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Circus-Theater Roncalli 2022
www.roncalli.de ; 196 Showfotos

Köln, 24. April 2022: Roncalli spielt im Zwei-Jahres-Rhythmus. Sprich, alle zwei Jahre die weitgehend gleichen Städte, alle zwei Jahre neue Artisten, alle zwei Jahre ein neues Programmkonzept. Und dann fehlen auf einmal zwei Jahre. Wenn es gut läuft, können die Gastspielorte wieder gebucht werden. Auch das Konzept ist noch unverbraucht. Aber die Artisten haben meist schon andere Engagements, stehen nicht mehr zur Verfügung. Insbesondere wenn man weltweit gefragte Akteure engagiert hat. Wie alle Entertainment-Unternehmen traf Corona das Circus-Theater Roncalli mit voller Wucht.

Zwei Jahre lang ging wenig bis gar nichts. Es wurden einzelne Open-Air-Shows gespielt. Das Material wurde auf Hochglanz gebracht. Lili Paul-Roncalli machte in der TV-Show „Let's dance“ eine glänzende Figur und holte gemeinsam mit ihrem Tanzpartner den Sieg. Die so gewonnene Popularität hätte man bestens für das Tourneegeschäft nutzen können. Auch das Eventgeschäft kam zum Erliegen, genauso wie die Weihnachtscircusse und der Spielbetrieb im Düsseldorfer Apollo-Varieté.


All for Art for All

„All for Art for All“ lautete der Titel der neuen Produktion, die am 12. März 2020 in Recklinghausen ihre Weltpremiere feiern sollte. Die Circusstadt war auf dem Konrad-Adenauer-Platz aufgebaut, die Proben liefen. Eine öffentliche Vorstellung gab es nicht, durfte es aufgrund der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie nicht geben. Roncalli blieb dran, setzte neue Termine an. Alles vergebens. Erst am 10. März 2022 hob sich der erste Vorhang für „All for Art for All“. Von den ursprünglich vorgesehenen Artisten waren nur noch Maria Sarach und das Duo Minasov dabei. Der inzwischen in der Ukraine ausgebrochene Krieg führte zu weiteren Schwierigkeiten, das Ensemble wunschgemäß aufzubauen. So gab es für das Gastspiel in Köln noch Umstellungen.


Circus-Theater Roncalli auf dem Kölner Neumarkt

Dort besuchen wir das Circus-Theater Roncalli auf dem zentralen Neumarkt, der quasi ein Teil des innerstädtischen Shoppingbereichs ist. Wie aus dem Ei gepellt steht die prachtvolle Stadt aus Zelten und Wagen dort. Ein feudaler Circustraum aus längst vergangenen Tagen. Im prunkvoll ausgestatteten Chapiteau setzt sich der Eindruck fort. Sogar von einer frontalen Balkonloge aus kann das Geschehen in der Manege verfolgt werden.
 


Krissie Illing, Gensi, Maria Sarach

Den Auftakt der Show machen einmal mehr die „Hologramme“, die auf einen rund um die Manege gezogenen Vorhang aus halbtransparentem Gazestoff projeziert werden. Damit hat Roncalli weltweit für mediale Aufmerksamkeit gesorgt. Die tatsächliche Wirkung im Chapiteau ist aber überschaubar. Wirklich überzeugend kommen die Projektionen nicht daher. Und warum muss man einen Elefanten beim Rüsselstand zeigen, wenn doch bewusst auf jegliche Tiere verzichtet wird? Viel schöner ist hingegen der eigentliche Auftakt mit „Her Majesty“ Krissie Illing. Zu „Land of Hope and Glory“ zieht die (Comedy-)Queen samt Hund und Hofstaat in prächtigen Gewändern ein. Kaum hat sich das Gefolge entfernt, legt Krissie Illing einen heißen Tanz samt Striptease hin. Das Vorbild, Queen Elizabeth II, wäre vermutlich „not amused“. Das Publikum in Köln dafür umso mehr. In einem großen Bild wird das Programmmotto aufgegriffen, es ist der Kunst gewidmet. Bekannte Gemälde werden von den Damen des Balletts sowie den Clowns hereingebracht. Oder die Präsentatoren stecken ihren Kopf gleich direkt in den Rahmen, um etwa den Schrei von Edvard Munch zu verkörpern. Die Beatles bekommen ebenfalls ihren Tribut. Als letztes erscheint Maria Sarach, die ein Werk des niederländischen Künstlers Piet Mondrian darstellt. Auf dem passenden Sessel zeigt sie nach dem Verschwinden der anderen Akteure ihre Handstandakrobatik. Ob auf einem oder zwei Armen, die Artistin hält sich immer perfekt im Gleichgewicht und demonstriert variantenreich, wie biegsam ihr Körper ist. Leider bleibt dies die einzige Darbietung, die konsequent nach dem Motiv „Kunst“ gestaltet wurde. Möglicherweise ergeben sich im Laufe der Tour noch Anpassungen. Zudem werden noch neue Kostüme erwartet.


