In La Seu d'Urgell, wo 1992 die
Kanu-Wettkämpfe der Olympischen Sommerspiele von Barcelona
stattgefunden haben, ist der Circus zwar recht prominent an
einer Ausfallstraße errichtet. Das Gelände neben Feuerwehr und
Verkehrsübungsplatz ist allerdings eng. Ein großzügiger und
optisch ansprechender Aufbau ist nicht möglich. Der dekorative
Frontzaun steht verladen an der Seite. Die zumeist
amerikanischen Wohnwagen und die Materialauflieger in den
Farbmustern von Tierfellen gruppieren sich dicht um das große
Hauptzelt. Das Unternehmen verfügt über mehrere Varianten in
unterschiedlichen Farben; hier aufgebaut ist ein markantes,
ungewöhnlich in schwarz-weiß gehaltenes Vier-Mast-Chapiteau mit
Längskuppel. Blickfang ist der große Kassen- und Bürowagen. Eine
mobile Pizzeria soll das Erlebnis eines „authentischen
italienischen Circus“– so wirbt das Unternehmen – verstärken. Im
kleinen Vorzelt gibt es zudem Circus-typische Snacks und Getränke an
drei Verkaufscontainern. Über Lautsprecher wird der Platz
dauerhaft mit Musik beschallt. Werbefahrzeuge drehen mit Ansagen
ihre Runden durch den 13.000-Einwohner-Ort.
Außenansicht
Seit Mitte der 2000er Jahre setzt
das Unternehmen vermehrt auf Elemente aus Theater und Tanz bei
der Gestaltung der Vorstellungen. So gab es in der Vergangenheit
schon gemeinsame Produktionen mit den hierzulande von Roncalli
bekannten Kompanien Monti&Cia und Fiesta Escénica. Im aktuellen
Programm "Bellissimo" bleibt es nun bei einem reinen
Nummernablauf. Die künstlerische Leiterin Sonia Miranda setzt
diesmal auf eine traditionell wirkende Inszenierung. Im
Vergleich mit dem auf der schlichten Homepage veröffentlichten
Werbefilm variiert die besuchte Vorstellung; dank der
akrobatischen Bandbreite der mitgliederstarken Circusfamilien Rossi-Vassallo offenbar ohne Qualitätsverlust. Lediglich die
luftakrobatischen Genres kommen, mitunter verletzungsbedingt, zu
kurz. Dass das Gebotene wie aus einem Guss erscheint, liegt
insbesondere an der zu jedem Zeitpunkt äußerst stilvollen
Aufmachung. Die zumeist jugendlichen Akteure tragen durchweg
geschmackvolle Kostüme in dezenten Farben. Die Musik
unterstreicht die jeweilige Dynamik der einzelnen Darbietungen
und harmoniert doch in ihrer akustischen Linie. Nicht zuletzt
schafft auch die nicht besonders aufwendige Lichtanlage doch
schöne Stimmungen auf der Rundbühne. Diese verfügt über eine
höhenverstellbare Mitte, wenngleich dies nicht allzuoft genutzt
wird. Ein Wald aus Stäben bildet wie in Soleil's Varekai den
Artisteneingang. Darüber hängt eine runde Leinwand, auf die die
Atmosphäre der Nummern unterstützende Motive projeziert werden.
Vasallo-Schwestern, Nuria Miriani,
Opening
Auch die Sandmalerei von
Weißclown Paute (Pau Sarraute) zur Einleitung der Vorstellung
wird auf die Leinwand übertragen. Er zeichnet die Ankunft des
Circus im jeweiligen Gastspielort nach. Gemeinsam sorgt das
Ensemble für eine lebhafte Eröffnung des Ablaufs. Schon hier
wird deutlich, dass es sich um eine Truppe mit starker
Ausstrahlung und viel Spiellust handelt. In die tänzerische
Choreografie sind einige Hebefiguren der Damen sowie Sprünge und
Keulenjonglage der Herren integriert. Alle tragen dabei
einheitliche, chicke Kostüme in blau-weiß-gold und teilweise
kleine Hütchen auf dem Kopf. In den selben Farbtönen ist Nuria
Mariani bei ihrer Säbelbalance gekleidet. Ein langes Schwert auf
der Stirn austangierend, steht und liegt sie zunächst auf einer
Kugel und besteigt dann damit Leitersprossen. Beim Aufrichten
über eine Stuhlkante balanziert sie schließlich das Schwert
Spitze auf Spitze auf einem mit dem Mund gehaltenen Messer. Die
folgende Partner-Equilibristik steht geradezu symbolisch für das
auf Tempo bedachte Programm. Keine schwülstige Ballade, sondern
ein schmissiges Michael-Jackson-Medley gibt den Rythmus vor. So
legen die allesamt bildhübschen Vassallo-Schwestern Shannon,
Sidney und Demi beispielsweise zwischen den ansonsten typischen
Tricks jener Darbietungen einen gekonnten Moonwalk auf die
Bühne. Für einige Figuren ergänzt Nesthäkchen Michelle das Trio.
