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Circus Monti - Tour 2019
www.circus-monti.ch

Basel, 18. August 2019: Der Circus und das Volksfest, das sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Artisten und Schausteller bringen jeweils eine fremde, exotische Welt in Dörfer und Städte. Durchbrechen den grauen Alltag und sorgen für Momente der Freude. Der Oberbegriff „Reisegewerbe“ greift zu kurz, denn er klammert den kulturellen Aspekt aus. Wenn die ersten Wagen auf dem Festplatz erscheinen, können es viele kaum erwarten, bis das Ereignis beginnt. Und wenn die Reisenden wieder aufbrechen, packen manchen Wehmut und Fernweh, möchte man sich der fahrenden Truppe anschließen.

Dabei sind die Vertreter von Circus- und von Kirmesbetrieben oft nur verschiedene Zweige der gleichen familiären Stammbäume. Der Kern ihrer Tätigkeit ist das Leben auf der Reise. Auch die Familie Muntwyler zieht seit 35 Jahren mit ihrem Circus Monti durch die Schweiz. Und so haben wir uns über das Motto der neuen Produktion besonders gefreut. „Jour de Fête“ entführt auf einen nostalgischen Jahrmarkt. Dabei wird, anders als in anderen Monti-Shows, auf eine durchgehende Handlung verzichtet. Vielmehr werden viele Facetten eines solchen Festtags herausgegriffen und in einzelnen Episoden beleuchtet. Diese sind natürlich wieder kunstvoll miteinander verwoben, so dass sich ein fließender Ablauf ergibt.


Gastspiel auf der Rosentalanlage 

Mit Konzept und Regie wurden Andreas Manz und Bernhard Stöckli beauftragt. Für sie gilt, was fast alle Monti-Regisseure auszeichnet: Sie haben selbst als Clowns bei dem Unternehmen gearbeitet, und sie wurden an der Accademia Teatro Dimitri ausgebildet. Die ähnlichen biografischen Hintergründe dürften ihren Beitrag dazu leisten, dass Monti jedes Jahr so typisch Monti ist, auch wenn die Gestaltung der Vorstellung jeweils in neue Hände gelegt wird. Unterstützt werden die Regisseure von einem Kreativteam für Komposition (Thierry Epiney), Licht (Christoph Siegenthaler), Kostüme (Olivia Grandy) und Choreographie (Colette Roy-Gfeller). Eine Konstante im Wandel ist auch, dass für jede Produktion in den eigenen Werkstätten ein neues Bühnenbild geschaffen wird. Diesmal zeigt es die obere Hälfte eines mit unzähligen Lämpchens beleuchteten Riesenrades; die fünf Gondeln können bespielt werden. Der Manegenboden wurde in Brauntönen bemalt und erscheint so wie die Plattform eines nostalgischen Karussells. Bei den Äußerlichkeiten bleibt zu erwähnen, dass der Circus Monti mit seinem 2018 angeschafften Bogenmast-Chapiteau und dem perfekt gepflegten Wagenpark wie immer ein herrliches Bild abgibt, in diesem Fall auf der Basler Rosentalanlage.


Ensemble in der Rhönrad-Achterbahn, Pauline Baud-Guilard und Frédéric Lemieux-Cormier

Der „Jour de Fête“ beginnt, wenn der Vorhang vor dem Riesenrad fällt und die Dorfkapelle – das sechsköpfige Monti-Orchester unter der Leitung von Piotr Gunia – auf dem Jahrmarkt einzieht. Das Artisten-Ensemble folgt dem Festzug. Sogleich wagt man sich gemeinsam in die Achterbahn. Ein auf den Boden gelegtes Rhönrad bildet die Gondel. Darin sitzen die Artisten, legen sich gemeinsam in die imaginären Kurven, kreischen vergnügt bei den Schussfahrten. Das ist gleich ein großes Vergnügen. Natürlich wird das Rhönrad auch als richtiges akrobatisches Requisit eingesetzt. Pauline Baud-Guilard und Frédéric Lemieux-Cormier drehen darin romantische Runden als verliebtes Paar. Der muskulöse Julian Siliau nutzt ein zweites Rhönrad, um bei Kreiselbewegungen über die Bühne Eindruck zu schinden. Es entwickelt sich ein akrobatisches Duell mit friedlichem Ende.


Lindsay Culbert-Olds, Vincent Jutras und Eline Guélat

Beim Popcorn-Verkauf werben Eve Diamond und PJ Perry so lautstark, dass sie erst mit lautem Peitschenknall zur Ruhe gebracht werden können. Für noch mehr Heiterkeit sorgen Eline Guélat und Vincent Jutras, die als Komiker einen roten Faden durchs Programm ziehen. Dabei beweist Eline zunächst im Cyrrad ihr akrobatisches Können. Zu einem vermeintlichen Zwischenfall kommt es im Riesenrad: Artistin Lindsay Culbert-Olds scheint in der obersten Gondel des stecken gebliebenen Fahrgeschäfts gefangen. Einige der Artisten formen eine Treppe aus ihren Körpern, um sie zu retten. Schließlich befreit sich die Künstlerin selbst, indem sie sich am Tanztrapez in den Luftraum des Chapiteaus schwingt. Sie wechselt an die Strapaten und kreist rasant zu mitreißender, dynamischer Musik über den Köpfen des Publikums. Immer wieder gibt es viel zu lachen. Zum Beispiel, wenn die beiden Komiker eine Partie Bowling spielen. Ihre Ensemblekollegen geben entweder die Kegel, huckepack aufeinander sitzend. Oder sie kommen als menschliche Kugeln zum Einsatz, die sich mit Überschlägen dem Ziel nähern. Die nächste Aktivität heißt „Hau den Lukas“. Wer hier mit dem großen Hammer schlägt, bewegt einen Ring am „Lukas“ nach oben. Den nutzt Vincent Jutras aus dem Komiker-Duo zum Reifenspringen. Dies mit seinem Skateboard. Mal springt er samt Rollbrett durch den Reifen. Mal fährt er mit dem Brett durch den heruntergelassenen Ring. Und mal fährt er mit dem Skateboard auf den Reifen zu, springt darüber und landet wieder auf dem weiter rollenden Gefährt.


Eve Diamond und PJ Perry, Mario und Tobias Muntwyler mit Willem McGowan

Auf einem Jahrmarkt haben auch die Auftritte von Sensationsartisten Platz. Zwei besonders extrovertierte Vertreterinnen dieses Fachs sind Eve Diamond und PJ Perry, die sich beifallsheischend mit ihren Mänteln präsentieren. Dann geht es in luftige Höhe, zwei Vertikalseile hinauf. Ihre Ver- und Entwicklungen werden synchron gearbeitet. Dabei wecken sie Assoziationen von einer Arbeit am schwankenden Masten als typischer Kirmesattraktion. Nach vierjähriger Pause ist Tobias Muntwyler ins Scheinwerferlicht zurückgekehrt. Seine Disziplin bleibt das Diabolo, auch sein jüngerer Bruder Mario wagt sich nach vielen Jahren mit Keulenjonglagen an dieses Genre. Gemeinsam mit Willem McGowan haben die Brüder eine Trio-Nummer aufgebaut. Mal lässt jeder einzeln die Diabolos fliegen, mal werden diese zum nächsten Partner weitergereicht. Wenn die drei jungen Männer gemeinsam sieben Diabolos fliegen lassen, ist der Jubel riesig. Ein passender Abschluss des ersten Programmteils.


