Und das harmonische
Miteinander verschiedener Nationen herausgestellt. Es gehört zum
Wesenskern der internationalen Circuswelt.
Dem Kartenverkauf tut die aktuelle Situation zumindest an diesem
Samstag offenbar keinen Abbruch. Die Nachmittagsvorstellung ist
bestens besucht, jedenfalls im Rahmen des Corona-bedingt
Erlaubten. Und als das Publikum nach dem Finale aus dem
Chapiteau strömt, wartet draußen schon eine eindrucksvoll lange
Menschenschlange auf Einlass.
 
Chapiteau, Kassenwagen
Dies im Freien, denn für ein
Vorzelt ist auf dem beengten Gelände inmitten von Bietigheim
leider kein Platz. Dort, wo es stehen sollte, liegt auf der
Brachfläche ein großer Haufen Kies. Auch das ist eben Circus.
Selbst unter widrigen Bedingungen wird gespielt. Und zwar in
einem eindrucksvollen rot-weißen Viermaster mit Quaderpolen.
Beim nachfolgenden Gastspiel in Neuwied wird dann ein flammneuer
Viermaster eingesetzt. Im Inneren stehen Logenstühle und ein
Schalensitzgradin zur Verfügung. Seniorchef Nando Frank
moderiert die Vorstellung gesundheitsbedingt von einem Sitzplatz
am Rande der Manege aus, aber dennoch mit angenehmer Stimme.
  
Red and Blue
Mit seinem temperamentvollen
Eröffnungstanz nimmt das Ensemble das Thema russischer Folklore
auf, ehe die Manege zum ersten Mal dem lettisch-russischen
Clownsduo „Red and Blue“ gehört, verkörpert von Gennady
Kantorovich und seiner Manegen- und Lebenspartnerin Ekaterina
Mikhailova. In bester russischer Circustradition erleben wir
hier zwei hervorragende Pantomimen in wunderbarer Kostümierung.
Zunächst messen beide sich darin, wer am meisten Applaus
erhalten kann. Wenn sie nach jedem Versuch die Hüte wieder
aufsetzen, sind einige Kapriolen garantiert. Auf eine komische
Bootsfahrt folgt die große Illusionsschau, bei der unter anderem
das Geheimnis der „schwebenden Jungfrau“ auf amüsante Weise
auffliegt. Auch der „stärkste Mann der Welt“ ist dies nur
augenzwinkernd. Neben Seifenblasenspielen zum Käfigabbau und
„Popcorn“ als weitere Überbrückung präsentieren „Red und Blue“
zum Abschluss stimmungsvolle Lichterspiele mit LED-beleuchteten
Kostümen und Requisiten. Mit ihrem Engagement wurde der
clowneske Teil der Show gegenüber meinem letzten Besuch des
Moskauer Circus 2018 deutlich gestärkt.
  
Olksandr Mak-Frank, Julia
Hajdu, Duo Tonito
Quasi schon zum Inventar gehört
beim Moskauer Circus die Familie Tonito. Salvi und Kevin Tonito
eröffnen die Spielfolge mit Artistik auf dem doppelten
Drahtseil. Zu Rockmusik springt Kevin durch einen Feuer- und
Salvi durch einen mit Messern gespickten Reifen. Schlusstrick
ist Salvi Tonitos Rückwärtssalto. Oleksandr Mak-Frank zelebriert
an den Strapaten kraftvolle Posen und gewagte Abfaller. Dazu
lässt er seinen Charme spielen, interagiert offensiv mit dem
Publikum. Eine wirklich attraktive Darbietung. Die erste der
beiden Tiernummern im Programm zeigt Julia Hajdu, unter anderem
mit farbenprächtige Aras und einen Kakadu. Die Vögel schieben
beispielsweise einen kleinen Einkaufswagen oder flattern von
Hürde zu Hürde. Leider kurz fällt der Freiflugpart mit einem
Tier am Ende aus.
  
Truppe Tonito, Markus
Korritnig, Alexandra Kopecká
Es ist heute fast schon eine
Rarität, wieder einmal eine traditionelle Vertikalseilnummer zu
erleben. Hier hat sich die junge Direktionstochter Latoya
Mak-Frank für dieses Genre entschieden, nicht ohne verschiedene
rasante Wirbel an Schlaufen zu zeigen. Acht Personen stark –
fünf Herren und drei Damen – ist die Generationen übergreifende
Truppe Tonito. Sie kombinieren ihr Trampolin mit einem
Fangstuhl, was zusätzliche Tricks möglich macht. Höhepunkte der
attraktiven Pausennummer sind das Drei-Personen-Hoch oder der
dreifache Salto, ausgeführt von Marisa Tonito. Für Begeisterung
sorgt auch der erst zehnjährige David mit seinen Sprüngen.
Überhaupt bereitet allein das Bild der gut gefüllten Manege
Freude. Teil zwei der Vorstellung beginnt mit den Tigern von
Markus Korritnig. Zwar vereint er nur drei große Katzen im
Zentralkäfig, aber inzwischen hat es fast schon Seltenheitswert,
dass wir überhaupt Raubtiere in einer Manege erleben dürfen.
Balkenlauf, Sprünge von Podest zu Podest und das Abliegen zum
Teppich gehören zum Repertoire der Darbietung. Am Ende setzt
sich der Dresseur auf eines der liegenden Tiere und krault es
vertraut am Kopf. Alexandra Kopecká demonstriert am Luftring
Kraft und Beweglichkeit, begleitet von einem romantischen
Lovesong. Mit Strapaten, Vertikalseil und Ring bildet die
Luftakrobatik – wie schon 2018 – neben der Clownerie den zweiten
Schwerpunkt der Vorstellung.
  
Duo Madison, Kevin Tonito
mit Assistentinnen, Oleksandr Mak-Frank
Zu den stärksten Nummern im
Programm gehören die Antipodenspiele von Marisa Tonito und ihrer
Tochter Madison als Duo Madison. Dabei werden von Marisa Tonito
fünf große Bälle mit den Füßen jongliert und von Madison Tonito
vier Teppiche kreisen gelassen. Marisa Tonito bugsiert einen
Ball über fünf Plattformen an einer Metallstange in den Korb am
oberen Ende. Die Stange ist an ihren Füßen befestigt. Gemeinsame
Sache machen Mutter und Tochter beim Schlusstrick. Madison steht
im Schulterstand auf den Füßen von Marisa Tonito. So lassen
beide gemeinsam fünf Teppiche auf Händen und Füßen fliegen. Mit
klassischen Handständen zu Michael Bublés „It’s a new day“
überzeugt im Anschluss noch einmal Oleksandr Mak-Frank. Zum
Abschluss lässt Kevin Tonito in einer großen, effektvollen
Illusionsschau seine vier Assistentinnen nach Belieben
erscheinen und verschwinden. Insgesamt macht dieses schöne
Programm viel Freude, besonders der deutlich schwungvollere
zweite Teil. Das Publikum dankt mit kräftigem Applaus. |