Dabei sind die Vertreter von
Circus- und von Kirmesbetrieben oft nur verschiedene Zweige der
gleichen familiären Stammbäume. Der Kern ihrer Tätigkeit ist das
Leben auf der Reise. Auch die Familie Muntwyler zieht seit 35
Jahren mit ihrem Circus Monti durch die Schweiz. Und so haben
wir uns über das Motto der neuen Produktion besonders gefreut.
„Jour de Fête“ entführt auf einen nostalgischen Jahrmarkt. Dabei
wird, anders als in anderen Monti-Shows, auf eine durchgehende
Handlung verzichtet. Vielmehr werden viele Facetten eines
solchen Festtags herausgegriffen und in einzelnen Episoden
beleuchtet. Diese sind natürlich wieder kunstvoll miteinander
verwoben, so dass sich ein fließender Ablauf ergibt.
Gastspiel auf der Rosentalanlage
Mit Konzept und Regie wurden
Andreas Manz und Bernhard Stöckli beauftragt. Für sie gilt, was
fast alle Monti-Regisseure auszeichnet: Sie haben selbst als
Clowns bei dem Unternehmen gearbeitet, und sie wurden an der
Accademia Teatro Dimitri ausgebildet. Die ähnlichen
biografischen Hintergründe dürften ihren Beitrag dazu leisten,
dass Monti jedes Jahr so typisch Monti ist, auch wenn die
Gestaltung der Vorstellung jeweils in neue Hände gelegt wird.
Unterstützt werden die Regisseure von einem Kreativteam für
Komposition (Thierry Epiney), Licht (Christoph Siegenthaler),
Kostüme (Olivia Grandy) und Choreographie (Colette Roy-Gfeller).
Eine Konstante im Wandel ist auch, dass für jede Produktion in
den eigenen Werkstätten ein neues Bühnenbild geschaffen wird.
Diesmal zeigt es die obere Hälfte eines mit unzähligen Lämpchens
beleuchteten Riesenrades; die fünf Gondeln können bespielt
werden. Der Manegenboden wurde in Brauntönen bemalt und
erscheint so wie die Plattform eines nostalgischen Karussells.
Bei den Äußerlichkeiten bleibt zu erwähnen, dass der Circus
Monti mit seinem 2018 angeschafften Bogenmast-Chapiteau und dem
perfekt gepflegten Wagenpark wie immer ein herrliches Bild
abgibt, in diesem Fall auf der Basler Rosentalanlage.
Ensemble in der
Rhönrad-Achterbahn, Pauline Baud-Guilard und Frédéric Lemieux-Cormier
Der „Jour de Fête“ beginnt, wenn
der Vorhang vor dem Riesenrad fällt und die
Dorfkapelle – das sechsköpfige Monti-Orchester unter der Leitung
von Piotr Gunia – auf dem Jahrmarkt einzieht. Das
Artisten-Ensemble folgt dem Festzug. Sogleich wagt man sich
gemeinsam in die Achterbahn. Ein auf den Boden gelegtes Rhönrad
bildet die Gondel. Darin sitzen die Artisten, legen sich
gemeinsam in die imaginären Kurven, kreischen vergnügt bei den
Schussfahrten. Das ist gleich ein großes Vergnügen. Natürlich
wird das Rhönrad auch als richtiges akrobatisches Requisit
eingesetzt. Pauline Baud-Guilard und Frédéric Lemieux-Cormier
drehen darin romantische Runden als verliebtes Paar. Der
muskulöse Julian Siliau nutzt ein zweites Rhönrad, um bei
Kreiselbewegungen über die Bühne Eindruck zu schinden. Es
entwickelt sich ein akrobatisches Duell mit friedlichem Ende.
Lindsay Culbert-Olds, Vincent Jutras
und Eline Guélat
Beim Popcorn-Verkauf werben Eve Diamond und PJ Perry so
lautstark, dass sie erst mit lautem Peitschenknall zur Ruhe
gebracht werden können. Für noch mehr Heiterkeit sorgen Eline Guélat
und Vincent Jutras, die als Komiker einen roten Faden durchs Programm
ziehen. Dabei
beweist Eline zunächst im Cyrrad ihr akrobatisches Können. Zu
einem vermeintlichen Zwischenfall kommt es im Riesenrad:
Artistin Lindsay Culbert-Olds scheint in der obersten Gondel des
stecken gebliebenen Fahrgeschäfts gefangen. Einige der Artisten
formen eine Treppe aus ihren Körpern, um sie zu retten.
Schließlich befreit sich die Künstlerin selbst, indem sie sich
am Tanztrapez in den Luftraum des Chapiteaus schwingt. Sie
wechselt an die Strapaten und kreist rasant zu mitreißender,
dynamischer Musik über den Köpfen des Publikums. Immer wieder
gibt es viel zu lachen. Zum Beispiel, wenn die beiden Komiker
eine Partie Bowling spielen. Ihre Ensemblekollegen geben
entweder die Kegel, huckepack aufeinander sitzend. Oder sie
kommen als menschliche Kugeln zum Einsatz, die sich mit
Überschlägen dem Ziel nähern. Die nächste Aktivität heißt „Hau
den Lukas“. Wer hier mit dem großen Hammer schlägt, bewegt einen
Ring am „Lukas“ nach oben. Den nutzt Vincent Jutras aus dem
Komiker-Duo zum Reifenspringen. Dies mit seinem Skateboard. Mal
springt er samt Rollbrett durch den Reifen. Mal fährt er mit dem
Brett durch den heruntergelassenen Ring. Und mal fährt er mit
dem Skateboard auf den Reifen zu, springt darüber und landet
wieder auf dem weiter rollenden Gefährt.
Eve Diamond und PJ Perry, Mario
und Tobias Muntwyler mit Willem McGowan
Auf einem Jahrmarkt haben auch
die Auftritte von Sensationsartisten Platz. Zwei besonders
extrovertierte Vertreterinnen dieses Fachs sind Eve Diamond und
PJ Perry, die sich beifallsheischend mit ihren Mänteln
präsentieren. Dann geht es in luftige Höhe, zwei Vertikalseile
hinauf. Ihre Ver- und Entwicklungen werden synchron gearbeitet.
Dabei wecken sie Assoziationen von einer Arbeit am schwankenden
Masten als typischer Kirmesattraktion. Nach vierjähriger Pause
ist Tobias Muntwyler ins Scheinwerferlicht zurückgekehrt. Seine
Disziplin bleibt das Diabolo, auch sein jüngerer Bruder Mario
wagt sich nach vielen Jahren mit Keulenjonglagen an dieses
Genre. Gemeinsam mit Willem McGowan haben die Brüder eine
Trio-Nummer aufgebaut. Mal lässt jeder einzeln die Diabolos
fliegen, mal werden diese zum nächsten Partner weitergereicht.
Wenn die drei jungen Männer gemeinsam sieben Diabolos fliegen
lassen, ist der Jubel riesig. Ein passender Abschluss des ersten
Programmteils.
Gruppenjonglage,
Eline Guélat,Emilie und Julien Siliau
Zu Beginn der zweiten Hälfte ist
bereits ein Chinesischer Mast aufgebaut, zunächst noch durch
einen rundherum verlaufenden Fadenvorhang verdeckt. Am Mast
zelebrieren Emilie und Julien Siliau ihre Kunst – eine Abfolge
schwieriger und komplexer Tricks. Die Partnerin steht
beispielsweise auf der nach oben gestreckten Hand oder auf dem
Kopf ihres Partners, später zeigt sie Kontorsion auf seinen
Schultern. Ausdauernder Applaus ist der Lohn. Musikalisch
begleitet werden sie am Cello und mit zartem Gesang. Während
ihrer Nummer wird der Fadenvorhang vom Ensemble in vier Bündeln
auseinandergezogen und zum Baldachin gebunden. Wir denken an ein
Kettenkarussell. Was man am Mast noch alles tun kann,
demonstriert Komikerin Eline Guélat, wenn sie hinaufklettert und
wieder hinunterpurzelt. Und sich dank ihres schlangengleich
beweglichen Körpers quasi in sich selbst verknotet. Mit dem Fuß
hinter den Kopf geklemmt klettert sie erneut hinauf. Das
Publikum raunt. Nun wird der Mast zur Achse. Mit Steckenpferden,
Lenkrad in der Hand oder Boot kreist das Ensemble darum und
schafft die Illusion eines Kinderkarussells. Festzeltstimmung
gibt es, wenn alle im Kreis tanzen, wechselnde Artisten in der
Mitte kleine Kunststücke zeigen, und das Publikum rhythmisch
dazu klatscht. Eine Szene, die etwas irritiert, weil sie wie ein
vorgezogenes Finale wirkt. Doch zum Glück geht die Reise weiter,
auch wenn die Stimmung umschlägt: Der Tanz mündet in eine
veritable Bierzeltschlägerei, die pantomimisch dargestellt wird. Typisch für die Monti-Produktionen sind auch die Gruppennummern,
die das Ensemble einstudiert. Heuer werden alle Artisten in eine Keulenjonglage
einbezogen. Zunächst wird auf mehreren Ebenen miteinander
jongliert, also auf dem Bühnenboden sowie auf den Speichen und
in den Gondeln des Riesenrades. Hier greift eine Hand in die
andere, wie beim Auf- oder Abbau eines solchen Geschäfts. Im
zweiten Teil der Nummer jonglieren acht Artisten in der Manege
und sorgen damit für ein buntes, wirbelndes Bild. Fünf ihrer
Kollegen schaukeln dazu übermütig in den Riesenrad-Gondeln, was
die ausgelassene Stimmung weiter verstärkt.
Johannes Muntwyler, Eve Diamond
und PJ Perry, Pauline Baud-Guilard, Frédéric Lemieux-Cormier und
Cameron Clarke
Auch in dieser Saison ist Direktor Johannes Muntwyler
im Programm vertreten. In einer komischen Illusion wird er von
Eve Diamond und PJ Perry in einer Kiste deutlich geschrumpft.
Spektakulär wird es nochmal zum Abschluss, wenn die überaus
sympathische und ausstrahlungsstarke Pauline Baud-Guilard sowie
ihre Partner Frédéric Lemieux-Cormier und Cameron Clarke –
unterstützt von weiteren Ensemblemitgliedern – mit Sprüngen und
Salti vom Schleuderbrett glänzen. Herrlich gestaltet ist das
Finale, in dem Johannes Muntwyler im Autoskooter durch die
Manege rast. Tradition haben seine Abschiedsworte. Diesmal
spricht er sie konsequent in der Rolle des Bürgermeisters. Als
solcher dankt er der Bevölkerung, dass man zum Fest gekommen ist
und damit seine Verbundenheit zur Gemeinde bewiesen hat. Wie bei
solchen Bürgermeister-Grußworten üblich, fallen sie natürlich
viel zu lang und fürchterlich gestelzt aus. Die Clowns prüfen
ganz frech, wie viele Stichwortzettel denn noch kommen mögen. |