CHPITEAU.DE

Nikulin Circus 2019 - Burlesque
www.circusnikulin.ru ; 235 Showfotos

Moskau, 26. April 2019: Es ist einer jener Abende, an dem einfach alles stimmt. An dem ein langgehegter Wunsch in Erfüllung geht. Noch schöner, als man es sich jemals erträumt hat. Der erste Besuch im Nikulin Circus ist ein solch magisches Erlebnis. Schon der prachtvolle Bau aus dem Jahr 1880 am Tsvetnoy Boulevard im Herzen Moskaus beeindruckt. Die Show, die darin aktuell gespielt wird, nicht minder. „Burlesque“, so ihr Titel, ist eine Koproduktion des Nikulin Circus mit dem Russischen Staatscircus.

Das Konzept dazu stammt von General Direktor Maxim Nikulin sowie Gia Eradze. Letzterer ist unter anderem Artistischer Direktor des Staatscircus und Produzent des Royal Circus. Gia Eradze ist es, der die Show letztendlich inszeniert hat.


Außenansicht

Der geniale Produzent wurde bei uns in Westeuropa im vergangenen Winter durch Gastspiele seiner Inszenierungen beim Weltweihnachtscircus sowie beim Internationalen Circusfestival von Monte Carlo bekannt. Zuvor waren einige seiner Kreationen beim Festival in Girona zu erleben.


Szene aus dem Opening

Mit dem aus Monte Carlo bekannten Opening wird die Show im Nikulin Circus grandios eröffnet. Gleich zu Beginn gibt es also Circus voller Energie und Lebensfreude. Es wird laut, bunt und ausgelassen. Ein Clown nimmt uns mit in die Welt der Manege. Aus Stoffbahnen, die an den Seiten mit Lichterketten eingefasst sind, wird ein riesiges Chapiteau gebildet. Exquisite Tänzerinnen tragen fantastische Kostümkreationen, die sich auf ungeheuer originelle Weise mit dem Thema Circus befassen. Eine Luftakrobatin zeigt an Tüchern ihr Können. Alles wird perfekt ins rechte Licht gesetzt. Das Orchester hoch über der Gardine spielt exzellent die passende Musik dazu. Der Eröffnungsrausch endet auf dem Artisteneingang. Die Mitwirkenden verabschieden sich auf Treppen rechts und links des Vorhangs. Zwischen Gardine und Orchesterpodium gibt es eine Bühne, die im weiteren Verlauf der Show noch genutzt wird. LED-Wände unterschiedlicher Größe befinden sich an allen vier Seiten der Plattform für die Musiker. Sie werden wohldosiert eingesetzt und werten so die Inszenierung wirkungsvoll auf.


Weißer Traum von Gia Eradze

Ebenfalls aus Stuttgart und Monte Carlo kennen wir die Quick Change Illusionen sowie den Weißen Traum von Gia Eradze. Beide sind auch in Moskau gefeierte Bestandteile des Programms. Die Kostümillusionen bestechen insbesondere durch die überdimensionalen Nachbauten der prunkvollen Fabergé-Eier. Sie dienen als Kulisse für den Wechsel edelster Kostüme in Windeseile. Eine traumhafte Choreographie komplettiert den perfekten Gesamteindruck. Ebenso die einleitende Modenschau mit eindrucksvollen Kleidern. Der Weiße Traum ist eine Melange unterschiedlicher Disziplinen der Circuskunst, die verschwenderisch in Szene gesetzt wird. Es geht los mit einem Ballett von Tänzern mit weiten Flügeln. Die später auftretenden Tänzerinnen tragen Kopfschmuck in Form eines Schwans. Andere Tütü. Wir erleben die von Dilyara Bikmayeva vorgeführte Einzelfreiheit eines edlen weißen Pferdes, welches ebenfalls Flügel trägt. Eine Frau dreht mit einem selbstfahrenden Vierrad, auf dem Tauben sitzen, ihre Runden. Daria Rudenko nimmt uns am Luftring mit unter die Kuppel. Andrei Tsaplin schließlich agiert zunächst als Pianist. Doch bald nutzt er seinen Flügel als Podest für eine beeindruckende Handstand-Equilibristik. Diese zeigt er zumeist umgeben von Wasserfontänen. Natürlich ist das gesamte Bild in Weiß gehalten und eben wirklich traumhaft umgesetzt. Wie wahr, Gia Eradze hat den klassischen Circus neu geträumt und diese Träume voller Energie zum Leben erweckt. So ermöglicht er es auch uns, diese Träume zu erleben. Welch ein überwältigender Genuss!


