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Circus Knie - Tour 2022
www.knie.ch ; 202 Showfotos

Rapperswil, 18. März 2022: Es ist Mitte März und der Circus Knie startet in seiner Heimatstadt Rapperswil in die neue Saison. Alles wie immer. Grundsätzlich richtig. Doch in den letzten beiden Jahren war alles anders. Corona hatte den gewohnten Saisonablauf des Schweizer National-Circus gehörig durcheinander gewirbelt. Die Spielzeit 2020 begann Anfang September und musste Ende Oktober schon wieder abgebrochen werden. 2021 feierte man Ende Juli Premiere und konnte planmäßig bis Anfang des Folgejahres spielen.

Bestandteil dieser Tour war ein Weihnachtsgastspiel in Luzern. Dieses war offenbar so erfolgreich, dass daraus eine Tradition werden soll. Daher wird die Tour 2022 wiederum mindestens bis zum Jahresende dauern. Dafür wird nach dem Mitte Juni stattfindenden Gastspiel in Basel eine mehr als einmonatige Pause eingelegt.


Chapiteau mit beleuchteten Rundbögen

Alle wie immer, das gilt zum Glück auch wieder für die Rahmenbedingungen des Circusbesuchs. Für den Einlass muss niemand mehr nachweisen, dass er geimpft, getestet oder genesen ist. Eine Maske ist nicht erforderlich und das Chapiteau darf bis auf den letzten Platz gefüllt werden. So zumindest in Rapperswil. Das Publikum strömt zu den ersten Vorstellungen des Jahres in die strahlend weißen Zeltanlagen. Im riesigen Gastronomiebereich laden elegante Sitzgruppen zum Verweilen. Das Angebot umfasst etwa Champagner, Burger und Pizza. Aber auch die Nachfrage nach Circus-Klassikern wie Bratwurst und Popcorn wird befriedigt. Das Chapiteau bietet dank bequemer Klappsitze und fehlender Masten im Inneren besten Komfort. Die beiden außen liegenden Rundbögen sorgen seit 2019 für einen freien Blick auf das Geschehen. Jetzt glitzern sie dank vieler blinkender Lämpchen auch noch in der Dunkelheit.


Opening mit Bingo

Alles wie immer auch bei der Show? Das lässt sich nicht so einfach beantworten. Denn nach dem Jubiläumsprogramm 2019 wurde die Machart deutlich moderner, rockiger. 2020 gab es gar eine Kooperation mit Flic Flac. Offen ist, ob das der neue Knie-Stil ist oder ob man in der unmittelbaren Zeit nach dem 100-Jahre-Geburtstag einen temporären Kontrast setzen will. In diesem Jahr wird der neue Stil auf jeden Fall fortgeführt. Die Technik ist beeindruckend. Weiterhin im Einsatz ist die Rundbühne, welche mit Beleuchtungselementen versehen ist, Wasserfontänen spritzen und Regen aus der Kuppel aufnehmen kann. Wann immer sie nicht benötigt wird, wird sie unter das hohe Zeltdach gezogen. Aufwendige Feuereffekte kommen ebenfalls wieder zum Einsatz. Beim Finale und beim Auftritt der Truppe Extreme Light schweben beleuchtete Drohnen über der Manege und bilden immer neue, faszinierende Formationen. Die Beleuchtungstechnik sucht in einem Circus ihresgleichen. Dadurch wird die Show optimal in Szene gesetzt, das Ergebnis ist phänomenal. Ein Aufwand wie bei einer großen Konzertproduktion, der allerdings das Reisen erschwert. Die Soundtechnik sorgt dafür, dass die Klänge des Orchesters unter der Leitung von Ruslan Fil optimal ausgespielt werden. Komplett neu besetzt ist der artistische Part. Die Prolongation der Motorradspringer ist nur auf dem Papier eine solche, hält die Truppe doch eine sensationelle Überraschung parat. Neue Pferde und ein Manegendebüt hat der Bereich der Tierdressuren parat. Die drei Headliner des Programms kommen wie so häufig nicht aus der Circuswelt. Sie waren bereits in jeweils einem der beiden vergangenen Jahren dabei und teilen sich nun den Platz auf den Plakaten.


