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Circus Harlekin - Tour 2022
Im Gedenken an Peter Pichler

www.circusharlekin.ch ; 150 Showfotos

Frutigen, 4. September 2022. Freud und Leid liegen so nah beieinander. Voller Stolz hatten sich Peter „Pedro“ Pichler und Monika Aegerter zur 30. Tournee ihres Circus Harlekin auf den Weg gemacht. Mit viel Liebe wurde ein besonderes Jubiläumsprogramm zusammengestellt. Große Clown-Entrees, neue artistische Ausrufezeichen, Harlekin-bekannte Gesichter mit neuen Darbietungen und hervorragende Kostüme vereinen sich darin zu einem stimmungsvollen Ganzen, das von mitreißender Musik getragen wird. Doch es war Pedro Pichler nicht mehr vergönnt, das Ende dieser Reisesaison zu erleben.

Er verstarb plötzlich und unerwartet am 14. Juli dieses Jahres im Thermalkurort Leukerbad im Wallis, einer seiner Lieblingsstationen im Tourneeverlauf. Eine schmerzliche Nachricht auch für uns. Denn ja, wir sind Circus-Journalisten und wollen so objektiv wie möglich über das berichten, was in der Manege geboten wird. Und doch war für uns jeder Besuch im Harlekin auch ein Besuch daheim bei Freunden.


In der Circus-Front wird an den verstorbenen Direktor Pedro Pichler erinnert

Von den bisher 30 Programmen des Circus Harlekin durften wir die letzten 15 miterleben. Es waren stets hochstehende Vorstellungen mit viel zu Lachen und schwungvoller Musik, vor allem aber mit wunderbar familiärer Atmosphäre. Bis 2017 wirkten Pedro Pichler und Monika Aegerter stets als kongeniales Clownsduo "Les Nicas" mit immer wieder neuen Reprisen und Entrees im Programm mit und prägten es besonders. Und seit unserem ersten Besuch an Ostern 2008 in Spiez war Harlekin für uns ein Pflichtprogramm, das so verbindlich zu unserem Jahreslauf gehört wie Knie und Krone. Das alles war und ist zu einem ganz großen Teil Pedros Werk. Immer werden wir uns an die schönen Abende erinnern, die wir nach der Vorstellung in gemütlicher Runde und bei guten Gesprächen im Barwagen verbracht haben – in Spiez und in Steffisburg, in Zell, Heimenschwand, Schüpfheim und Thun, in Interlaken und 2021 auch in Leukerbad. Nun sind wir erst im September dazu gekommen, das Jubiläumsprogramm 2022 zu bewundern. Zu spät. Es tut weh, dass wir unseren lieben Freund Peter Pichler nicht mehr treffen konnten.


Rogerio Goncalves, Jump and Roll, Nicole Pichler

Hervorragend besucht ist das Chapiteau an diesem Abend auf dem ehemaligen Flughafen in Frutigen. Das Ensemble empfängt uns zu Beginn in einem Charivari zu schmissiger Circusmusik. Dann gehört die Manege der Landschaftsgärtnerin Sophia, die in diesem Jahr als „Volontärin“ im Harlekin mitwirkt. Als Voltigeuse zu Pferd zeigt sie diverse akrobatische Übungen, darunter einen Schulterstand. Evelyn Goncalves schneidert seit einigen Saisons die Kostümkreationen für den Circus Harlekin, und so empfängt uns Maurin Rossi bei seinem Saxophonspiel mit Gewand und Maske im Stil des Karnevals in Venedig. Thematisch in Venedig bleibt auch Rogerio Goncalves mit einer abermals neuen Version seiner Devilstick-Jonglage. Für Heiterkeit ist gesorgt, wenn er sich Bälle aus dem Publikum zuwerfen lässt und in den Netzen an seinem Gürtel fängt – vor allem deshalb, weil die ausgewählten Mitstreiter doch sehr unterschiedliches Geschick beweisen. Groß ist der Jubel, als es ihm im dritten Anlauf gelingt, zwei Tennisschläger gleichzeitig auf zwei Sticks drehen zu lassen. Wirklich maximal extrovertiert präsentieren sich die drei jungen Russen der Truppe „Jump and Roll“ bei ihren Sprüngen und Salti auf flexiblen Sprungfedern – eine originelle Darbietung, wie wir sie vor dieser Saison noch nicht gesehen haben. Eine zweite Formation von „Jump and Roll“ reist in diesem Jahr mit dem Circus-Theater Roncalli. Pedro Pichlers Tochter Nicole dirigiert gewohnt souverän die mächtigen Kamele des schwedischen Cirkus Olympia, auch wenn in dieser Vorstellung nur drei der Tiere auftreten. Ein springendes Lama bildet das Da Capo.


