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Zirkus Nemo - Tour 2019
www.zirkus-nemo.dk ; 100 Showfotos

Charlottenlund, 18. August 2019: Es funktioniert einfach nichts. Die Band sitzt nicht auf ihren Plätzen, die Konfettikanone entpuppt sich als Rohrkrepierer mit minimalem Output. Sprich, es regnet ein paar wenige Papierschnipsel. Der Chef ist alles andere als zufrieden. Und das zum 20er-Jubiläum seines Zirkus Nemo. Eben hat Soren Ostergaard noch Programmhefte verkauft, jetzt steht er auf der Bühne und lässt seiner Unzufriedenheit freien Lauf. Es wird nicht besser, als Ingo Stiebner sowie das Duo Solys in roten Fräcken in Livree-Optik eine Leuchtschrift mit dem Unternehmenslogo hereinbringen.

Schräg darüber steht das Wort „Hurra“ – leider mit einem „r“ zu wenig. Doch dann wird alles gut. Die Band erscheint und spielt sogleich, alle Mitwirkenden versammeln sich zum Opening auf der Bühne. Die Geburtstagsparty kann beginnen. Sie findet in bester Nemo-Manier satt. Mitreißend, begeisternd, wahnsinnig witzig und total schräg. Zum Jubiläum bleibt der Circus seinem Stil treu, legt aber gefühlt noch eine Schippe drauf.


Eröffnungsszene mit dem Duo Solys und Ingo Stiebner

Die Produktion 2019 ist artistisch stark besetzt. Captain Frodo sorgt einmal mehr für skurrilen Humor. Ein Meister dieses Fachs ist natürlich ebenfalls Soren Ostergaard. Der Circusdirektor schlüpft wiederum in einige seiner Paraderollen und sorgt für Lachsalven im (gefühlten) Sekundentakt. Überhaupt geht in dieser Show alles Schlag auf Schlag. Die geniale Inszenierung lässt keinen Raum für Leerlauf. Volle Power von der ersten bis zur letzten Minute. Last not least trägt das Chapiteau seinen Teil zum perfekten Erlebnis bei. Die Zuschauer sitzen dicht beieinander und nah an der Rundbühne. So entsteht eine ungeheuer kompakte Atmosphäre.


Kim Tim (Soren Ostergaard), Menno und Emily van Dyke

Nach dem Opening spielt Soren Ostergaard gleich eine seiner bekannten Figuren und gibt einen 70er-Jahre-Typen mit Lockenkopf und Schlaghosen. Er animiert die Zuschauer zum Mitmachen, und schon gehen alle Hände im Zelt in die Höhe. Noch einmal präsentiert sich das Ensemble auf der Bühne. Es folgt der „Striptease unter einer Burka“, bei dem sich eine Dame zu Musik ihrer Unterwäsche entledigt. Nur eben unter einer Burka. Und schon steht Ostergaard wieder im Scheinwerferlicht. Diesmal als alternder Zauberer „Kim Tim“, der seine besten Jahre schon hinter sich oder solche nie erlebt hat. Die Perücke sitzt genauso schlecht wie der Frack. Die meisten seiner Requisiten kommen aus dem Hosenschlitz. Dazu gibt es aberwitzige Kommentare. Dies natürlich auf Dänisch. Auch wenn man wie ich dieser Sprache nicht mächtig ist, hat man jede Menge Spaß. Akzentuierung, Mimik und Gestik sind stets zum Brüllen komisch. Gänzlich ohne Sprachbarrieren kommt die Kunst der Artisten aus. Den Auftakt machen hier Menno und Emily van Dyke. Der Jongleur und die Tänzerin verschmelzen ihre beiden Disziplinen zu einem „Juggling Tango“. Ein ungemein sinnliches Erlebnis, das einen immer wieder vollends in seinen Bann zieht. Die mitreißende Begleitmusik kommt von der Liveband, ergänzt um vorproduzierte Sounds.


Hector Yzquierdo, Ingo Stiebner und Marianne (Soren Ostergaard)

Aus Deutschland angereist ist „Ernst Ditmar Bruchendorff Jr.“. So jedenfalls ist die nächste Rolle von Soren Ostergaard angelegt. Von daher spricht der zerstreute Puppenspieler Englisch. Zumindest versucht er sich in dieser Sprache. So wird aus der 1.000 Jahre währenden Familientradition letztendlich eine zehnjährige. Zudem hat er es versäumt, sich am Flughafen einen Gürtel für seine viel zu weite Hose zu besorgen. Es kommt, wie es kommen muss. Am Ende steht er in Unterhose, Hemd sowie Sakko und mit zerstörter Puppe vor dem Publikum. Herrlich! Mit seiner Partner-Akrobatik war das Duo Solys 2016 und 2018 bei Nemo. Auch in diesem Jahr sind Tatiana und Hector Yzquierdo mit dabei. Grandios ist die erste Solo-Darbietung von Hector. In Trikot und weitem Rock tritt er ins Scheinwerferlicht. Wenn er sich in den Handstand beginnt, wird der Sinn des Kostüms klar. Der Rock fällt nach unten und auf seinem Hintern kommt ein japanisches Frauengesicht zum Vorschein. So bekommen seine Kunststücke auf zwei Händen eine urkomische Note. Es sieht schlichtweg so aus, als würde eine Japanerin auf zwei Beinen stehen und komische Verrenkungen machen. Marianne und ihre Ratten kennen wir ebenfalls aus dem Vorjahr. Marianne ist natürlich eine weitere Figur von Soren Ostergaard, die gerne über Achselhaare schwadroniert und eben Ratten präsentiert. Dressiert wurden diese von Gunter Sacckman. Bei der Vorführung unterstützt Ingo Stiebner, der in früheren Programmen mit seinen Seelöwen bei Nemo engagiert war. Die Rattendressur endet spektakulär. Mit Hilfe einer Kanone soll eines der Nagetiere in die Luft katapultiert werden. Ein Zuschauer soll die Ratte mit einem Kescher einfangen.