Kris Kremo, Duo Luna, Paolo Carillon

Das Ballett in dunklen Mänteln, roten Krawatten, schwarzen Melonen und mit Aktenkoffern leitet gemeinsam mit Sängerin Sash (Oleksandra Duwentester) über zu Kris Kremo. Der Weltstar unter den Gentleman-Jongleuren ist als Gast für die Vorstellungen in Köln dabei. Er startet seinen Auftritt mit einer Melone, wobei seine nicht schwarz ist, sondern rot. Es folgen die bestens bekannten Touren mit jeweils drei Bällen, Zylindern und Zigarrenkistchen. In der Tat ein besonderes Erlebnis, diesen Entertainer par excellence in der Roncalli-Manege zu bewundern. Dass er auch jonglieren kann, beweist daraufhin Jonny Rico. Den spanischen Clown konnten wir etwa schon im Circus Nock erleben. Hier ist er nun als komischer Requisiteur, aber eben auch als eigenständiger Clown eingesetzt. Er lässt Reifen durch die Luft fliegen und danach lange Messer mit (fast) verbundenen Augen. Gleich zwei Artistinnen am Luftring zu sehen, ist eine wahre Rarität. In diesen Genuss kommen wir dank Marina Luna und Marika Gould. Das Duo Luna überzeugt mit wunderbaren Figuren und durchaus riskanten Tricks. Von der in Nebel gehüllten Manege geht es immer wieder Richtung Kuppel. Während Jonny Rico und Clownspartner Anatoli Akerman mit Luftballons ihre Späße im Zuschauerraum treiben, wird die Spielfläche für Paolo Carillon vorbereitet. Der italienische Clown ist der Tüftler unter den Spaßmachern. Er wird bei seinen Auftritten von liebevollen, nostalgischen Konstruktionen aus Metall begleitet. Und in diesem Jahr erstmalig von seiner Tochter Nox. Sie ist für den Gesang verantwortlich. Dank der Zauberkünste ihres Vaters erscheint sie quasi aus dem Nichts. Kern ihrer Darbietung ist das poetische Spiel mit unzähligen Seifenblasen in allen erdenklichen Formen und Größen.


Jump'n'Roll, Jonny Rico, Krissie Illing

Den fetzigen Kontrapunkt setzen die Jungs von Jump'n'Roll. Die federnden Stelzen an den Beinen verleihen dem Quartett Flügel. In schwarz-weißen Outfits wagen sie ausgelassen ihre artistischen Sprünge. Die Musik heizt ihnen ordentlich ein. In Schwarz und Weiß gehalten sind ebenfalls die Kostüme der Tänzerinnen, wenn sie gemeinsam mit Jonny Rico und Anatoli Akerman die Pause ankündigen. In nahezu gleicher Besetzung beginnt der zweite Programmteil. Die Jump'n'Roll-Artisten springen jetzt auf dem Fasttrack, Clowns und Ballett sind wieder dabei. Hinzu kommt Luftakrobatik. Und dann gibt es einen weiteren abrupten Stimmungswechsel. Denn kurz darauf gehört der Raum ganz alleine Weißclown Gensi und seinem Konzert mit Glocken, bei dem er von Mitspielern in den Logen begleitet wird. Ein Restauranttisch ist der nächste Ort der Handlung. An diesem wartet Krissie Illing in ihrer Rolle als Wilma auf ein Date. Da dieses nicht kommt und auch das befragte Blumenorakel keine Besserung verspricht, entledigt sich die Lady mit der markanten Frisur ihres Mantels und legt einen flotten Tanz hin, bei dem sie mit Wasser spuckt und ihre Perlenkette kreisen lässt. Die Britin spielt diese Szene hinreißend und ihr schräger Humor sorgt für große Heiterkeit. Leider sind ihre beiden Auftritte die einzigen, die für lauthalses Lachen sorgen. Danach gehen Paolo Carillon und Gensi auf ihren Concertinas spielend durch den Gang zwischen Logen und Gradin. Vor dem Vorhang des Artisteingangs angekommen, begleiten sie das Ballett musikalisch. Anatoli Akerman gesellt sich hinzu. Kostüme und Choreographie der vier Tänzerinnen sind eine Hommage an das Triadische Ballett von Oskar Schlemmer.
 