Ethio Brothers, Alina Malko, Andrey Romanovski

Ein wunderbar klassisches Zwischenspiel als Clowns servieren Maurin und sein Sohn Hector Rossi sowie Rogerio Goncalves bei ihrer Hutjonglage. Zudem fängt Maurin geschickt die Teller, die ihm zugeworfen werden. Damit ist der Boden bereitet für die große Jonglagenummer im Programm. Denn für das Jubiläumsprogramm wurden die Publikumslieblinge der Saison 2020 nochmals engagiert, die beiden „Ethio Brothers“ Daniel und Ashenafi. Sie überzeugen nicht nur mit ihren starken Passing-Jonglagen mit bis zu neun Keulen, sondern ganz besonders auch mit ihrer fröhlichen, temperamentvollen und mitreißenden Art. Diese haben sie zwischen den beiden Harlekin-Engagements beispielsweise auch in den Häusern der GOP-Gruppe bewiesen. Neben den Tricks finden die Brüder immer noch Zeit, sich zu necken, und dazu passt die musikalische Begleitung durch „Let me entertain you“. Und dies sogar mit Live-Gesang, denn nachdem das langjährig bewährte Orchester aus der Ukraine leider nicht zur Verfügung stehen kann, wurden Ersatzmusiker organisiert, ergänzt durch Sängerin Polina Tsybyzova. Die Musik gehört eben zu den prägendsten und wichtigsten Bestandteilen jeder Harlekin-Vorstellung, so dass der Verzicht auf ein Orchester für Pedro Pichler niemals in Frage gekommen wäre. Wirklich überrascht hat uns Alina Malko, die seit Jahren immer wieder neue luftakrobatische Darbietungen für den Harlekin einstudiert. Nun hat sie sich auf besonders anspruchsvolles Terrain gewagt und überzeugt mutig und kraftvoll am Hänge-Pole. Ihr Ehemann Robert Rusin gehört als Betriebstechniker zu den Stützen des Harlekin-Teams. In ihrem Musikal-Entree vermischen die Rossi-Clowns haarsträubende Gags mit der Demonstration ihres Könnens an verschiedenen Instrumenten. Als Pausennummer wurde ein Künstler verpflichtet, der jahrelang zu den Attraktionen des Circus Roncalli gehörte: Andrey Romanovski krönt seine Klischnigg-Nummer nach wie vor mit der verblüffenden Rutschpartie durch ein Ofenrohr.