Bastian Baker

Da ist zunächst Bastian Baker. 2021 war er der erste Sänger als Gaststar bei Knie. Wie damals eröffnet er die Show gemeinsam mit einer Bingo-Formation. Von Geraldine Knie aus dem Off angekündigt, nimmt er locker die Stufen der Treppe, die ihn vom Orchesterpodium auf die Bühne führen und singt seinen Opener „Here we go“. Später begleitet der blendend aussehende 30-Jährige Ksenia Bereziuk bei ihrer Akrobatik an Tüchern und geht kurz selbst mit in die Luft. Mit Ivan Frédéric Knie zeigt er eine doppelte Stehendreiterei auf jeweils zwei Friesen. Dies ist die Einleitung zu einigen seiner Songs, zu denen er Gitarre spielt. Zudem begleitet er eine artistische Darbietung mit seinem Gesang. Bastian Baker kommt beim Publikum bestens an und doch hätten wir uns etwas mehr Differenzierung zu seinem letztjährigen Engagement gewünscht.


Ursus & Nadeschkin

Diese Abwechslung bringen Ursus & Nadeschkin. Dabei wäre es bei ihnen durchaus legitim gewesen, noch einmal das Repertoire aus 2020 zu spielen, war es doch nur in wenigen Städten zu sehen. Zudem waren nahezu alle ihrer Stück neu für Knie geschrieben und rundum überzeugend. Mit ihrem ganz eigenen „Töff“ jagen sie über das Gradin. Es folgt das aus früheren Bühnenprogrammen bekannte „Schönenabigwünsche“. Das „Korrekturfoto“ für das Plakatmotiv machen sie jetzt gemeinsam mit Bastian Baker, der sich zuvor lautstark auf Französisch über den Fauxpas beschwert. Die großen Buchstaben, die Nadeschkin dafür herbeibringt, spielen im weiteren Verlauf des Abends eine wichtige Rolle. Mit deren Hilfe kündigen sie die Pause an. Das „L“ oder „Es L“ führt rein sprachlich zu einem Esel, der dann auch leibhaftig in der Manege erscheint und sich die Witze des Duos anhören darf. Zunächst ist der Vierbeiner namens Ferdinand nicht so begeistert, dann lacht er aber sichtbar. Mit grandiosem Sprachwitz begeistern die Komiker immer wieder. Ihre Gegensätze arbeiten sie besonders schön bei der Reifenakrobatik von Ursus heraus, der konzentriert und auf Perfektion bedacht jongliert. Und das tut er nebenbei bemerkt ganz virtuos. Seine Manegenpartnerin allerdings hat nichts anderes zu tun, als währenddessen im Jockeydress seelenruhig eine Rennkuh durch den Ring zu führen. Daraus entspinnt sich ein urkomisches Wortgefecht. Am Ende jagt Nadeschkin hoch zu Kuh Jongleur Ursus über das Sägemehl. Ergänzend dazu erleben wir sie mit kürzeren Einlagen auf dem Gradin. In einem begleitet von ihren Lookalikes im Format S. Leider nicht mehr dabei sind die noch von 2002 bekannten Kartonrössli und die Action auf einer Slackline. So oder so sorgt das Komikerduo mit seinen äußerst kreativen und brillant gespielten Nummern für allerbeste Unterhaltung.


