Das
Chapiteau wird durch passende Vorzelte ergänzt. Sowohl für die
kalte als auch für die warme Jahreszeit. Das größere der beiden
in Stockholm aufgebauten Zelte im Eingangsbereich beinhaltet
eine Fotowand, vor der man sich Celebrity-like ablichten kann.
Die Fotos auf Facebook oder Instagram hochgeladen sorgen für
authentische, kostenfreie Werbung.

Cirkus
Brazil Jack in Stockholm
Eine Kasse
ist nicht dabei. Die Zuschauer kaufen ihre Tickets zuvor online
oder mobile. Die Kontrolle beim Einlass erfolgt dementsprechend
elektronisch. Wer trotzdem ohne Eintrittskarte erscheint, kann
eine solche am Restaurationswagen erwerben. Hier fallen die
großen verglasten Kühlschränke vor der Rückwand besonders ins
Auge. Der Verkauf erfolgt bargeldlos. Die Waren werden mittels
Tablet erfasst, der Kunde legt seine Bankkarte oder sein
Smartphone auf ein kleines, daran angeschlossenes Lesegerät. Das
geht schnell, wird von allen Zuschauern akzeptiert und vermeidet
das lästige Abzählen von Bargeld. Der Absatz brummt an diesem
Samstagnachmittag mit zwei bestens besuchten Vorstellungen.

Blick
in den Innenraum
Im Inneren
des Chapiteaus erwartet die Gäste ein neuer Sitzkomfort. Die
Holzbänke ohne Rückenlehne wurden durch ein Gradin mit
Klappsitzen ersetzt. Es hat neun Reihen und wurde vom dänischen
Cirkus Arena erworben, wo es nur sporadisch zum Einsatz kam.
Ergänzend gibt es zwei Stuhlreihen in den Logen. Blickfang aber
ist der neue Artisteneingang, der dem Roncalli-Stil
nachempfunden ist. Rote Vorhänge und mit Glühbirnen besetzte
Bögen bilden die Basis. Hinzu kommen die beiden bekannten
Figuren in Gold sowie ein neues, üppig leuchtendes Logo des
Cirkus Brazil Jack. Ein Orchester sitzt aktuell leider nicht
über der Gardine, was dem Krieg gegen die Ukraine und den damit
verbundenen Restriktionen geschuldet ist. Erweitert wurde das
ohnehin schon fulminante Licht.

Trolle
Rhodin und die Wolf Brothers
Begrüßung
und Verabschiedung in der Manege übernimmt nun Trolle Rhodin.
Vor fünf Jahren hatte diese Rolle noch seine Mutter Carmen inne.
Überhaupt vertritt der Juniorchef das Unternehmen nun nach
außen. Er ist auf Plakat sowie Homepage zu sehen und präsentiert
sich eloquent in den Medien. Verabschiedet hat sich der Cirkus
Brazil Jack von Tierdarbietungen, die vorher stets in hoher
Qualität zu erleben waren. Denken wir etwa an Rosi Hochegger,
die Saabels oder die Familie Donnert. Insbesondere die Vorgaben
für die besuchten Plätze haben diesen Schritt notwendig gemacht.
So liegt während der ganzen Vorstellung der Manegenteppich auf
dem Rasen im roten Ring. Geblieben sind die zumeist hochwertigen
artistischen Darbietungen sowie die ungemein stimmungsvolle
Atmosphäre des Nummernprogramms. Der Ablauf wurde gestrafft. Auf
ein Kompliment des gerade aufgetretenen Artisten folgt direkt
der nächste Auftritt. So dauern die beiden Hälften des Programms
jeweils rund 35 Minuten.


Wolf
Brothers, Sage Macaggi, Susan Jasters
Das Warm
up übernehmen die Wolf Brothers. Sie bestreiten ihre vierte
Saison bei diesem schwedischen Circus. Schon beim Einlass sind
sie in Livrees präsent. Vom Eingangsbereich begeben sie sich in
die Manege und animieren die Gäste zum lautstarken Klatschen.
Sodann betritt Trolle Rhodin das Scheinwerferlicht und begrüßt
das Publikum. Der angekündigte Starartist am Trapez hat leider
Pech mit der Technik. Sein Arbeitsgerät bleibt auf halber Höhe
stecken. Hilfe naht in Form eines Requisiteurs. Aus der
angekündigten Sensation wird eine turbulent-artistische Komödie,
denn wir erleben die komische Trapeznummer der Wolf Brothers.
Mit roten Hüten jongliert Sage Macaggi. Der jugendliche
Italiener hat sich mit der Spezialisierung auf einen Gegenstand
eine originelle Abgrenzung zu den meisten anderen Darbietungen
des Genres geschaffen. Äußerst versiert lässt er die
Kopfbedeckungen in immer anspruchsvoller werdenden Varianten
durch die Luft fliegen. Dies stets mit einem verschmitzten
Lächeln. Da sich Maxim, der Partner von Maria Shevchenko,
verletzt hat, muss die gemeinsame Luftnummer an den Strapaten
aktuell pausieren. Dafür springt Susan Jasters mit ihrer
sinnlichen Kürn an Tüchern ein. An zwei weißen Stoffbahnen
fliegt sie elegant unter der Kuppel. Hinzu kommen verschiedene
Einwicklungen, dank derer sie immer wieder neu Richtung Boden
gleitet.
  
