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Circo Italiano - Tour 2020
ilcircoitaliano.com ; 98 Showfotos

La Seu d'Urgell, 16. Februar 2020: Seit nunmehr vier Jahrzehnten spielt der Circo Italiano in Spanien, bereiste schon vorher halb Europa und auch Afrika. Noch haben die Familien Rossi-Vassallo ihr 1958 gegründetes Unternehmen, welches sie nun in sechster Generation führen, im kleinen Örtchen La Seu d'Urgell nahe der Grenze zu Andorra aufgebaut. Als nächstes ist ein Gastspiel im Zwergstaat angekündigt. Bereits die Anreise ist ein Erlebnis: beim Anblick der teils schneebedeckten Pyrenäen kommt man aus dem Schwärmen kaum heraus. Das gilt später auch für das mit „Bellissimo“ sehr treffend überschriebene Programm.

In La Seu d'Urgell, wo 1992 die Kanu-Wettkämpfe der Olympischen Sommerspiele von Barcelona stattgefunden haben, ist der Circus zwar recht prominent an einer Ausfallstraße errichtet. Das Gelände neben Feuerwehr und Verkehrsübungsplatz ist allerdings eng. Ein großzügiger und optisch ansprechender Aufbau ist nicht möglich. Der dekorative Frontzaun steht verladen an der Seite. Die zumeist amerikanischen Wohnwagen und die Materialauflieger in den Farbmustern von Tierfellen gruppieren sich dicht um das große Hauptzelt. Das Unternehmen verfügt über mehrere Varianten in unterschiedlichen Farben; hier aufgebaut ist ein markantes, ungewöhnlich in schwarz-weiß gehaltenes Vier-Mast-Chapiteau mit Längskuppel. Blickfang ist der große Kassen- und Bürowagen. Eine mobile Pizzeria soll das Erlebnis eines „authentischen italienischen Circus“– so wirbt das Unternehmen – verstärken. Im kleinen Vorzelt gibt es zudem Circus-typische Snacks und Getränke an drei Verkaufscontainern. Über Lautsprecher wird der Platz dauerhaft mit Musik beschallt. Werbefahrzeuge drehen mit Ansagen ihre Runden durch den 13.000-Einwohner-Ort.


Außenansicht 

Seit Mitte der 2000er Jahre setzt das Unternehmen vermehrt auf Elemente aus Theater und Tanz bei der Gestaltung der Vorstellungen. So gab es in der Vergangenheit schon gemeinsame Produktionen mit den hierzulande von Roncalli bekannten Kompanien Monti&Cia und Fiesta Escénica. Im aktuellen Programm "Bellissimo" bleibt es nun bei einem reinen Nummernablauf. Die künstlerische Leiterin Sonia Miranda setzt diesmal auf eine traditionell wirkende Inszenierung. Im Vergleich mit dem auf der schlichten Homepage veröffentlichten Werbefilm variiert die besuchte Vorstellung; dank der akrobatischen Bandbreite der mitgliederstarken Circusfamilien Rossi-Vassallo offenbar ohne Qualitätsverlust. Lediglich die luftakrobatischen Genres kommen, mitunter verletzungsbedingt, zu kurz. Dass das Gebotene wie aus einem Guss erscheint, liegt insbesondere an der zu jedem Zeitpunkt äußerst stilvollen Aufmachung. Die zumeist jugendlichen Akteure tragen durchweg geschmackvolle Kostüme in dezenten Farben. Die Musik unterstreicht die jeweilige Dynamik der einzelnen Darbietungen und harmoniert doch in ihrer akustischen Linie. Nicht zuletzt schafft auch die nicht besonders aufwendige Lichtanlage doch schöne Stimmungen auf der Rundbühne. Diese verfügt über eine höhenverstellbare Mitte, wenngleich dies nicht allzuoft genutzt wird. Ein Wald aus Stäben bildet wie in Soleil's Varekai den Artisteneingang. Darüber hängt eine runde Leinwand, auf die die Atmosphäre der Nummern unterstützende Motive projeziert werden.


Vasallo-Schwestern, Nuria Miriani, Opening

Auch die Sandmalerei von Weißclown Paute (Pau Sarraute) zur Einleitung der Vorstellung wird auf die Leinwand übertragen. Er zeichnet die Ankunft des Circus im jeweiligen Gastspielort nach. Gemeinsam sorgt das Ensemble für eine lebhafte Eröffnung des Ablaufs. Schon hier wird deutlich, dass es sich um eine Truppe mit starker Ausstrahlung und viel Spiellust handelt. In die tänzerische Choreografie sind einige Hebefiguren der Damen sowie Sprünge und Keulenjonglage der Herren integriert. Alle tragen dabei einheitliche, chicke Kostüme in blau-weiß-gold und teilweise kleine Hütchen auf dem Kopf. In den selben Farbtönen ist Nuria Mariani bei ihrer Säbelbalance gekleidet. Ein langes Schwert auf der Stirn austangierend, steht und liegt sie zunächst auf einer Kugel und besteigt dann damit Leitersprossen. Beim Aufrichten über eine Stuhlkante balanziert sie schließlich das Schwert Spitze auf Spitze auf einem mit dem Mund gehaltenen Messer. Die folgende Partner-Equilibristik steht geradezu symbolisch für das auf Tempo bedachte Programm. Keine schwülstige Ballade, sondern ein schmissiges Michael-Jackson-Medley gibt den Rythmus vor. So legen die allesamt bildhübschen Vassallo-Schwestern Shannon, Sidney und Demi beispielsweise zwischen den ansonsten typischen Tricks jener Darbietungen einen gekonnten Moonwalk auf die Bühne. Für einige Figuren ergänzt Nesthäkchen Michelle das Trio.


Ursula Nunez Rossi, Ensemble, Laura Rossi 

Rasant und zugleich weiterhin stilvoll geht es mit Laura und Claudio Rossi sowie Mandrás Mariani auf dem Trampolin weiter; schließlich tragen die jungendlichen Akteure bei ihren Kapriolen vornehm Fliege zu Hemd und Bluse. Sprünge durch Reifen und Mehrfachsalti beherrscht die Troika. Ursula Nuñez Rossi ist als ursprüngliche Partnerin im Rollschuh-Duo Skating Flash bekannt. Hier zeigt sie mit Verve eine recht klassische Hula Hoop-Nummer. Fünf Ringe kreisen zeitweilig um beide Arme, Hals, Taille und Beine. Vom Besuchereingang zugeworfene Reifen fängt sie zunächst auf und rotiert diese weiter um den Körper; so lässt sie sich dann schließlich mittels Handschlaufe unter die Kuppel ziehen. Nach geballter Dynamik ist die Einleitung der Pause überraschend ruhig gehalten. Mit einem Quick Change-Trick beginnt die Choreografie. Aus dem weißen Kleid der Protagonistin entpuppt sich unter Glitterregen ein Schmetterlingskostüm mit großen Flügeln. Sechs weitere Tänzerinnen tragen weite Gewänder mit Falter-Motiv und kleinen LED-Lichtern. Der gemeinsame Serpentinentanz schließt den ersten Programmteil.


Flying Mendonca, Massimo Rossi & Mandrás Mariani, Claudio Rossi 

Während die meisten Zuschauer noch an den Gastronomieständen im Vorzelt weilen, beginnt der zweite Part recht unvermittelt mit dem Flugtrapez der bekannten Flying Mendonca. Die Truppe ist aktuell ein Quintett mit gleich drei Fliegerinnen. Offensiv herausgestellt in der Plakatwerbung ist der sicher ausgeführte dreifache Salto. Spanisch inszeniert ist die Darbietung von Claudio Rossi auf dem Sprungseil. Charmante Begleitung erhält er von den Vassallo-Schwestern, die sich bei seinen energischen Schritten und Sprüngen auf dem elastischen Seil allerdings im Hintergrund halten. Mit beinahe allen gängigen Requisten jonglieren Massimo Rossi und Mandrás Mariani. Sie starten synchron mit größeren Bällen, anschließend folgen im Wechsel präsentiert Becher, Zigarrenkisten und Ringe. Abschließend werfen sich die beiden im 1920er-Look samt Schiebermütze gekleideten Akteure Keulen im Passing-Verfahren zu.


Paute & Capitano, Feuertanz, Aboubacar Bangoura

Effektvoll gerät die choreografierte Einleitung der Schlussnummer. Fünf Tänzerinnen in reizvollen Kostümen bewegen sich mit brennenden Fächern auf der Bühne. Auf deren in die Höhe gefahrener Mitte verrenkt sich Aboubacar Abora Bangoura. Neben den Mendonca ist er der einzige engagierte Artist. Seine Arme und Füße nehmen zunehmend ungewöhnlichere Positionen ein. Abschließend zwängt er sich durch einen Stuhl. Das Finale greift das Motiv der Eröffnung auf. Das Ensemble trägt nochmals die vom Beginn der Vorstellung bekannten einheitlichen Kostüme in blau-weiß-gold. Die Artisten nehmen dann einzeln ihren Applaus entgegen. Ein gemeinsamer Tanz beendet schließlich das Programm. Weißclown Paute (Pau Sarraute) spricht Abschieds- und Dankesworte. Zusammen mit Partner Capitano (Marco Rossi) bildet er ein kongeniales Duo, über das man auch nach vielen Auftritten noch lachen kann. Tatsächlich treten beide nach jeder Darbietung auf, oftmals auch inmitten der Zuschauer im neunreihigen Schalensitzgradin. Wenngleich ihre Kostüme südländisch bunt und schrill sind, leben ihre Nummern von Musikalität und Wortwitz. Selbst die Clowns sind hier höchst galant; nicht ohne auch banale Pointen herrlich auszureizen, wie sie beispielsweise mit gleich zwei wirklich unterschiedlichen Versionen des "verbotenen Musizierens" bestens unter Beweis stellen.

Zugegeben, wirkliche Sensationen bietet der Circo Italiano natürlich nicht. Dennoch gelingt den Familien Rossi-Vassallo ein wunderbares Programm, das dank durchweg charismatischer Akteure, dynamischer Darbietungen und stilvoller Aufmachung rundum begeistert. Da kann man schon mal ins Schwärmen geraten...

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Text und Fotos: Benedikt Ricken