Maycol Knie junior, Chanel Marie Knie, Ivan Frédéric Knie

Die Pferdedressuren werden in diesem Jahr von der achten Generation der Familie Knie präsentiert. Dabei stiehlt der vierjährige Maycol junior allen die Show. Schließlich gibt der jüngste Spross sein Manegendebüt. Bis Weihnachten galt sein größtes Interesse noch Traktoren aller Art. Dann entschloss er sich, doch auftreten zu wollen. Zunächst präsentiert er ein Pony. Schon sein Winken ins Publikum lässt ihm die Herzen der Zuschauer zufliegen. Bei der Vorführung unterstützt wird er von seiner Schwester Chanel Marie. Diese leitet sodann souverän sechs Ponys an, die - wie schon 2019 - Puppen auf dem Rücken haben, die an Chanel Marie erinnern. Sechs braune Vollblutaraber hat Ivan Frédéric Knie neu ausgebildet und bringt sie erstmalig gemeinsam mit sechs weißen Arabern zusammen in die Manege. Es ist faszinierend zuzusehen, wie der junge Tierlehrer seine Schützlinge mit Gesten, Stimme und Körperbewegungen lenkt. Man spürt das intensive Vertrauensverhältnis, die Konzentration bei Zwei- und Vierbeinern sowie das enge Miteinander. Am Premierenabend läuft die Nummer einwandfrei. Es sind viele anspruchsvolle Tricks enthalten. So etwas das Queren der braunen mit den weißen Pferden in der Manegenmitte. Mit dieser Dressur hat Ivan Frédéric Knie seine bislang überzeugendste Arbeit abgeliefert. Vier Korbpferde schließen sich an. Auch hier erleben wir eine wunderbare Choreographie. Der 20-Jährige dirigiert auch die beiden Pferde, die auf den Hinterbeinen laufen, während seine Geschwister darauf sitzen. Bei Chanel Marie ist es ein Friese, bei Maycol junior ein braunes Pony. Schade nur, dass es bei diesem Pferdeblock bleibt, was die Tiervorführungen angeht. Gerade dafür ist der Circus Knie vollkommen zu Recht bekannt. Hier würden wir in den kommenden Jahren gerne wieder mehr sehen. Und auch Geraldine Knie und Maycol Errani wieder in der Manege erleben.


Priscilla Errani, Duo Olmos, Alex Michael

Den artistischen Part eröffnet Alex Michael. 2007 war er als Teil der Flugtrapez-Formation Flying Michaels beim Schweizer National-Circus. Seit einigen Jahren ist er im Solo unterwegs und strapaziert mit Deckenlauf sowie Sprüngen von Trapez zu Trapez die Nerven des Publikums. Das alles ohne Sicherung. So lässt er auch das Premierenpublikum in Rapperswil mitfiebern, zumal sein Apparat im Knie-Chapiteau in großer Höhe hängt. Rafa und Paco Olmos begeben sich ebenfalls in die Luft. Gegenseitig katapultieren sich die Spanier mit einem Schleuderbrett nach oben. Schwierige Schrauben und Salti sehen bei ihnen ganz easy aus. Die Brüder sind einfach locker drauf. In den vergangenen beiden Jahren erlebten wir Priscilla Errani gemeinsam mit Partner Marco Moressa bei Knie. Damals als präzise Schützin mit der Armbrust. Nun lässt sie charmant Hula Hoop-Reifen um ihren Körper kreisen. Wenn ihr zum Schluss immer mehr Reifen aus großer Entfernung zugeworfen werden, steht Priscilla Errani im Regen, der aus der Kuppel herabfällt. Ein herrlicher Effekt, der ihre eigentliche Arbeit nicht gerade einfacher macht. Auf spektakuläre Effekte setzt auch die Extreme Light Dance Crew. Die Tänzerinnen und Tänzer aus der Ukraine sowie Russland treten im Dunkeln auf. Da ihre Kostüme in immer wieder neuen Varianten leuchten, ergeben sich faszinierende Bilder voller Dynamik. Eine Show der Überraschungen, die zudem überaus innovativ ist. Mit dieser Partystimmung geht es in die Pause. Lichteffekte spielen auch zu Beginn des zweiten Teils eine wichtige Rolle. Gemeinsam mit einer Artistin und vier Artisten ist Guido Errani in einer rasanten Trampolin-Darbietung zu erleben. Zwischen den zwei Trampolinen steht eine Metallkonstruktion, ähnlich einem Haus. Diese ist mit LED-Wänden besetzt. Darauf spielt sich die begleitende Lichtshow ab.