Captain Frodo, Duo Kvas, Tatiana Yzquierdo

Freunde ästhetischer Körperbewegungen kommen bei Captain Frodo voll auf ihre Kosten. Der Norweger mit den langen Haaren und dem Schnauzer betritt nur in Tennisshorts, Socken und Schuhen die Bühne. Dies, um seinen schlanken Körper durch die Rahmen von Tennisschlägern zu zwängen. Dabei wird gerne mal ein Gelenk ausgehängt. Dazu gibt er aberwitzige Kommentare ab. Dies dankenswerterweise auf Englisch. Als „Rote Polnische“, also in der Gestalt eines Würstchens, leitet Soren Ostergaard die Pause ein. In einem überdimensionalen Toaster wird das zugehörige Brot geröstet. Der bestens bekannte „Bager Jorgen“ darf dieses Jahr keine langen Monologe halten und dabei Backwaren zerbröseln. Vielmehr steckt er unter einer großen Geburtstagstorte, mit der diese Ostergaard-Figur den zweiten Teil eröffnet. Partner-Akrobatik vom Feinsten serviert das Duo Kvas. Vladimir Kostenko und Anton Savchenko begeistern mit den unterschiedlichsten Tricks der Equilibristik. Sogar im Kopf-auf-Kopf halten sie sich virtuos im Gleichgewicht. Auch den „Malermanden“, den Maler, haben wir über die Jahre liebgewonnen. 2019 lässt Soren Ostergaard seine Figur einen Zaubertrick mit einem Massband vorführen. Unterstützt wird er dabei von Laura Kvist. Der Trick an sich ist schon originell. Doch es ist noch eine Steigerung drin. Nämlich dann, wenn Captain Frodo in Zeitlupe erklärt, wie die Zauberei eigentlich funktioniert. Ohne Verschnaufpause geht es in den Wilden Westen. Mit nur drei Personen entsteht ein rundum gelungenes Country-Feeling mitten in Dänemark. Tatiana Yzquierdo reitet auf einem Stoffpferd, Partner Hector spielt gleich zwei Charaktere, nämlich ein Tanzpaar, und Ingo Stiebner schwingt das Lasso.


Captain Frodo, Soren Ostergaard, Marko Karvo

Das Kunststück, mit dem Schwert eine Gurkenhälfte zu zerteilen, die von einer Zuschauerin gehalten wird, beherrscht Captain Frodo. Zumindest fast. Eine – nur geringfügig - manipulierte Augenbinde soll für zusätzlichen Nervenkitzel sorgen. Auch hier steht wieder viel Wortwitz im Vordergrund. Natürlich fehlt zum Jubiläum auch jene Ostergaard-Figur nicht, die sich durch langes fettiges Haar, Schwabbelbauch unter dem Netzhemd und ständig ausgestreckte Mittelfingern auszeichnet. Zur Aufführung kommt eine Kistenillusion, bei der ihm Laura Kvist, Tatiana Yzquierdo und Ingo Stiebner assistieren. In die Kiste gesteckt und durchbohrt wird Hector Yzquierdo. Glücklicherweise übersteht er das Experiment unverletzt. Denn gleich darauf ist er mit Partner-Akrobatik zu erleben. Da Tatiana, die andere Hälfte des Duo Solys, sichtbar schwanger ist, muss Ersatz her. Der besteht aus einer Gummipuppe, die das gleiche Kleid anhat wie Tatiana in der Szene davor. Wirklich stilvoll geht es dann bei der Schlussnummer zu. Marko Karvo trägt Frack, Vanessa verschiedene hübsche Kleider. Die wechselt sie auf der Bühne, denn Quick Change gehört zum Repertoire des finnisches Magiers und seiner Partnerin. Im Mittelpunkt stehen aber die bekannten Illusionen mit Tauben, Wellensittichen und Papageien. Karvos Fingerfertigkeit ist ebenso einzigartig wie seine elegante, leicht unterkühlte Präsentation. Die Einleitung zum Finale wird poetisch, aber eben Nemo-Style. Soren Ostergaard macht Seifenblasen im handelsüblichen Format. Von Hinten schleicht sich Captain Frodo an, um ihn mit deutlich größeren zu übertreffen. Das Spiel zwischen den beiden geht über in die Verabschiedung mit dem gesamten Ensemble. Im Starkregen aus dänischen Fahnen im Kleinformat endet die Show.

Dieses Jubiläumsprogramm wird von vielen bekannten Gesichtern bestritten. Artisten, die bereits zuvor beim Zirkus Nemo engagiert waren und vertraute Figuren, die Soren Ostergaard in immer neuen Nummern zum Leben erweckt. Trotzdem wird es nicht langweilig – im Gegenteil. Nemo begeistert vor allen Dingen durch die grandiose Gesamtinszenierung ohne irgendwelche Längen. Ebenso durch die vielen kleinen Einfälle, die genial umgesetzt werden. Kurzum, dieses Jubiläumsprogramm ist einfach grandios. Herzlichen Glückwunsch zum runden Geburtstag!

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Text und Fotos: Stefan Gierisch