Duo Cradle, Susanne Mani, Rossi Clowns mit Rogerio Goncalves

Aber auch interessante Newcomer dürfen in diesem Circus niemals fehlen, und so wurden die hervorragenden Kontakte nach Äthiopien genutzt, um die Haltestuhl-Nummer des Duos Cradle erstmals nach Europa zu holen. Was Fliegerin Delira und Fänger Nimona Negassa einstudiert haben, überzeugt tricktechnisch auf ganzer Linie – beispielsweise bei zwei direkt nacheinander ausgeführten Salti mit verbundenen Auge. Als ganz großes Entree, wie man es heute kaum noch zu sehen bekommt, wurde für die Jubiläumssaison das Spaghetti-Entree einstudiert – wie bei Harlekin selbstverständlich, mit vielen eigenen Ideen und Akzenten anstatt als bloße Kopie von etwas Bekanntem. Rogerio Goncalves gibt den Gast im Restaurant, Maurin und Hector Rossi die impertinenten Kellner und Alina Malko eine herrliche exaltierte Mamsell, welche die Speisen aus der Küche bringt. Eine unverzichtbare Stütze des Circus Harlekin ist seit nunmehr 15 Saisons Susanne Mani. Sie kümmert sich um Vorreise und Administration, um die Betreuung der mitgeführten Tiere und steht nach den Vorstellungen auch noch im Ausschank am Barwagen. Vor allem aber ist sie eine hervorragende Tierlehrerin, die Jahr für Jahr neue Dressurkreationen mit Haustieren vorstellt. Heuer nun lässt sie zwei stattliche Kühe paradieren, ein Pony dazu seine Kreise im Gegenlauf ziehen, eine Ziege auf einem Esel reiten und zwei Ponys schaukeln. Evelin Goncalves hat ihr für den Auftritt ein wunderbares Harlekin-Kostüm geschneidert.


Jump and Roll, Susanne Mani, Ethio Brothers, Veronika Khitsaon

Die Ethio Brothers Artisten überzeugen mit ihrer gut gelaunten Art auch und als Kaskadeure. Voller Action ist die umfassende Abfolge an Tricks auf und über einem Tisch. Nach einer weiteren Reprise der Rossis ist es Zeit für die Schlussnummer. Die Truppe Jump and Roll reißt das Publikum mit Salti, Schrauben und zelthohen Sprüngen vom Schleuderbrett mit. Groß zelebriert wird bei Harlekin stets das Finale, jeweils mit einem tanzenden und singenden Ensemble. „Wir sind eine große Familie“ ist dabei in den vergangenen Jahren zur heimlichen Hymne für Circusteam und Publikum geworden.


Codirektorin Monika Aegerter verlässt den Circus Harlekin nach 30 Jahren

2020 hat Peter Pichler erstmals eine letzte Darbietung ins Finale integriert – das sei eine Idee seiner schlaflosen Nächte gewesen, und er könne ja viel nicht schlafen, ließ er uns damals in seiner stets verschmitzten Art wissen. Dieses Modell wird seitdem im Harlekin fortgeführt, diesmal mit einer Darbietung, die mit Sicherheit dem Humor des Direktors entsprochen hat. Denn Veronika Khitsaon arbeitet zwar durchweg im Handstand, doch dabei fällt ihr weiter Rock über ihren Kopf und verdeckt diesen. Stattdessen wird ein Puppenkopf sichtbar, der in der Höhe ihres Gesäßes auf Veronikas Kostüm prangt. So entsteht die Illusion, sie würde doch auf Füßen laufen. Eine Darbietung, die übers deutsche „Supertalent“ und Rolf Knies „Salto Natale“ den Weg zum Harlekin gefunden hat. Zum Abschluss springt die Artistin im einarmigen Handstand die Stufen des Requisits hinauf.

Pedro Pichler durfte mehr als stolz sein auf dieses wundervolle Jubiläumsprogramm. Dies gilt selbstredend auch für seine Codirektorin Monika Aegerter, seine Tochter Nicole, Susanne Mani als langjährige Frau für alle Fälle und alle anderen Beteiligten. Nun hat Monika Aegerter erklärt, dass Susanne Mani und sie selbst den Circus Harlekin nach dem Saisonschluss verlassen. Nicole Pichler und ihre Mutter Beatrice hingegen wollen das Unternehmen weiterführen und im April 2023 wieder auf die Reise gehen. Hoffen wir, dass der Circus Harlekin in Pedros Geist und Sinne noch viele Jahre fortbesteht – mit Ambiance und Qualität auf eine bodenständige Weise, wie sie dem Publikum in kleinen und kleinsten Schweizer Städten und Dörfern sowie auch uns gefällt.

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Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Moll