Wolf
Brothers, Senayt Assefa, Mesa Brothers
Als
Torrero sucht Richard Wolf nach einer Flamencotänzerin. Das
Kleid hat er dabei, die Dame fehlt noch. Im Publikum wird er
nicht fündig, doch Bruder David hat genau die passenden Maße. So
wird dieser zur Senorita. Doch das Kleid hat noch eine
Innenseite. Mit dieser wird David auf allen Vieren zum Stier. So
ergeben sich herrlich witzige Szenen. Die Black Diamonds
verließen den Cirkus Brazil Jack während der laufenden Saison.
So gibt es vor der Pause statt ihrer Partner-Equilibristik die
Kontorsionsdarbietung von Senayt Assefa. Sie zeigt sehr
ästhetisch, wie ungemein biegsam ihr Körper ist. Die junge Dame
scheint wirklich keine Knochen zu haben. Schwierigste Figuren
meistert Senayt Assefa mit einem Lächeln. Den zweiten Teil
eröffnen Jordan Mesa und Partner auf dem Hochseil. Die beiden
Artisten erklimmen die gegenüberliegenden Plattformen über das
Schrägseil. Oben angekommen beweisen sie ihren außergewöhnlichen
Gleichgewichtssinn. Das Balancieren auf Stühlen, das
Überspringen des Partners und der Zwei-Mann-Hoch gehören zu
ihrem Repertoire. Diese und weitere Aktionen sorgen für
ordentlich Nervenkitzel beim Publikum.

Maria
Shevchenko
Entspannung bringen sodann die Wolf Brothers mit ihrer eigenen
Version der Schleuderbrett-Comedy. Hier muss sich kein Zuschauer
auf den Sprungturm stellen, hier bricht kein Holzbrett entzwei.
Die beiden rocken die Nummer ganz alleine. Da Richard zu leicht
ist, um seinen Bruder in die Luft zu katapultieren, wird
kurzerhand ein 100-Kilo-Boxsack zu Hilfe genommen. Und schon
klappt es mit dem Salto von David. Schwungvoll geht es weiter
mit den Skating Jasters. Susan Jasters und Dimerson Baeta Neves
zeigen auf Rollschuhen rasante Tricks, die einen schon vom
Zusehen schwindelig machen. Etwa wenn Dimerson Susan an jeweils
einem Arm und Bein hält und sie im Kreis über die runde
Plattform fliegen lässt. Der Nackenwirbel bildet das Finale.
Wenn sich die Wolf Brothers als Kraftmenschen produziert haben,
gehört die Aufmerksamkeit der Zuschauer Maria Shevchenko. Mit
ihrer ganz in rot gehaltenen Luftakrobatik an Bändern zieht sie
die Gäste vollkommen in ihren Bann. Es ist eine traumhafte Kür
mit höchsten Schwierigkeitsgraden. Dazu gehören der freihändige
Spagat zwischen zwei Schlaufen und der Nackenhang in einer. Wenn
sie mit einem Fuß kopfüber an einer Schlaufe hängt, schafft es
Maria Shevchenko noch, sich das andere Bein hinter den Kopf zu
biegen. Dazwischen gibt es wunderbar ausgeleuchtete Flugszenen.
Ich freue mich schon auf ein Wiedersehen beim diesjährigen
European Youth Circus, wo Shevchenko beste Chancen auf einen der
Hauptpreise haben dürfte. Im folgenden Finale versammeln sich
alle Mitwirkenden in der Manege. Nachdem er eine Feuersäule
Richtung Kuppel gespuckt hat, spricht Trolle Rhodin die
Abschiedsworte. Im Epilog zündet die aus der Ukraine stammende
Maria Shevchenko eine Kerze auf einem Tisch in der Mitte der
Arena an, um danach mit dem weiteren Ensemble hinter dem Vorhang
zu verschwinden. Bereits vor Shevchenkos Auftritt greift Trolle
Rhodin in einer Moderation die aktuelle Situation in der Ukraine
auf. Für meinen Geschmack an dieser Stelle etwas zu viel an
Pathos, so wichtig die Sensibilisierung für diesen grausamen,
unsinnigen Krieg bei jeder sich bietenden Gelegenheit auch ist. |