Truppe Filinov

Die Truppe von Mikhail Filinov und ihre Akrobatik an der Doppelten Russischen Schaukel wurde in Monte Carlo mit einem Silbernen Clown prämiert. Daher kennen wir auch das ausschweifende folkloristische Ballett zur Einleitung. Im Nikulin Circus wird es um einen großen Bären ergänzt, welcher sich in Begleitung seines Trainers Sergey Puzachinov teilweise sogar frei in der Manege bewegt. Immer wieder faszinierend sind die eleganten und doch durchaus riskanten Sprünge der achtköpfigen Filinov-Truppe von Schaukel zu Schaukel oder von der Schaukel auf eine Matte. In traditionellen Kostümen ihrer Heimat wagen sie unter anderem den gleichzeitigen Sprung zweier Akteure übereinander. In fantasievollen Harlekinkostümen jonglieren die Mitglieder der fünfköpfigen Formation um Valerie Scherbakov mit Keulen. Dies tun sie nicht nur am Boden, sondern vor allen Dingen auf einem Requisit mit Mittelplattform, an welcher zwei lange Ausleger befestigt sind. An deren Enden befinden sich wiederum Plattformen. Auf diesen stehen jeweils Artisten, die sich gegenseitig die Keulen zuwerfen. Die gesamte Konstruktion rotiert um die eigene Achse, die äußeren Plattformen können nach oben gezogen werden. So entstehen dynamische Bilder. Eine furiose Fortsetzung des Openings, denn diese Jonglagen sind die erste Darbietung des Programms. Beschlossen wird der artistische Part durch Dilyara und Marat Bikmayevi. Sie zelebrieren eine sinnliche Kür an den Strapaten. Auch hier werden wir mit hohen Schwierigkeitsgraden verwöhnt. Gekrönt wird dieses Schauspiel mit dem Titel „Entering Love“ durch aus der Kuppel einsetzenden Regen, der das Geschehen in Form eines Zylinders einhüllt.


Clown Igor Yashinov

Schon an einer früheren Stelle im Programm wird Strapatenakrobatik präsentiert. Dmitry und Alexandr Dudkin sind die Protagonisten einer wiederum groß angelegten Nummer. Ihre Bänder hängen unter überdimensionalen Kirchenglocken. Die Manege ist mit Akteuren in Mönchskutten gefüllt. Smeralda mischt sich unter diese. Auf den LED-Wänden werden Bilder von Kirchenfenstern eingeblendet. So entsteht eine perfekte „Glöckner von Notre Dame“-Stimmung. Fetziger geht es bei der Hula Hoop-Darbietung zu, die Vladlena Ananyeva auf einer großen Diskokugel zeigt. Dabei wird sie von Mitgliedern des Balletts begleitet. Das alles findet auf der Bühne oberhalb der Gardine statt. Den Kontrapunkt zu all diesen großen, durchinszenierten Auftritten setzt Igor Yashnikov, der als Clown Harry ganz traditionell daherkommt. Er begleitet uns mit liebevollen Reprisen durch den Abend. Yashnikov verkörpert für mich den typisch russischen Clown. Er hat ein feines Mienenspiel und findet schnell den Draht zum Publikum. Die meisten seiner kleinen Geschichten sind für uns neu. Wenn er Zuschauer in die Manege holt, macht er sie zu seinen Partnern und produziert sich nicht auf ihre Kosten.