Ursula Nunez Rossi, Ensemble,
Laura Rossi
Rasant und zugleich weiterhin
stilvoll geht es mit Laura und Claudio Rossi sowie Mandrás
Mariani auf dem Trampolin weiter; schließlich tragen die
jungendlichen Akteure bei ihren Kapriolen vornehm Fliege zu Hemd
und Bluse. Sprünge durch Reifen und Mehrfachsalti beherrscht die
Troika. Ursula Nuñez Rossi ist als ursprüngliche Partnerin im
Rollschuh-Duo Skating Flash bekannt. Hier zeigt sie mit Verve
eine recht klassische Hula Hoop-Nummer. Fünf Ringe kreisen
zeitweilig um beide Arme, Hals, Taille und Beine. Vom
Besuchereingang zugeworfene Reifen fängt sie zunächst auf und
rotiert diese weiter um den Körper; so lässt sie sich dann
schließlich mittels Handschlaufe unter die Kuppel ziehen. Nach
geballter Dynamik ist die Einleitung der Pause überraschend
ruhig gehalten. Mit einem Quick Change-Trick beginnt die
Choreografie. Aus dem weißen Kleid der Protagonistin entpuppt
sich unter Glitterregen ein Schmetterlingskostüm mit großen
Flügeln. Sechs weitere Tänzerinnen tragen weite Gewänder mit
Falter-Motiv und kleinen LED-Lichtern. Der gemeinsame
Serpentinentanz schließt den ersten Programmteil.
Flying Mendonca, Massimo Rossi &
Mandrás Mariani, Claudio Rossi
Während die meisten Zuschauer
noch an den Gastronomieständen im Vorzelt weilen, beginnt der
zweite Part recht unvermittelt mit dem Flugtrapez der bekannten
Flying Mendonca. Die Truppe ist aktuell ein Quintett mit gleich
drei Fliegerinnen. Offensiv herausgestellt in der Plakatwerbung
ist der sicher ausgeführte dreifache Salto. Spanisch inszeniert
ist die Darbietung von Claudio Rossi auf dem Sprungseil.
Charmante Begleitung erhält er von den Vassallo-Schwestern, die
sich bei seinen energischen Schritten und Sprüngen auf dem
elastischen Seil allerdings im Hintergrund halten. Mit beinahe
allen gängigen Requisten jonglieren Massimo Rossi und Mandrás
Mariani. Sie starten synchron mit größeren Bällen, anschließend
folgen im Wechsel präsentiert Becher, Zigarrenkisten und Ringe.
Abschließend werfen sich die beiden im 1920er-Look samt
Schiebermütze gekleideten Akteure Keulen im Passing-Verfahren
zu.
Paute & Capitano,
Feuertanz, Aboubacar Bangoura
Effektvoll gerät die
choreografierte Einleitung der Schlussnummer. Fünf Tänzerinnen
in reizvollen Kostümen bewegen sich mit brennenden Fächern auf
der Bühne. Auf deren in die Höhe gefahrener Mitte verrenkt sich
Aboubacar Abora Bangoura. Neben den Mendonca ist er der einzige
engagierte Artist. Seine Arme und Füße nehmen zunehmend
ungewöhnlichere Positionen ein. Abschließend zwängt er sich
durch einen Stuhl. Das Finale greift das Motiv der Eröffnung
auf. Das Ensemble trägt nochmals die vom Beginn der Vorstellung
bekannten einheitlichen Kostüme in blau-weiß-gold. Die Artisten
nehmen dann einzeln ihren Applaus entgegen. Ein gemeinsamer Tanz
beendet schließlich das Programm. Weißclown Paute (Pau Sarraute)
spricht Abschieds- und Dankesworte. Zusammen mit Partner
Capitano (Marco Rossi) bildet er ein kongeniales Duo, über das
man auch nach vielen Auftritten noch lachen kann. Tatsächlich
treten beide nach jeder Darbietung auf, oftmals auch inmitten
der Zuschauer im neunreihigen Schalensitzgradin. Wenngleich ihre
Kostüme südländisch bunt und schrill sind, leben ihre Nummern
von Musikalität und Wortwitz. Selbst die Clowns sind hier höchst
galant; nicht ohne auch banale Pointen herrlich auszureizen, wie
sie beispielsweise mit gleich zwei wirklich unterschiedlichen
Versionen des "verbotenen Musizierens" bestens unter Beweis
stellen. |