Gruppenjonglage, Eline Guélat,Emilie und Julien Siliau

Zu Beginn der zweiten Hälfte ist bereits ein Chinesischer Mast aufgebaut, zunächst noch durch einen rundherum verlaufenden Fadenvorhang verdeckt. Am Mast zelebrieren Emilie und Julien Siliau ihre Kunst – eine Abfolge schwieriger und komplexer Tricks. Die Partnerin steht beispielsweise auf der nach oben gestreckten Hand oder auf dem Kopf ihres Partners, später zeigt sie Kontorsion auf seinen Schultern. Ausdauernder Applaus ist der Lohn. Musikalisch begleitet werden sie am Cello und mit zartem Gesang. Während ihrer Nummer wird der Fadenvorhang vom Ensemble in vier Bündeln auseinandergezogen und zum Baldachin gebunden. Wir denken an ein Kettenkarussell. Was man am Mast noch alles tun kann, demonstriert Komikerin Eline Guélat, wenn sie hinaufklettert und wieder hinunterpurzelt. Und sich dank ihres schlangengleich beweglichen Körpers quasi in sich selbst verknotet. Mit dem Fuß hinter den Kopf geklemmt klettert sie erneut hinauf. Das Publikum raunt. Nun wird der Mast zur Achse. Mit Steckenpferden, Lenkrad in der Hand oder Boot kreist das Ensemble darum und schafft die Illusion eines Kinderkarussells. Festzeltstimmung gibt es, wenn alle im Kreis tanzen, wechselnde Artisten in der Mitte kleine Kunststücke zeigen, und das Publikum rhythmisch dazu klatscht. Eine Szene, die etwas irritiert, weil sie wie ein vorgezogenes Finale wirkt. Doch zum Glück geht die Reise weiter, auch wenn die Stimmung umschlägt: Der Tanz mündet in eine veritable Bierzeltschlägerei, die pantomimisch dargestellt wird. Typisch für die Monti-Produktionen sind auch die Gruppennummern, die das Ensemble einstudiert. Heuer werden alle Artisten in eine Keulenjonglage einbezogen. Zunächst wird auf mehreren Ebenen miteinander jongliert, also auf dem Bühnenboden sowie auf den Speichen und in den Gondeln des Riesenrades. Hier greift eine Hand in die andere, wie beim Auf- oder Abbau eines solchen Geschäfts. Im zweiten Teil der Nummer jonglieren acht Artisten in der Manege und sorgen damit für ein buntes, wirbelndes Bild. Fünf ihrer Kollegen schaukeln dazu übermütig in den Riesenrad-Gondeln, was die ausgelassene Stimmung weiter verstärkt.


Johannes Muntwyler, Eve Diamond und PJ Perry, Pauline Baud-Guilard, Frédéric Lemieux-Cormier und Cameron Clarke

Auch in dieser Saison ist Direktor Johannes Muntwyler im Programm vertreten. In einer komischen Illusion wird er von Eve Diamond und PJ Perry in einer Kiste deutlich geschrumpft. Spektakulär wird es nochmal zum Abschluss, wenn die überaus sympathische und ausstrahlungsstarke Pauline Baud-Guilard sowie ihre Partner Frédéric Lemieux-Cormier und Cameron Clarke – unterstützt von weiteren Ensemblemitgliedern – mit Sprüngen und Salti vom Schleuderbrett glänzen. Herrlich gestaltet ist das Finale, in dem Johannes Muntwyler im Autoskooter durch die Manege rast. Tradition haben seine Abschiedsworte. Diesmal spricht er sie konsequent in der Rolle des Bürgermeisters. Als solcher dankt er der Bevölkerung, dass man zum Fest gekommen ist und damit seine Verbundenheit zur Gemeinde bewiesen hat. Wie bei solchen Bürgermeister-Grußworten üblich, fallen sie natürlich viel zu lang und fürchterlich gestelzt aus. Die Clowns prüfen ganz frech, wie viele Stichwortzettel denn noch kommen mögen.

Monti schafft es immer wieder, in eine Zauberwelt zu entführen – heiter, beschwingt, berührend und nostalgisch. Eine Nostalgie, die zugleich modernster Circus ist, ein wundervoll durchkomponiertes akrobatisches Theater. Und besonders in diesem Jahr vom „klassischen Circus“ gar nicht weit entfernt. Denn auf dem Jahrmarkt, beim „Jour de Fête“, sind traditionelle Komplimente erlaubt. Das total hingerissene Publikum im gut besuchten Chapiteau spendet am Ende minutenlange Standing Ovations.

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Text: Markus Moll; Fotos: Felix Wey (Show), Tobias Moll (Außenaufnahme)