Szene aus dem Schaubild "Africa"

Dankenswerterweise wird den Tieren bei „Burlesque“ viel Raum gegeben. Insbesondere die Produktionsnummer „Africa“ reißt einen von den Sitzen. Als Kulisse dient ein künstlicher Urwald, in dessen Blattwerk sich kleinen Affen bewegen. Das Ballett ist in fantasievollen afrikanischen Kostümen und passenden Choreographien mit von der Partie. Vier Luftartisten agieren zu Beginn an Netzen über dem Geschehen. Dann erleben wir die unterschiedlichsten Tierarten. Einige, wie etwa große Laufvögel und Stachelschweine, drehen einfach nur ein paar Runden. Die meisten aber zeigen, was sie bei ihren Trainern Dmitry und Aleksandr Dudkin gelernt haben. Ein stattlicher Schimpanse balanciert auf einer Kugel und zeigt an den Ringen sehr selbständige kraftvolle Umschwünge. Kleinere Affen reiten und voltigieren auf Zebras. Zudem reiten sie auf Giraffen, wenn auch nur in Form von Steckenpferden. Eine Gruppe von Lamas springt elegant über Hindernisse. Das alles in einer dichten, mitreißenden Choreographie. Jeden Augenblick gibt es etwas Neues zu entdecken, immer passiert irgendetwas. Ein wahres Fest für alle Sinne.


Duo Shirokalov

Ebenfalls restlos begeistert hat uns die gemischte Raubtiernummer von Natalya Gubanova Shirokalova und Andrey Shirokalov. Sie besteht aus vier Tigern, zwei Ligern, drei Panthern und drei Leoparden. Die meisten der Tricks werden auf einer großen schwarzen Rundbühne in der Manegenmitte gezeigt. Auf der einen Seite haben die sechs kleinen, auf der anderen die sechs großen Wildkatzen nebeneinander ihre festen Plätze. Das Abliegen aller Tiere bildet die einzige gemeinsame Aktion der gesamten Gruppe. Ansonsten zeigen sie separat ihr Können. So etwa Tiger und Liger das Hochsitzen oder den Lauf auf den Hinterbeinen. Die kleinen Katzen hingegen beweisen ihre Fähigkeiten im Klettern sowie ihre Sprungkraft. Immer im vertrauten Zusammenspiel mit ihren Trainern. Die Shiraklovs spielen aber auch miteinander eine intensive, erotisch angehauchte Liebesgeschichte. Somit erhält ihre Raubtierdressur ebenfalls eine Inszenierung – Einleitung durch das Ballett inklusive -, die die Zuschauer elektrisiert. Wunderbar aufgemacht ist last not least die Pferde- und Hunderevue von Tatyana Maschenko. Sie bringt jeweils drei gescheckte Ponys und Pferde in die Manege. Hinzu kommen Dalmatiner. Farblich sind somit alle Tiere perfekt aufeinander abgestimmt. Die Pferde und Ponys dienen den Hunden als Reittiere. Folgerichtig hat diese Darbietung den Titel „Jockeys“. In den unterschiedlichsten Varianten springen die Dalmatiner auf die Rücken ihrer tierischen Partner. Hinzu kommen verschiedene Steiger der Pferde und Ponys. Tatyana Maschenko dirigiert diese Nummer souverän und stilvoll. Natürlich gibt es auch hierzu vorab einen passenden Tanz der Balletgirls.

Nach etwas weniger als drei Stunden endet dieser einzigartige Abend mit einem ausschweifenden Finale. Der Traum davon wird ewig weitergehen. Frenetisch feiert das Publikum, eine gute Mischung aus Russen und Touristen, die Akteure im Stehen. Ein unvergessliches Erlebnis. Nicht zuletzt, weil es mein erster Besuch im Nikulin Circus ist. Aber auch weil die einzigartige Show rundum fasziniert. So genial kann Circus sein! Danke an die Familie Nikulin, Danke an Gia Eradze, Danke an das gesamte Ensemble!

________________________________________________________________________
Text und Fotos: Stefan Gierisch