech-Showtempel des Cirque Arlette Gruss ausfüllen. In diesem Haus weiß man sehr genau, wie Wirkung und eindrucksvolle Bilder erzeugt werden. Der artistische Höhepunkt der Vorstellung ist das Todesrad der Vanegas, der führenden Vertreter dieses beliebten Genres. Hier kommt endlich richtig Stimmung auf, das Publikum pfeift, jubelt, applaudiert frenetisch. Angesichts der zwei Salti auf der Außenseite des rotierenden Rades, federleicht gedreht und hoch hinaus gesprungen von Alejandro Vanegas, sind die Reaktionen nur zu verständlich. Das Duo ist eine sichere Bank für jede Show. Speziell für Arlette Gruss zusammengestellt wurde dagegen die Schlussnummer. Motorrad-Freefighter gehören hier seit einigen Jahren zu den Top-Favoriten des Publikums und fehlen auch heuer nicht. Das neue Wagnis Circus ist diesmal, dass einer der Biker, Guilaume, auf einem 200 Kilogramm schweren Quad durchs Chapiteau fliegt und nach halsbrecherischen Manövern wieder landet. Aurelien Vaillant beweist auf seinem Trial dagegen Können am Boden. Springt auf dem Bike über Kevin Sagau und umrundet ihn haarscharf. Und fährt über das Dach eines Autos. Drin sitzen Sagau und Kevin und versuchen auf witzige Weise, dieser Situation zu entkommen. Ausgiebig und festlich zelebriert wird natürlich das Finale, bei dem das gesamte Ensemble in einheitlichen Kostümen erscheint.

Am Ende dieser Nachmittagsvorstellung im drückend heißen Zelt applaudiert das Publikum stehend. Arlette Gruss hat wieder einmal gewagt und gewonnen. Mit seiner einzigartigen Mischung aus purer Circus-Tradition und Mut zur Innovation im höchst ästhetischen Gesamtpaket. Mit gewaltigem Licht und zumeist mitreißenden Melodien - beim Besuch in Straßburg noch in der lieb gewonnenen „Cathédrale“ und neuerdings im spektakulären Pyramidenzelt „Le Privilège“.

________________________________________________________________________
Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Erber