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Cirque Arlette Gruss - Tour 2021
www.cirque-gruss.com ; 98 Showfotos

Annecy, 16. Oktober 2022: Schon wieder ein neues Zelt? Das dachten sich wohl einige, als Arlette Gruss im Frühjahr dieses Jahres sein neues Chapiteau ankündigte. Schon im August 2018 gab es mit „Le Privilege“ ein neues Spielzelt. Es war das erste freitragende des französischen Branchenführers. Nur ein Jahr, bis Sommer 2019, war es im Einsatz, ehe man im Herbst wieder die Cathedrale auspackte und sie kurzerhand freitragend, mit den außenliegenden Masten von „Le Privilege“, aufbaute. Nun hängen unter den beiden dreieckigen Masten-Konstruktionen auch eine neue Kuppel sowie eine neue Zeltplane!

„L‘Arche“ heißt die Konstruktion. Auch sie vereint mit Restaurations- und Backstagebereich wiederum alles unter einem Dach, ist aber mit 64 mal 38 Metern etwas kleiner als „Le Cathedrale“. Durch den Verzicht auf eine Rundkuppel spart man sich außerdem etwas Aufwand beim Aufbau. Ein wichtiger Gesichtspunkt in einer Zeit, in der man immer schwieriger technisches Personal findet. Schlicht in weiß ist die Plane gehalten. Laut Programmheft war es Gilbert Gruss leid, dass Muster und Farbgebung seiner Zeltanlagen von anderen Circussen kopiert wurden. Daher werde man in Zukunft mit Videoprojektionen die weiße Plane in Szene setzen. Im Inneren ist nicht nur der Restaurationsbereich neu gestaltet, nein es sorgt gar eine komplett neue Sitzeinrichtung für gehobenen Komfort. Neben der Polsterung aller Sitzplätze hält sie noch einen weiteren Clou bereit. Mit wenigen Handgriffen können im Nu Tische zwischen die Reihen eingebaut werden, so dass man in ausgewählten Städten jeweils abends eine Dinnershow veranstaltet. Das Programm wird dann leicht abgeändert, mit Verzicht auf die drei Tierdarbietungen, gezeigt. Während bei der Dinner-Bestuhlung circa 600 Personen Platz haben, bietet das neue Gradin bei den „normalen“ Shows mit 1300 Sitzplätzen etwas weniger Zuschauern Platz als es früher bei Gruss der Fall war.


Opening

Die Atmosphäre im neuen Zelt könnte allerdings nicht besser sein. Durch drei Reihen erhöhte Loge, sieben Reihen Gradin und zusätzlich zwei Reihen Galerieloge herrscht eine sehr intime Stimmung, ohne dass Größe verloren geht. Letzteres liegt nicht zuletzt an dem imposanten Artisteneingang, über dem das siebenköpfige Orchester thront, welches während der Show öfters mal die Höhe wechselt. Hinzu kommt natürlich das unfassbar starke Lichtdesign, das nach vielen Jahren erstmals wieder ohne Lasereffekte auskommt und trotzdem nicht minder beeindruckend wirkt. Übrigens, sogar die Applikationen der Galerielogen können passend zum Geschehen in der Manege ihre Farbe ändern Dieses beginnt wie immer bei Gruss mit einem Opening aller Artisten. Sie tragen bunte Fabelwesen-Kostüme, die hier schon vor einigen Jahren einmal im Einsatz waren.


André Broger, Alexis Griss Biasini, Team Street Workout

Alexis Gruss-Biasini zeigt fünf Falabella-Ponys in einer ordentlich laufenden Freiheit. Clown André erzeugt mit einem Fahrrad Strom, der gebraucht wird, um die nächste Nummer ins richtige Licht zu setzen. Als Team Street Workout kommt sozusagen die Haustruppe in die Manege, bestehend aus sechs männlichen Akteuren sowie der Artistin Giselle Souza Santos. Sie zeigen Haltefiguren an Barren, Mast und Reck. Besonders hervorzuheben ist hier die lebende Flagge von Giselles Ehemann Edison, auf die sie sich stellt.