Duo Minaov, Vanessa & Sven mit Georg Pommer

Einem komplette Facelift haben Elena und Victor Minasov ihren Quick Change-Illusionen unterzogen. Jetzt steht ein futuristisches Trike im Mittelpunkt. Die ständig wechselnden Kostüme sind poppiger geworden. Nach wie vor geben die beiden Zauberkünstler volle Power. Es geht wirklich Schlag auf Schlag. Elena wechselt sogar dann das Kostüm, wenn ihr Gatte sie in eine Wolke aus Kunstnebel einhüllt. Natürlich fehlt auch das blitzschnelle Umziehen im Glitterregen nicht. Während Jonny Rico in einem Aufgang des Gradins auf dem Sopransaxophon spielt, wird ein weißer Flügel in die Manege gebracht. Darauf begleitet Georg Pommer sogleich die wunderbare Sängerin Sash zu „Easy on me“ von Adele. Damit hat der langjährige Orchesterchef einen Auftritt im Scheinwerferlicht. Einmal mehr sei ihm und seinen Musikern ein großes Lob ausgesprochen. Sie tragen mit ihrem Spiel in den verschiedensten Stilrichtungen ungemein zum Gesamteindruck bei. Der Flügel bildet zudem das Podest für die Partner-Equilibristik von Vanessa & Sven. Ungemein sinnlich zelebrieren die Absolventen der Berliner Artistenschule ihre Handstandakrobatik. Besonderheit ist hier, dass Vanessa den tragenden Part übernimmt. Trotz dieser ungewöhnlichen Rollenverteilung wirkt ihre Kür ganz harmonisch. Leuchter mit Kerzen in der Manege umrahmen die Szene.


Jonny Rico, Jump'n'Roll, Hermanos Acero

Bei deren Abbau unterstützt „Requisiteur“ Jonny Rico, um sodann seine Fertigkeiten mit Tischtennisbällen unter Beweis zu stellen. Geschickt jongliert er sie mit dem Mund. Sogar eine Flaschenorgel bringt er mit den kleinen Bällen zum Klingen. Im nächsten Augenblick wird es wieder ausgesprochen flott. Das Ballett tanzt in Petticoats zu Rock'n'Roll-Rhythmen. Die passen ebenfalls zur schwungvollen Schleuderbrett-Action von Jump'n'Roll. In rasanter Abfolge katapultieren sich die Artisten in quietschgelben Anzügen gegenseitig in die Luft, um oben lässig anspruchsvolle Sprünge zu zeigen. Eine in prachtvolles Gold gehüllte Tänzerin zieht die Blick des Publikums auf sich, während das Requisit für die letzte Darbietung vorbereitet wird. Auf einem Podest mit Treppe arbeiten die Hermanos Acero ihre Hand-auf-Hand-Akrobatik. 2019 konnten wir Charly und Wuilder noch beim Circus Royal in der Schweiz sehen. Jetzt sind sie dabei, die Herzen des Roncalli-Publikums zu erobern. Frenetisch beklatscht wird ihr Schlusstrick, wenn sie im Kopf-auf-Kopf die Treppe hinunter und wieder hinauf gehen. Natürlich begeistern sie ebenfalls mit den zuvor gezeigten vielfältigen Kunststücken, wie dem Einarmer auf dem Kopf des Partners. Mit zunehmender Auftrittsroutine werden die sympathischen Kolumbianer sicher noch an Präsenz gewinnen. Das Finale wird Roncalli-Style zelebriert, sprich ausufernd, lebendig, mitreißend und originell. Ein einziger Rausch. Die fantastischen Musiker bekommen ebenso ihren Applaus wie die Menschen, die für die perfekte Übertragung des Tons und das gewohnt exzellente Lichtdesign sorgen. Im Epilog geht Krissie Illing auf einer Parkbank noch einmal auf die Suche nach Mister Right. Diesmal hat sie Glück, denn Jonny Rico erweist ihr die Zuneigung. Wenn die beiden durch einen Bilderrahmen schauen, schließt sich der Vorhang zum letzten Mal. Somit wird das Programmotto nochmals aufgegriffen.

Insgesamt hätte der Titel über den ganzen Abend präsenter sein können. „All for Art for All“ bietet viel Raum für die kreative Gestaltung eines Circusprogramms. Bei den artistischen Disziplinen wäre ein wenig mehr Abwechslung wünschenswert. Aber das ist bei den aktuellen Rahmenbedingungen eben eine besondere Herausforderung. Sicher wird sich die Show in der nächsten Zeit noch weiterentwickeln. So oder so bietet Roncalli eine traumhafte Auszeit vom Alltag. Mit gestandenen Persönlichkeiten der Showbranche und spannenden Newcomern. Mit einem fulminanten Licht und mitreißender Musik. Mit fließenden Übergängen. Mit immer wieder unterschiedlichen Stimmungslagen. Mit einem fantastischen Ambiente. Kurzum, mit einem Erlebnis, das alle Sinne verwöhnt.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch