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Cirque Starlight - Tour 2019
www.cirquestarlight.ch

Porrentruy, 29. März 2019: Den Circus aus verschiedenen Perspektiven betrachten – dieser Philosophie folgt der Schweizer Cirque Starlight der Familie Gasser schon seit längerem. In dieser Spielzeit jedoch ganz besonders. Nach einem Jahr kreativer Pause meldet sich das Unternehmen aus dem Jura mit neuen Zeltanlagen und einer Show zurück, die schon auf dem Plakat die Frage aufwirft, ob das Gezeigte nun Circus oder Theater ist. Die Antwort ist wohl für jeden Besucher verschieden. In einem Punkt dürften sich die Besucher aber einig sein: Der Cirque Starlight ist innovativer denn je!

Zum ersten Mal führte in diesem Jahr Christopher D. Gasser, der zweitälteste Sohn der Circusdirektion Jocelyne und Heinrich Gasser, Regie. Schon seit fünf Jahren hat der Absolvent der renommierten Ecole International de Théâtre de Jacques Lecoq in Paris die Idee im Kopf, eine Circusshow nicht nur aus der Sichtweise der Besucher zu präsentieren, sondern auch hinter die Kulissen zu blicken. Das Publikum soll die Perspektive der Darsteller einnehmen. Wie etwa bereiten sie sich auf den Auftritt vor? Und was läuft hinter dem Vorhang ab? Darüber hinaus möchte Christopher D. Gasser die Grenzen zwischen Theater und Circus verwischen. Die Artistinnen und Artisten sollten erstmals auch mit Worten jonglieren und kurze Dialoge zum Besten geben. Denn dem Regisseur ist es wichtig, die Persönlichkeiten der Artisten in den Vordergrund zu stellen und nicht einfach deren artistische Darbietung. Seit letztem Sommer hat Christopher D. Gasser zusammen mit einem Kreativteam deshalb eine Storyline zusammengestellt, ein wirkungsvolles Bühnendekor erstellt und Artisten ausgesucht, die besondere Persönlichkeiten haben und nicht davor zurückschrecken, auch theatralisch aktiv zu werden. Während einer intensiven, sechswöchigen Probenzeit im Winterquartier wurde dann die Show zusammengestellt.


Kunstvolle Programmheft-Fotos von Barbara Bamberger 

Doch nicht nur in der Show spielen die Macher mit den unterschiedlichen Perspektiven. Im Vorzelt, das der Besucher nun durch eine Türe betritt, steht der Büffetwagen scheinbar verkehrt herum aufgebaut, so dass dessen Räder nach oben zeigen. Auch die Fotografin Barbara Bamberger hat für ihre Fotos im Programmheft das Motto „Perspective“ genutzt und die Artisten in Porrentruy, der Heimatstadt des Circus, aus unterschiedlichsten Perspektiven fotografiert. Der Grafiker Cyril Schneider wiederum hat ein Dekor geschaffen, bei welchem unterschiedliche Perspektiven ineinanderfließen. Und dank modernster VR-Technik können die Besucher die Fotos im Programmheft zum Leben erwecken und kurze Videos ansehen, welche die Artisten hinter der Kulisse zeigen. Auch hier geht Starlight innovative Wege.


Eli Huber 

Doch zurück zur Show: Während die Zuschauer ihre Sitzplätze im Chapiteau einnehmen, treffen zeitgleich auch die diesjährigen Artisten ein. Sie begrüßen sich auf der neuen, erhöhten und runden Bühne, machen Scherze und bereiten sich auf die große Aufführung vor. Ohne klaren Startpunkt ist man plötzlich mitten in der Show. Da ist etwa Patrick Wood, der seine Kopfhörer montiert und sich an den Strapaten aufwärmt. Die Trainingssession entpuppt sich als erste Darbietung für uns Zuschauer, die wir aktuell den Blick hinter die Kulissen einnehmen. So erleben wir immer wieder, wie sich die Artisten für ihren Auftritt bereit machen, durch die Türe in Richtung Sattelgang – oder eben Bühne – begeben, Requisiten reichen oder erschöpft vom Auftritt zurückkommen. All diese Szenen werden detailliert und einfallsreich inszeniert und dargeboten. Wir dürfen bei einer entspannten Partie Schach zusehen, während der immer mal wieder artistische Darbietungen zu sehen sind. Auch die Musik spielt in diesem Jahr eine große Rolle. Jakob Sambeth erleben wir etwa nicht nur als versierten Jongleur, sondern auch als Gitarristen. Hier kommt ihm sicherlich seine Ausbildung an der Accademia Teatro Dimitri zugute, die ja bekannt ist für ihre spartenübergreifende Ausbildung. Auch die vom Young Stage Festival mit ihren Jonglagen bekannten Deutschen Marvin Kuster und Mitja Ley beweisen ihr musikalisches Talent. Sie interpretieren Pianosongs nicht mehr nur mit ihren Jonglierbällen, sondern auch wirklich am Klavier. Marvin sehen wir zudem kurz an den Strapaten. Die Australierin Elli Huber wiederum verbindet starken Gesang mit ihrer Darbietung am Schwungtrapez. Elli Huber wurde an der Ecole Léotard, der Talentschmiede in Sachen Trapez schlechthin, unterrichtet. Ihre Darbietung besticht durch lange Schwungphasen, Abfaller und gewagte Trickfolgen.


Tom Birringer, Ensemble 

Nach der Pause dann kehrt sich die Szenerie. Wir erleben eins zu eins dieselbe Show wie vor der Pause, nun aber aus der Perspektive der eigentlichen Zuschauer. Plötzlich machen die Gesten und Szenen Sinn, die wir in der ersten Programmhälfte noch als kurios und unverständlich gesehen haben. Es ist eben alles eine Frage der Perspektive! Mit dieser wird auch bei den Kostümen gespielt, die von Lorène Martin kreiert und erschaffen wurden. So haben etwa Mitja und Marvin ein gepunktetes Dress an, welches vom ebenso gestalteten Hintergrund kaum zu unterscheiden ist. Auch der Deutsche Tom Birringer verwirrt die Zuschauer auf dem Cyr Wheel mit mehreren Perspektivenwechseln und seinem Rock, der durch die Drehungen umherweht. In seiner zweiten Darbietung nimmt uns Tom mit auf das statische Trapez, woran er viele komische und doch anspruchsvolle Figuren zeigt und uns zum Lachen bringt.


Sylphie, Jakob Sambeth, Jean-David L'Hoste

Poetisch wird es bei der Darbietung von Patrick Wood und Sylphie Currin, die an einem in der Luft schwebenden Würfel verschiedene Figuren der Luftakrobatik zeigen. Sylphie wiederum lässt in ihrem Soloact die Hula-Hoop-Reifen um ihre Hüften kreisen. Mit Jean-David L’Hoste ist ein Schweizer im Programm, der mit einer ausgefallenen Einrad-Nummer zu überzeugen weiß. Als Höhepunkt springt er mit seinem Einrad auf ein Mini-Trampolin und setzt von dort zum Salto an, den er perfekt steht.


Lukas Besuch

Für die Lacher im Programm sind zwei alte Bekannte zuständig. Zum einen der Russe Iurii Mikhailik, der einst Regisseur Christopher D. Gasser die Kunst der Clownerie näher brachte und heuer als etwas überdrehter Showmaster durch die Vorstellung führt. Zum anderen ist es Lukas Besuch, der als liebenswerter Spaßmacher mit Zahnlücke verschiedene Reprisen zum Besten gibt. Er war zusammen mit Ferkel Johanson als Duo Desolato bereits in mehreren Shows des Cirque Starlight zu sehen.

Sicherlich, rein aus artistisch-technischer Sicht gesehen, gab es schon stärkere Starlight-Programme. Christopher D. Gasser ist es jedoch gelungen, ein Gesamtkunstwerk zu schaffen! Er hat es gewagt, den Circus neu zu interpretieren und ihm ein frisches, kreatives und verblüffendes Gesicht zu geben. Zu diesem Mut, den er, aber auch seine Eltern einmal mehr aufgebracht haben, kann man nur gratulieren. Schön, dass dies auch verschiedene kulturelle Institutionen so sehen, welche den Cirque Starlight erstmals als Kulturgut anerkannt haben und ihn unterstützen.

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Text: Randy Scheibli; Fotos: Barbara Bamberger