César Dias, Linda Biasini-Gruss, Kevin Gruss und Julia Friedrich

Schon einige Saisons hat Clown André bei Arlette Gruss verbracht, wohingegen César Dias hier seine Premiere feiert. Auch hier sind ihm die Lacher sicher, wenn er seine Westernszene mit einem Mann aus dem Publikum spielt. Weiter geht es mit den Pferden der Familie Gruss. Kurz eingeleitet vom Ballett, zeigt Linda Biasini-Gruss zuerst einen Achterzug Friesen, ehe ihre Tochter Laura-Maria Gruss mit vier Tieren die Nummer weiterführt. Die Pferde zeigen hauptsächlich Tricks rund um vier illuminierte Reifen, welche von den Tänzerinnen gehalten werden und ein schönes Bild erzeugen. Ihre kleine Schwester Alexis lässt ein Pony ebenfalls durch Reifen springen, ehe die beiden den Ausflug in die Welt der Pferde mit einem Einzel- und einem Doppel-Steiger beenden. Ihren einzigen Auftritt zusammen haben César und André bei einem kurzen Intermezzo mit Fingerpfeifen, wie wir es schon 2013 bei Charles Knie gesehen haben. Kevin Gruss und Julia Friedrich zeigen einige interessante Tricks an den Strapaten, welche zu dramatischer Musik bei den Gästen viel Anklang finden.


Natalia und Zdenek Supka, Duo Lyd mit Alexis und Eros Gruss, Romain Vincent

Nicht ganz so viel Applaus bekommen kurioserweise Natalia und Zdenek Supka, die ihre Jonglage im Steampunk-Style inszeniert haben. Vielleicht ist es gerade die Persönlichkeit, welche hier etwas verloren geht und beim „Duo Gruss“ umso mehr zur Geltung kommt? Natalia lässt Bälle in einem Kubus kreisen, der mit ihr unter der Kuppel hängt, ehe Zdenek in einem Plexiglas-Dreieck Bouncing-Bälle springen lässt. Pausennummer ist die doppelte Fahrradnummer des Duo Lyds zusammen mit Alexis und Eros Gruss. Mal parallel und mal zusammen werden voller Tempo und Freude die Tricks gezeigt. Unser Highlight im ersten Teil! Chapeau! Als Ouvertüre nach der Pause singt Monsieur Loyal Kevin Sagau den Französischen Popsong „La rumeur“ in einer speziellen Version. Der von Flic Flac bekannte Drummer Romain Vincent hat daraufhin einen kurzen Soloauftritt, in dem er schlagzeugspielend auf einem Podest durch die Manege fährt, ehe er auf einer Hebebühne Richtung Zeltkuppel gehoben wird. Clown André hat mit seinem Haifischkampf einen Klassiker ausgepackt, den andere Clowns oft von ihm kopiert haben.


Troupe Arlette Gruss

Etwas kurz fällt der Auftritt von Sarah Houcke aus. Sie zeigt drei Dromedare und zwei Kamele des französischen Cirque Royal Kerwich. Hier bräuchte es noch einen Schlusstrick, beispielweise ein springendes Lama oder zumindest einen Musikwechsel während der Darbietung, damit diese insgesamt vollständiger wirkt. Als „La Troupe Arlette Gruss“ rufen mit der Familie Gruss, den Duos Lyd und Acero sowie den Supkas inklusive Sohn Liam insgesamt zwölf Personen zum ausgelassenen Seilspringen auf.


Duo Rolling Wheels, Company Havanna, Pierre Marchand

Ein vollständiges Gesamtkunstwerk ist die Rhönraddarbietung des Duo Rolling Wheels. In einem mal wilden und mal zärtlichen Zusammenspiel begeistert uns das ungarische Paar mit seinen Kunststücken in und auf den zwei Rhönrädern. Artistisch noch eine Schippe drauf setzen daraufhin die vier Artisten der „Company Havanna“. Ihre Darbietung am russischen Barren kann sich einfach sehen lassen. Wir staunen unter anderem über einen doppelten gestreckten Salto sowie einen Dreifachen. Nicht ganz mithalten kann da Pierre Marchand, der sich rein durch seinen gekonnten Verkauf als Schlussnummer dieser Show eignet. Musik, Licht und der Akteur selbst machen diese Diabolo-Nummer so besonders. Trotzdem könnte sich Marchand am Ende seiner Darbietung etwas mehr zurückhalten und auf seine penetranten Aufforderungen zu Standing Ovations verzichten.

Ganz von selbst stehen dann die Leute im Finale auf, und das in allen der drei von uns besuchten Shows! Man hat insgesamt das Gefühl, dass im Vergleich zu unserem Besuch 2019 wieder mehr Leidenschaft, Kreativität und vielleicht auch Budget bei Arlette Gruss vorhanden ist. Es stimmt einfach alles, vom neuen Ambiente über die unfassbare Technik bis hin zu den Artistinnen und Artisten selbst. Einzig eine stärkere Tiernummer könnte der Show guttun. Dabei rede ich nicht von Wildtieren, denn der Verzicht darauf ist angesichts des in Frankreich fest geplanten Wildtierverbots leider absolut nachvollziehbar.

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Text: Simon Preißing; Fotos: Thierry Bissat