Dima Shine, Duo El Beso, Mad Flying Bikers

Nachdem sie die Show artistisch und tänzerisch gemeinsam mit Bastian Baker eröffnet haben, erleben wir die Bingo-Mitglieder beim Abbau der aufwendigen Requisiten erneut. Seit 2009 sind Mitglieder dieses Circus-Theaters aus Kiew Bestandteil der Knie-Programme. Immer in neuen Disziplinen, neuen Kostümen und neuen Choreographien. Vor sechzehn Jahren wurde Dima Shine beim Cirque de demain für seine Handstand-Equilibristik mit Gold ausgezeichnet. Seine gemeinsam mit Jongleur Viktor Kee inszenierte Kür an einem Masten fasziniert heute noch genauso. Kraftraubende Tricks bekommen durch die fließenden Bewegungen eine bewundernswerte Leichtigkeit und Eleganz. Ein Mast ist es auch, an dem das Duo El Beso in die Luft geht. Am Flying Pole sorgen Kateryna und Levgen noch einmal für Nervenkitzel. Ihre sinnliche Kür enthält einige riskante Tricks. Etwa, wenn Levgen am Pole mit der Hand einen Reifen hält, an dem Kateryna mit nur einer Ferse hängt. Das attraktive junge Paar wird nicht nur durch das traumhafte Licht bestens unterstützt, sondern ebenfalls durch den Gesang von Bastian Baker. Das Bingo-Ensemble leitet über zur furiosen Schlussnummer, die zudem von Feuersäulen begleitet wird. Die Mad Flying Bikers zeigen ihre atemberaubenden Sprünge. Auf Motocross-Maschinen jagen sie aus einem Auslass in der Mitte des Gradins zu einer gegenüberliegenden Plattform. Dabei zeigen sie spektakuläre Aktionen. Neu dabei ist in diesem Jahr ein Quad. Auch das Gefährt mit vier Rädern fliegt rasant durch die Luft. Der Fahrer wagt damit sogar einen Backflip, eine Art Rückwärtssalto. Sensationell! In Windeseile verschwindet danach der Aufbau vor dem Artisteneingang. Noch einmal wird klar, welcher logistische Aufwand hier betrieben wird und wie reibungslos die Umbauten funktionieren. Auch das eine enorme Leistung, für die insbesondere der technische Direktor Maycol Errani verantwortlich zeichnet.

Das Licht, das schon an so vielen Stellen in der Show ein Thema war, spielt auch im Finale eine zentrale Rolle. Beleuchtete Drohnen schweben durch die Luft, die Artisten leuchten mit den Taschenlampen ihrer Smartphones. Etliche Zuschauer tun es ihnen gleich. „Mit unserer bunten Show möchten wir ihre Herzen erleuchten und Kinderaugen zum Strahlen bringen. Denn gerade in diesen schweren Zeiten brauchen wir alle leuchtenden Auszeiten und viele Glücksmomente“, schreibt das Direktions-Trio dazu im Programmheft. Dieses Ziel wird erreicht, vielmehr übertroffen. Die Show lässt einen die Welt außerhalb des Circusgeländes komplett vergessen. Sie packt ihre Zuschauer vollständig, lässt sie Staunen, Träumen, Mitfiebern. Eine großartige Produktion, für die insbesondere Geraldine Knie als artistische Direktorin verantwortlich zeichnet. Sie ist es auch, die die Abschiedsworte spricht.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch